Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Predigt über Ebräer Cap. 1, Vers 10-12.
Gesang vor der Predigt:
Psalm 104, Vers 16 u. 17.
Anbetung sei der höchsten Majestät! Sein hehrer Ruhm werd ewig hoch erhöht! Denn unser Gott hat Freud an seinen Werken, Und läßt den Wurm in seinem Staube merken. Wie furchtbar ist der Herr! vor seinem Blick Erstarrt die Welt, der Erdball bebt zurück. Die Berge stehn; er rührt sie an, sie zittern, Mit Rauch umhüllt, in seinen Ungewittern.
Unendlicher! vor dem ich freudig beb, Ich stammle hier dein Lob, so lang ich leb; Mein Gott bist du! o, ewig werd ich leben, Und ewig dir Lob, Preis und Ehre geben! Laß, laß dir jetzt des schwachen Herzens Dank Gefällig seyn im lallenden Gesang; So will ich, Herr! mich deiner Huld erfreuen, Und mich aufs neu ganz deinem Ruhme weihen.
Zwischen-Gesang:
Lied 3, Vers 1.
Herr Jesu Christ! dich zu uns wend, Den heil'gen Geist du zu uns send; Mit Lieb und Gnad, Herr, uns regier, Und uns den Weg zur Wahrheit führ!
Text: Ebräer Cap. 1, Vers 10-12.
Und Du, Herr, hast von Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werke.
Dieselbigen werden vergehen, Du aber wirst bleiben; und sie werden alle veralten wie ein Kleid,
Und wie ein Gewand wirst du sie wandeln, und sie werden sich verwandeln; Du aber bist derselbige, und deine Jahre werden nicht aufhören.
Ich habe Euch die neun ersten Verse unseres ersten Capitels des Briefes Pauli an die Ebräer ausgelegt, meine Geliebten! Es muß doch Euer Herz gestärkt haben, so von allen Seiten begründet zu sehen, daß wir in Jesu, unserm lieben Herrn, einen vollkommenen Heiland haben, und in ihm Alles finden, was uns zu unserm Heile und zu unserer Seligkeit von Nöthen ist. Es bleiben uns noch die fünf letzten Verse des Capitels zur Auslegung übrig.
Hier haben wir nun in dem zehnten, elften und zwölften Werse Worte vor uns, welche tief greifen und hoch fahren, welche aus der Seele gesprochen sind eines jeglichen Elenden, der da erfahren hat, daß Nichts hält als der Herr, und der sich darum an Nichts halten kann als an dem Herrn. Die Worte sind aus dem 102ten Psalm. Dem Elenden muß es einleuchten, wie der Apostel von dem 45sten Psalm mit einem Mal auf den 102ten kommt.
Es ist zwar in unserm Capitel eine Steigerung bemerkbar, welche den hohen Namen Christi, den er vor den Engeln ererbet hat, uns in aller seiner Herrlichkeit und Macht darlegt. Denn die Engel bekommen hier keinen andern Namen, als den sie haben, dagegen heißt Christus hier: „Glanz der Herrlichkeit, Ebenbild des Wesens Gottes“; sodann heißt er „der Sohn“; als solchen sollen ihn alle Engel Gottes anbeten. Darauf wird er zweimal mit dem Namen „Gott“ angerufen, und nun endlich mit dem Namen „Herr“, das ist „Jehova“, welchen Namen die griechische Uebersetzung aus dem 13ten Verse des Psalms in dem 26sten Verse wieder einführte.
Aber der Apostel war nicht ein Dogmatiker, der kalte Beweise von der Gottheit Christi aneinander reiht; vielmehr sollte diese Steigerung dazu dienen, um schlagende Beweise zu liefern, daß in Christus der wahrhaftige Verlaß der Seelen ist, daß es ein eitler Glaube sei, sein Heil und Seligkeit bei Engeln, Heiligen oder anderswo zu suchen; und sollte demnach dieses ganze Capitel als Predigt der Herrlichkeit, der Gnade und Wahrheit Christi das Herz fest machen, um auf dem einzigen Grunde alles Heiles und der alleinigen Seligkeit zu bleiben.
