Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Christus, unsere Weisheit - Zweite Predigt.
über 1. Cor. 1,30. Christus, unsere Gerechtigkeit.
Mit tiefer Wehmuth redet der Apostel Paulus im Brief an die Römer von der traurigen Erfahrung, daß das Volk Israel, nachdem der verheißene Heiland gekommen war, doch größtentheils ungläubig blieb. Lieben Brüder, sagt er am Anfang des 10. Kapitels, meines Herzens Wunsch ist, und ich flehe auch Gott für Israel, daß sie selig werden. Denn ich gebe ihnen das Zeugniß, daß sie eifern um Gott, aber mit Unverstand. Denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und trachten ihre eigne Gerechtigkeit aufzurichten, und sind also der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht unterthan. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist, wie der Apostel sich selbst erklärt, diejenige, die aus dem Glauben kommt. Wer nicht mit Werken umgeht, sagt er, nicht auf Werke sich verläßt, seine Hoffnung und seine Ansprüche, selig zu werden, nicht auf Werke gründet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, der die Sünder aus Gnaden, nämlich um Christi willen, gerecht spricht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit, der hat eine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ein Kleid der Gerechtigkeit, in welchem er vor Gott stehen und bestehen kann; denn es ist ein ihm von Gott selbst zubereitetes und geschenktes Kleid.
Diese damalige Klage des Apostels über Israel, muß sie nicht auch in unsern Tagen über die christlichen Länder und Völker und Gemeinden und die große Mehrzahl ihrer Mitglieder geführt werden? nicht nur in der katholischen, sondern auch in der protestantischen Kirche? Bekannt ist, und es ist jüngsthin bei der Feier des Reformationsfestes näher zur Sprache gebracht worden, daß kein Lehrpunkt der evangelischen Wahrheit in der römischen Kirche mehr verdunkelt und verfälscht worden ist, als dieser, indem man die Leute ganz eigentlich dazu angeleitet hat, wiederum mit Werken umzugehen, ihre Hoffnung und Ansprüche auf die Seligkeit wieder auf Werke zu gründen; daher auch auf unzählige Glieder dieser Kirche noch immer anwendbar ist, was Paulus von den damaligen Juden sagt. Vielen unter ihnen kann man das Zeugniß geben, daß sie eifern um Gott, aber mit Unverstand. Denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, die Gerechtigkeit aus dem Glauben, und trachten ihre eigne Gerechtigkeit, eine Werkgerechtigkeit, aufzurichten, sind also der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht unterthan, sind der echt evangelischen Lehre entfremdet und ihren Bekennern feind. Aber auch in der protestantischen Kirche ist es dem Argen nur zu sehr gelungen, das Kleinod des Evangeliums, wofür die Väter also gekämpft, und Gut und Blut dafür geopfert, den Nachkommen allgemach wieder aus den Augen zu rücken, und sie zurückfallen zu lassen in denselben alten Unverstand, in denselben alten Wahn und Dünkel eigner Gerechtigkeit vor Gott aus dem Gesetz. Theure Glieder dieser Gemeinde! ich darf, wenn auch in großer Schwachheit, sagen: Meines Herzens Wunsch ist, und ich bitte auch Gott für euch, daß ihr selig werdet. Kann und darf ich gleichgültig dabei seyn, wenn ich fürchten muß, daß viele unter Euch den Weg der Seligkeit verfehlen? Muß ich dieses aber nicht fürchten, wenn ich besorgen muß, daß viele unter Euch noch immer nicht die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, erkennen, und ihre eigene Gerechtigkeit vor Gott aufrichten, und der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht unterthan sind? Ihr Alle, die ihr hier heute anwesend seyd, und gekommen seyd, Gottes Wort zu hören, kommt her, laßt uns mit einander reden, wie es vor Gottes Angesicht uns ziemt, und nehmt in Liebe auf, was ich in Liebe zu Euch aus den Worten meines heutigen Textes Euch vorzutragen habe. Ich lade Euch dazu ein im Vertrauen auf den, der verheißen hat, sich finden zu lassen von denen, die Ihn suchen, und sie zu segnen, mit Licht und mit Gnade und Friede.
