Kapff, Sixtus Carl von - Am Feiertag Maria Verkündigung.

Kapff, Sixtus Carl von - Am Feiertag Maria Verkündigung.

Text: Jes. 7,10-16.
Und der HErr redete abermal zu Ahas, und sprach: Fordere dir ein Zeichen vom HErrn, deinem GOtt, es sei unten in der Hölle oder droben in der Höhe. Aber Ahas sprach: Ich will es nicht fordern, dass ich den HErrn nicht versuche. Da sprach er: Wohlan, so hört ihr vom Haus Davids: Ist es euch zu wenig, dass ihr die Leute beleidigt, ihr müsst auch meinen GOtt beleidigen? Darum, so wird euch der HErr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger, und wird einen Sohn gebären, den wird sie heißen Immanuel. Butter und Honig wird er essen, dass er wisse, Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen. Denn ehe der Knabe lernt Böses verweisen und Gutes erwählen, wird das Land, davor dir graut, verlassen sein von seinen zweien Königen.

Wir feiern heute die Verkündigung Maria, d. h. die der Maria erteilte Ankündigung des Engels, dass sie berufen sei, den Sohn GOttes und Heiland der Welt zu gebären. Mit dieser Ankündigung war das verbunden, was Johannes (1,14.) als die höchste Erscheinung der göttlichen Gnade rühmt: „Das Wort ward Fleisch“, das ewige Wort, das von Anfang beim Vater war, ohne das Nichts gemacht ist, was gemacht ist, d. h. Christus nach seiner göttlichen Natur kam herab aus der Herrlichkeit des Vaters und hüllte sich in Fleisch und Blut, und nahm in Maria menschliche Natur an. Dieser Anfang der Menschwerdung GOttes, welcher der Gegenstand unserer heutigen Feier ist, wird in unserem Evangelium so beschrieben: „Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“

Dieses Eingehen der Gottheit in die Menschheit wurde nach unserer Abendlektion schon im alten Bund verheißen, indem da der Sohn der heiligen Jungfrau den Namen Immanuel bekommt, d. i. GOtt mit uns, GOtt in der Menschheit, der menschgewordene GOtt. Dieser menschgewordene GOtt wurde dem König Ahas, und in in ihm dem ganzen Volk zum Zeichen gegeben, d. i. zur wunderbaren Vergewisserung von der Errettung aus der gegenwärtigen Not. Ahas nahm das Zeichen nicht an, daher der Prophet ihm alsbald großes Unglück androhte. Aber dem Propheten und Anderen, die das von GOtt gegebene Zeichen im Glauben annahmen, denen war es eine große Glaubensstärkung und freudige Erhebung über die traurige Gegenwart. Auch für uns sind alle Verheißungen des alten Bundes über das Leben und Wirken Christi, eine mächtige Glaubensstärkung, ein wunderbares Zeichen der ewigen Wahrheit des Sohnes GOttes und seines Wortes und des göttlichen Liebesvorsatzes zu unserer Seligkeit. Über diese Bedeutung der Verheißungen des alten Bundes wollen wir weiter nachdenken, indem wir unter dem Segen des HErrn betrachten:

Wie wunderbar die Verkündigung JEsu durch die Verheißungen des alten Bundes sei,

  1. nach ihrem Inhalt,
  2. nach der Art, wie sie gegeben wurden.

I.

Wunderbar ist der Inhalt dessen, was die Verheißungen des alten Bundes von JEsu verkündigen, eben so wunderbar, wie das, was der Engel nach dem heutigen Evangelio der Maria verkündigte. Er sagte: „Du wirst einen Sohn gebären, des Namen sollst du JEsus heißen, der wird groß und ein Sohn des Höchsten genannt werden. Und GOtt der HErr wird ihm den Stuhl seines Vaters Davids geben, und er wird ein König sein über das Haus Jakobs ewiglich, und seines Königreiches wird kein Ende sein.“ In diesen Worten hat der Engel den Hauptinhalt der alttestamentlichen Verheißungen zusammengefasst. Die Gottheit Christi und die Erlösung und neue Weltregierung durch ihn - das sind die wichtigsten Punkte der prophetischen Verheißungen; diese Punkte fasst unser Text in das Eine Wort „Immanuel“ zusammen. Christus heißt so als der, in welchem GOtt mit uns ist, ja, durch welchen GOtt in uns sein will, wie Er in Ihm war. Dass diese tiefsten aller Gedanken, wie von dem Engel, so schon im alten Bund angekündigt wurden, ist für unseren Glauben ein großes Wunder.