Jesus Christus, gestern und heute derselbige und in alle Ewigkeit, das ist der Inhalt des 10ten, 11ten und 12ten Verses unseres Capitels; Er, der Armen und Elenden Gott; der Herr in Zion.
Der 102te Psalm ist ein Gebet eines Elenden, eines Zerriebenen, dem seine Seele ausgeht, der so von der Anfechtung überwältiget wird, daß er nichts mehr fühlt oder gewahr wird, und der nun vor dem Herrn seine Gedanken ausgießet, mit diesen Gedanken sich zu Gott gleichsam hindurchbohrt wie ein Wurm.
Das reimt sich gut auf den 45sten Psalm. Denn obgleich dieser Psalm sich schön ansehen läßt, und es da Alles prächtig hergeht, - (sieht man doch in demselben lauter Hochzeitsfestlichkeit, einen Helden, der zu erretten versteht, einen König, der wohl wird sitzen bleiben auf seinem Stuhl, eine Königin in den prächtigsten Kleidern, vor der sich die Mächtigsten beugen, und hört man doch nichts als Harfenklang und Paukenschlagen!) - dennoch steckt lauter Krenz, Noth, Elend, Leiden, Trübsal, Verfolgung und Anfechtung dahinter. Und wie solches dahinter stecke, das ist in dem 102ten Psalm ausgesprochen. Oder, machen sich denn nicht alle Mächte der Finsterniß auf, wenn Christus verherrlichet werden soll?
Habe dein Herz „ein seines Lied gedichtet“, habe „gesungen von dem Könige Jesu“: alsbald hängen sich alle Teufel an deine Harfe, an deinen Arm, und wollen dir die Zunge lähmen, dich stumm machen, daß du deines Königs Lob nicht ausbreiten sollst, und sie machen dir den ganzen Himmel schwarz, daß du betrübt wirst und anhebst den 102ten Psalm zu klagen: „Herr, höre mein Gebet, und laß mein Schreien zu dir kommen.“ Und wo dieser König in seiner Herrlichkeit und Gnade sich offenbaret, da bringt er auch das Kreuz mit, so daß du alsbald schreist: „Verbirg dein Antlitz nicht vor mir in der Noth“. - Zeuge das von ihm: „Du bist der Schönste unter den Menschenkindern“: - alsbald werfen sich alle Teufel über dich her und Fleisch und Blut mit allerlei Spuck der Sünde, daß es dir graut vor deinem Leben und du mußt klagen: „Mein Gebein klebet an meinem Fleisch vor Heulen und Seufzen“. Singe das von ihm: „Gnade ist ausgeschüttet auf deinen Lippen“: - alsbald wirst du es erfahren, daß Keiner diese Gnade will, und da wirst du „einer Rohrdommel in der Wüste gleichen“, gleich sein „einem einsamen Vogel auf dem Dache“ und hast zu klagen: „Täglich schmähen mich meine Feinde, und die meiner spotten, schwören bei mir“. Ja, das hast du vornehmlich zu klagen, nachdem du gejubelt: „Du hast die Gerechtigkeit geliebet und die Ungerechtigkeit gehasset“; und wirst erfahren, daß Er auch bei dir dich mit deiner pharisäischen Ungerechtigkeit zu nichts macht. Da fühlst du, wie genau der Herr es mit der Sünde nimmt, wie genau es hält mit der Gerechtigkeit, welche nicht ist aus Werken, und du kannst vielfach seinen Zorn und Grimm in deinen Gebeinen fühlen, daß du mußt hinaufschreien: „Ich esse Asche wie Brod und mische meinen Trank mit Weinen vor deinem Drohen und Zorn, daß du mich aufgehoben und zu Boden gestoßen hast!“, - und über all deinem Elend rufst du es aus: „Meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie Gras.“ Es sei dir von Herzen gegangen.- „Gürte dein Schwert an deine Seite, du Held, und schmücke dich schön, es müsse dir gelingen in deinem Schmuck, ziehe einher der Wahrheit zu gut, und die Elenden bei Recht zu behalten“, und habe es mit den Augen des Glaubens gesehen und es bezeugt: „Scharf sind deine Pfeile, daß die Völker vor dir niederfallen“: - alsbald geht's in den Kampf, und was siehst du? Die Einwohner des Landes wollen nicht fallen, der Teufel baut schnell allerlei Kapellen, und die Zerstörung der Kirche Christi greift um so mehr um sich, daß man klagen muß: „Du wollest dich aufmachen und dich über Zion erbarmen; - deine Knechte haben Mitleiden mit ihrem Graus“. -
