Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Sieben Predigten über das 53. Kapitel des Propheten Jesaias - Dritte Predigt.
Text: Jesaja 53,4-6.
Fürwahr, Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten Ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber Er ist um unsrer Missethat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf Ihm, auf daß wir Friede hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilet. Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein Jeglicher sah auf seinen Weg; aber der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn.
Das Leiden, der Tod und die Auferstehung unsers Herrn ist in diesem 53sten Kapitel des Jesaias, wie wir in einem allgemeinen Ueberblick schon neulich gesehen haben, mit außerordentlicher Deutlichkeit und Klarheit vorher verkündigt. Merkwürdig, aber neben der Klarheit ist auch der Reichthum und die Vollständigkeit, womit wir das ganze Evangelium, die ganze Ausführung des göttlichen Rathschlusses von unsrem Heile in den wenigen Worten dieser Weissagung dargelegt finden. Sie beginnt mit einem rührenden Zeugniß von der Erniedrigung des Erlösers überhaupt, von seiner Knechtsgestalt und großen Verachtung, in den ersten drei Versen, die wir heute vor acht Tagen betrachtet haben. Die darauf folgenden drei Verse aber, unsre heutigen Textesworte, enthalten ein überaus bestimmtes und helles Zeugniß von dem stellvertretenden Leiden unsers Erlösers, ein helles prophetisches Zeugniß von der Thatsache, daß der Erlöser für uns, an unsrer Stelle, gelitten hat. Von dieser Thatsache also laßt mich heute zu euch reden. Zuerst laßt uns das Zeugniß unsers Textes von der Gewißheit dieser Thatsache hören, zweitens laßt mich den Grund derselben mit Wenigem nachweisen, sowohl in dem, was unser Bedürfniß, als in dem, was die göttlichen Eigenschaften in dem Werke unsrer Erlösung erforderten. Der Herr schenke uns Licht und Gnade zu dieser wichtigen Betrachtung, und segne sie zu unsrer Erbauung auf unsren allerheiligsten Glauben durch den heiligen Geist…„
I.
Zuvörderst also laßt uns das Zeugniß unsers Textes von der Gewißheit der Thatsache hören, daß der Erlöser für uns, an unsrer Stelle gelitten hat. Es heißt zuerst V. 4: „Fürwahr, Er trug unsre Krankheit, und lud auf sich unsre Schmerzen.“ Halten wir diese Worte mit dem, was vorhergeht, zusammen, so öffnen sie uns einen Blick in die Seele des Propheten. Der Geist Gottes, der über ihn gekommen war, trieb ihn zu zeugen von den Leiden des Messias und seiner Herrlichkeit darnach. Die Seele des Propheten ist versenkt in das, was er so eben von der äußersten Erniedrigung und Verachtung des hocherhabenen Knechtes Gottes, den er verkündigt, geweissagt hat; es scheint, als ob er selbst hier nachgesonnen habe, warum derselbe denn müsse so gar verachtet und unwerth, und so voller Schmerzen und Krankheit seyn, und als ob ihm auf einmal auch der volle Aufschluß hierüber geworden, und wie ein Blitz seine Seele durchleuchtet habe in der hellen Erkenntniß der Wahrheit, daß der Messias solches Alles leiden werde als Strafe unsrer Sünden, zur Sühnung unsrer Schuld. Durch diesen Lichtblick verschwindet ihm alle Dunkelheit und jeglicher Anstoß an Christi Armuth, Niedrigkeit und Schmach. „Fürwahr,“ so zeuget er nun auch im Lichte des heiligen Geistes, „fürwahr, er trug unsre Krankheit, und lud auf sich unsre Schmerzen.“ In seinen Leiden Leibes und der Seele trug Er die Strafe, die wir verdient hatten, die freiwillig übernommene Last unsrer Sündenschuld. Der Prophet sagt hier genau dasselbe, was nachher Johannes der Täufer, wenn er sprach: „Siehe da das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt.