Kapff, Sixtus Carl von - Am vierten Sonntag des Advents.

Kapff, Sixtus Carl von - Am vierten Sonntag des Advents.

Text: Phil. 4, 4-7.

Freuet euch in dem HErrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen. Der HErr ist nahe. Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo JEsu.

Der HErr ist nahe! - mit dieser Botschaft ruft der Apostel in unserem Texte uns auf zu einer großen und unaufhörlichen Freude. Und über was könnte ein Herz, das JEsum kennt, sich mehr freuen, als über die Botschaft: Er ist nahe. Freut sich eine Braut, wenn ihr Bräutigam kommt, so müssen wir noch viel mehr uns freuen, wenn unser HErr kommt. Er kommt oder Er ist nahe - das gilt in mehrfachem Sinne. Er ist vor unsern Thüren als das heilige Christkindlein, das in dieser teuren Weihnachtswoche mit den reichen Gütern seines Hauses bei uns einkehren will und uns alles das bescheren, was Er von seiner Krippe bis zum Kreuze und bis auf den Thron seiner Herrlichkeit uns erworben hat.

Und mit diesem Segen will Er täglich zu uns kommen, will Wohnung machen in unsern Herzen durch seinen heiligen Geist, und durch dieses innerliche tägliche Kommen will Er uns bereiten auf das herrliche Kommen, das Paulus besonders im Auge hatte bei dem Ruf: „der HErr ist nahe.“ Wir sehnen uns nach seinem baldigen Kommen und möchten es unserer elenden Erde und der armen Menschheit gönnen und wünschen, dass es durch Christi Zukunft auch einmal anders würde und schönere Tage über ihr aufgingen, als die jetzigen Zeiten der Weltherrschaft. Christusherrschaft, Gottesherrschaft, Königreich der Himmel, Reich des Friedens und der allgemeinen Erkenntnis Christi unter allen Völkern - das ist's, wonach wir uns sehnen. Und wer in diesem Sinne seine Erscheinung lieb hat, dem ist der Ruf: „der HErr ist nahe,“ eine hohe Freude. Zu solcher Freude wollen wir uns noch weiter ermuntern, indem wir unter dem Segen des HErrn betrachten:

Die hohe Adventsfreude.

Wir sehen

  1. auf was wir uns freuen,
  2. von welcher Art unsere Freude sein solle.

JEsu, meine Freude,
Meines Herzens Waide,
JEsu, meine Zier,
Ach, wie lang, ach lange,
Ist dem Herzen bange
Und verlangt nach Dir!
Gottes Lamm, Mein Bräutigam,
Außer Dir soll mir auf Erden
Nichts sonst lieber werden. Amen.

I.

Unsere heutige Adventsfreude ist zunächst eine Freude auf den Advent oder auf das Kommen des HErrn, das in der heiligen Weihnacht, der wir entgegengehen, wieder geschehen soll. Warum freuen wir uns auf den Christtag? Unsere kleinsten Kinder sagen: weil wir schöne Sachen bekommen; die verständigeren: weil da der Heiland geboren ist, und wir sagen: weil Er geboren wird, nämlich innerlich in den Herzen, die Ihn kennen und lieben. Zu denen will Er kommen in dieser Weihnacht mit dem vollen Segen seiner ersten Weihnacht und des ganzen darauf gefolgten Lebens. Deswegen gilt jetzt besonders der Ruf unseres Textes: Freuet euch in dem HErrn allewege, und abermals sage ich: freuet euch. Über Nichts in der ganzen Welt haben wir mehr Ursache, uns zu freuen, als über das, was wir in und von dem HErrn haben.