Das verstehe: „die ganze Herrlichkeit der Königstochter ist inwendig“; darüber jauchze und sprich mit dem Apostel: „Unser Leben ist mit Christo verborgen nach Gott hin“: so wirst du dich auf den Glauben angewiesen finden, aber „Vater und Mutter und Alle werden dich verlassen haben“, und es wird lange aussehen, als „verschmähete der Herr dein Gebet“. Und erst nach langer Uebung des Glaubens wirst du es für wahr halten: „der Herr schauet von seiner heiligen Höhe und siehet vom Himmel auf Erden, daß er das Seufzen des Gefangenen höre und los mache die Kinder des Todes.“
Und daß ich es nun Alles zusammen nehme: so stehet geschrieben in dem 45sten Psalme: „Man führet sie, die Braut, die Königin, die Gemeine, in gestickten Kleidern zum Könige, und ihre Gespielen, die Jungfrauen, die ihr nachgehen, führet man zu dir. Man führet sie mit Freuden und Wonne und gehen in des Königs Palast.“ O, wie lieblich wird uns da der Weg zum Himmel, der Weg zur Herrlichkeit, der Weg in die ewige Stadt, in das Jerusalem dort oben, vorgemalet, daß man möchte meinen aufzufahren mit Adlersflügeln. Aber wegen des Widerspiels geht's her, wie die Klage lautet in dem 102ten Psalm: „Er demüthiget auf dem Wege meine Kraft, er verkürzet meine Tage. Ich sage: Mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage.“
Aus diesen einzelnen Vergleichungen wird es Euch einleuchten, meine Geliebten! wie der Apostel von dem 45sten Psalm auf den 102ten kam. Es ist in dem 45sten Psalm die ganze Herrlichkeit Christi und seiner Gemeine ausgesprochen - nach dem Innern. Da gibt's aber dem Aeußern nach lauter Schmerz, Hohn und Verkennung, lauter Leiden, Trübsal, Anfechtung und Verfolgung; so daß man sich seines Lebens erwägt und von der einen Noth des Leibes und der Seele in die andere geräth und Stoß auf Stoß bekommt. Solches Kreuz und Leiden, solche Trübsal und hohe Anfechtung läßt nun der Herr über uns kommen, auf daß unser Glaube geprüft und bewährt werde; aber Teufel und Welt fahren damit zu gleicher Zeit über uns her, daß wir Christum drangeben sollen, daß wir verzweifeln an Christi Macht und Gnade und an der ganzen Herrlichkeit und Wahrheit des Glaubens, des Weges und des Wortes. Teufel, Welt, Fleisch und Blut bezwecken also damit dies: daß wir unser Heil und Seligkeit bei Engeln, bei Heiligen oder sonst irgendwo suchen. Da werden wir aber auf den 102ten Psalm gebracht, daß wir darin unsere eigene Herzensklage, Plage und Noth vernehmen, und wir einen Bruder vor uns haben, der in gleicher Trübsal und hoher Anfechtung steckt; und da sehen wir es wohl, daß derselbige Gott und König seiner Gemeine, der in dem 45sten Psalm angerufen wird, auch in dem 102ten wird angerufen. Denn wo sollte solches namenlose Leiden her kommen, wäre es nicht um des Glaubens Christi willen, wäre es nicht um der Gerechtigkeit willen seines Königreiches, welche man in der Welt und in der Hölle nicht als Gerechtigkeit will stehen lassen!? -