“ Jesaias redet hier im prophetischen Geiste im Namen der Bekehrten und Gläubiggewordenen aus dem jüdischen Volke, die, nachdem sie früherhin sich auch an der Niedrigkeit und Schmach des Erlösers und seinen Leiden und seinem Tode geärgert, nachher mit Scham und Reue ihren Irrthum bekennen und sprechen: „Wir aber hielten Ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre, wir sahen Ihn an für einen Thoren und Schwärmer, für einen Verführer, der sich fälschlich und frevelhaft für den Sohn Gottes und verheißenen König Israels ausgegeben, und nun leide, was seine Thorheit und Anmaßung und sein Frevel werth sey. „Aber,“ fährt der Prophet im Namen dieser nachher Bekehrten und Gläubiggewordenen aus dem jüdischen Volke fort, und legt ihnen das schamvolle Bekenntniß ihres gründlichen Irrthums und das Lob des Erlösers in den Mund mit nachfolgenden Worten, mit einem zweiten Fürwahr „aber Er ist um unsrer Missethat willen verwundet, und um unsrer Sünde willen zerschlagen.“ Fürwahr, Er ist der Gerechte, der keine Sünde gethan hat, und in dessen Munde kein Betrug erfunden worden, fürwahr, nicht eigene, sondern unsre Missethat und Sünde hat Er in seinen Leiden und in seinem Tode gebüßt. Bisher hatte der Prophet bloß von Niedrigkeit und Verachtung, und von Krankheit und Schmerzen, von schweren Leiden Leibes und der Seele, die dieser Knecht Gottes werde erdulden müssen, geweissagt; hier aber redet er nun auch von einem Verwundet- und Zerschlagenwerden, Ausdrücke, mit denen er nun bestimmter andeutet und weissagt, daß der Messias als ein Missethäter werde behandelt, daß Er als ein Verbrecher werde gestraft und hingerichtet werden, wie es auch am Schlusse des Kapitels ausdrücklich heißt, daß Er den Uebelthätern gleich gerechnet worden. Und sehr bedeutsam hebt der Prophet dies gerade hier hervor, wo er bezeugt, daß der Messias für uns, an unsrer Stelle, leiden werde. Kann es auch deutlicher gesagt werden, geliebte Zuhörer, als der Prophet es hier thut, daß unser Erlöser in seinem Missethäter-Leiden und in seinem Missethäter-Tode an unsrer Stelle gestanden, daß Ihm unsre Sünde zugerechnet, unsre Schuld Ihm auferlegt, daß sie an Ihm gestraft worden, damit wir ihrer los würden? Mit gleicher Bestimmtheit aber erklärt sich der Prophet nun auch noch ausdrücklich über den Endzweck, wozu dieses geschehen, wozu der Messias unsre Sünde und Schuld also an sich strafen lassen werde, an dem Unschuldigen statt der Schuldigen, nämlich uns die Last abzunehmen, die uns ewig zu Boden gedrückt haben würde, uns zu erlösen von dem Verderben des ewigen Todes, unter dem wir darniederlagen. Er sagt: „Die Strafe liegt auf Ihm, auf daß wir Friede hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilet.“ „Er ist aus Angst und Gericht genommen,“ sagt nachher Jesaias, Er ist also für uns ins göttliche Gericht gegangen, hat dort sich gestellt für uns, der Unschuldige für die Schuldigen, auf daß wir im göttlichen Gerichte begnadigt und losgesprochen würden, und Friede hätten, und vom Unfrieden erlöset und vom Verderben geheilt würden. So deutlich predigt hier Jesaias das Evangelium vom Mittlertode, vom Versöhnungstode, den der Erlöser für uns gestorben ist. Er nennt diesen Tod nachher auch ausdrücklich ein Schuldopfer, das der Erlöser für uns gebracht. Es heißt nachher: „Durch sein Erkenntniß wird Er, mein Knecht, der Gerechte, Viele gerecht machen, denn Er trägt ihre Sünden. Ist dies nicht ganz dasselbe, was der Herr selbst bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls von dem Endzweck sagt, wozu sein Blut vergossen werde für Viele, nämlich zur Vergebung der Sünden. Sagt Jesaias hier nicht dasselbe, was die Apostel allesamt in allen ihren Briefen von dem Endzweck der Leiden und des Todes des Erlösers bezeugen, wie Paulus im Brief an die Römer: „So wir nun gerecht worden sind durch den Glauben, so haben wir Friede mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum,“ und im zweiten Brief an die Korinther: „Gott war in Christo, und versöhnete die Welt mit Ihm selber, und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Denn