Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Auf dem Weg nach dem Himmel

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Auf dem Weg nach dem Himmel

Evangelium Marci, Kap. 5, Vers 25-34.

Was in diesem Kapitel der heilige Evangelist Markus uns mitteilt von der Auferweckung des Töchterleins von Jairus, kann uns nicht allein der Hilfe des Herrn gewiss machen gegen Krankheit und gegen den Tod, so lange es noch sein Wille ist, dass wir hienieden wallen, sondern es macht uns auch unserer seligen Auferstehung, die wir in Jesu entschlafen, und des ewigen Lebens gewiss; denn wer damals einen Toten erwecken konnte und wollte zur Herrlichkeit des Vaters, kann und wird, nun er erhöht ist zur Rechten des Vaters, uns am Ende der Tage auch auferwecken und mit ihm führen.

Dennoch sind wir auf der Pilgerreise, und da gibt es allerlei, wie geschrieben steht: Du Elende, über die alle Wetter gehen, du Trostlose. Wie kommen wir über den Lebensweg, der so manches Ach hat? Wie kommen wir zum Ziel, wir, in denen die böse Art steckt, mit welcher wir unser Leben lang zu streiten haben?

Der Evangelist Johannes schreibt in seinem Brief, dass unser Glaube die Welt überwunden hat. Hat unser Glaube die Welt überwunden, so überwindet er auch alle Hindernisse, wenn wir ohne Unterlass unsere Zuflucht nehmen zu dem Anfänger und Vollender unseres Glaubens und uns durch Niemanden und Nichts davon abhalten lassen.

Lernen wir zu unserem Trost aus dem Evangelio, wie der Glaube angefacht wird, wie er durchbricht trotz aller Anfechtung, wie er den Sieg davon trägt, auf dass wir aus dem einzigen Heilsbrunnen schöpfen und selbst die Süßigkeit kosten der Verheißung: „Kein Einwohner wird sagen: Ich bin schwach, denn das Volk, so darinnen wohnt, wird Vergebung der Sünden haben“1).

Wir haben hier eine Frau vor uns, welche am Glauben allein hindurchbricht und am Glauben allein dasjenige erhält, was ihr Herz begehrt, und was ihr Not tut, damit sie nicht sterbe, sondern lebe.

Wir wissen, wie diese Frau von dem Herrn Jesu geheilt wurde, aber bevor wir an ihren Glauben und an die Heilung denken, erwägen wir erst ihr Elend.

Fragen wir, wie groß war ihr Elend? und die Antwort liegt vor: Ach, ihr Elend war sehr groß!

Sie hatte eine gar böse Krankheit, eine Krankheit, welche sie vor dem Gesetz zu einer Unreinen gemacht, und zwar zu einer solchen Unreinen, dass sie Jeden zu meiden und Jeder sie zu meiden hatte; ein Jeder, der sie anrührte, machte sich nach dem Gesetz unrein, und sie machte einen Jeden, den sie anrührte, ja Alles, was sie anrührte, unrein. Sie musste sich nicht allein von der menschlichen Gesellschaft ausschließen, sondern sie war auch von dem Heiligtum Gottes und von der Versammlung seiner Heiligen ausgeschlossen, so lange sie so unrein blieb2). Außerdem durfte sie bei Strafe des Todes nicht die Wohltaten der Ehe genießen 3). Sie war also mehr als eine Unfruchtbare und gleich einer Verstoßenen.

Ach, krank zu sein, ist an sich ein schmerzliches Entbehren des großen Schatzes der Gesundheit; aber dabei durch das Gesetz Gottes sich zu den Unreinen verwiesen zu sehen, in welche Gefühle von Scham und Schande stürzte das ihre Seele!

Hätte sie eine andere Krankheit gehabt! aber diese Plage war so schändlich und schmachvoll, dass sie davon nicht einmal Andern erzählen konnte; sie musste die Schmach und Schande davon im eigenen Busen tragen.

Aber alles nimmt ein Ende - nur ihre Krankheit nicht. Zwölf Wochen krank zu sein, ist uns ja ach, wie lange! Zwölf ganze Jahre aber ist sie schon krank an solcher Krankheit. Vergeblich sind ihre Gebete, Psalm 103 und Psalm 116 ist nicht für sie, das ganze Wort nicht für sie, Alles verdammt sie, was sie liest, denn es kommt keine Hilfe, keine Linderung; das Heil bleibt ferne von ihr, sie bleibt eine Unreine, eine Verstoßene vor Gott und seiner heiligen Gemeine.