Da seht Ihr aber auch, wie sein der Apostel auf den 45sten Psalm den 102ten folgen läßt; - und wie ganz nach den Bedürfnissen der Seele des Leidenden und Angefochtenen um der Gerechtigkeit willen, er hier den allerhöchsten und allertröstlichsten Namen Jesu, feinen Namen Herrn oder Jehova, auf den Namen Gott folgen läßt. Denn wahrlich, die Engel heißen nicht Jehova. So heißen alle Heilige, alle Mächte des Himmels auch nicht Jehova. Und alle unsere Werke sind auch nicht Jehova. Die alle haben uns nicht mit ihrem Blut gekauft, und auf die schmerzliche Frage: „Elender Mensch ich, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes!“ können alle Werke der Selbstgerechtigkeit, können alle Heilige und alle Engel nicht antworten: „das werden wir thun.“ Aber von dem Herrn Jesus heißt es Psalm 130: „Er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.“ - O, wie herzerhebend, wie mächtig, wie gewaltig zeigt sich dieser Name: Jehova, Herr! wenn wir denselben herbeirufen, wo alle unsere Werke und schönsten Erwartungen in den Tod gehen, wo man mit seinem Isaak gen Moria muß - und uns die Frage die Seele durchschneidet: „Hier ist Feuer und Holz, aber wo ist das Schaf zum Brandopfer?“ Wahrlich, auf dem Berge des Herrn, auf dem Berge Zion, wo Jesus König ist, wird's versehen werden. Und wo die Wunde brennt, die Noth hoch steigt, der Tod das Herz brechen will, da fühlt man es: hier kann kein Engel helfen, kein Heiliger ist hier heilig genug, und alles Werk der Gerechtigkeit liegt zerbrochen durch die Sünde.
Aber, wohlan, es steige die Noth der Anfechtung, wegen allerlei Leiden der Seele wie des Leibes auch noch so hoch; nicht hat Asaph gesagt: Wenn ich nur einen Engel, einen Heiligen, wenn ich nur Werke meiner Gerechtigkeit oder Tugend habe, sondern: wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und nach Erde. Weshalb wir auch singen:
Christi Blut und Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Darin ich werd vor Gott bestehn,
Wenn Erd und Himmel untergehn.
In dem Sinne schreibt es nun auch hier der Apostel aus dem 102. Psalm nieder: Du, Herr, hast von Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werke; dieselbigen werden vergehen u. s. w.
Der Psalmist bittet zuvor: „Mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage, deine Jahre währen für und für“ und meint damit: der Herr, sein Gott und Heiland, wolle ihn doch mit seinem Glauben nicht beschämt auskommen lassen, auf daß des Herrn Feinde sich über ihn nicht erheben. Er sei doch von gestern und habe nur Tage des Lebens; wolle der Herr also sein Werk an ihm vollenden und sein Wort bei ihm wahr machen nach seiner Zusage: so wolle er ihn doch beim Leben erhalten; der Herr habe doch mehr Jahre des Lebens als er Tage, ja, habe ein ewiges Leben; von diesem Leben wolle er ihm nach seiner Verheißung mittheilen, auf daß die Grube der Noth und des Todes ihren Mund nicht über ihm zuschließen, sondern er das Heil des Herrn erblicken möge und seine Seligkeit in dem Lande der Lebendigen. Darauf läßt er nun folgen: „Du, Herr, hast von Anfang die Erde gegründet und die Himmel sind deiner Hände Werk.