Das erscheint uns um so mehr, wenn wir nun die einzelnen Verheißungen des alten Bundes näher ansehen. Die älteste Verheißung des Immanuels wurde (1 Mos. 3,15.) schon im Paradies gegeben gleich nach dem Sündenfall. Der Erzfeind unseres Geschlechtes hatte angefangen, die Menschheit, und so die Erde zu verderben; daher war auch die erste Verheißung gegen ihn gerichtet, und in dem größten Jammer, den die Sünde angestiftet hatte, trat als einziger Trost die Hoffnung ein, dass es nicht so bleiben werde. Der HErr sagte zu der Schlange, d. i. zum Satan: Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weib, und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; zwischen dem Schlangengeschlecht roher Sünder und zwischen dem Weibessamen, dessen Haupt Christus ist. Dieser andere Adam, die Krone des ganzen Weibessamens, soll der Schlange den Kopf zertreten, seine Macht zernichten, während die Schlange ihn bloß in die Ferse stechen, ihn, ohne ihm schaden zu können, verletzen durfte, was in seinem Leiden geschah, aus dem er so siegreich hervorging.

Diese Verheißung wurde viertausend Jahre vor ihrer Erfüllung in Christo gegeben. Eva verstand sie so gut, dass sie (1 Mos. 4,1.) bei der Geburt ihres ersten Sohnes sagte: „Ich habe den Mann, den HErrn;“ sie glaubte, Er sei der Verheißene, der zugleich Mensch und zugleich GOtt sei. Aber Kain gehörte selbst zum Schlangensamen, und so wurde die Sehnsucht weiter hinausgerückt. Daher dachte Lamech (1 Mos. 5,29.), als das Verderben auf Erden groß geworden war, jetzt könne es nicht länger anstehen, und sein Sohn werde der verheißene Retter sein. Er nannte ihn Noah, d. h. Ruhe, und sagte: „der wird uns trösten in unserer Mühe und Arbeit auf der Erde, die der HErr verflucht hat.“ Dieser Noah, über den sein Vater wahrscheinlich besondere Verheißungen im Gebet bekommen hatte, war zwar ein Erneuerer des Menschengeschlechts, aber er war nicht der Schlangentreter, und bald war die Menschheit aufs Neue verdorben und der Götzendienst drohte Alles zu verschlingen.

Da erweckte der HErr den Abraham, und gab ihm neues Licht durch die Verheißung, dass durch seinen Samen gesegnet werden sollen alle Geschlechter der Erde (1 Mos. 12,3. 18,18.). Dieser Same wurde ihm durch besondere Erleuchtung des Geistes so deutlich angezeigt, dass JEsus Joh. 8 sagt: „Abraham sah meinen Tag, d. h. meine Erscheinung, und freute sich.“ Von dieser Freude empfand er schon da etwas, da der HErr in Menschengestalt ihn besuchte, und doch ganz als der HErr sprach. Von da an wurden die Verheißungen auf den Retter, der für alle Geschlechter der Erde ein Segen werden sollte, durch einzelne Züge immer heller und bestimmter. So konnte der sterbende Jakob (1 Mos. 49,10.) besonders auf den Stamm Juda hindeuten, und verheißen, er werde ein königlicher Stamm sein, von dem das Zepter nicht weichen soll, bis der Held komme, dem die Völker anhangen, und durch den so das Königreich Juda ein ewiges wurde. Mose kündigte (5 Mos. 18,15.18.) den verheißenen Retter an als den großen Propheten, der des HErrn Worte rede und dem Alle gehorchen müssen, wenn sie nicht gestraft werden wollen. Besonders auffallend aber musste für Mose das sein, dass GOtt ihm (2 Mos. 23,20.21. 33,14.) von einem besonderen Engel sagte, der GOttes Stelle vertrete, in dem GOttes Name, d.h. GOttes Wesen, ja der GOttes Angesicht sei, und der die Israeliten begleiten solle, während GOtt selbst nicht mit ihnen gehe. Dieses Wesen hatte im feurigen Busch zugleich als Engel und zugleich als Jehovah selbst gesprochen; ebenso hatte der Engel Jehovah sich der Hagar und dem Jakob geoffenbart, und später dem Josua als Fürst über das Heer GOttes, der doch zugleich als der HErr sprach. Ebenso erschien dem Gideon das heilige Wesen, das Engel Jehovah und Jehovah selbst genannt wird, daher Gideon Ihm einen Altar baute und ihm den Namen gab: „Jehovah Schalom,“ d. h. Jehovah ist Friede, lässt sich ohne Gefahr schauen.