Dabei bleibt es nicht, sie gibt Alles daran, um von dieser Unreinigkeit erlöst zu werden, alles Geld und Gut; kein Arzt weiß Rat, der eine verschreibt diese Mittel, der andere jene, der dritte wieder andere, sie nimmt sie treu ein - ach, dass Gott mir doch so barmherzig wäre und die Mittel segnete! - Gott segnet sie nicht; alle aus weiter Ferne mit vielen Kosten herbeigeholten Heilmittel sind unwirksam; auf das Einjagen von nervenerschütternden Schrecken horcht diese Krankheit auch nicht; das letzte Mittel wird endlich zur Hand genommen: man gräbt sieben Gruben, verbrennt darin Zweige eines unbeschnittenen Weinstocks, man setzt sie in die eine Grube und in die Asche und spricht die Formel: stehe auf von deiner Krankheit! - so geht's bis in die siebente Grube hinein, es hat Alles nichts geholfen, und die Ärzte mögen wohl draus folgern, dass sie ganz in der Macht des Teufels ist; und sie - was folgert sie? Es ist Alles verloren, Gut und Mut, Gesundheit und Hoffnung, und das Schlimmste: Gottes Gnade und Huld ist für sie nicht da, Gott hat sie verlassen, der Herr hat sie verstoßen, so dass sie klagen muss: „Meine Seele ist voll Jammer, und mein Leben ist nahe bei der Hölle; ich bin geachtet gleich denen, die zur Hölle fahren, ich bin wie ein Mann, der keine Hilfe hat.“4)

Wir sehen in der Krankheit dieser Frau als in einem Spiegel die Krankheit unserer eigenen Seele, die böse Art, welche auch den Leib ansteckt: die Sünde, in einer Gestalt, dass wir sie nicht einmal nennen dürfen. Wir schauen hier an das Schreckliche der langen Dauer unseres Verderbens, so lange und für so viel uns keine Barmherzigkeit widerfährt, unsere gänzliche Hilflosigkeit, uns selbst zu reinigen und zu heiligen. Wir werden eingedenk, dass wir aus uns selbst nicht anders können, als die Sünde noch tagtäglich größer machen, und wie von allen menschlichen Ratschlägen, vorgeschriebenen Reinigungsmitteln und selbsterdachten Mitteln, von unsern Werken und Abmühen, uns selbst zu heiligen, das Ende ist, dass mir, setzten wir uns auch in sieben Gruben, nur noch tiefer dreinsinken und so blutarm werden, dass wir keinen Heller mehr herbei. Zwingen können, wenn noch ein Mittel da wäre, dass es aber kein Mittel auf Erden oder bei den Menschen mehr gibt.

Da schlägt des Herrn Stunde: Er hilft, wenn nichts mehr helfen kann.

Wohin doch? ist die Frage. O gewiss, wie hoffnungslos man auch dasitzt oder daniederliegt: hat der Herr so hart krank gemacht, so hat er es auch in die Seele gelegt, dass man sich nicht ganz der Verzweiflung ergibt, und sich zu ihm aufmacht, wenn er kommt.>

Die Frau hört von Jesu, das ist, sie hört, dass Jesus da ist und wo er ist. Indem sie von ihm hört, entzündet der Heilige Geist in ihrem Herzen den Glauben, - er fährt ihr wie Licht und Feuer in's Herz, der glimmende Docht wird angefacht und brennt hell.

Welche Gedanken von Jesu gab ihr denn der Geist ein? O, wie sie von Jesu hörte, kam es ihr vor Augen, wie dieser sich der Elenden erbarmte und ihnen herrlich half, wie er Allen half, die bösartigsten Krankheiten heilte mit einem Wort. Dieser, erfährt sie, heilt ohne Geld, er nimmt nichts, er vergibt die Sünden obendrein! Er begehrt nur, dass man das Herz ganz und gar zu ihm habe. Des sei der Herr gelobt! mag sie gedacht haben, dass ein solcher Mann in die Welt gekommen ist, der ohne Geld hilft, der Allen hilft, die zu ihm kommen. Nunmehr ist mir geholfen, ich will zu ihm hin.