“ Damit will er sagen: daß der Herr doch wohl für ihn sorgen kann, daß er alles Geschaffenen Herr und Meister ist. So können denn die Feinde seines Heiles und seiner Seligkeit, die Feinde des Glaubens und des Zeugnisses, welches von der Gerechtigkeit zeugt, welche vor Gott gilt, mit der Erde und mit den Himmeln nicht machen, was sie wollen; sie können doch die Erde und alle Festigkeiten nicht bewegen nach ihrem gottlosen Rathe, den Gerechten zum Falle zu bringen, ihn gänzlich zu verderben; denn die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist, Er hat den Erdboden an die Meere gegründet und an den Wassern bereitet.1) So können auch die Feinde des Herrn nicht über den Himmel verfügen nach ihrem Gefallen, den Gerechten auszuschließen von allem Trost, Licht und Seligkeit. So lange der Sohn Gottes die Erde will stehen lassen für die Gerechten, daß sie es dennoch gut auf derselben haben, wird sie wohl stehen bleiben. Denn er hat sie von Anfang gegründet, und ihre uralten Pfeiler, dahingesetzt von einer allmächtigen Hand, müssen alle Feinde der Gerechtigkeit des aus Glauben Gerechten stehen lassen, daß es wahr bleibe, was er seinem Volke zugesagt: „Der dich gemacht hat, ist dein Mann, Herr Zebaoth ist sein Name; und dein Erlöser, der Heilige in Israel, der aller Welt Gott genannt wird“; - und so sollen diese Pfeiler den Gerechten allerlei Heil tragen mitten in ihrer Trübsal, mitten in Verfolgungen. - Auch sind die Himmel sein, und des Gerechten Sonne soll scheinen, sein Mond helle bleiben, seine Sterne werden nicht fallen, wie auch der Feind seines Heiles und seiner Seligkeit darauf aus sei, ihm Alles zu verfinstern, ihm Himmel und Erde durcheinander zu werfen.
Der Herr wird aber dereinst selbst Alles über den Haufen werfen, weissagt der Psalmist; und er gibt damit zu verstehen die Vergänglichkeit alles Sichtbaren; darum schreibt er: „dieselbigen werden vergehen“. Das meint er von der Erde und von den Himmeln. Solches sagt er aber zu seinem Trost; denn wenn Erde und Himmel vergehen, so muß es doch dermaleinst ein Ende nehmen mit aller Feinde Trotzen, auch ein Ende nehmen mit aller Noth, Mühe und Arbeit der Seele des Gerechten, daß es den Gerechten doch endlich gehen wird, wie es dem Lot erging: Der Herr wußte ihn wohl aus der Versuchung zu erlösen, und die Leute Sodoms hatten keine Erde und keine Himmel mehr, sondern fuhren zur Hölle. - So auch vergingen die Erde und die Himmel den Leuten zur Zeit Noe, und dieser Prediger der Gerechtigkeit wurde errettet in dem Kasten. Aber die Zeit wird kommen, in welcher die Erde und die Himmel buchstäblich vergehen werden, wie der heilige Apostel Petrus schreibt: „Der Himmel jetzund und die Erde werden durch sein Wort aufgesparet, daß sie zum Feuer behalten werden am Tage des Gerichts und der Verdammniß der gottlosen Menschen.“
So will denn der Elende, der bedrückt ist. sein Heil nicht in solchen vergänglichen Dingen suchen, noch seine Seligkeit daher erwarten; das kann ihm Alles nicht helfen, ihn nicht trösten, er muß einen ewigen Verlaß haben.
Nun verstand der Psalmist unter „Himmeln“ nicht den dritten Himmel oder das Paradies Gottes; auch nicht lediglich diesen Wolkenraum, worin Sonne, Mond und Sterne sich bewegen, wie wir uns denselben vorstellen: - sondern er verstand darunter auch den ganzen Raum, welcher zwischen der Erde und dem Jerusalem liegt, worin der Thron des Lammes geschaut wird. In diesem Raum bewegen sich Myriaden Geister der Teufel, und die Ideen der Menschen, welche unter Gesetz sind - und wollen von diesem Räume aus die Erde und was auf Erden geschieht, beherrschen mit dem Gesetz der Sünde und des Todes, mit Geboten des Scheinglaubens und Scheindemuth, Gottesdienst und Wandel nach Fleisch, und machen es von da aus den Gerechten auf Erden bange, machen ihm auch das Durchbrechen zur Freiheit Christi, seine Gebete und die endliche Hinüberfahrt in den Schoß des Vaters, an den Busen Jesu streitig.