Solche Offenbarungen erweckten den Gedanken einer Mittelsperson zwischen GOtt und den Menschen. Diese Mittelsperson nannte Hannah den Gesalbten GOttes, durch den der HErr der Welt Enden richten werde. David aber verstand die Verheißungen, die er über ihn erhalten hatte, so dass er sagte: „Das ist eine Weise eines Menschen, der GOtt der HErr ist“ (2 Sam. 7,19.). So kam zu der Offenbarung: „GOtt und Engel in Einer Person,“ hinzu: „GOtt und Mensch in Einer Person.“ Und zwar wurde er dem David, als aus seinem Geschlecht kommend, verheißen. Diesen Gottmenschen kündigte David an als „den Gesalbten GOttes, als den Sohn, von GOtt gezeugt, dem die Heiden zum Erbe und der Welt Enden zum Eigentum gegeben werden sollen“ (Ps. 2.). Dann nannte er ihn wieder „seinen HErrn, der zur GOttes Rechten sitzen und dem alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden sollen“ (Ps. 110.). Aber er sprach auch von Leiden, die zwar zunächst er selbst erduldete, die aber nur Vorbild der Leiden seines großen Nachkommen waren, so dass Christus die Worte Davids ganz zu seinen eigenen machte.

Dabei ist wunderbar, wie sogar ganz einzelne Umstände von dem Leiden Christi voraus verkündigt wurden, z. B. „sein von GOtt Verlassensein, das Teilen seiner Kleider und das Loswerfen um sein Gewand, selbst die Spottreden des Volks bei seiner tiefsten Erniedrigung“ (Ps. 32). So auch, „dass man ihm Galle und Essig geben werde in seinem großen Durst, und dass deren, die ihn ohne Ursache hassen, mehr sei, als er Haare auf seinem Haupt habe“ (Ps. 69, vgl. Ps. 40). Als Frucht dieses Leidens aber wird genannt, dass aller Welt Ende sich bekehren sollen zum HErrn und vor Ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden.

Ebenso wunderbar sind die Ausdrücke, mit denen Salomo Sprüchw. 8 von der ewigen Weisheit spricht, die von Anfang an vor Grundlegung der Erde bei GOtt gewesen und mit ihm gewirkt habe als der Anfang seines Weges, d.h. seiner Offenbarung, und deren Lust es sei, bei den Menschen zu wohnen. Dieses heilige Wesen stellt Jesajas deutlicher, als Alle vor ihm, dar als einen Sprössling aus dem alsdann tief heruntergekommenen Geschlecht Davids, der doch zugleich Sohn GOttes ist, dem die Namen gegeben werden: Wunderbar, Rat, Gottheld, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens, in dessen unvergänglichem Königreich ein ewiger Friede herrschen und eine unabsehbare Segensflut die ganze Erde bedecken werde, so dass alle Folgen des Sündenfalls selbst in der äußern Schöpfung aufgehoben und alle Gebrechen der Menschheit geheilt werden, da er das Licht der Heiden und das Heil GOttes bis an der Welt Ende sein werde, dass durch Ihn der Tod aufgehoben und ewige Wonne ewiger Erlösung Alles beglücken werde; wobei besondere Verheißungen vorkommen über das Herzuströmen der bekehrten Heiden zu dem erneuerten und Christo zugetanen Volk Israel, das statt der früheren Schmach zu Ehren kommen soll unter allen Völkern. Diese Worte GOttes sind zu lesen Jes. 4,9.11.25.35.42.49.54.60. Besonders auffallend ist aber, was Jes. 53 über das Leiden und den Tod JEsu ankündigt, dass Er um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen sei, dass unsere Strafe auf Ihm liege und durch seine Wunden wir geheilt werden, da der HErr unser Aller Sünde auf Ihn geworfen habe. Aber nachdem Er aus der Angst und dem Gericht genommen, könne Niemand seines Lebens Länge ausreden, und große Menge werde Ihm zur Beute gegeben, und Er soll die Starken zum Raub haben, darum, dass Er sein Leben zum Schuldopfer gegeben und für die Übeltäter gebeten habe. So hat Jesajas die Grundgedanken über die Gottheit JEsu, über seine Versöhnung und sein ewiges Reich 750 Jahre vor seiner Erscheinung verkündigt.