Er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in Ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ Es kommt hinzu, geliebte Zuhörer, daß Einer der Apostel und auch die Worte unsers Textes noch überdies selbst ausgelegt hat, Petrus nämlich, in seinem ersten Briefe, wo er im zweiten Kapitel, im 24sten Verse, die Worte unsers Textes: „Er trug unsre Krankheit,“ also ausdrückt: „daß Christus unsre Sünden geopfert hat an seinem Leibe auf dem Holz,“ daß Er auf dem Holze des Kreuzes habe unsre Sünde an sich strafen lassen; „durch welches Wunden,“ setzt er mit den Worten unsers Textes hinzu, „durch welches Wunden ihr seyd heil worden.“ Der Prophet drückt sich in unsrem Texte über diesen Gegenstand so klar, so deutlich aus, daß auch der Einfältigste es verstehen muß. Es bedarf keiner Auslegung. Wer es nicht so verstehen kann, wie der Prophet es hier ausspricht, dem hilft auch keine Auslegung, dem wirds keine Deutung ans Verständniß bringen. Wir haben ein festes prophetisches und ein festes apostolisches Wort, und beide sind Eins in dem großen Zeugniß, in dem theuern Fürwahr unsrer Textesworte, es ist das Hauptzeugniß und der Grundinhalt beider Testamente, daß der Erlöser sich mit unsrer Sünde und Schuld beladen hat, daß Er mit dieser Last für uns ins göttliche Gericht gegangen ist, daß Er hierzu Mensch geworden ist, für uns, an unsrer Stelle, zu leiden und zu sterben.
II.
So weit das Zeugniß unsers Textes von der Gewißheit dieser Thatsache, daß es wahrhaftig geschehen ist, daß in den Leiden und dem Tode des Erlösers die Sünde der Welt gestraft worden ist, an dem Unschuldigen für die Schuldigen. Laßt mich nun in dem andern Theil unsrer Betrachtung mit Wenigem auch den Grund dieser Thatsache nachweisen, und zwar in beidem, sowohl was unser Bedürfniß, als was die göttlichen Eigenschaften erforderten in dem Werke unsrer Erlösung.
1. Auf das Erste; auf unser Bedürfniß, macht der Prophet uns aufmerksam, wenn er unsern natürlichen Zustand hier als einen Zustand der Krankheit und der Schmerzen, und der Sünde und Missethat, und der Schuld und des Unfriedens beschreibt, besonders wenn er ihn in den nächstfolgenden Worten, im Anfang des sechsten Verses, also schildert: „Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein Jeglicher sah auf seinen Weg.“ Das ist die andre Thatsache, die der Prophet hier bezeugt, und von der er ausgeht, nämlich von unsrem natürlichen Verderben und Elend außer Christo, dem Erlöser. Unsre Krankheit, so nennt er unser erbliches Verderben in Folge des Falls, wonach wir von Geburt an, und ehe wir da waren, vor den Augen Gottes unrein und mit Sünde und Schuld behaftet sind. Unsre Schmerzen, so nennt er alles Elend, worunter wir seufzen in Folge dieses Verderbens. Unsre Missethat und unsre Sünde, so nennt er alle wirklichen Uebertretungen der göttlichen Gebote, alles ungöttliche Wesen in Gedanken, Worten und Werken, im Thun des Bösen und Unterlassen des Guten, dessen wir auf unsrem ganzen Lebensweg, immerdar aufs neue; schuldig geworden, eine Schuld, welche Gott der Wahrhaftige und Gerechte in seinem Worte und Gesetze uns anrechnet, und die wir aus eigenen Mitteln doch nimmermehr zu tilgen im Stande sind, wir machen vielmehr unsre Schuld noch täglich größer. Darum haben wir von Natur auch nicht Frieden, wie der Prophet hier bezeugt, denn wer hat Frieden, wenn er nicht Frieden mit Gott hat, nicht gewissen Grund und Zuversicht hat, daß Gott ihm gnädig ist, daß ihm alle seine Sünden vergeben sind? Besonders lehrreich ist die Schilderung unsers elenden und haltlosen Zustandes, die der Prophet mit den Worten entwirft: „Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein Jeglicher sah auf seinen Weg.