Kapff, Sixtus Carl von - Am zweiten Trinitatis-Sonntag.

Kapff, Sixtus Carl von - Am zweiten Trinitatis-Sonntag.

Text: 1 Joh. 3,13-18.
Verwundert euch nicht, meine Brüder, ob euch die Welt hasst. Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode. Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger; und ihr wisst, dass ein Totschläger nicht hat das ewige Leben bei ihm bleibend. Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. Wenn aber Jemand dieser Welt Güter hat, und steht seinen Bruder darben, und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt die Liebe GOttes bei ihm? Meine Kindlein, lasst uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.

GOtt ist die Liebe - dieses herrliche Wort des Johannes hat vor acht Tagen mit lieblichem Klang und göttlicher Kraft unsere Seelen durchdrungen und uns ermuntert, der ewigen Liebe nach auch in der Liebe zu bleiben. Auch unser heutiger Text gibt uns diese Ermahnung und zeigt uns, dass nur ein Leben in der Liebe ein wahres Leben ist; dagegen wo keine Liebe ist, da ist Tod und Finsternis. Denn nur in Gott ist Leben, GOtt aber ist die Liebe. Wie groß seine Liebe sei, davon gibt auch das heutige Evangelium einen tiefen Eindruck. Da hören wir, wie dringend und wiederholt der HErr zu seinem Abendmahl, d. h. zu den reichen Segnungen seines Reiches einlädt, und wie Er durch die Verachtung und Weigerung der Geladenen nicht müde wird, Andere zu rufen, und zwar Arme, Krüppel, Lahme und Blinde, also Leute ohne alle Würdigkeit: ja selbst von den Landstraßen und Zäunen lässt Er die Verlassensten und Verworfensten hereinkommen; Niemand will Er ausstoßen; Alle, Alle umfasst seine unendliche Liebe, Allen will Er Leben, Freude und Seligkeit geben.

Diese unergründliche Liebe GOttes fordert auch von uns, die wir Ihm ähnlich werden sollen, das, was sein Wesen ist, Liebe und zwar allgemeine Liebe gegen alle Menschen, ganz besonders aber Liebe gegen die Brüder. Solche Liebe nennt unser Text als die Eigenschaft, an der wahre oder falsche Christen erkannt werden und wonach auch Jeder für sich selbst prüfen könne, ob er aus dem Tode in das Leben gekommen sei. Andererseits aber stellt Johannes die Liebe auch als eine Quelle des Lebens dar, ohne die wir ewig im Tode bleiben müssten. Wir wollen über diese Wahrheiten weiter nachdenken, indem wir unter dem Segen des HErrn betrachten:

Wie notwendig die wahre Bruderliebe sei,

  1. als Probe unseres geistlichen Lebens,
  2. als Bedingung ewigen Lebens.

O Quelle reinster Triebe,
Unendlich's Meer der Lebe,
Von lauter Geben Aus dem Leben
Unerschöpflich's All!
Unwandelbare Stille, Doch höchst geschäft'ge Fülle
Für alle Zeiten, Ort' und Weiten
Vor und nach dem Fall.
Kurz: ewig reiche Güte! Welch dankbares Gemüte
Kann hierauf sinnen, Das von Innen
Nicht vor Liebe wall'?

O wirke solches Wallen der Liebe zu Dir und zu allen Deinen Kindern in unser Aller Herzen durch Deinen heiligen Geist. Amen.

I.