Und da läuft sie, so zu sagen, über alle Berge und dringt durch alle Hindernisse zu Christo Jesu hin.

Nun, wenn wir Ende Rats sind, und uns von Gott für immer verstoßen erachten; wenn wir so arm sind, dass wir auf der ganzen Welt kein Mittel mehr finden, auch unsern Seelenblutgang gestillt zu bekommen, und wir hören da von Jesu, wie er kann und will Mitleiden mit uns haben, wie barmherzig er ist, wie gnädig und holdselig den Armen und Rettungsverlornen; wenn wir von Jesu hören, was er kann, und sind wir alsdann des Herrn und zu unserm Heil Heimgesuchte - so haben wir von dem an, dass wir von Jesu hören, keine Ruhe mehr; wir werden gezogen zu Jesu hin. Nur in ihm sehen wir unsere Errettung.

Die Frau sah die Errettung, ihre Errettung; auch mir ist nun geholfen, dachte sie, nichts hält mich länger zurück, ich muss, ich muss, und so geht sie dahin, wo Jesus hergeht.

Ist ihr nun schon geholfen? O wie leicht, wie leicht gerät man in eine Krankheit, in die Sünde, in den Tod hinein, und welche Berge erheben sich, welche große Wasser brausen daher, auf welche unübersteigbare Hindernisse stoßen wir bei dem Kommen zu Jesu!

Mit einem Mal erhebt sich der Berg Sinai, da donnert es herab: Was, willst du Unreine zu dem Reinen, du Unheilige zu dem Heiligen, du Gottloser zu dem Gerechten? willst du den Reinen mit deiner Unreinigkeit unrein machen? erst dich rein gemacht und dann gekommen! Was Rat hier für einen Menschen, der die Verdammnis in sich trägt? Die Seele erzittert und erschrickt. „Steige nicht auf diesen Berg, sonst bist du des Todes!“ heißt es. O, meine arme Seele! du suchst die Reinigung nicht als ein Recht, das dir sollte zukommen müssen, du suchst sie als ein Gnadengeschenk - zurück von diesem Berg und über den Hügel Golgatha zu ihm hin - der Glaube siegt. Aber ein furchtbares Wetter entsteht in dem Gewissen. Ach, wo kam diese Krankheit her? Zurück mit dir! Kannst du, darfst du diesem heiligen Mann unter die Augen kommen? Er hat Augen wie Feuerflammen! Wenn er nun weiß, wer du bist, was du dein Leben lang gewesen, wie du gesündigt, Er wird dich durchschauen - alle deine Jugendsünden werden vor ihm aufgedeckt werden. Du darfst ihm deine heimlichen Leiden nicht einmal klagen, das darfst du solchem Mann nicht tun. Er wird dich nicht verstehen, dich zurückstoßen, wenn du unter seine Augen kommst. O meine arme Seele, du sollst ihm nicht einmal unter die Augen kommen, du sollst ihm nichts sagen mit dem Mund, ihm nicht aufdecken deine Schande, seufzend sollst du hinter ihm drein - das Herz wird umso mehr pochen von innerer Not - das wird er hören. Wir wollen sehen, dass wir nur ein Stück, nur den Saum seines Kleides in unsere Hand bekommen, das heißt zu ihm sprechen: Du bist mein Löser, du kannst, du wirst mich nicht töten, mich nicht von dir stoßen, ich wage es: Komme ich um, so komme ich um und wo ich mich schäme, es ihm zu klagen, was ich mich schäme, von ihm zu bitten, das will ich ergreifen wie ein Versinkender ein Seil - so habe ich ihn an dem Saum seines Kleides und lass ihn nicht los. So ist mir geholfen. Die Liebe bleibt. Hin zu ihm!

Aber, ach welch ein unübersteigbares Hindernis mit einem Mal von Neuem! wie komme ich darüber hinweg: die Welt, ach die Welt, die Menschen, die Menschen, sie kennen sich doch.

Hätte ich doch eine andere Krankheit! werden sie nicht alle schreien: ich sei gegen das Gesetz, ich entweihe es? Aber wohlan, da geht er einher, Er, der umsonst hilft, dieser Barmherzige, der nur allein helfen kann - ich soll zu ihm. „Was drängst du uns, Weib, was stößt du uns, du Unreine, mache dich von hinnen!“ - und die Leute sehen nichts, begreifen die Not der Seele nicht, schließen sich dichter aneinander, - sie kann, sie soll nicht hindurch.