Paulus sprach gerade vor unserem Texte davon, dass die Namen seiner Mitkämpfer und Gehilfen geschrieben seien im Buch des Lebens. Und diese Zuversicht scheint ihn zu dem Ausruf: „Freuet euch in dem HErrn allewege“ getrieben zu haben, wie auch JEsus einmal zu seinen Jüngern sagte, sie sollen sich nicht sowohl darüber freuen, dass ihnen die satanischen Geister untertan seien, als vielmehr darüber, dass ihre Namen im Himmel geschrieben seien (Luc. 10, 20.). Das ist der höchste Gegenstand der Freude über uns selbst und über Andere.

Was wären wir ohne Ihn? Was Israel in Ägypten war, ehe der HErr ihnen half aus der Knechtschaft, was sie in der Wüste gewesen wären ohne des HErrn Hülfe, das sind wir nach unserer Natur, und was die Heiden sind, die ohne Gott leben in der Welt und ohne Hoffnung versinken in den Schrecken des Todes, das wären wir ohne JEsum, und was der reiche Mann ist in der Hölle und was die mit Ketten der Finsternis Gebundenen sind im Abgrund, das würden wir werden, wenn kein Heiland sich unserer erbarmet hätte. Er hat die Riegel zersprengt und die Fesseln zerrissen, durch welche wir in unserer sündlichen Natur gebunden sind. Wen der Sohn frei macht, der ist recht frei. Er ist selbst in unser Gefängnis hereingekommen, hat unsere ungeheure, in Ewigkeit nicht zu bezahlende Schuld auf sich genommen und sich gar selbst für uns geopfert. Dadurch hat Er uns Vergebung aller unserer Sünden und ewige Kindschaft Gottes erworben, so dass wir im Glauben des Sohnes Gottes keine Angst mehr haben, selbst vor dem Tod und vor dem Gericht, sondern uns des getrösten dürfen, dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind, weil die Handschrift, die wider uns war, an JEsu Kreuze ausgetilgt worden ist. Und so wir mit Gott versöhnet sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, vielmehr werden wir selig werden durch sein Leben. Denn in Ihm sind wir gerecht vor dem Richterstuhl Gottes, und haben Frieden mit Gott und einen freudigen Zugang zu seiner Gnade, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll, ja, wir rühmen uns auch der Trübsale, und wissen, dass Hoffnung nicht zu Schanden werden lasset; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.

Wer das erlebt hat, der kann sich freuen in dem HErrn allewege, und der freut sich unaussprechlich auf den Christtag, weil er da Alles, was JEsus in seinem ganzen Erlösungswerk getan und gelitten, sich aufs Neue zueignen darf. Wie im alten Bund am großen Versöhnungsfest alle Israeliten die Versöhnung, die durch den Hohepriester geschah, sich zueignen durften, ebenso dürfen wir an unsern Festen den vollen Segen des ewigen Hohepriesters uns zueignen, und eine gläubige Seele darf sprechen: für mich ist Er geboren, für mich hat Er gelebt, für mich gelitten, für mich ist Er gestorben, für mich auferstanden und aufgefahren, für mich zur Rechten des Vaters erhöhet. So wird das, was JEsus bei seinem äußerlichen Advent auf dieser Erde uns erworben, zu einem innerlichen Advent, wie ihn der HErr verheißt mit den Worten: „Wer mich liebet, der wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ JEsus will kommen zu unsern Herzen und Wohnung in ihnen machen als der heilige Gottmensch, in welchem die von Gott getrennte Menschheit wieder vereinigt ist mit der Gottheit, ja verklärt in die göttliche Natur, nachdem Er in seinem heiligen Leben Alles wiedergebracht hatte, was in Adam verloren war.

Als der zweite Adam, als der neue Mensch nach Gott geschaffen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, so steht JEsus in dieser Weihnachtszeit vor uns und ruft: „Siehe, Ich stehe vor der Thür und klopfe an; so Jemand meine Stimme hören wird und die Türe auftun, zu dem werde Ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Und so will Er alle Tage bei uns eingehen, wenn wir mit herzlichem Verlangen in bußfertigem Glauben uns Ihm aufschließen, alle Tage will Er sich selbst uns geben durch das innerliche Abendmahl, da Er durch seinen heiligen Geist sein Leben uns mittheilt und seine Wahrheit, Liebe und Heiligkeit in uns verklärt.