Jeremias kündigt den großen Nachkommen Davids an als den König, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit anrichten soll auf Erden, und sein Name soll sein „Jehovah, unsere Gerechtigkeit“ (Jerem. 23,33.). Durch Ihn soll (31,31 ff.) der neue Bund gestiftet werden, in dem GOtt sein Gesetz innerlich in die Herzen schreibt, ihnen die Sünden alle vergibt, und sie mit seinem Geist so erleuchtet, dass Alle Ihn wahrhaftig kennen, und nicht mehr Einer den Anderen lehren soll. Bei Ezechiel (34) kündigt der HErr den Heiland an mit den Worten: „Ich will ihnen einen einigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David (Davids Sohn und Urbild), der soll der Fürst unter ihnen sein, und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen machen, und sie sollen erfahren, dass Ich der HErr, ihr GOtt, bei ihnen bin, und dass sie mein Volk sind. Daniel (7) sah Ihn als eines Menschen Sohn, der in des Himmels Wolken kam vor GOttes Thron, und Ihm ward gegeben Gewalt, Ehre und Reich, dass Ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen sollen und seines Königreiches kein Ende sein soll. Aber er sagt auch von Ihm (9), den Er ausdrücklich Messias, d. h. Christus nennt, Er soll ausgerottet, hingerichtet werden, und nichts mehr sein. Und wunderbarer Weise hat Daniel sogar die Zeit bestimmt, in der das Alles geschehen soll.

Auch die übrigen Propheten beinahe alle sprechen von Christo, wobei sie bald mehr seine allgemeinen Segnungen schildern, bald sehr ins Einzelne gehende Verheißungen geben. So sagt Hoseas, „dass Er sich mit uns verloben und vertrauen wolle, dass Er dem Tod ein Gift und der Hölle eine Pestilenz sein wolle“ (2,13.); Joel (2 u. 3): „dass Er seinen Geist ausgießen wolle über alles Fleisch, dass Er Lehrer zur Gerechtigkeit gebe und sein Volk nicht mehr zu Schanden werden soll;“ Amos (9): „der HErr werde die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten als wahres Reich und Kirche Christi, und wolle ihre Lücken verzäunen, und was abgebrochen ist, wieder aufrichten, dass sie besitzen, in ihr herrschen sollen die Übrigen unter allen Heiden, die übrig geblieben sind aus den Gerichten der letzten Zeit, und denen der Name GOttes gepredigt sein wird. Da soll dann das Gefängnis des Volks Israel gewendet und sie nie mehr aus ihrem Lande ausgerottet werden.“

Micha kündigt an, dass der Messias als König des erneuerten Israel und als mächtiger Durchbrecher sein Volk erlösen werde, dass Er unter großen Völkern richten und viele Heiden strafen werde bis in ferne Lande, und sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen, so dass aller Krieg aufhöre und aus Zion das Gesetz der Welt ausgehe (2,4.). Wenn diese Verheißung die Herrlichkeit des Friedensreiches JEsu schildert, dessen wir jetzt noch warten, so wird im fünften Kapitel zugleich die Erscheinung Christi im Fleisch genau angekündigt mit den Worten, dass das kleine Bethlehem (Ephrata) der Geburtsort dessen sein soll, der in Israel HErr, und des Ausgang sei von Anfang und von Ewigkeit her, sein Volk aber werde dahin gegeben, bis dass die, so gebären soll, geboren habe. Dies geht auf Maria, zugleich aber auch auf das mit der Sonne bekleidete Weib, von dem Offenb. 12 die Rede ist, d. h. auf die wahre Gemeine GOttes in der letzten Zeit. Daher sagt Micha gleich darauf: „Da werden die Übrigen seiner Brüder wiederkehren zu den Kindern Israel.“ Hier heißen die Menschen Brüder des in Bethlehem geborenen ewigen HErrn, und wird verheißen, dass die abgefallenen Brüder, Heiden und Unbekehrte, zum wahren Israel GOttes sich bekehren werden, Er aber, der HErr aus Bethlehem, werde auftreten und werden in der Kraft des HErrn und in der Hoheit des Namens seines GOttes, und Er werde herrlich werden, so weit die Welt ist. Damit ist die Verherrlichung Christi und seines Volkes im tausendjährigen Reich geschildert. Wie wunderbar sind diese Verheißungen, in denen so ganz die tiefsten neutestamentlichen Gedanken bis in die fernste Zukunft, deren wir noch warten, enthüllt sind, Jahrhunderte ehe Christus geboren wurde.