Nun Du, Herr, kennest uns und erforschest uns! Was wir bedürfen, weißt Du, und wie wir gesinnet sind. Der Du in Barmherzigkeit uns anflehst, noch ehe wir Barmherzigkeit begehren und wissen, daß wir ihrer bedürftig sind, und auch unter uns thun kannst über Bitten und Verstehen nach der Kraft, womit Du in uns wirkest, Dich rufen wir um Segen zur Betrachtung Deines Wortes auch heute an. Du kennest uns und weißt, daß wir von Natur allesammt nichts, als Sünder und Kinder der Finsterniß sind, so blind, daß wir unsre Knechtschaft für Freiheit, unsre Finsterniß für Weisheit ansehen. Du aber willst den Reichthum Deiner Gnade darin verherrlichen, daß Du Blinde sehend machst und aus Gefangenen Freie, Sünder begnadigst und zu Kindern des Lichts und Erben Deines Reiches machst! Das läßest Du uns verkündigen in Deinem heiligen Evangelium. O behüte uns vor dem Gerichte der Blindheit, daß wir nicht sterben in unsern Sünden, und hilf, daß wir uns nicht selbst im Wege stehen! Erwecke uns durch die Kraft Deines Heiligen Geistes zur Buße und zum Leben! Solches bitten wir von Dir im Namen Jesu, dessen Erscheinung wir feiern in diesen Wochen, den Du selbst gegeben hast, daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben! Amen.
Text: 1. Korinth. 1, 30.
Von welchem auch ihr herkommt in Christo Jesu, welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit, und zur Gerechtigkeit, und zur Heiligung, und zur Erlösung.
Der Apostel faßt hier in vier Wohlthaten den Inbegriff des Heils zusammen, das Gott in Christo uns bereitet hat. Christus ist uns zur Weisheit gemacht. Ihm verdanken, durch Ihn empfangen wir die Erkenntniß der seligmachenden Wahrheit, derjenigen Wahrheit, die uns Gott und uns selbst und den Weg zur ewigen Seligkeit kennen lehrt. Diese Wohlthat Gottes in Christo nennt der Apostel zuerst, und wir haben heute vor acht Tagen näher gehört, wie wahr dieses Zeugniß ist, daß wir in der That und Wahrheit nirgend Weisheit finden, als bei Ihm, daß in Ihm dagegen alle Schätze der Weisheit und Erkenntniß verborgen sind, daß wir aus seiner Fülle empfangen können und sollen Licht um Licht, in der Gotteserkenntniß und Selbsterkenntniß, und der Erkenntniß des ewigen Lebens und des Weges, der dahin führt. Wo man Ihn nicht kennt, wo seine Lehre noch nicht hingedrungen und Eingang gefunden, da bedeckt eine trostlose Unwissenheit noch bis heute das Erdreich und Dunkel die Völker, - wo Er erkannt wird, da scheint es helle. Muß uns nun Christus schon als unsre Weisheit theuer seyn, so muß er doch noch köstlicher in unsern Augen werden, wenn wir erwägen, daß wir die herrlichen Güter alle, die Guter des Heils, die Er als unser Lehrer uns bekannt macht und anbeut, Ihm auch als dem Erwerber derselben zu danken haben. Er ist nicht nur unser Lehrer, Er ist auch der Mittler zwischen Gott und uns Sündern. Er ist uns nicht nur zur Weisheit, sondern Er ist uns auch zur Gerechtigkeit gemacht. Laßt uns zuerst bemerken den Sinn dieses Zeugnisses, dann zweitens auch die Wichtigkeit desselben für uns. Der Geist des Herrn erleuchte uns und heilige uns in seiner Wahrheit!
I.