Die wahre Bruderliebe ist die Probe und der Beweis, dass ein geistliches Leben in uns sei; wo dagegen die Bruderliebe fehlt, da ist kein geistliches Leben. Darüber enthält unser Text mehrere sehr ernstliche Ausspruche. Zuerst den: „Verwundert euch nicht, ob euch die Welt hasst.“ Hass gegen die Kinder GOttes ist ein Kennzeichen der Welt, und man darf es als ganz entschieden betrachten, dass, wer die Brüder und Schwestern nicht liebt, der gehört noch zur Welt. Der Welt ist es überhaupt etwas Natürliches, zu hassen oder nicht zu lieben. Welt sind ja die Menschen, die keinen Heiland haben und auch keinen wollen, die sich nicht als Sünder erkennen und daher nicht in Christo ihr Heil und Leben suchen und nicht durch den Geist sich heiligen und erleuchten lassen. Solche Seelen wissen nicht, was wahre Liebe heißt; denn sie lieben nur sich selbst, und halten dieses Leben der Selbstliebe und Selbstsucht für das rechte und wahre. Was sie von ihrer Menschenliebe rühmen, ist entweder bloße Gutmütigkeit und Weichheit, oder ist es durch Eigennutz, Vergnügungssucht und Ehrbegierde verunreinigt; man liebt Andere, soweit von ihnen ein Nutzen, eine angenehme Unterhaltung, ein Lob zu hoffen ist; selbst in dem, was im höchsten Grad Liebe heißt, in der Ehe, liebt man im Anderen nur das eigene Ich.

Solche Selbstliebe widerstrebt der Bruderliebe. Wer noch kein Leben GOttes in sich hat, dem sind die Menschen, die ihr Herz JEsu ergeben haben, zuwider; denn sie gehören einer anderen Welt an, dem unsichtbaren Reiche JEsu Christi, und wo ihr Schatz ist, da ist ihr Herz und ihre Liebe, während dagegen das Irdische ihnen unwichtig und das Weltliche und Ungöttliche gar zuwider ist. Solche Geistesmenschen kann die Welt nicht lieben, sie sind ein beständiger Vorwurf gegen die Welt; jeder unbekehrte Mensch fühlt tief im Innersten, so oft er einen bekehrten Menschen sieht, den Geist in sich sprechen: so solltest du auch sein; Beten, im Worte GOttes lesen, die eitle Weltlust fliehen, nicht Alles mitmachen, die Sünde lassen, still, gesammelt, der Ewigkeit zugekehrt - so solltest du auch leben. Aber das Fleisch widerstrebt dieser Stimme des Geistes und hilft sich durch Spott gegen die Geistesmenschen, und verschließt sich im Hass immer mehr gegen ihren Geist. Daher ist der Hass oder wenigstens die Widrigkeit gegen die Kinder GOttes ein sicheres Kennzeichen aller unbekehrten, weltlich und fleischlich gesinnten Menschen.

Dagegen ist die Bruderliebe ein Beweis von geistlichem Leben. Daher fährt Johannes in unserem Texte fort: „Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder.“ Dieses „denn“ ist sehr zu bemerken; es gibt den Sinn: daraus, dass wir die Brüder lieben, erkennen wir, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind. Die Bruderliebe ist also ein Beweis und eine Probe der Bekehrung oder des Übergangs aus dem Tod in das Leben. Das Leben des natürlichen Menschen heißt hier Tod, ein geistlicher Tod, in dem die Seele nur für irdische Dinge wacht, für himmlische und göttliche aber in tiefem Todesschlummer wie abgestorben ist, ohne Empfindung und ohne Bewegung dafür, wie ein leiblich Toter keine Empfindung und keine Bewegung hat, weil das Herz, von dem alles Leben ausgeht, gebrochen ist im Tode.