“ So war es nicht von Anfang. So lange der Mensch in der kindlichen Abhängigkeit von Gott auf dem Wege des Gehorsams beharrte, und auf dem von seinem himmlischen Führer gewiesenen Weg blieb, so lange ging er auch nicht irre, so lange rührte ihn auch kein Leid und schreckte ihn keine Furcht, so lange war er im Genusse der Gemeinschaft und des Wohlgefallens seines Schöpfers unaussprechlich selig. Dies ist nun, nachdem wir gefallen und abgewichen, nachdem uns Sünde und Ungehorsam von Gott getrennt hat, gar anders. Jetzt sind wir von Natur alle voll Eigenliebe, voll Eigenwillens und voll eigener Weisheit, gehen unsre eigenen, selbstgewählten Wege, welches lauter Irrwege sind, auf denen wir uns zerstreuen, wie sich eine Herde Schafe zerstreut, die den Hirten verloren hat; und, was das Schlimmste ist, wir wissen und sehen es nicht, daß wir irre gehen. Da hat denn jeder seinen eignen Weg vor Augen, jeder hat ein Bild von Glückseligkeit vor Augen, dem er nachtrachtet und nachrennt, der Eine so, der Andre anders, und zerarbeiten sich in der Menge ihrer eigenen Wege, und werden nicht klug. Wir meinen dabei immer noch, wir werden den Weg schon finden, wir werden schon so klug seyn, nicht fehl zu gehen; folgen dabei doch gerne menschlichen Führern und dem Beispiel der Menge, folgen besonders dem Zuge, der uns in dem Besitz vieler Güter, oder in dem Genusse vieler Ehren, oder im zeitlichen Wohls leben die Glückseligkeit suchen heißt, und kommen vom Wege des Lebens und des Friedens immer weiter ab, und gleichen verirrten Schafen auf einem Wege, auf dem sie endlich verschmachten müssen, oder eine Beute der Raubthiere werden.
In diesem Zustande, als eine Beute des Feindes, auf diesem Wege, der in den Abgrund der ewigen Leiden, in die Finsterniß des ewigen Todes sich endet, sah uns der Herr, sah mit Blicken seiner ewigen Erbarmung dieses unser Elend, und unsre völlige Untüchtigkeit uns selbst daraus zu erlösen, und unsre Blindheit an, und trat ins Mittel. Und wie trat Er hier ins Mittel? Das hören wir in unsrem Texte: „Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein Jeglicher sah auf seinen Weg; aber der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn.“ Er stellte seinen eingebornen Sohn ins Mittel, und ließ unser aller Sünde, die hier mit zerreißenden Thieren verglichen wird, wider Ihn anrennen, wider Ihn los, daß sie Ihn, nicht uns, verletzte, ließ Ihn, nicht uns, die Strafe unsrer Sünde tragen; denn wir würden ewig unter dieser Last erlegen seyn. Das ist es, was der Herr gethan hat. Er hat es gethan, ohne daß wir es begehrt hätten, Er wußte, was wir bedurften, Er sah, wie viel es kostete, aber Er hat es gethan. Dieses Evangelium wird uns verirrten Schafen verkündigt. Da kommt, wenn wir aufmerken, Licht auf unsern Weg. Da kommen die verirrten Schafe zurecht, als die Verlornen zu dem, den sie verlassen und verloren, der ihnen aber nachgegangen und sie gesucht, und uns geliebt, da wir noch Feinde waren; nicht, daß die verirrten Schafe den Hirten gesucht hätten, sondern umgekehrt, der Hirte hat die Schafe gesucht; die Liebe stehet darin, nicht, daß wir Gott geliebt, sondern daß Gott uns geliebt, und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünde. Sehet da den Grund der evangelischen Wahrheit, - nicht hochtrabende Reden menschlicher Weisheit und Spitzfindigkeit für den Verstand, auch nicht hohe Worte über die Würde des Menschen, und menschliche Kräfte und Tugend, wie in dem gefälschten Evangelium unsrer Zeit, - sondern das Wort vom Heilande der verlornen Menschen, das gewißlich wahre und theure und werthe Wort, daß Jesus Christus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen. Das ist es, was die arme kranke Menschheit bedarf, auf daß sie genese, das ist die von der göttlichen Gnade und Weisheit uns bereitete Arznei, auf daß, wer sie gebraucht, nicht sterbe, sondern lebe, das Wort vom Kreuze, eine Kraft Gottes, das da selig macht, die daran glauben, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.