Um den Sinn dieses Zeugnisses zu verstehen, müssen wir wohl bemerken, was der Apostel hier unter Gerechtigkeit versteht. Die Gerechtigkeit nämlich, von der er redet, unterscheidet er selbst ganz deutlich von der Heiligung. Christus ist uns zur Weisheit zuerst, dann zur Gerechtigkeit, darnach zur Heiligung gemacht. So ausdrücklich unterscheidet der Apostel selbst hier Gerechtigkeit und Heiligung, woraus klar erhellt, daß er hier nicht von der Gerechtigkeit des Lebens und des Wandels redet, nicht von der Heiligkeit und Frömmigkeit, zu der wir durch das Evangelium gelanget sind; denn sonst würde er mit zweierlei Worten Einerlei sagen, sondern die Gerechtigkeit, von der hier die Rede ist, ist unsre Gerechtigkeit im göttlichen Gericht. So wird auch das Wort Gerechtigkeit von dem Apostel Paulus durchgängig gebraucht, besonders im Brief an die Römer. Wenn der Apostel dort bezeugt, daß wir lediglich aus Gnaden gerecht werden, ohne Werke, so ist offenbar, daß er von der Gerechtigkeit des Lebens, von der Frömmigkeit und Heiligkeit des Wandels nicht redet, die ja eben darin besteht, daß man gute Werke thut, sondern daß er von der Gerechtigkeit im göttlichen Gericht, oder vom Recht zum Leben redet, und sagt, diese Gerechtigkeit werde ohne Werke erlangt. Das Recht zum Leben hat man, wenn man gegründeten Anspruch auf die Seligkeit hat, wozu aber offenbar erfordert wird, daß man das göttliche Gesetz nicht übertreten, daß man keine Schuld auf sich und keine Strafe zu fürchten habe, daß man nach dem Gesetze Gottes unsträflich sey. Hier fragt sich nun, ob irgend ein Mensch ist, der durch seinen Gehorsam nach dem Gesetz einen Rechtsanspruch auf das Leben, auf die Seligkeit hat, ob irgend Jemand ist, der wegen des Gehorsams, den er dem göttlichen Gesetze geleistet, die Seligkeit mit Recht erwarten und fordern, also seiner Seligkeit halber vor Gott frei ins Gericht treten, mit Gott rechten kann? Einer ist, der dies kann, der wahrhaftig eine Gerechtigkeit aus dem Gesetz, also eine eigene Gerechtigkeit hat, der durch vollkommenen Gehorsam Recht auf das Leben und die Seligkeit, und sie verdient hat. Wer dieser ist, das wisset ihr, und darum heißt Er auch in der Schrift: der Gerechte. Sonst aber wissen wir bis dahin noch von keinem. Die Schrift sagt das auch ausdrücklich, daß keiner sey, der gerecht sey, auch nicht Einer, keiner, der nicht, wenn er vor Gottes Angesicht ins Gericht treten soll, als Sünder, als Ungerechter und Schuldbeladener vor Ihm da sieht, als der sich schämen und schuldig geben muß, und alles Ruhms an Gott er, mangelt. Wenn nun die Schrift die Wahrheit sagt, so sind wir von aller eigenen Gerechtigkeit im göttlichen Gerichte entblößt. Soll Gott nach Recht und Verdienst an uns handeln, so haben wir nur Strafe und Ausschließung von der Seligkeit vor uns. Der Beste muß hier sagen: Herr, gehe nicht ins Gericht mit Deinem Knecht; denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht. Herr, wenn Du willst Sünde zurechnen, wer will vor Dir bestehen? Gott aber, der da reich ist an Barmherzigkeit, beschloß, mit den Sündern nicht nach ihrem