Solch innerlicher Advent des HErrn ist das allerhöchste Glück, das einem Menschen widerfahren kann. Und dass dieses hohe Glück und diese unvergleichliche Würde auch dir und mir zu Theil werden soll, davon liegt der Beweis in der Krippe zu Bethlehem. Ist Er vom Thron der Herrlichkeit in Fleisch und Blut eingegangen und von einem armen Weibe geboren in einem Stalle, so kann Er auch geboren werden in deinem Herzen und wohnen in deiner Armut. Je mehr du aus dir ausgehest, desto mehr kann Er in dich eingehen, und je sehnsuchtsvoller du nach Ihm verlangest, desto gewisser wird Er zu dir kommen. Da geht es, wie ein Adventslied sagt:

Freu' dich, Herz, du bist erhöret,
Jetzo zeucht Er bei dir ein,
Sein Gang ist zu dir gekehret,
Heiß' Ihn nur willkommen sein,
Und bereite dich Ihm zu,
Gib dich ganz zu seiner Ruh',
Öffne Ihm Gemüt und Seele,
Klag' Ihm, was dich drück‘ und quäle.1)

O wer freut sich nicht, so den HErrn zu empfangen! Was sind alle irdischen Dinge, dass sie unsere Liebe fesseln oder unser Herz geteilt machen dürfen! JEsus ist der Liebenswürdigste unter den Menschenkindern; wo Er einkehrt, da ist Licht, Leben, Friede, Freude, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Weisheit und Seligkeit. Darum freuet euch in dem HErrn allewege, und abermals sage ich: freuet euch!

Wer sich so seines inneren Kommens freut, der kann sich auch auf sein äußerliches zukünftiges Kommen, auf seinen Herrlichkeits-Advent recht freuen, wovon Paulus eigentlich in unserem Texte spricht in den Worten: „der HErr ist nahe.“ Wir sollen die Wiederkunft des HErrn allezeit als nahe erwarten und immer so stehen, dass wir uns darauf freuen können und zu denen gehören, die seine Erscheinung lieb haben, wie Paulus sagt. Wer sagt, der HErr kommt noch lange nicht, und wer es gar nicht wünscht, dass Er bald kommen möchte, der hat keine rechte Liebe zu Ihm. Und fürchten müssen seine Zukunft alle die, welche im Irdischen verstrickt, im Fleisch gebunden, innerlich von JEsu abgekehrt und Ihm fremd sind. Solche Seelen mögen jetzt schon Ihm nicht in's Angesicht schauen, nicht mit Ihm reden, nicht zu Ihm beten. Für sie ist sein Kommen ein Blitz in dunkler Nacht, ein Fallstrick zu Angst und Pein. Solche werden heulen, wenn Er kommt in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.

Ach, liebe Seelen, der HErr bewahre uns in Gnaden, dass wir nicht zu denen gehören, die so mit Zittern und Heulen Ihn kommen sehen, sondern zu denen, welchen Er sagt: „wenn dieses anfängt zu geschehen (nämlich die Zeichen seiner Zukunft), so sehet auf und hebet eure Häupter auf, darum, dass sich eure Erlösung nahet.“ O wer freut sich nicht auf diese Erlösung, da alles Antichristentum zunichte, der Satan gebunden und alles Einflusses beraubt, der Fluch von der Erde genommen und ihre ganze Oberfläche von der Ehre des HErrn wie mit Meereswellen bedeckt sein wird! Wer sollte sich nicht freuen auf dieses selige Friedensreich, in dem aller Streit und Krieg aufhört, alle Königreiche und Kronen Christo übergeben sind und die Heiligen mit Ihm regieren! Die schönsten Gedanken, die unser Geist über eine wahre Gottesherrschaft auf Erden sich bilden kann, treten dann in Wirklichkeit, und alle die teuren Verheißungen Gottes werden erfüllt, so dass alle Welt sehen und mit Händen greifen wird, dass alle Worte Gottes Wahrheit sind, dass alle Absichten seines ewigen Liebesvorsatzes zu ihrem Zweck und Ziel kommen müssen, und es nicht an Einem fehlen darf zur Offenbarung der göttlichen Heils- und Lebensgedanken in sichtbarer Herrlichkeit.