2. Aber, geliebte Zuhörer, wie es unser Bedürfniß erforderte in dem Werke unsrer Erlösung, daß der Erlöser unsre Schuld auf sich nahm und unsre Strafe litt, so erforderten es auch die göttlichen Eigenschaften. Nicht, daß Gott und etwas schuldig gewesen wäre. Denn wir haben nach Gottes wahrhaftigem Wort und gerechtem Urtheil allesamt die Verdammniß verdient. Aber die göttliche Liebe ist es, die sich hier in den Tiefen ihrer Erbarmung, und die göttliche Gerechtigkeit ist es, die sich hier in ihrer ganzen Heiligkeit und Strenge offenbart hat, und deren Offenbarung in dem Werke unserer Erlösung solches stellvertretende Leiden des Erlösers erforderte.
Gott thut nichts umsonst, nichts vergeblich; Alles, was Er thut, ist tief gegründet in seinen unveränderlichen Eigenschaften und in seinen ewigen Rathschlüssen. Darum ist vollkommen gewiß, daß Gott, der unsern Fall von Ewigkeit vorhersah, und vor Grundlegung der Welt beschloß, sich unser zu erbarmen, und uns ein Mittel der Erlösung zu bereiten und einen Weg der Rückkehr zu öffnen, nicht dieses Mittel erwählt, nicht seinen Eingebornen, den Geliebten, für uns dahingegeben haben würde in solche Leiden Leibes und der Seele bis in den Tod, den Tod am Kreuze, wenn unsre Erlösung auf andre Weise, ohne solches Opfer, hätte bewerkstelligt werden können. Es ist aus dem, was Gott gethan hat, vollkommen gewiß, daß es kein andres Mittel gab. Die Schrift sagt uns auch deutlich genug, warum? Gott kann ewiglich nicht seine Gerechtigkeit verläugnen, Er würde sich selbst verläugnen, wenn Er die Heiligkeit und Wahrhaftigkeit seines Gesetzes verläugnete, Er kann ewiglich nicht aufhören, wahr und gerecht zu seyn. Nach dem wahrhaftigen Gesetze Gottes aber, dessen Uebertreter wir sind, sind wir des Todes der Verdammniß schuldig. Was sollte Gott in seiner unergründlichen Liebe und Erbarmung über uns Schuldige und Verlorne nun thun, uns zu retten? Gott selbst legt uns diese Frage in seinem Worte vor, und spricht zu Jeglichem unter uns: Sage an, wie du gerecht werden willst? Sollte Er unbedingt vergeben und aufhören, Richter zu seyn? Wie kann Er das nach seiner Heiligkeit? und was wäre das für ein Begnadigungsweg, durch den wir von der Sünde selbst nicht erlöst würden, durch den die Welt noch gottloser und gottesvergessener werden würde, als sie ist? Oder sollte Gott uns Vergebung anbieten lassen lediglich auf die Bedingung der Buße, der Bekehrung von unsrer Seite? Wohlan, wer unter uns hat Lust, es zu versuchen auf diese Bedingung? wer getraut sich, sich von Gott richten zu lassen auf den Grund seiner Buße und Bekehrung? Wo soll auf diesem Wege die Kraft herkommen zur Gott gefälligen Gerechtigkeit und Heiligkeit, die doch auf diesem Wege der einige Grund unsrer Zuversicht im Leben und im Sterben