Verdienste zu handeln, Er beschloß schon vor Grundlegung der Welt, ihnen das verlorne Recht zum Leben aus Gnaden wiederzuschenken. Das aber konnte und wollte Er nicht thun ohne Vermittlung. Seine Heiligkeit, seine Gerechtigkeit, die Er ewig nicht verläugnen kann, gestattete nicht, daß die Sünde durchaus ungestraft bliebe. Denn dadurch würden diese Eigenschaften Gottes ganz verdunkelt worden seyn, Gott selbst würde dadurch die Menschen veranlaßt haben, zu denken, daß Er die Sünde gering achte. Ohnehin ist der Mensch so geneigt, zu denken, daß Gott sey, gleichwie er, daß Gotte die Sünde so wenig ein Gräuel sey, wie sie es ihm ist, und wähnt, Gott zürne nicht wider die Sünde. Nimmt nicht schon von der Langmuth Gottes, vom Aufschub der Strafe der Sünder in seiner Sicherheit, ohne Schuld Gottes, Anlaß, also von Ihm zu denken, als habe es mit dem Zorn Gottes wider die Sünde nichts auf sich, und sich im seiner Sicherheit zu bestärken, es habe mit ihm keine Gefahr. Wenn nun das Herz des Sünders schon dadurch in der Boßheit gestärkt wird, daß nicht alsbald ein Urtheil über seine bösen Werke ergeht, wie Salome sagt, was würde nicht erst geschehen seyn und geschehen, wenn Gott erklärt hätte, daß Er die Sünde gar nicht zu strafen gesonnen, daß er alle Strafe zu schenken bereit sey, wie würden dann nicht erst die Sünder seine Gnade auf Muthwillen ziehen! Sollte also dem Sünder die Strafe geschenkt werden, so geziemte es Gott, die Begnadigung so zu veranstalten, daß die Ehre seiner Gerechtigkeit und, das Ansehen seiner Gesetze dabei, aufrecht erhalten würde. Dieß ist geschehen durch Jesum. Er hat es über sich genommen, die Sünde der Menschen zu versöhnen, den Menschen Vergebung ihrer Schuld, und Erlassung aller Strafen zu erwirken, also, daß die göttliche Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht dabei verdunkelt, sondern dabei verherrlicht würde. Er, der unschuldig, heilig und ohne Sünde war, an den das Gesetz nichts zu fordern hatte, der nach dem Gesetz das Recht zum Leben hatte, Er war geeignet, der Gerechte, für Ungerechte, statt ihrer, zu leiden und zu sterben, und ihnen dadurch die Vergebung auszuwirken, und Er hat es gethan. Er hat es in Gethsemane und auf Golgatha auch vollbracht. Da Er die Sünde der Welt auf sich genommen, sich damit beladen, sich als den Schuldigen dargestellt hat, und die Strenge der göttlichen Gerechtigkeit über sich hat ergehen lassen, und Gott seiner auch nicht verschont hat, da Er als unser Vertreter ins Gericht ging, sondern furcht, bar, offenkundig vor Himmel und Erde die Sünde der Welt an Jesu gestraft hat, so kann Er nun auch ohne Verleugnung seiner Heiligkeit und seiner Gerechtigkeit bußfertigen Sündern, die dieses Opfer im Glauben ansehen und die hier vollbrachte Versöhnung im Glauben sich zueignen, alle ihre Sünden vergeben, alle Strafen ihnen erlassen, und das Recht zum ewigen Leben ihnen wiederschenken. Sehet, geliebte Zuhörer, darum heißt es in unsrem Texte, und das ist der Sinn der Worte unsres Textes, wenn der Apostel sagt: Christus ist uns von Gott auch zur Gerechtigkeit gemacht.
II.