Der Herzschlag des geistlichen Lebens ist die Liebe, nicht eine irdische, fleischliche, selbstsüchtige Liebe, sondern eine göttliche, aus der Liebe GOttes in Christo JEsu durch den heiligen Geist gepflanzte Liebe, da das Herz nicht mehr sich lieben kann, vielmehr um seiner tausendfachen Sünde willen sich selbst verdammt, sein eigen Leben hasst, wie Christus gebietet und so seiner Ichheit abstirbt; vielmehr liebt das Herz Den, in dem es allein Vergebung, Gerechtigkeit, Friede und Ruhe findet, weil Er uns bis in den Tod geliebt und so zu seinem ewigen Eigentum erkauft hat. Solche Liebe zu JEsu, bei der wir ganz in Ihm sein möchten, treibt auch notwendig zur Liebe gegen die Brüder, Denn Christus ist das Haupt derer, die im Glauben und in der Liebe mit Ihm vereinigt sind; wer JEsum liebt, der muss auch die lieben, die Glieder an seinem Leib sind; wer GOtt liebt, der muss auch die lieben, die aus GOtt geboren sind durch den heiligen Geist, und die als Kinder des Einen himmlischen Vaters Brüder sind unter einander. Daher ist die Liebe zu den Brüdern und Schwestern ein Beweis und eine Probe, dass ein geistliches Leben angefangen, dass wir aus dem Tod der Selbst- und Weltliebe gekommen sind in das Leben, das allein wahres Leben ist, in das Leben der Liebe JEsu und so der Gemeinschaft mit GOtt.

Willst du also wissen, liebe Seele, ob du bekehrt und wiedergeboren und also auf dem rechten Weg zum Leben bist oder nicht, so prüfe dich, wie viel Liebe du hast zu den Brüdern und Schwestern. Findest du in deinem Herzen noch viel Widrigkeit, viel unfreundliches, kaltes Wesen, viel Eifersucht, Neid, Missgunst, Empfindlichkeit und Unversöhnlichkeit, die nichts vergeben und vergessen kann, viel Eigenliebe, die sich hoch über Andere erhebt und gegen sie verschließt, findest du solche Lieblosigkeit in dir: so kannst du ein gläubiger, ein betender, ein erweckter Christ sein, aber ein bekehrter und wiedergeborener Geistes- und GOttesmensch bist du noch nicht.

Der fromme Nikolaus Lange lernte zu Berlin eine Frau kennen, die viel Erkenntnis in göttlichen Dingen und eine vortreffliche Rednergabe befass, daher sie von Vielen als eine sehr geistreiche und fromme Frau bewundert wurde. Aber sie lebte von ihrem Manne getrennt. Lange war deswegen zurückhaltend gegen sie. Da fragte sie ihn einmal, was er von ihr halte? Offen sagte er: „Noch zehnmal mehr hielte ich von Ihnen, wenn Sie Ihrem Manne ordentlich Haus hielten, seine Wäsche und Küche besorgten und auch seine Wunderlichkeiten mit sanftmütiger Liebe ertrügen.“

Aber du entschuldigst dich damit, es gebe so viel Ärgernisse an den Brüdern und Schwestern, so viele Fehler, Unlauterkeiten, Unredlichkeiten, ja Sünden, die man von Bekehrten gar nicht mehr erwarten sollte, ob man denn da nicht irre werden müsse und die Liebe aufgeben. Es ist traurig, dass solche Ärgernisse vorkommen; es ist traurig, dass solche, die den Namen haben, dass sie fromm sind, es oft in der Tat und im Leben nicht sind, sondern mehr bloß mit dem Munde, und dass solche, die einen sehr schönen Anfang gemacht haben, oft wieder abkommen und nachlassen in der Liebe, in der Selbst- und Welt-Verleugnung, in der Demut und kurz, in der rechten Nachfolge JEsu. Das ist sehr traurig. Aber muss man deswegen an Allen verzweifeln? sind deswegen, weil Viele fehlen, Alle der Liebe unwert, und auch die Fehlenden selbst, darf man sie nicht mehr lieben? Weil Judas ein Heuchler war, waren's deswegen alle Apostel? Und da Petrus den HErrn verleugnete, durften darum die Anderen Ihm ihre Liebe entziehen? War darum Alles an ihm schlecht und verwerflich? So urteilt bloß ein finsterer, selbstsüchtiger, schadenfroher Sinn. Aber die Liebe deckt auch der Sünden Menge; die Liebe lässt sich nicht erbittern, sie vertraget Alles, sie glaubt Alles, glaubt gern überall das Beste, sie hofft Alles, sie duldet Alles.