wäre? Und wo, gesetzt, es wäre wirklich eine Bekehrung auf diesem Wege möglich, wo bliebe auch hier die göttliche Gerechtigkeit in Hinsicht unsrer vorher begangenen Sünden? Wir mögen unser Verhältniß zu Gott betrachten, von welcher Seite wir wollen, wir sind und bleiben Sünder, beladen mit einer Schuld, die wir nicht selbst tilgen, behaftet mit einem Verderben, von dem wir aus eigner Kraft uns nicht heilen können, und soll die göttliche Gerechtigkeit an uns sich offenbaren, so ist kein Ausweg der Errettung für uns. Die Liebe aber sinnt auf Mittel, herzliche Barmherzigkeit weiß Mittel und Wege zu finden. Es ist das Geheimniß der ewigen Liebe, ersonnen und beschlossen im Rathe der heiligen Dreieinigkeit, vor Grundlegung der Welt, die Menschwerdung des eingebornen Sohnes Gottes, um für die Sünde der Welt das Opfer der Versöhnung zu werden, und durch sein heiliges Leiden und Sterben für die sündige, fluchbeladene Welt ein Opfer zu bringen, durch welches der göttlichen Gerechtigkeit, der Heiligkeit und Wahrhaftigkeit seines Gesetzes eine unendliche Genugthuung dargebracht würde, also, daß denjenigen Sündern, die dieses Opfer im Glauben ansehen, die im Glauben an dieses Opfer Buße thun und sich bekehren, alle ihre Schuld erlassen, alle ihre Sünde vergeben werden könnte, ohne daß im Mindesten dabei die göttliche Gerechtigkeit verleugnet oder verdunkelt würde, vielmehr verklärt und verherrlicht würde, auf daß, so drückt der Apostel Paulus es aus, im dritten Kapitel seines Briefs an die Römer, auf daß Gott gerecht sey, vollkommen gerecht bleibe, und doch gerecht mache, rechtsprechen, in seinem Gerichte richterlich lossprechen könne den, der da ist des Glaubens an Jesum. Kein andrer Mensch hätte also für uns das Opfer werden können, schon deshalb nicht, weil alle allesamt Sünder sind, und kein Sünder andre erlösen kann; aber auch kein gerechter Mensch, wenn es Einen gegeben hätte, keine bloße Kreatur hätte es vermocht. Denn was wäre hier für ein Verhältniß zwischen dem Opfer Eines Unschuldigen für die Sünden vieler Millionen Schuldigen, wenn es nicht das Opfer dessen ist, der Gott und Mensch in einer Person ist, und dessen Opfer darum eine unendliche Kraft für alle hat. Sehet, Geliebte, was die ewige Gerechtigkeit in dem Werke unsrer Erlösung erforderte, und die ewige Erbarmung hat es ausgeführt. Der Vater ist es zufrieden gewesen, der Sohn hat es übernommen und vollbracht, und der heilige Geist verklärt solches in unsrem Herzen, und macht uns durch den Glauben selig. Was Gott von Ewigkeit beschlossen hat, das ist vor den Augen Gottes auch schon That, noch ehe es geschehen, noch ehe es in der Zeit vollbracht ist. Darum eilte die göttliche Liebe alsbald nach dem Sündenfall schon, dieses Geheimniß auch auszusprechen in der ersten, unsern