Haben wir aber den Sinn dieses Zeugnisses aufgefaßt, so laßt uns auch nicht versäumen, seine Wichtigkeit für uns zu erwägen. Zuvörderst heißt es, daß uns Christus zur Weisheit gemacht worden, daß sein erstes Amt und Werk an uns ist, uns Weisheit, also wahre Gotteserkenntniß Und Selbsterkenntnis; zu lehren. Was aber sehen wir, was werden wir alsbald gewahr, im Lichte dieser Erkenntniß? Die erste große Hauptentdeckung, die wir machen, wenn Christus unser Licht, unsre Weisheit wird, ist diese, daß wir der Gerechtigkeit vor Gott ermangeln, daß wir in seinem Gericht nicht vor Ihm stehen und bestehen können, und die erste Frage, die sich da aufdrängt, also: Wie kann ich selig werden? Wie kann ich Gnade erlangen, da ich Schuld auf mir habe, da ich ein Sünder und Uebertreter und strafwürdig bin? Das Band der Gemeinschaft und Liebe zwischen Gott und mir ist zerrissen, Sünde und Untugend und meine Schuld scheiden mich und Gott von einander. Was Hab ich, meine Sünde zu versöhnen, wer tritt hier ins Mittel für mich im göttlichen Gericht, und hilft mir zur Gerechtigkeit, denn ich habe keine? Sehet da, die erste große Hauptentdeckung, die wir machen, und das große Hauptbedürfniß, das sich hier aufthut, wenn Christus unsre Weisheit zu werden begonnen hat! Wahrlich, sie würde als ein trauriges Geschenk erscheinen, diese Weisheit, wenn keine Antwort wäre auf diese Fragen, und keine Befriedigung für dieses innerste Bedürfniß des Herzens, das gerade durch das Licht der Weisheit aufgeregt und geweckt wird. Wir würden, wenn wir so weit gekommen, unser Elend inne zu werden, und dann nicht weiter könnten, nur um so elender seyn. So wenig die Strahlen der Dezembersonne die Erde erwärmen und befruchten, obwohl sie dieselbe erleuchten, so wenig könnte uns Jesus zum Leben helfen, wenn Er nicht mehr, als unser Lehrer wäre, wenn Er uns nur zur Weisheit gemacht wäre. Aber dem Namen des Herrn sey Lob und Ehre und Dank und Preis in Ewigkeit, daß Er uns von Gott auch zur Gerechtigkeit gemacht worden ist! Darum heißt Er auch im prophetischen Worte schon die Sonne der Gerechtigkeit, unter deren Flügeln, unter deren Strahlen wir sollen Heil finden. Ohne Ihn stehen wir mit unsrer Sünde, mit unsrer Schuld allein, ohne Bürgen, ohne Schutz, ohne Zuflucht; wir können eben so wenig vor Gott ins Gericht hintreten mit unsern Sünden und Schulden, als seinem allmächtigen Arm und gerechten Gericht entrinnen! Wie elend sind wir in diesem Zustande, der doch unser Aller natürlicher Zustand wirklich ist! In diesem Elende aber geht eine Freudensonne uns auf, wenn uns Christus verklärt wird als der, der uns von Gott gemacht ist zur Gerechtigkeit, der um unsrer Missethat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen ward, auf dem die Strafe lag, auf daß wir Friede hätten, durch dessen Wunden wir heil werden. Da stehen wir nicht mehr allein, nicht ohne Bürgen, nicht ohne Schutz, ohne Zuflucht, sondern wir sind gedeckt, geschützt, gerüstet, und haben den Schild des Glaubens und den Helm des Heils. Da klage uns immerhin unser Gewissen an, daß wir Sünder und Uebertreter sind, daß die Last unsrer Verschuldung groß und schwer ist, daß wir zeitliche und ewige Strafe verwirkt haben, - wir pflichten dem Gewissen bei, und erkennen, es hat recht, aber wir haben Frieden in dem, der die Sünde der ganzen Welt, und also auch die unsrige auf sich genommen, und die Strafe derselben getragen hat, und wissen, daß im göttlichen Gericht sein für uns vergossenes Blut stärker für uns um Barmherzigkeit, als unsre Sünde wider uns um Rache ruft; Gott selbst hat Ihn zu unsrer Gerechtigkeit in seinem Gerichte gemacht. Mögen wir da immerhin an uns nichts sehen, nichts finden, was uns irgend ein Recht, einen Anspruch an die Seligkeit geben kann, wir bedürfen es auch nicht; denn was Gott um unsertwillen nicht thut, thut Er um seines Sohnes willen, mit dem wir durch den Glauben verbunden sind. Es sieht geschrieben, nicht daß Er um unsrer Würdigkeit oder um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir gethan, sondern daß Er uns nach seiner Barmherzigkeit selig macht. Mag Satan uns verklagen, und mit schweren Gedanken von zu großer Schuld, von zu unheilbaren Gebrechen uns anfechten, wir geben ihm Recht in Allem, was unsre völlige Unwürdigkeit und Ohnmacht betrifft, aber nicht, was die allgenugsame Kraft Christi zur Versöhnung unsrer Sünden und zur Heilung aller unsrer Gebrechen betrifft. Was kann er der Kraft des Opfers Jesu Christi für die Sünden der Welt entgegen setzen denen, die daran glauben, die sich hierauf gründen, hierauf verlassen, und setzen ihre Hoffnung ganz auf die Gnade, die uns erworben ist durch Christum, unsern Herrn? Darum, so ergeht kein verdammendes Urtheil über die, so in Christo Jesu sind. Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja viel, mehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns. Wir werden ohne Verdienst gerecht, aus Gnaden, diese Gnade aber ist uns nicht anders erworben, als durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist. Das ist unser Sieg, womit wir Sünde, Welt, Teufel und Tod überwinden, daß Christus uns von Gott gemacht ist zur Gerechtigkeit.