Um das um so leichter zu können, darfst du ja nur in dein eigenes Herz blicken; ist denn nicht auch an dir viel zu tragen? hast denn du nicht auch Fehler, um derentwillen du selbst dich aller Liebe unwert achten musst? O gewiss, es gibt keine Entschuldigung für die Lieblosigkeit, sondern es bleibt dabei, so viel es dir an Liebe fehlt, so viel fehlt es dir noch am rechten Wiedergeburtsgrund; so viel du aber Liebe hast, Bruderliebe, tragende, geduldige, sanftmütige, verzeihende Liebe, auch allgemeine Menschenliebe, besonders priesterlich fürbittende Liebe, so viel bist du nach unserem Texte aus dem Leben zum Tode gekommen, so viel bekehrter Geist- und GOttes-Mensch bist du. Je mehr du also Liebe hast, desto mehr ist von deinem Christentum zu halten; dagegen je weniger Liebe du hast, desto weniger Wert hat dein ganzes Christentum. Wisse es, so urteilt auch die Welt. - So wenig sie sonst in geistlichen Dingen versteht, darin hat sie vollkommen Recht, dass sie die Liebe zum Maßstab des Christentums macht. Durch Liebe kann man daher der Welt mehr predigen, als durch die schönsten Worte. Liebe gewinnt die Herzen für Christum; Liebe empfiehlt den Glauben und treibt zur Nacheiferung des selbst- und weltverleugnenden Sinnes. Und je mehr die Liebe mit Sanftmut und Geduld auch Fehlende tragen kann, desto mehr ist sie ein Beweis gründlicher Selbsterkenntnis und Buße, herzlicher Gemeinschaft mit JEsu von dem man das allein lernt, und so des geistlichen Lebens.

Ist so die wahrhafte Bruderliebe die notwendige Probe, dass Leben aus GOtt in uns sei, so müssen wir noch mehr sagen, nämlich dass sie

II.

die Bedingung eines wahren, geistlichen Lebens und so selbst des ewigen Lebens sei. Wie wir einem Ausländer, der in unser Land ziehen wollte, sagen würden, du kannst hereinziehen unter der Bedingung, dass du alle Gesetze des Landes beobachtest, ebenso müssen wir Jedem, der in den Himmel kommen möchte, sagen: du kannst hineinkommen unter der Bedingung, dass du wahre Bruderliebe hast. Ohne Liebe aber hast du kein geistliches Leben und so kein ewiges Leben zu hoffen. Das sagt unser Text mit klaren Worten. Wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode, in dem geistlichen Tod der verdorbenen Natur, in der Selbstsucht, die für göttliches Leben abgestumpft ist, in der Fleischlichkeit, die überall nur sich selber sucht, nicht was GOttes und des Nächsten ist. O Geliebte, wie ernst lauten diese Worte! Wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode. Vor nichts entsetzt sich unsere Natur so, wie vor dem Tod. Wer aber ohne Liebe ist, der bleibt im Tode. Ja noch stärker: „wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger.“ Da stellt Johannes die Lieblosigkeit wie einen Mord dar. Der Mord fließt aus dem Gedanken: „wenn du nur nicht mehr da wärst.“ Solcher Hass des Herzens ist vor GOttes Angesicht ein innerlicher Mord.