Ähnlich wie im Bisherigen verheißt Zephania (2,3.): „Der HErr werde noch alle Götter auf der Erde vertilgen, dass Ihn anbeten sollen alle Inseln der Heiden, ja, alle Völker sollen des HErrn Namen anrufen und Ihm dienen einträchtiglich. Dann soll Israel, dessen Gefängnis gewendet ist, zu Lob und Ehre werden unter allen Völkern der Erde.“ Durch Haggai (2,7.) kündet der HErr an, dass nun bald aller Heiden Trost kommen soll, durch den der zweite, nach der babylonischen Gefangenschaft gebaute Tempel, so gering er äußerlich war, größere Herrlichkeit bekommen soll als der prachtvolle Tempel Salomo's. Dieser Trost aller Heiden wird von Sacharia (2,8.) geradezu „HErr Zebaoth“ genannt, der die Tochter Zion zur höchsten Freude aufruft und ihr die Verheißung gibt: „Siehe, ich komme und will in Dir wohnen, und sollen zu der Zeit viele Heiden zum HErrn getan werden und sollen mein Volk sein.“ Ja, im neunten Kapitel ist die Verheißung: „Er werde zur Tochter Zion kommen, reitend auf einem Esel, als ein König, als ein Gerechter und Helfer, Er werde Frieden lehren unter den Heiden, und seine Herrschaft werde gehen bis an der Welt Ende, und durch das Blut seines Bundes sollen die Gefangenen ausgelassen werden aus der Grube, da kein Wasser innen ist.“ Im zwölften Kapitel aber erscheint dieser Helfer ganz als Eine Person mit Jehovah selbst, da Er sagt: „Über das Haus David und über die Bürger zu Jerusalem will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets, und sie werden mich ansehen, welchen sie (nämlich ihre Väter) zerstochen (gekreuzigt) haben, und werden Ihn (den Mittler GOttes) klagen, wie man klagt ein einiges Kind, und über ihren Unglauben gegen Ihn sich betrüben, wie man sich betrübt um ein erstgebornes Kind.“ Sogar dass Er um dreißig Silberlinge werde verkauft werden, und dass dieses Geld nachher ins Haus des HErrn hingeworfen werde, was Judas tat, - sogar diese Einzelheit ist Sach. 11,13. angekündigt. Im vierzehnten Kapitel aber endet Sacharia mit den herrlichsten Verheißungen des Sieges Christi über alle Heiden und alle Feinde, so dass sein Name allein gilt in allen Landen, und alle Heiden Ihn anbeten als ihren König.

Vor der Erscheinung dieses Königs sieht Malachia einen Engel hergehen, der Ihm den Weg bereitet (Johannes den Täufer), und ruft dann: „Bald wird kommen zu seinem Tempel der HErr, den ihr sucht, und der Engel des Bundes, des ihr begehrt, aber nicht Alle werden den Tag seiner Zukunft erleiden mögen, denn Er wird sitzen und schmelzen, und sein Volk reinigen, wie Gold und Silber; denen aber, die seinen Namen fürchten, soll in Ihm aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter seinen Flügeln.“ So waren alle wesentlichen Punkte aus dem Leben und aus dem Geschäft und Werk Christi durch die Propheten Jahrhunderte vor seiner Erscheinung angekündigt, bis der letzte Prophet des alten Bundes, Johannes der Täufer, mit Fingern auf Ihn deutete als auf Den, den GOtt selbst ihm gezeigt habe als seinen lieben Sohn und als das Lamm GOttes, das der Welt Sünde trägt, der mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen werde.