III.
Ja, selig, wer in Christo seine Gerechtigkeit vor Gott gefunden! Darum waren die Apostel und die ersten Christen so selig. Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, hieß es, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum. Sie wußten, was sie an Christo hatten, und so nach ihnen durch alle Jahrhunderte alle Gläubigen, die den Frieden der Seele wirklich gefunden. Es ist, wie wir unlängst gesehen, das Hauptverdienst der großen Kirchen-Reformation des 16. Jahrhunderts, daß dieses Kleinod der evangelischen Lehre aus langer Verdunklung und schmählicher Verfälschung wieder ans Licht gezogen und vom Schmutze der Menschensatzungen gereinigt und gesäubert ward, und im Licht und Glanz der unverfälschten apostolischen Wahrheit und Lauterkeit wieder hergestellt ward. Die Reformatoren erkannten und fühlten es tief, daß die Lehre: Christus unsre Gerechtigkeit, der Kern des Evangeliums, diejenige Wahrheit ist, ohne welche gar kein Evangelium wäre. Einer unter ihnen fragt: „Was ist, wenn man diese Lehre hinwegnimmt, noch für ein Unterschied weiter zwischen dem Christenthum und der Philosophie?“ Luther bekannte und sprach: „Ein Christ „kann sich rühmen, daß er in Christo Alles hat, daß alle „Gerechtigkeit und alle Verdienste Christi sein sind, vermöge der Vereinigung mit Christo, die ihm durch den Glauben zu Theil wird,“ - und auf der andern Seite, „daß alle seine Sünden nicht mehr sein sind, sondern daß „Christus, vermöge derselben Vereinigung, die Last der, „selben trägt. Und dieses ist die Zuversicht der Christen, „dieses die Beruhigung ihrer Gewissen, daß durch den Glauben ihre Sünden aufhören, dem Rechte nach, die ihrigen „zu seyn, weil sie dem Lamme Gottes auferlegt worden „sind, welches die Sünden der Welt trägt.“ Melanchthon legt in einer öffentlichen Bekenntnißschrift folgendes Zeugniß ab: „Es wäre auch nicht möglich, daß ein Heiliger, wie groß und hoch er ist, wider das Ansehen göttlichen Gesetzes, wider die große Macht des Teufels, wider die Schrecken des Todes, und endlich wider die Verzweiflung und Angst der Hölle sollte bleiben oder bestehen „können, wenn er nicht die göttliche Zusage, das Evangelium, wie einen Baum oder Zweig ergriffe in der großen Fluth, in dem starken, gewaltigen Strom, unter den „Wellen der Todesangst, in den Wogen der Anfechtung, „wenn er nicht durch den Glauben sich an das Wort, welches Gnade verkündigt, hielte, und also, ohne alle Werke, „ohne Gesetz, lauter aus Gnaden das ewige Leben erlangte. Denn diese Lehre allein erhält die christlichen „Gewissen in Anfechtungen und Todesängsten; von welchen die Widersacher nichts wissen und reden davon, wie die „Blinden von der Farbe.“ Soll ich auch aus den Bekenntnißschriften unsrer Kirche etwas erwähnen, so sey es Per Anfang unsres Katechismus, die Antwort auf die erste Frage: Was ist dein einiger Trost im Leben und im Sterben? die also anfängt: „Daß ich mit Leib und Seele, „beides, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern „meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin, der „mich mit seinem theuren Blute erlöset und für alle meine „Sünden vollkömmlich bezahlet hat.“ Gottlob, auf diesen Glauben der Propheten und Apostel und aller Heiligen ist unsre Kirche gegründet! Selig auch unter uns, wer auf diesen Glauben gegründet ist, und sagen kann: Ich weiß, an wen ich glaube; denn der Gerechte lebt seines Glaubens!