Haben wir noch nie solche Gedanken in uns gehabt über Menschen, die uns zuwider sind, die unserem äußerlichen Glück im Wege stehen, die uns mancherlei Übungen bereiten oder die wir als Feinde Christi mit Recht hassen zu dürfen glauben, die wir aber doch auch aus eigener Widrigkeit nicht leiden können, haben wir da noch nie gedacht: wenn der und der, wenn die und die nur nicht mehr da wäre? Solche Gedanken des Hasses machen uns nach unserem Text zu Totschlägern, nicht vor Menschen, da heißen bloß die Mörder, die Einen getötet haben, aber vor GOtt, der das Herz ansieht, der den bösen Gedanken mit dem, was unter Umständen daraus hervorgehen könnte, zusammennimmt. Vor diesem heiligen Richterstuhle heißt der Feindselige, Hass- und Rachsüchtige, im wilden Zornfeuer Zufahrende, mit Schmähen, Verleumden, hartem Richten dem Nächsten wehtuende Mensch - er heißt Totschläger - und von solchem sagt Johannes: „Ihr wisst, dass ein Totschläger nicht hat das ewige Leben bei ihm bleibend.“ Nach diesen Worten muss das ewige Leben schon in dieser Welt bei uns anfangen dadurch, dass wir in GOtt sind, dass wir durch JEsum von der Sünde und ihren ewigen Strafen los, mit GOtt versöhnt und so seiner Gerechtigkeit und seines Lebens teilhaftig werden und die gewisse Hoffnung des ewigen Lebens haben.

Wenn aber auch eine Seele so das Leben in sich bekommen hat, aber dem Element des Lebens, der Liebe, nicht treu bleibt, so verliert sie mit der Liebe auch das Leben und hat in ihrer Lieblosigkeit nach unserem Text das ewige Leben nicht bei sich bleibend. Nur wer in der Liebe bleibt, bleibt in GOtt und also im Leben. Daher ist die Liebe die Bedingung alles wahren, geistigen und ewigen Lebens. Bedingung - nicht so, als ob man sich nicht bekehren könnte, ohne vorher in der Liebe zu stehen, vorher brav zu sein. Dieses so häufige Missverständnis soll Niemand aus dem Wort „Bedingung“ ziehen. Die Bedingung der Begnadigung ist bloß bußfertiger Glaube an JEsum; wer so an Ihn glaubt, der wird gerecht und hat in Ihm allein alle Hoffnung der Seligkeit. Aber des Glaubens Frucht muss die Liebe sein und ohne die Liebe ist der Glaube tot. Ja, im Glauben selbst ist ein gewisses Maß von Liebe eingeschlossen; denn es kann sich Keiner bekehren ohne eine gewisse Liebe zu GOtt. Aber diese Liebe muss immer mehr wachsen durch die Bekehrung und besonders auch wachsen zu aufrichtiger Bruderliebe und allgemeiner Menschenliebe. Dazu muss uns die Liebe GOttes treiben, die in der Bekehrung uns wie eine helle Sonne aufgeht. Daher begründet unser Text die aufopfernde Bruderliebe durch Einweisung auf die göttliche Liebe. Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. Der Grund der ganzen Schöpfung, der Grund des ganzen Erlösungswerkes und der Grund aller der Wirkungen, womit der HErr täglich an uns arbeitet, ist die Liebe GOttes, die unendliche Liebe, in der Er sich selbst mitteilt. Wie Er sein Wesen dem Sohne gegeben hat, so hat der Sohn sich uns gegeben, ja sich für uns geopfert am Kreuze und sein heiliges Leben gelassen. Diese Liebe bis in den Tod war der Grund seines Erlösungswerkes und dieser Liebe haben wir unser ganzes Heil zu verdanken in Zeit und Ewigkeit.

Wie so in GOtt die Liebe der Grund von allen seinen Werken ist, so muss auch in uns die Liebe aus GOtt überfließen, die dann der Grund eines wahren geistlichen Lebens und so des ewigen Lebens bei uns wird. So viel wir in der Liebe sind, so viel sind wir in GOtt und so im Leben, aber auch so viel wir in GOtt sind, so viel sind wir in der Liebe; denn GOtt ist die Liebe und GOtt ist das Leben.