Hilft denn auch hier Gott nicht, dass du ihm nahe kommst? O meine Seele, bücke dich unter die Leute hindurch, bücke dich tief, sollten sie auch über dich hergehen; strecke den Arm lang aus durch die Leute hindurch, dass du seinen Saum erfasst hast - so ein: Ach Gott, erbarm, hilf mir noch lediglich zu dieser Stunde! - da habe ich den Saum! die Hoffnung beschämt nicht.

Glücklicher Patient, der ein so gutes Vertrauen hat zu diesem Arzt! O wundere Gnade, o ewige Liebe, o große, mächtige Erbarmung! Die Frau ist nicht betrogen ausgekommen, also bald, als sie den Saum anrührte, vertrocknete der Brunnen ihres Bluts, und sie fühlte es an ihrem Leib, dass sie von ihrer Plage war gesund geworden.

Ich habe die Genesung nie von dem Saum erwartet, sondern von ihm; hatte ich den Saum, so hatte ich ihn. Ehe ich glaubte, ihn noch erreichen zu können, fuhr das Vertrauen, das ich zu ihm hatte, aus dem Herzen in die Hand, ich hatte den Saum und fand Stärke und Heil - alle Welt hatte mich verlassen. Gelobet seist du, Arzt Leibes und der Seele, du allein heilst mich!

O, dass wir uns nicht zurückhalten lassen! Golgatha predigt andere Dinge als Sinai. Verdammt uns unser Herz, Gott ist größer denn unser Herz, er weiß alles. klagen wir nur mit dem Herzen, mit den Seufzern, wozu und der Heilige Geist hilft, ihm nach: er versteht uns wohl. Lassen wir uns nicht zurückhalten durch die Welt, durch die Menschen, durch Familie, durch Freunde und Feinde; und schämen wir uns, ihn anzusehen unserer Sünde und Krankheit wegen: wohlan! bücken wir uns, beugen wir uns tief ihm hintennach, bis wir den Saum seines Kleides in unserer Hand haben.

Da fühle ich es wohl bald an Leib und Seele: Das ist für mich, und er ist mein und ich bin sein, - gestillt ist der Blutgang des Herzens, des Gewissens, der Seele, des Leibes, - dahin ist die ganze Last der Sünde, sie ist gänzlich abgewälzt. Soeben unrein, unheilig, abgeschieden von Gott und seiner Gemeinde: nunmehr rein, heilig, zu Gott gebracht und alle seine Heiligen sind meine Brüder; - du mein Arzt aber von nun an mein Haupt und mein Bräutigam.

Können wir annoch des Herrn Kleid anrühren? Nach dem Buchstaben nicht, dem Geist nach umso eher. Was damals sein Kleid jener Frau war, das sei uns des Herrn Wort und Sakrament. Das können wir nicht anrühren - wenn uns denn die Not des Leibes und der Seele dringt, wie sie das Weib drang - oder wir haben ihn und fühlen bald an Leib und Seele, dass Kraft von ihm ausgeht.

Jesus, heißt es, fühlte alsobald an ihm selbst die Kraft, die von ihm ausgegangen war.

Die Frau fühlte an ihrem Leib die Kraft, die von Jesu ausgegangen war und sie geheilt hatte. Das war was Wunderbares, da war nichts Menschliches in dieser Heilung; denn wo nach Menschenweise oder durch menschliche Hilfe der Brunnen ihres Bluts so plötzlich vertrocknet wäre, so wäre sie ebenso plötzlich daran gestorben. So war denn diese Heilung eine Heilung von dem allmächtigen Gott, des musste die Frau ewig eingedenk bleiben. Hinwiederum war es ein Wunder, dass der Herr fühlte, dass es durch ihn dargestellt wurde, und es musste ihm zur Stärkung dienen, dass der Vater stets mit ihm sei. Denn woher kam diese Kraft, wo nicht von Gott Vater? Dieser legte die Kraft in seinen Sohn, und so ging sie von dem Sohn aus.