IV.
Jeder unter uns nun prüfe sich, ob er dieses Glaubens lebt, ob Christus seine Gerechtigkeit geworden, oder ob er sich noch mit dem alten Wahn und Dünkel einer eigenen Gerechtigkeit vor Gott herumträgt? Nichts Geringeres, als unsre Seligkeit hängt hiervon ab; nichts Geringeres aber wird auch dazu erfordert, als die Erleuchtung des Heiligen Geistes über uns selbst. Nur, wenn Christus unsre Weisheit geworden, daß wir uns selbst in unsrer Blöße erkennen, kann Er durch den Glauben auch unsre Gerechtigkeit werden. Nicht anders. Darum steht auch die Weisheit voran. Unser natürliches sündliches und erbliches Verderben ist besonders dadurch so mächtig, daß wir es von Natur nicht sehen, daß wir es aus eigner Vernunft und Kraft nicht erkennen. Der Geist Gottes muß uns darüber erleuchten, sonst sehen wir es nicht. Sonst halten wir uns an unsre äusserliche Gerechtigkeit und Ehrbarkeit, an unsern Fleiß in unsrem Berufe, an unsre Werke, und denken, wie alle Welt denkt: „Ich weiß gar nicht, was man doch mehr von mir verlangen kann, mir muß es einmal gut gehen, ich thue keinem Menschen Unrecht, stehle nicht, halte mich auch nicht zu schlechter Gesellschaft, und lebe, wie sich's gebührt.“ Gerade das heißt eigene Gerechtigkeit vor Gott aufrichten! Gerade das heißt mit Werken umgehen, auf Werke sich verlassen) das Recht zum ewigen Leben auf den geleisteten Gehorsam gründen! Ach sehet diese vermeinte Gerechtigkeit, auf die ihr euch verlasset, auf der im Grunde euer Heil, eure Hoffnung und Seligkeit ruht, doch näher an! Prüft sie doch einmal genauer, besonders nach ihren innern Beweggründen, ob sie die Probe hält, ob sie vor Gott besteht, ob sie lauter in der Quelle ist? Wie kann denn aus trüben Brunnen reines Wasser fließen? Wer hat das Gebot gehalten, das Jesus das oberste und die Summe aller Gebote nennt: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften, und von ganzem Gemüthe; und deinen Nächsten als dich selbst. Dienen wir mit unsern natürlichen Tugenden Gott, oder uns? Suchen wir damit, was Gottes ist, oder was das Unsre ist? Wie können wir denn verlangen, daß Gott uns anrechne, was wir nicht für Ihn gethan? Gott sieht bei unsrem Gehorsam nicht auf das Werk zuerst, sondern zuerst auf das Herz. Wohnt in diesem noch die Liebe dieser Welt, wie kann die Liebe Gottes darin wohnen? Hangen wir mit diesem am irdischen Gut noch, wie können wir Gott anhangen? Niemand kann zween Herren dienen. Suchen wir mit diesem die eigene Ehre noch, wie können wir im Glauben nachtrachten der Ehre, die vor Gott allein gilt, die da Eins ist mit seinem heiligen Wohlgefallen?