Und wenn auch das Alles nicht wäre, nur Ihn sehen in seiner königlichen, göttlichen Majestät und doch zugleich in seiner liebevollen Freundlichkeit - JEsum sehen und seinen Glanz in uns überströmen zu lassen, schon das muss eine unaussprechliche Freude sein, eine Freude, bei der der Ruf: „der HErr ist nahe,“ uns mit heiligem Wonneschauer durchbebt. Doch wollen wir noch genauer betrachten:

II.

von welcher Art diese Adventsfreude sein solle. Das sagt unser Text: es soll eine große, allewege fortdauernde Freude in dem HErrn sein, eine fröhliche Bewegung des Gemütes, ein innerliches Wonnegefühl über das hohe Glück, das wir in JEsu jetzt schon zu genießen und noch viel mehr zu hoffen haben. Wie unsere Kinder sich aus aller Macht auf den Christtag freuen und die Tage zählen, bis er kommt, und wie dann, wenn die Türe sich auftut und die Gaben in die Augen leuchten, ein Jauchzen und Hüpfen angeht und ein Glück, wie kein König es mehr empfindet, so sollte unsere Freude sein; und wenn sie auch ganz still, vielleicht von außen niedergedrückt und gedämpft ist, so soll doch tief im Herzensgrund eine heilige Freude wohnen, ein in dem HErrn seliger Dank und ein Lob, das erkennt, dass es nichts Höheres gibt auf der ganzen Erde, als die Gemeinschaft mit JEsu und alles das, was man jetzt schon in Ihm hat. O, prüfe sich doch ein Jedes, ob es auch etwas von dieser Christfreude bei sich findet! Es wäre doch traurig, wenn eine Seele unter uns wäre, die dem hohen Freudenfest der Christenheit ohne Freude entgegen ginge, die entweder bloß in irdischer Lust und irdischem Gut ihr Vergnügen fände oder von irdischer Last sich so einnehmen ließe, dass der Heiland mit seinen reichen himmlischen Gaben sie gleichgültig ließe. Nein, wie Kinder wollen wir der Christfreude uns hingeben und die Thüren unserer Herzen auftun, dass das heilige Christkindlein bei uns eingehen und mit seinen himmlischen Gütern uns segnen könne.

Und gegen alles Irdische, das uns etwa beschweren könnte, wollen wir in unserer Christfreude so gesinnt sein, wie es unser Text gebietet: „Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden.“ Am zweiten Advent hörten wir die Warnung, wir sollen nicht bloß vor Fressen und Saufen, sondern besonders auch vor Sorgen der Nahrung uns hüten, damit unsere Herzen nicht beschwert, mit Irdischem angefüllt, sondern frei, Gott offen, himmlisch gesinnt dem großen Tag seiner Zukunft entgegengehen. Dinge, die offenbar gegen Gottes Wort sind, machen uns weniger zu schaffen, als die Sachen, um die wir uns bekümmern und bemühen müssen, Sorgen der Nahrung, Berufsgeschäfte, Pflichten gegen Menschen und dann so Manches, das wir haben und genießen dürfen, wobei aber die Grenze zwischen dem Zuviel und Zuwenig große Vorsicht und offene Geistesaugen erfordert. Am liebsten möchte man alles Irdische wegwerfen und sich gar nichts mehr darum kümmern; weil wir aber Nahrung und Kleidung haben und für Haushaltung und Kinder sorgen müssen, deswegen kommt es darauf an, dass unsere Sorge rechter Art sei, und das ist sie dann, wenn wir nach Pauli Befehl „nichts sorgen“, d. h. uns keine ängstliche, fleischliche, ungläubige Sorge machen, sondern zwar fleißig das Unsere tun, aber kindlich Alles, was uns nötig und heilsam ist, von der Gnade des HErrn erwarten. So alle unsere Sorge auf Gott zu werfen und vertrauensvoll in Ihm zu ruhen, das ist uns hier in der Kirche leicht: aber im Leben und unter des Tages Last und Hitze und unter so mancherlei Nöthen, Trübsalen und Sorgen, da bleibt unser Auge so oft am Sichtbaren hängen, und die unsichtbare Welt mit ihren Tröstungen ist uns wie verschlossen.