Nur wollen wir nicht vergessen, dass unsere Liebe nicht bloß in schönen Gefühlen und Rührungen bestehen darf, auch nicht bloß in sanften, schönen und freundlichen Worten, sondern in Werken sich offenbaren muss. Daher sagt unser Text: „Lasst uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.“ Es wird gar viel von Liebe gesprochen, es geht gar manchmal, wie Jakobus sagt in den Worten: „so ein Bruder oder eine Schwester bloß wäre und Mangel hätte der täglichen Nahrung und Jemand unter euch spräche zu ihnen: GOtt berate euch, wärmt euch, sättigt euch, gäbe ihnen aber nicht, was des Leibes Notdurft ist, was hälfe sie das?“ Eine solche Liebe in freundlichen Worten, aber ohne Tat und Leben ist wie Wolken, die keinen Regen geben, und wie Bäume, die zwar blühen, aber keine Frucht bringen.

Über solche heuchlerische, kalte, zurückhaltende Liebe sagt Johannes in unserem Texte: „Wenn Jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt die Liebe GOttes bei ihm?“ GOttes Wesen ist Mitteilung; in seinem Sohn hat Er sich selbst uns gegeben; täglich tut Er über Millionen seine milde Hand auf und sättigt Alles mit Wohlgefallen: so ist auch bei uns die Liebe nur dann echter Art, wenn sie auch gerne gibt und mitteilt, wie ein Schatz sich auftut für solche, die der Hilfe, des Trostes, Rates und tätiger Unterstützung bedürfen. Ja unser Text verlangt sogar, dass wir das Leben für die Brüder lassen sollen. So weit soll unsere Selbstverleugnung und Aufopferung gehen. Ist das nicht zu viel verlangt? Ach, nein! wir sind Ihm viel mehr schuldig, als das. Er hat sein Leben für uns gelassen, der Heilige für die Sünder, die keiner Gnade wert sind. Die Liebe und Dankbarkeit, die wir dafür Ihm schuldig sind, muss uns treiben, für Ihn und wenn Er es haben will, auch für die Brüder das Leben zu lassen. Das haben auch schon viele Tausende in der christlichen Kirche getan. Wie die Märtyrer aus Liebe zu JEsu unter schrecklichen Qualen freudig ihr Leben hingeopfert und den Tod wie ein Siegesfest begrüßt haben, so sind auch schon Viele das Opfer ihrer Menschenliebe geworden, haben in Verpflegung tödlich Kranker, oder in Rettung solcher, die in Wasser- oder Feuers- oder anderen Nöten dem Tode nahe waren, ihr Leben zum Opfer gebracht. So gut, als diese es konnten, werden wir es auch können. Nur dann ist unsere Liebe vollkommen, nur dann schließt auch der Himmel, der in der Liebe ist, sich uns ganz auf. Dagegen das Verschließen des Herzens in kalter Zurückhaltung, in Selbstsucht und Hochmut, in Neid und Geiz, oder in stumpfer Gleichgültigkeit und Trägheit, solches Verschließen des Herzens gegen Andere verschließt- uns das Vaterherz GOttes und so den Himmel, dass unser Gebet nicht erhört wird und wir keinen freudigen Zugang zu GOtt haben. Wer seinen Bruder nicht liebt, der hat auch keine rechte Liebe zu GOtt und daher kann GOtt auch ihn nicht lieben.