In allen diesen Verkündigungen sehen wir, wie der Geist GOttes die fernste Zukunft vor die Gegenwart der Propheten und ihrer Hörer hinstellte, und wie so alle Jahrhunderte der alten Zeit auf Christum, als den einzigen Hoffnungsstein in der dunklen Nacht, hinschauten, und sich sehnten, bis der Morgenstern als Sonne der Gerechtigkeit Alles erleuchte. In dieser Verkündigung JEsu sehen wir ein herrliches Wunder der göttlichen Allwissenheit und der ewigen Liebe, die unser armes Geschlecht nie ohne Trost und Hoffnung ließ, und die Herzen durch das Licht der Verheißungen zu sich zu ziehen, und für das große, ewige Heil immer mehr zu bereiten suchte. Ist so der Inhalt der Verheißungen des alten Bundes uns ein großes Wunder, so ist es

II.

auch die Art, wie diese Verheißungen gegeben wurden. Darüber nachzudenken, gibt unser Text besondere Veranlassung. Es muss uns in ihm sehr auffallen, dass die Verheißung des Immanuel dem Ahas gegeben wurde als ein Zeichen, dass der HErr aus seiner damaligen Not ihn erretten werde. Petah, der König von Israel, hatte sich gegen Juda verbündet mit Rezin, dem König von Syrien, und vor diesen zwei Königen fürchtete sich Ahas und das ganze Volk Juda so sehr, dass sie bebten, wie die Bäume im Walde beben vom Winde. Der HErr ließ durch Jesaja den Ahas ermutigen, und nach unserem Text ihm sagen, er dürfe sich ein Zeichen ausbitten aus der Höhe, aus dem Himmel oder aus der Tiefe der Erde, GOtt wolle ihm irgend ein Wunder in irgend einem Raum der Schöpfung zeigen, damit sein Glaube gestärkt werde. So sehr ließ GOtt sich herab zu der Verblendung des Unglaubens, der nicht glauben wollte, ohne zu sehen. Aber Ahas war zu weit von GOtt entfernt, sein götzendienerisches Herz floh vor GOtt, er fürchtete GOtt und dachte, wenn GOtt ihm helfe, so müsse er sich bekehren von seinem gottlosen Wesen. Daher wollte er, wie unsere Vernunftgläubigen, nichts von Wundern GOttes wissen, weil er GOtt sein Herz und daher auch seinen Glauben nicht schenken wollte. Daher sagte er, ich will es nicht fordern, verstellte sich aber dabei heuchlerisch, als sei es ihm darum, GOtt nicht zu versuchen. Diesen Vorwand seines Unglaubens stellte ihm Jesajas als große Beleidigung GOttes dar, und weil der HErr um so mancher Gerechten willen, die in Jerusalem waren, und um seines Vaters Davids willen den Ahas noch nicht aufgeben wollte, so gab Er selbst ihm ein Zeichen, woraus er sehen sollte, dass Er helfen wolle.

Dieses Wunderzeichen war das: „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger werden und wird einen Sohn gebären, den wird sie heißen Immanuel.“ Diese Verheißung wird Matthäus 1 ausdrücklich auf Christum bezogen als den rechten Immanuel, und in dem Kapitel nach unserem Text erscheint Immanuel als der, der den Rat der Feinde gegen das Volk GOttes zu Nichte mache. Der Prophet sagt: „Beschließt einen Rat und es werde nichts daraus; denn hier ist Immanuel.“ Das konnte ein menschliches Kind nicht. Auch wird das Land Juda das Land Immanuels genannt (8,8.). Demnach muss Immanuel das göttliche Kind sein, das dann gleich darauf im neunten Kapitel „Wunderrat, Gottheld, Ewigvater“ heißt. Aber wie konnte dem Ahas ein Kind, das erst nach 750 Jahren geboren werden sollte, als Zeichen der Hilfe aus einer dringenden Not des Augenblicks vorgehalten werden? Wir können den Sinn so fassen: So gewiss der HErr einst durch das Wunderkind Immanuel die große Errettung von den größten Feinden geben wird, so gewiss wird Er auch jetzt dir helfen.