Stammältern im Paradiese gegebenen Verheißung des Weibessamens, der der Schlange werde den Kopf zertreten. Darum lesen wir in den Psalmen und Propheten und in unsrem Text die wundersamen Zeugnisse von diesem Geheimniß der göttlichen Liebe, noch ehe es durch die That enthüllt war. Darin, geliebte Zuhörer, in diesem Rathe, der göttlichen Liebe, darin allein hat der ganze alttestamentliche Opferdienst seinen Grund. Alle von Anbeginn angeordneten und im Gesetze Mosis ausführlich gebotenen Opfer, die Brandopfer, die Sündopfer, die Schuldopfer, die Dankopfer, das jährliche Pascha, das Sündopfer fürs Volk am großen jährlichen Versöhnungstage, die Lämmer, die Tag für Tag Morgens und Abends für die Sünden des Volks auf dem Brandopferaltar draußen vor dem Tempel dargebracht wurden, und die zahllosen Opfer, welche die einzelnen Israeliten für ihre besonderen Sünden darbrachten, sie alle schatteten, jegliches auf seine Weise, nichts anders, als dieses Geheimniß der ewigen Liebe ab. Der, der das Opfer brachte, mußte seine Hand legen auf das Haupt des Opferthiers und auf dasselbe seine Sünde bekennen, und gleich darauf wurde das Opferthier geschlachtet, und der Opfernde war dem vorbildlichen Heiligthum wieder versöhnt. So deutlich, meine Geliebten, so deutlich wurde in jedem Opfer unsre Sünde, der Tod der Verdammniß, den wir damit verdient, das stellvertretende leiden eines unschuldigen Opfers für die Schuldigen, und die Rechtfertigung, die Freisprechung der Letztern mittelst solchen Opfers abgebildet. Nähmen wir diesen Sinn des Opferdienstes weg, so wäre derselbe völlig ohne Bedeutung, ja, es wäre ein durchaus unvernünftiger Gottesdienst gewesen. So aber fanden auch die alttestamentlichen Gläubigen schon Gnade, und genossen eines Anfangs wenigstens des neutestamentlichen Friedens, nicht durch Kraft der Opfer, die sie darbrachten, sondern durch Kraft des Opfers, das dadurch vorgebildet wurde, und das im Rathe Gottes beschlossen war. So wird auch klar, warum der Prophet, vom Geiste Gottes getrieben, von dieser Thatsache, obwohl sie damals noch über 700 Jahre zukünftig war, doch als von einer geschehenen redet, warum das prophetische Wort des Geistes auch das Zukünftige als gegenwärtig, ja als schon der Vergangenheit angehörig, beschreibt, warum der Prophet in unsrem Texte von der Ausführung dieses Geheimnisses der Liebe als von einer vergangenen redet. Im Lichte des prophetischen Geistes verschwindet die Zeit. Was im Rathe Gottes beschlossen von Ewigkeit, ist so gut, als bereits geschehen, und vor Gott gegenwärtig. Für die Gläubigen des Alten Testaments lag darin ein starker Trost wegen ihres Antheils an den Verheißungen der göttlichen Gnade. Offenbar, daß nur um Christi willen solche Gnade der Welt vor Christo erwiesen ist.
III.