So, geliebte Zuhörer, so prüfet euch, wenn ihr erkennen und erfahren wollt, wie ihr an Euch selbst beschaffen, wie ihr vor Gott gestaltet seyd! Habt ihr euch so noch nicht kennen gelernt, so kennt ihr Euch überhaupt noch nicht, und ich muß, ich kann nicht anders, ich muß diejenigen unter euch, die sich so in ihrer natürlichen Schlechtigkeit und Schändlichkeit vor Gott noch nie kennen gelernt, ich muß euch sagen, daß ihr allen Grund habt, an der Aechtheit eures Christenthums zu zweifeln, und eine gründliche Prüfung mit euch anzustellen, wie ihr selig zu werden gedenkt. Oder wollt ihr hier sagen, wie alle Welt spricht: „Ich thue was ich kann. Gott ist barmherzig, das Uebrige wird Er mir erlassen.“ Wo hast Du dieses gelernt? Wer heißt Dich, den Bund eines unvollkommenen Gehorsams mit Gott aufrichten? Wo steht geschrieben, daß Gott dir einen unvollkommenen Gehorsam zur Seligkeit rechnen will? Nein, nein, nicht darin steht die göttliche Barmherzigkeit, daß Er es mit der Sünde nicht genau nimmt, sondern darin, daß Er Christum, seinen geliebte? Sohn, für uns zur Sünde gemacht hat, auf daß wir würden in Ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, durch den Glauben an seinen Namen! Allerdings ist all unser Gehorsam unvollkommen. Die Gläubigen sind davon tief überzeugt. Ehen darum gründen sie, auch wenn sie auf dem Pfade der Heiligung weit fortgeschritten sind, und viel gute Werke gethan, doch darauf durchaus die Hoffnung ihrer Seligkeit nicht. Sie wissen, daß für alles, was sie wirklich Gutes gethan, der Gnade Gottes die Ehre gebührt, daß aber, so fern es ihre eigenen Werke sind, auch die besten unter denselbigen noch immer mit allerlei Unlauterkeit versetzt, und mithin durchaus nicht geeignet sind, um ein Recht zur Seligkeit darauf zu gründen. Das Volk Gottes bekennt die Worte des Jesaias, worin er sich selbst nicht ausnahm: Alle unsre Gerechtigkeit ist ein oberflächiges Kleid! So gewiß wir das Licht nicht in uns haben, sondern Christus unsre Weisheit ist, so gewiß haben wir auch keine Gerechtigkeit ohne die Seine. Wer an der eigenen genug hat, und mit derselben auszulangen gedenkt, wird mit Schrecken erfahren am Tage der Zukunft, daß keine von beiden hat, keine eigene und die Gerechtigkeit Christi auch nicht. Das sind die thörichten Jungfrauen, die nicht Oel haben in ihren Gefäßen, und die zu Schanden werden, und ausgeschlossen werden, wenn der Bräutigam kommt!
Darum, Geliebte, laßt mich Euch bitten, um eurer Seelen Seligkeit willen Euch bitten, zunehmen, zu ergreifen, was ihr haben könnt, was euch geboten wird; denn noch ist es, auch für Euch noch, Zeit! Wir dürfen, wenn wir Euch das Evangelium predigen, sagen: Gott vermahnet euch durch uns. So bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott! Sind nicht noch viel Unversöhnte unter uns? Wohlan, macht Euch seine Gerechtigkeit zu Nutze! Er ist uns ja von Gott dazu gemacht. Warum wollt ihr nicht zugreifen? Er ist ja dazu gekommen, wir werden ja dazu eingeladen! Kommt, kommt, hören wir ja einmal Über das andere die Stimme des Herrn in seinem Wort und durch seinen heiligen Geist, so lange der Tag der Gnade uns noch leuchtet, so lange es noch heute heißt. Wir werden geladen, nicht mitzubringen, eigene Gerechtigkeit vor Gott zu bringen; das wäre eine Einladung, der wir nicht folgen könnten; sondern wir werden eingeladen, zu kommen und zu empfangen; es ist Alles bereitet. Wir sollen uns nur erleuchten lassen durch Christum über das, was wir noch nicht sind, um auch zu empfangen durch Ihn, was wir noch nicht haben. So wird Er unsre Weisheit und unsre Gerechtigkeit zugleich! Damit kommen wir auf den Pfad der Heiligung und den Weg der Erlösung, und werden nicht zu Schanden werden ewiglich! Das helfe Gott, und thue Ohren und Herzen auf, daß wir bedenken, was zu unsrem Frieden dient hier und dort, jetzt und in Ewigkeit! Amen.