Daß der Psalmist Solches auch unter „Himmeln“ verstanden hat, ersehen wir aus den Worten des Propheten Haggai, wo Gott spricht: „Es ist noch eine kleine Zeit dahin, daß ich Himmel und Erde bewegen werde. Da soll denn kommen aller Heiden Trost.“ Diese Worte: „Ich werde Himmel und Erde bewegen“ legt der Apostel Paulus in unserm Ebräer-Briefe in obiger Weise aus, weshalb er Cap. 12, Vers 26 schreibt: „Nun aber verheißt er und spricht: Noch einmal will ich bewegen nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel.“ Dies „noch einmal“ zeigt an, daß das Bewegliche soll verändert werden, als welches gemacht ist, auf daß da bleibe das Unbewegliche. Darum, dieweil wir empfangen ein unbewegliches Reich, lasset uns Gnade halten, durch welche wir mögen Gott dienen, ihm zu gefallen, mit Zucht und Furcht„.
Von solchen Himmeln kann der Psalmist nun nicht genug sagen, daß sie vergehen werden, und führt der Apostel diese ganze Stelle absichtlich an, auf daß die Ebräer sich aus solchen Himmeln zurückziehen möchten und begreifen: daß sie Menschen seien, die auf Erden wohnen, und daß sie nur alsdann einen Wandel im Himmel haben würden, wenn sie sich lediglich an der Gnade Christi hielten.
Darum sind hier auch alle Worte mit Fleiß angeführt: „Sie werden vergehen“, und das sind doch erbärmliche Himmel, welche vergehen. Da denkt man, sein ewiges Haus drin gefunden zu haben, und mit einemmal stürzen sie zusammen wie die Mauern Jerichos. Wenn man nun in solchen Himmeln wohnt, wo soll man bleiben, wenn sie einem entgehen? „Sie werden alle veralten wie ein Kleid“; da hilft nichts für, ob der Eine auch einen bessern und höhern Himmel haben mag als der Andere; die Herodianer einen andern, die Sadducäer einen andern, die Pharisäer wieder einen andern und höhern Himmel: alle diese Himmel werden veralten wie ein Kleid. Der Gesetzhimmel, der Himmel der Selbstgerechtigkeit, der Gerechtigkeit als aus Werken, der Heiligenhimmel, der Himmel des englischen Wandels, der Selbstkasteiung, des Frömmeln nach eigener Wahl, - kurz, was es für Himmel gibt, worin der Mensch sich versteckt aus Scheu vor der Gnade, alle diese Himmel veralten wie ein Kleid. Und doch meint der Mensch so selig zu sein, wenn er sich vollkommen in denselben eingehüllt und geborgen wähnt! Aber in einem veralteten Kleide darf ich nicht stehen vor meinem Könige, vor ihm muß ich ein ewiges, neues Hochzeitskleid anhaben, - und ich verstehe das Wort des Apostels: „Was alt ist, das ist nahe bei seinem Ende“2) und das Wort meines Königes: „Ich rathe dir, daß du weiße Kleider von mir kaufest und dich anthuest, und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße“.3) Oder, was wird uns sonst verbergen vor unserm Gott, der auch ein verzehrendes Feuer ist? was vor dem Zorne des Lammes? - Wird Er diese Himmel stehen lassen? „Als ein Gewand wirst du sie wandeln“, das ist, sie zusammenschlagen, zusammenrollen und wehe dem, der sich alsdann in solchen Himmeln befindet! Er wird erstickt und erdrückt, wenn der Herr sich ans Zusammenrollen gibt! Oder werden sie ihm auch widerstehen können, der gesagt hat: Es ist Niemand, der aus meiner Hand erretten kann? Nein, sie werden keinen erretten zur Zeit des Unfalls. „Und sie werden sich verwandeln,“ heißt es. So werden denn solche Himmel Einen verlassen und allein lassen; und werden alle dahin schwinden vor dem Herrn und vor seiner großen Kraft, wenn er kommen wird. Schöne Himmel, die nicht bestehen können, wenn er kommt, um sie zu besehen! und welche vor ihm wie Wachs zerschmelzen, wenn er sich zeigt! Und dennoch gelten solche Himmel mehr in Fleisches Augen, als der Herr Jesus selbst! Was thue ich aber in Himmeln, worin ich meinen Heiland nicht habe, worin mein Gott und Herr nicht wohnt, worin ich ihn nicht sehe und seine Wundenmale? Er ist mir Himmel und Alles, und alle Oerter wo sein Gnadenstuhl nicht steht, lösen sich auf wie Eis, werden zu Wasser vor der Sonne meiner Gerechtigkeit, sind am Ende die Hölle selbst, ein Schwefelpfuhl, dessen Eingang nur bemalt ist als wäre es der Himmel. - Und wie viele solcher Himmel haben die Jahrhunderte bereits sich verwandeln sehen!