Lasst uns dieses zu unserm Trost im Gedächtnis behalten, dass Gott will, das allen, dass uns armen, elenden, sündigen Menschen geholfen werde; dass die Kraft, uns zu helfen, von ihm, dem Vater, ausgeht, aber dass es sein Wohlgefallen ist, zu dem Sohn zu ziehen, auf dass er solche Kraft durch seinen lieben Sohn an und in uns verherrliche. Darum allemal zu ihm hin, der gesagt: Wer zu mir kommt, den will ich nicht ausstoßen.

Weil Jesus an sich es gefühlt, dass Kraft und demnach Heilung von ihm ausgegangen war, so wollte er es wissen, wer es sei, der solchen Glauben, solches Vertrauen zu ihm gehabt, um bloß von dem Anrühren seines Kleides Heilung zu erwarten. Dem, der das getan, will er noch mehr Glauben beigeben, ihn gnädiglich anblicken und mit guten, tröstlichen Worten auf immer ein zutrauendes Herz zu ihm fassen lehren.

So wandte sich denn Jesus um zu dem Volk und sprach: Wer hat meine Kleider angerührt?

„Ich habe es nicht getan! und ich auch nicht!“ rufen Alle, als würden sie ein Verbrechen begangen haben, wenn sie es getan; wo sie dagegen wohl getan haben würden, wenn sie getan, was die Frau getan. Aber die Meisten drängen Jesum, die Wenigsten rühren ihn an; die Meisten kamen nur zu hören und einen Toten auferwecken zu sehen, es hing ihnen selbst die geistliche Not nicht am Hals. Sie machten es wie so viele Zuhörer, die bloß hören, aber nicht zum wahren Glauben durchdringen, nie sich bessern. Es ist immerdar nur so eine einzelne Seele, welcher es um ewige Heilung geht.

An der Antwort Petri und der übrigen Jünger: Meister, Du siehst, dass das Volk dich drängt, und sprichst: Wer hat mich angerührt! erfahren wir, dass unser Jesus kein menschlicher Wunderdoktor ist; sonst hätten die Jünger, die so viel Wunder erlebten, auf der Stelle daran gedacht, was sie schon mehrfach gesehen, wie doch Kraft von ihm ausging und er alle heilte; aber sie behielten darin ihr verstocktes Herz, hatten Augen und sahen nichts, Ohren und nahmen nichts wahr; - wie denn auch wir uns solchen verstockten Herzens schuldig zeihen sollen, die so viele Wunder erlebten, und dann noch den Herrn betrachten, als sei er unser einer und tue nichts, was wir nicht auch tun. Und so meistert Petrus sogar den Meister: Du siehst, das siehst du ja, und wie kannst du denn so sprechen?

Aber er sah sich um nach der, die das getan hatte. Jesus will sie heraus haben, die das getan. Das Volk weicht zurück auf seine Frage, die Frau aber, die geheilte, bleibt gebannt dastehen, verlegen, zitternd, die Augen niedergeschlagen, als eine Schuldige, als eine Missetäterin, und dennoch, sie war geheilt, und dennoch, sollte er sie auch strafen, gnädig und gut sei und bleibe er dennoch.

Das geschieht zum Öfteren, dass wir, obgleich vom Herrn geheilt, gerechtfertigt, geheiligt, dennoch vor ihm erschrecken, zittern und zagen - darum wird er uns nicht verstoßen. Er nimmt sich eines so zitternden und zagenden Glaubens herzlich an, das zitternde und furchtsame Vertrauen hält er für ein rechtes Vertrauen, und es ist es auch. Denn obschon die Frau sich fürchtet, zittert und zagt, so flieht sie doch nicht, als sie des Herrn Angesicht, ja forschenden Blick gesehen, sondern sie kommt, fällt als eine Schuldige, als eine um Gnade Flehende und doch Dankbare und Glückliche, zu seinen Füßen. Und jetzt soll es Alles heraus, nichts soll auf dem Herzen bleiben, Alles soll er wissen, wozu sie den Mut nicht gehabt, es ihm auch nur leise anzudeuten, viel weniger zu sagen und zu klagen - sie sagt ihm die ganze Wahrheit.