Doch bleibt auffallend, dass die Geburt des Kindes ganz in die Gegenwart gerückt wird, besonders durch die Worte: „Butter und Honig wird Er essen, bis Er wisse, Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen,“ d. h. bis ins zweite oder dritte Jahr, so lange wird Er Butter und Honig essen müssen, und nichts Anderes haben, weil der Ackerbau durch die Kriegsnot darnieder liegt, daher kurz nach unserem Text (7,22.) Butter und Honig als Erzeugnisse der Wüste und als Nahrung der nach den Zerstörungen Übriggebliebenen genannt wird. Also ist der Sinn: Er wird nur kümmerlichere Nahrung des Kriegszustandes essen bis ins zweite oder dritte Jahr, aber ehe Er dieses Alter erreicht hat, oder wie es im Text heißt, „ehe der Knabe lernt, Böses verwerfen und Gutes erwählen, wird das Land, davor dir graut, verlassen sein von seinen zwei Königen.“ Das geschah wirklich. Der assyrische König Thiglath Pilesser (2 Kön. 16,9.) zog herauf, tötete Rezin, verwüstete Syrien, überwand Pekah und führte einen Teil seines Volkes in die Gefangenschaft. Demnach aber muss das verheißene Kind doch während der Belagerung Jerusalems vor dem Ende der Kriegsnot, die Ahas zittern machte, geboren, und zwei bis drei Jahre alt geworden sein. Daher müssen wir annehmen, dass der Prophet zwei Kinder im Auge hatte, ein zunächst und ein erst nach langer Zeit zu hoffendes. Das zunächst zu hoffende war das, von dem Jesajas gleich nach unserem Text erzählt mit den Worten: Ich ging zu der (nach dem Hebräischen: nicht zu einer) Prophetin, das war seine Gattin, die er wahrscheinlich eben erst geheiratet hatte, daher sie vorher noch Jungfrau heißt, „die ward schwanger und gebar einen Sohn,“ den musste er Raubebald, Eilebeute nennen, denn „ehe der Knabe rufen kann: lieber Vater, liebe Mutter,“ d. h. nach unserem Text: ehe er Böses verwerfen und Gutes wählen kann, soll die Macht Syriens und die Beute Samarias, also Israels, weggenommen werden durch den König von Assyrien. Dies ist ganz das Gleiche, was unser Text sagt, und so war also das Kind, das Jesaja während der Kriegsnot erhielt, für Ahas das Zeichen, durch das GOtt sagte: „ehe dieses Kind zwei Jahre alt ist, wird dir geholfen sein aus der Not der Belagerung.“ Aber dieses Kind erhielt außer dem für die nächste Zeit gültigen Namen „Raubebald, Eilebeute“ auch noch die Namen „Immanuel, Gottmituns, Gotthelf.“ Und diesen Namen erhielt er als das Vorbild des in fernerer Zukunft zu hoffenden Kindes, das als Gottmensch aus aller Not und von allen Feinden erlösen sollte.

Dieses Zusammenfassen eines nahen und eines entfernten Kindes, über das Jesajas vielleicht selbst nicht im Klaren war (2 Petr. 1,20.), ist uns ein merkwürdiges Beispiel von der Art, wie überhaupt die Verheißungen GOttes gegeben wurden. Fast immer war dabei etwas in der Gegenwart das Vorbild für das Zukünftige in Christo. So Isaak für Abraham, der Engel Jehovah und der Gedanke des vollkommenen Propheten für Mose, Salomo für David, David selbst für das Volk, der Prophetenstand (Knecht GOttes) für die Propheten. So war die prophetische, hohepriesterliche und königliche Würde in Israel das Vorbild auf Den, der Alles das in sich vereinigen sollte; so waren die Opfer Vorbild auf sein ewig gültiges Opfer, und so blickte aus der ganzen Gegenwart ein Vorbild für die Zukunft hervor. Alles wies hin auf etwas Vollkommeneres, in dem erst aller Gottesdienst, alle Staats- und Kirchenverfassung ihre Vollendung erhalten sollte.