Es wird euch, meine Geliebten! nach allem diesem eingeleuchtet haben, was der Apostel mit den Worten aus dem 102. Psalm bezweckt hat: Sie sollen euch Alle, denen es um Trost bange ist, die ihr aber den Muth nicht habt durchzubrechen, von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit aller Himmel, besonders der eingebildeten Himmel, der Ideen-Himmel überzeugen; wie auch von der Vergänglichkeit alles himmlischen Wandels, wie Fleisch denselben vorschreibt. Dagegen sollen euch diese Worte allen Muth machen, euch gänzlich so wie ihr seid, der Gnade zu ergeben Gnade und Glauben zu halten, und von Nichts mehr wissen zu wollen, als von diesem Bekenntnisse und Gebet: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel noch nach Erde!“
Du bleibst“, ja, du Herr, du stehst und bleibst stehen, wenn Alles wird gefallen, wenn Alles wird vergangen sein, - wenn Alles entschwindet! Darum habe ich auf dich die Hoffnung meines Lebens, meines Durchkommens durch diese Welt, meiner Seligkeit gesetzt. Wie du bleibest, so bleibet auch deine Gerechtigkeit, deine Gnade, dein Stuhl, dein Reich, deine Wahrheit, deine Treue, „Du bist derselbige“. Bei dir ist kein Schatten von Umwandlung. Was du gesagt, was du verheißen hast, soll bestehen im Himmel, auf Erden und in der Hölle. Nur du hast Gewalt, Macht und Willen, mich aus aller Noth, aus allem Tod, von allem Uebel, von allen Sünden zu erretten und mir auszuhelfen zu deinem Königreiche, und mir die Krone der Gerechtigkeit zu geben als ein gerechter Richter, nachdem du mir wirst geholfen haben, den guten Kampf zu kämpfen, den Lauf zu vollenden, Glauben zuhalten. „Deine Jahre werden nicht aufhören“. Darum werde ich nicht aufhören, trotz Sünde, Teufel, Tod, Noth, Welt, Trübsal, Kreuz, Leiden und Verfolgung - dich als meinen allgenugsamen und vollkommnen Heiland zu loben, bis du mich Staub, Erde und Asche zu deinen steten Jahren wirst hinübergenommen haben, daß ich dich sehe, wie du bist, und meinen ewigen Geburtstag feiere in dem Saale deiner Himmel! Amen!
Schluß-Gesang:
Lied 22, Vers 10.
Singt Halleluja allzugleich, Sagt: unserm Gott gebührt das Reich, Die Herrlichkeit und Ehre! Er hat ja Alles wohl gemacht. Er hat das Heil uns wiederbracht: Gelobt sei Gott der Herr! Mächtig, Prächtig, Ist er wahrlich, Wunderbarlich; Seinem Namen Ehr und Preis gebt allesammen!
Nach der Bedienung der heiligen Taufe:
Psalm 135, Vers 7.
Herr, dein Nam ist groß, dein Ruhm
Währet nun und ewiglich!
Israel, dein Eigenthum,
Preiset und erhebet dich;
Da auch Kind und Kindeskind
Dich, als seinen Heiland findt.