Lasst und von dieser Frau es lernen, nicht vor ihm zu fliehen, der uns so oft geheilt, wenn wir auch zittern und zagen, und unser Gewissen uns beschuldigt, dazu der Teufel und unsern Glauben als Frevel und unsere Guttat als Sünde vorhält! - Ach, unsere argen Gedanken von dem Herrn, wie stopfen sie uns so oft den Mund! Lernen wir von der Frau in Demut und als Schuldige uns vor dem Herrn hinzuwerfen, ihm alles zu sagen und Alles zu klagen, ihm zu sagen die ganze Wahrheit, - es mag's die ganze Welt hören, wenn er uns nur anhört. Und was hat sie denn gesagt, als sie die ganze Wahrheit gesagt? Ihre Sünden hat sie gewiss nicht verhehlt, auch wie sie an die Krankheit gekommen, dann, wie sie nirgend Heil gefunden, wie sie immer elender und endlich ganz arm geworden, - das habe so ganze zwölf Jahre gewährt. Da mag sie weiter erzählt haben von ihren Gebeten, von ihren versehrten und gräulichen Gedanken von Gott, von ihrer gänzlichen Verlorenheit und dass sie gedacht, für sie sei kein Trost in Ewigkeit, bei Gott und Menschen nicht. Da habe ich von dir, Herr Jesu, gehört, aber ich hatte den Mut nicht, dir unter die Augen zu kommen; ich dachte aber, wenn ich nur einen Faden von dir in meine Hand bekomme, dann nehme ich dich mit in meinen Abgrund, und du ziehst mich aus dem Abgrund und mit dir in deinen reinen Himmel. So mag sie etwa gesagt haben und darauf haben folgen lassen: Und nun strafe mich nicht in deinem Zorn, dass ich Unreine dich angerührt, du bist es ja allein, der mich gesund gemacht, - ach, es ist mir so bange! aller Friede muss weichen, wenn du nicht mit meiner Seele von Frieden sprichst, wenn du nicht mit mir zufrieden bist, was dann! Ist denn deine Kraft vergeblich, ach, so wird dann die Plage von Neuem wieder über mich kommen. Darum, du mein Heiland, willst du es mir vergeben, dass ich dich angerührt, und willst du mein Heiland bleiben? Ach, sei mir doch nicht böse, dass ich das getan habe; sei mir vielmehr gnädig, denn sonst muss ich vergehen und ein Spott der Teufel werden.

Sagen wir also vor dem Herrn die ganze Wahrheit, so bekommt die Seele Antwort von ihm in ihrer Not, eine Antwort ewigen Trostes, eine Antwort ewiger Sicherstellung.

Meine Tochter, sprach der Herr zu ihr, dein Glaube hat dich gesund gemacht. Das ist eine wundere Predigt vom Glauben. Was die Kraft getan hatte, die vom Herrn ausging, das schreibt er dem Glauben zu. Aber wie gesagt, er will, dass das ganze Herz zu ihm stehe und wir also vertrauen, dass wir nicht zweifeln, dass wir gesund sind, wenn wir nur den Saum seines Kleides anrühren. So lasst uns denn die Schrift, die von ihm zeugt, auch dieses heilige Evangelium, also anrühren, und also auch die heiligen Sakramente ansehen als seien sie sein Kleid - so wirds gewiss seinem Kleid nicht an Kraft mangeln, noch uns an Hilfe, und wie es bei dem Propheten heißt: Er wird meine Kraft anrühren und Frieden mit mir machen; so erhalten wir gewiss seiner Frieden.

Der Herr sagt zu der Frau: lass mich dich trösten. Worin du meinst gesündigt zu haben, dass du mich angerührt, das war wohlgetan; - worüber du zitterst, als sei es eine Freveltat von dir, das war der Glaube, wie ich ihn will, und hättest du nicht so geglaubt, so wärst du nie gesund geworden.

Der Glaube macht gesund, weil er die Gesundheit für sich nimmt aus dem Brunnen aller Gesundheit.

Nun ihr, die ihr mit gläubigem Herzen genommen aus der Fülle Christi, - geht auch ihr bin in Frieden, lasst euch von dem Teufel nicht darüber anfechten, dass ihr durchbrecht durch alle Hindernisse, und den Herrn bei seinem Wort anrührt und angerührt habt. Sei gesund von deiner Plage, ich habe dich in geheilt in meinem Blut und in meiner Kraft! ist des Herrn Wort. Gegen ein solches Wort hat der zweite Tod keine Macht.

1)
Jes. 33,24
2)
3. Mose 15,25-27
3)
5. Mose 20,18
4)
Ps. 88,4-5
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