Deswegen ist wahre Bruderliebe eine der ersten Lebensbedingungen. Wie wir ohne Luft nicht leben können, so gibt es ohne Liebe kein geistliches Leben und keinen Himmel für uns. Das können wir täglich im Gebet sehen. Ist unsere Liebe erkaltet, so ist auch das Gebet erlahmt, wie wenn einem Vogel die Flügel beschnitten sind; wir können uns nicht aufschwingen und wenn wir auch heftig an die Himmelstüre klopfen, so wird sie doch nicht aufgetan, bis wir die drei Grunderfordernisse der Liebe wieder gelernt haben: „Vergeben, Nachgeben, Geben.“ Nur dann haben wir wieder ein fröhliches Glaubensgefühl, nur dann können wir der Vergebung der Sünde und der Rechtfertigung vor GOtt uns freudig getrosten, während dem lieblosen Sinn das Wort JEsu gilt: „Wo ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.“ So sagt der HErr auch: „mit welcherlei Maß ihr messt, wird euch gemessen werden.“ Viele klagen über Mangel an Glauben, an Hoffnung, an innerem Frieden und Gebetskraft. Die Ursache ist der Mangel an Liebe, den sie nicht auszufüllen trachten. Was die warme Frühlings- und Sommerluft für die Gewächse der Erde, das ist die Liebe für die Pflanze des Glaubens, der Hoffnung, der Geduld, des inneren Friedens und der ungetrübten Heiterkeit. Dagegen was der Frost des Winters für Blätter und Blüten, das ist die Lieblosigkeit für unser ganzes geistliches Leben.

Und das gilt nicht bloß für die kurze Zeit dieser Erde, sondern ebenso für die Ewigkeit. Das Leben im Himmel ist Liebe; worin die Seligkeit hauptsächlich besteht, das ist Liebe, und wenn es wahr ist:

Lieben und geliebt werden Ist der Himmel schon auf Erden, -

so gilt das in unendlich höherem Maß von der Ewigkeit. In GOttes himmlischem Reiche ist kein Misston mehr, keine Störung der Liebe durch verschiedene Interessen und Ansichten, durch geheimen Neid oder Eifersucht und andere Regungen der selbstsüchtigen Natur. Dort ist reine Liebe das Band der Vollkommenheit für alle in GOtt lebende Geister. Dorthin taugt also auch nur, wer in der Liebe bleibt und wessen Herz schon hier an Liebe gewöhnt worden ist.

So wenig der Mann, der das hochzeitliche Kleid nicht hatte, in dem Hochzeitsaal bleiben konnte, so wenig könnte ein Geist ohne Liebe im Himmel bleiben. Sonst könnte Johannes nicht sagen: „wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode.“ So dürfen wir wohl sagen: Liebe, besonders wahre Bruderliebe, ist die Bedingung des ewigen Lebens. Zwar zunächst ist der Glaube an JEsum und sein Verdienst das, was uns selig macht: aber ein Glaube ohne Liebe ist ein Salz ohne Kraft, ein Baum ohne Frucht, ein Bild ohne Leben. Nur dann ist der Glaube acht und zum Seligmachen kräftig, wenn er durch die Liebe tätig ist; denn nur dann ist er, was er seiner Natur nach sein soll, ein Leben in GOtt, der die Liebe ist.

O Geliebte, wie ernstlich dringen diese Wahrheiten uns ans Herz, wie tief wird Manches unter uns beschämt, das sein Christentum in Glauben und Beten, in Frommreden und Frommscheinen setzt, nicht aber in aufrichtige und herzliche Bruderliebe, nicht in Tat und Wahrheit, wie Johannes verlangt! Freilich ist das, was wir heute aus unserem Text gehört haben, eine große Aufgabe für unser ganzes Leben.

Aber da GOtt die Liebe ist, da JEsus aus unendlicher Liebe sein Leben für uns gelassen hat und da der heilige Geist täglich mit mehr als Vater- und Mutter-Liebe uns trägt und führt auf jedem Schritt, und göttliche Kräfte uns mitteilen will, soll es da so schwer sein, in der Liebe zu bleiben, schwer für Seelen, die aus dem, der die Liebe ist, geboren, mit Ihm aufs Innigste vereinigt und mit seinen Lebenskräften wesentlich erfüllt sind?

O Niemand soll in Zion sprechen: Ich bin elend, arm und schwach,
Und durch so viel Ungemach Kann kein armer Sünder brechen;
Denn der HErr ist's, der uns heilt, Und den Schwachen Kraft erteilt.