So ging es selbst dem starken Glaubenshelden Luther. So groß gewöhnlich sein Vertrauen war, so hatte er doch auch Stunden und sogar Tage, in denen er tief niedergeschlagen war, wie Einer, der keinen versöhnten Gott im Himmel hat. Da tadelte, ermahnte und tröstete ihn dann oft seine treue Gattin. Einmal aber wollte aller Zuspruch nicht helfen, und in schwerer Bekümmernis und Sorge ging er auf eine Reise und von Sorgengewölk umhüllt kam er wieder zurück. Aber was fand er da? Mitten in seiner Stube saß seine Gattin in schwarzem Trauerkleid, mit schwarzem Tüchlein auf dem Haupt und mit nassem Taschentuch in der Hand. Als Luther fragte, warum sie so tief in Trauer sei, da sagte sie nach langem Schweigen: „ach, lieber Martin, unser lieber HErr Gott ist gestorben, darum traure ich so.“ Da freute sich Luther über die Weisheit seiner Frau und sagte: „ja, du hast Recht, liebe Käthe, ich habe mich recht durch meinen Unmut versündigt und getan, als wenn kein Gott im Himmel wäre.“ Er gewann wieder hohe Freudigkeit und Glaubensmut. So wollen wir auch durch das düstere Sorgengewölk durchbrechen und unter den schwersten Umständen daran festhalten, dass unser starker Gott und Heiland, der aus dem Meer und aus den Flammen und aus Allem helfen kann, lebt ohne Ende, und nicht schläft noch schlummert, sondern allezeit seine Augen über uns offen stehen und seine Hand stets ausgereckt ist, uns zu helfen. Auch in diesem Sinn gilt das Wort unseres Textes: „der HErr ist nahe“. Er ist bei uns, wir sind nicht allein in unsern Sorgen-, Kranken-, Armuts-Stübchen und Trübsals-Kämmerlein, seine allmächtige Allgegenwart umgibt uns wie die Luft und seine rechte Hand kann im Augenblick Alles wenden und Finsternis verwandeln in Licht. Daher wollen wir nach dem Gebot unseres Textes unsere Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung für so viele schon erfahrene Hülfe und Treue vor Gott kund werden lassen.

Ist so unser Herz ein Altar, von dem heilige Dankopfer und die Brandopfer einer völligen Hingabe an den HErrn allezeit aufsteigen, da ertönen auch, wie bei den Opfern im Tempel, die heiligen Lob- und Freudenlieder; denn je mehr wir beten, desto mehr freuen wir uns in dem HErrn, aus dessen Heiligtum auf alle betenden Seelen ein Friede ausströmt, der nach unserem Text höher ist, als alle Vernunft, so dass Niemand, der es nicht selbst erfahren hat, es begreifen, und der es erfahren, es doch nicht aussprechen kann. Es ist ein Friede, bei dem Gott sich dem Herzen mittheilt, es zum Himmel hinaufzieht, über alles Irdische und über alle Feinde in Gegenwart und Zukunft erhebt, über alle Sündennot tröstet und in seliger Gemeinschaft ruhen lässt. Dieser Friede, den nur die Versöhnung in JEsu gibt, ist erhaben über die Zweifel der Vernunft, über die Sorgen, Anfechtungen und Schmerzen, von denen wir umgetrieben werden, so lange wir nicht recht im Glauben, sondern in vernünftiger, menschlich-kluger Anschauung und Berechnung der Dinge stehen. Wo das ist, da ist noch keine rechte und vollkommene Freude. Nur wo das Herz in kindlichem Glauben den Frieden Gottes hat, und Gott nichts als Gutes zutraut, nur da ist ungestörte Freude.