Nun, Geliebte, was soll ich zur Anwendung des Gehörten auf uns hinzufügen? Wir haben die Thatsache, daß unser Erlöser für uns, an unsrer Stelle, gelitten hat, nach ihrer Gewißheit und nach ihrem Grunde betrachtet, den sie in unsrem Bedürfniß und in den göttlichen Eigenschaften hat. Die Hauptfrage ist hiernach, geliebte Zuhörer, was haben wir zu thun, daß auch wir Theil haben an diesem Leiden und Sterben des Erlösers für uns, daß auch wir Frieden haben und heil werden, sonst nützt uns alles Gehörte nicht, und wenn wirs noch so gut wüßten oder davon reden könnten. Die einzig richtige Antwort aber auf diese Hauptfrage ist die, daß auch wir das Heil unsrer Seele suchen müssen auf keinem andern Wege, als auf dem, den uns Gott selbst zur Rückkehr geöffnet hat, und uns im Evangelium verkündigen läßt, und daß es uns auf jedem andern Wege unmöglich gelingen kann. Das Erste ist, daß wir uns als todeswürdige Sünder und Schuldner, die wir sind, vor Gott erkennen und demüthigen. Das Gesetz ist es nicht allein, welches und sagt, wer wir sind, und was wir verdient haben; das Evangelium sagt es uns auch, ja es sagt es uns im Grunde noch deutlicher, noch stärker, als das Gesetz. Denn wenn es uns der Anblick des für uns, für unsre Sünden gekreuzigten Erlösers nicht sagt, und sehen läßt, was wir sind, und was wir im Gerichte Gottes verdient haben, so werden wir es auch aus dem Gesetze nicht lernen. Das Andre ist, daß wir im Glauben uns zueignen die Gnade, die uns Gott in Christo bereitet hat, die uns Christus erwirkt hat, die der Geist Gottes durch das Wort Gottes auch uns nahe legt. Dieser Glaube der wirklichen Zueignung ist etwas Andres, als der Glaube vom bloßen Wissen und Hörensagen. Der Glaube der wirklichen Zueignung kann auch nur in einem bußfertigen, sich selbst und seine Armuth und Blöße erkennenden Herzen Statt finden, und bis wir dahin kommen, bedarf es vielen Erforschens und Suchens unsers eigenen Wesens. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
Die Schrift zeigt uns in unzähligen klaren Aussprüchen und Geschichten und Gleichnissen, was unumgänglich in uns vorgehen muß, ehe es zum wirklichen Glauben der Zueignung des uns von Christo erworbenen Heils kommt, wir mögen vornehm oder gering, gelehrt oder ungelehrt seyn, es mag Jemand der scharfsinnigste Denker und Philosoph, oder der schlichteste Handwerksmann oder Landmann seyn. Was vor Allem nöthig ist, ist ein demüthiges Herz, das die Wahrheit bei sich selbst erkannt hat, und gefunden hat, daß in ihm selbst nichts Gutes wohnt, daß es vor dem heiligen und gerechten Gott nichts aufzuweisen hat, warum derselbe ihm gnädig seyn sollte. - Der ewige Sohn Gottes unterwarf sich den härtesten Leiden Leibes und der Seele, Er starb für uns den Tod, den Missethätertod am Kreuze. Und das sollte geschehen seyn für solche, die keine armen Sünder sind? die eigene Weisheit und Gerechtigkeit vollauf haben, oder die Reichthümer eines ehrbaren, rechtschaffenen Lebenswandels oder hoher Weisheit und Erkenntniß und Kunst und Wissenschaft. sattsam besitzen, und sich dieses Besitzthums mit sichtbarer Selbstgenügsamkeit freuen und rühmen, höchstens zugeben, daß sie sich mitunter eine menschliche Schwachheit zu Schulden kommen lassen, für welche sie allenfalls das Verdienst des Heilandes wollen annehmen und gelten lassen? Wahrlich, wahrlich, meine Geliebten, um solcher Nebensache willen kam der Sohn Gottes nicht vom Himmel herab auf unsre Erde. Mit solchen Vorstellungen entwürdigen und verleugnen wir das Blut des Neuen Testamentes.“ Wahrlich, wahrlich, darum bleibt es auch bei der göttlichen Ordnung, daß Niemand in das Reich Gottes kommt, es sey denn, daß er sein gründliches Verderben erkenne, und durch den Glauben von Neuem geboren werde, daß er von Herzensgrund Buße thue und glaube an das Evangelium. Der Geist des Herrn, der allein uns überführen kann von der Sünde in uns, und der Gnade in Christo, der erleuchte euch, und lasse das Wort kräftig werden an euern Herzen, auf daß auch unter euch je länger je mehr hinzugethan werden zu dem Gemeinlein derer, die da arm sind am Geist, und ihre einige Hoffnung setzen im Leben und Sterben auf den, der um unsrer Sünde willen gestorben, und um unsrer Gerechtigkeit willen auferweckt ist. Amen.