Dabei wollen wir aber auch das nicht vergessen, dass der HErr mit seiner Liebe auch die segnet, die Ihn nicht lieben, weil sie Ihn nicht kennen, und nicht kennen, weil sie Ihn nicht lieben. Über die Bösen, wie über die Guten lässt Er seine Sonne aufgehen, über die Ungerechten, wie über die Gerechten lässt Er regnen. So sollen auch wir selbst Feinde lieben, segnen, die uns fluchen, wohltun denen, die uns hassen, bitten für die, so uns beleidigen und verfolgen. Das gebietet JEsus und setzt hinzu: „auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.“ Wer also nicht auch die Widerwärtigen lieben, wer nicht auch Unbekehrte und selbst Ungläubige mit Geduld tragen und mit Liebe, so weit es nicht auf Kosten der Wahrheit geht, behandeln kann, der ist kein wahres Kind GOttes. Gar oft aber gleichen wir nicht JEsu in seiner allgemeinen Menschenliebe, sondern den Donnerskindern Jakobus und Johannes, die Feuer auf die Verächter JEsu herabrufen wollten. Durch dieses Wegwerfen der Welt verderben wir sehr viel. Das wusste der fromme Fresenius in Frankfurt. Er war einmal in einer Gesellschaft von redlichen Kindern GOttes, die meistens von Adel waren. Da ließ sich ein weltlich gesinnter Offizier bei dem Herrn des Hauses melden. Die ganze Gesellschaft erschrak über diese Störung und beschloss einstimmig, man solle den Besuch ablehnen. Fresenius allein stellte vor, GOtt könnte ja Gnade zu seiner Bekehrung geben, man soll ihn doch hereinlassen. Nach vielen Vorstellungen gab man es ihm zu, jedoch mit der Bedingung, dass er allein mit dem Offizier reden solle, da sie nichts mit ihm zu schaffen haben wollen. Fresenius übernahm das gerne. Als der Offizier eintrat, wurde er kaum von den anderen bewillkommt, Fresenius aber war höflich und freundlich gegen ihn, und fing an, mit ihm aus der Zeitung zu reden, dann von anderen weltlichen Dingen. Allmählig machte er ungezwungen den Übergang zu geistlichen Dingen, wobei der Offizier so aufmerksam zuhörte und am Ende so gerührt war, dass er vor der ganzen Gesellschaft mit Tränen bekannte, er sei noch kein Christ, aber er bitte um weiteren Unterricht, worauf er den rührendsten Abschied nahm. Die Gesellschaft aber schämte sich vor GOtt wegen ihrer Lieblosigkeit und fasste den Entschluss, künftig unbekehrte Seelen nicht gering oder lieblos zu behandeln. Auch wir wollen mehr Liebe gegen die Welt, mehr herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld anziehen.

Wenn nur JEsu bis in den Tod treue Liebe uns das Herz recht erfüllt, so wird oft ein einziger Blick auf sein Kreuz uns stärken, die Versuchungen zur Lieblosigkeit zu überwinden und in der Liebe zu bleiben, wie Er die Liebe ist, besonders auch für die Welt ernstlicher zu beten, da GOtt in der Bekehrung der Welt sich unseres Dienstes bedienen will. Wie selig ist dann ein solches Leben in der Liebe! Wäre es allgemein, so würde unsere jetzt so arme, zerrissene Erde, der es so sehr an Liebe fehlt, ein seliges Paradies werden und alle Häuser wären Wohnungen des Friedens und der Freude und alle Klagen würden verstummen. Dieses Ziel zu erreichen wollen wir Alle, Jedes in seinem Teil, arbeiten, wollen in Liebe uns aufs Neue verbinden, die Welt als Priester auf dem Herzen tragen und so in das göttliche und selige Leben immer tiefer eindringen; denn GOtt ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in GOtt und GOtt in ihm. Amen.

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