Unsere Kinder sorgen nicht für den Christtag, fürchten nicht, vergessen zu werden, sondern überlassen sich ganz nur der Freude. So wollen wir auch sein, wollen alle Sorge auf Ihn werfen, wie man eine schwere Last auf den Boden wirft; Er sorget für uns, Er kennt alle unsere Bedürfnisse und Umstände, und hat uns noch nie etwas abgeschlagen, das uns gut war. Ruhen wir im Glauben an Ihn, so wird sein Friede, der mehr ist, als alle menschliche Klugheit, Weisheit, Arbeit und Gerechtigkeit, er wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christo JEsu - in Christo, das will viel sagen, nicht bloß bei oder mit Christo, sondern in Ihm, Er soll unser Element sein, in dem wir atmen, in dem wir uns bewegen und empfinden, sehen und hören, so dass unsere Sinne und Glieder und Herzen und Gedanken bewahrt werden vor dem, was die Freude stört, aufgehoben, geborgen in Ihm, dem ewigen Friedefürsten.

Bei dieser Gesinnung ist aber Ein Punkt in unserer Epistel, dessen wir noch zu gedenken haben, die Hauptsache: Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen, d. h. eure Billigkeit, Freundlichkeit, Sanftmut, Geduld, kurz eure Liebe lasset zu Theil werden allen Menschen, allen Menschen - also auch denen, die uns weniger angenehm, sogar zuwider sind; wie JEsus für Alle geboren ist und sein Weihnachtskommen ein Freudenfest für die ganze Menschheit ist, so sollen auch wir alle Menschen, mit denen wir im Umgang sind, an unserer Freude Theil nehmen lassen. Wüssten wir hier Ein Kind, das auf Weihnachten gar nichts bekäme, so würden wir uns gedrungen fühlen, ihm auch eine kleine Freude zu machen. Aber Solchen, die den nächsten Anspruch auf unsere Liebe haben, Brüdern, Schwestern, mit denen wir in Einem Orte, in Einer Gasse oder gar in Einem Hause sind, ja vielleicht den nächsten Angehörigen, denen sollte unser Herz sich verschließen können, und während wir von Freude sprechen, sollten wir Andern zum Leide sein? Wie taugt das zusammen!

Allen Menschen lasset kund sein eure Liebe und Freude. Die Liebe zeigt sich in drei Punkten: in Geben, Nachgeben, Vergeben. Wer davon nichts hören und es nicht üben will, für den gibt es gewiss keine rechte Weihnachtsfreude. Denn Gott misst uns zu, wie wir messen. Verschließen wir uns gegen die, die wir lieben, schonen, tragen sollten, so verschließt Er sich auch gegen uns. Sind wir dagegen hingebend gegen Andere, so ist Er auch um so reicher und gnadenvoller in der Hingebung und Mittheilung an uns. Je größer unser Friede mit Andern, desto größer ist unser Friede mit Gott, und Gottes Friede mit uns und in uns. Mit solchem Frieden kehre JEsus in unsere Herzen ein und schenke uns so völlige und ewige Freude! Er erfülle unsere Armut mit seinem Reichtum, unsere Schwachheit mit seiner Kraft, unsere Mängel alle mit seiner reinen Gerechtigkeit und unser ganzes irdisches Elend mit seiner vollen Seligkeit! Amen.

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Paul Gerhardt
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