Dabei schauten die Propheten immer das Zukünftige als ganz nahe, ja als gegenwärtig; wie die Geburt des göttlichen Immanuel nach unserem Text zusammenfiel mit der Geburt eines Sohnes des Jesaja, so erwartete Eva den Schlangentreter bald zu erleben; ebenso Abraham den Segenbringer der Menschheit; Mose den großen Propheten; David heftete seine Blicke schon auf Salomo; Jesaja sagt: „Uns ist ein Kind geboren und ein Sohn ist uns gegeben,“ als wäre er schon da; so sagt er auch von seinen Leiden: „Er ist um unserer Missetat willen verwundet,“ als wäre es schon geschehen. Und wo die Propheten von dem Königreich des Verheißenen reden, da nehmen sie immer seine Erscheinung im Fleisch mit der anderen Zukunft, deren wir jetzt noch warten, zusammen, als ob das ganze Friedens- und Herrlichkeitsreich Christi von seiner Erscheinung an geoffenbart werden würde. Das rührt daher, dass die Propheten Alles, was ihnen der Geist offenbarte, als innere Gesichte vor sich sahen, so dass die ganze Zukunft Christi ihnen wie ein großes Gemälde vor das innere Auge gemalt war. So wenig man nun bei einem Gemälde unterscheiden kann, wie weit die vorn liegenden Häuser und Bäume von den Bergen im Hintergrund entfernt sind, so wenig konnten die Propheten die Zeitunterschiede bemerken. Aber gerade darin zeigt sich die Liebe GOttes, denn so allein waren die Verheißungen voll hohen Trostes für sie; hätten sie denken müssen, es stehe noch Jahrhunderte an, so wäre das für sie wenig Trost gewesen. Aber so standen sie beständig in Erwartung großer Offenbarungen GOttes, und schauten aus der schlechten Gegenwart immer hoffnungsvoll in eine schöne Zukunft, wobei sie nie unter dem Verderben der Gegenwart sich einschläfern ließen, sondern immer etwas Besseres ersehnten, und dazu sich und die Welt zu bereiten und zu erneuern suchten. Keineswegs war dabei Täuschung; denn vor GOtt ist keine Zeit, und nur deswegen schob er die Erscheinung Christi auf, weil sein ganzer Weltplan es erforderte. So erhellt also auch aus der Art, wie GOtt seine Verheißungen gab, seine wunderbare Weisheit und erziehende Liebe. Das Alles aber treibt uns um so mächtiger zum Glauben an den heiligen Sohn GOttes, der so wunderbar von allen Jahrhunderten angekündigt und ersehnt wurde, den alle Propheten wie alle Apostel als den wahrhaftigen Sohn GOttes und einziges Heil der Welt preisen, in dem der ganze alte Bund seine Erfüllung findet, ja dem alle Zeiten und Ewigkeiten zugewandt sind, der allein Licht und Leben in alle Dunkelheit bringt und auf dem allein alle unsere Hoffnung ruht. O liebe Seelen, Ihn darf Keines von uns durch Unglauben beleidigen, wie Ahas durch stumpfe Gleichgültigkeit den HErrn beleidigte, dass Er seine Gerichte ihm androhen musste. Nein, wir sollen sein wie Maria, die zu dem Engel, so unbegreiflich und schwer ihr seine Botschaft war, doch sagte: „Siehe, ich bin des HErrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.“ So wollen wir zu allen Offenbarungen GOttes, auch zu denen, die wir jetzt aus seinen Verheißungen gehört haben, glaubensvoll sagen, wie Samuel und Maria: „Rede, HErr, dein Knecht, deine Magd hört, mir geschehe, wie du willst, mache aus mir und mache aus deinem ganzen Reich und in aller Welt, was dir gefallt.“ Nehmen wir so in kindlichem Glauben Alles an, was das prophetische und apostolische Wort uns verkündet, dann können wir selbst von dem etwas erfahren, was der, Engel zu Maria sagte: „Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“ Wie Christus im Leib der Maria leiblich, so soll Er in uns geistlich geboren werden, auch durch den heiligen Geist, der unsere Menschheit verklären will in die Gottheit. Je mehr wir das bei uns geschehen lassen, desto mehr werden alle jetzt gehörten Verheißungen des alten Bundes an uns erfüllt werden, deren Hauptsumma die Worte GOttes sind: „Ich will in ihnen wohnen und in ihnen wandeln und will ihr GOtt sein, und sie sollen mein Volk sein. Darum aber geht aus von der Welt und sondert euch ab, und rührt kein Unreines an, so will Ich euch annehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein.“ Amen.

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