Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag nach dem Neujahr.
Text: 1. Petr. 4, 12-19.
Ihr Lieben, lasset euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden (die euch widerfährt, daß ihr versuchet werdet), als widerführe euch etwas Seltsames; sondern freuet euch, daß ihr mit Christo leidet, auf daß ihr auch, zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit, Freude und Wonne haben möget. Selig seid ihr, wenn ihr geschmähet werdet über dem Namen Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruhet auf euch. Bei ihnen ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen. Niemand aber unter euch leide als ein Mörder, oder Dieb, oder Uebelthäter, oder der in ein fremdes Amt greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, er ehre aber Gott in solchem Fall. Denn es ist Zeit, daß anfange das Gericht an dem Hause Gottes. So aber zuerst an uns; was will es für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelio Gottes nicht glauben? Und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen? Darum, welche da leiden nach Gottes Willen, die sollen Ihm ihre Seelen befehlen, als dem treuen Schöpfer, in guten Werken.
Unsere heutige Epistel führt uns auf eine Betrachtung zurück, die schon am letzten Mittwoch, als am Neujahrsfest, unsere Gemüther beschäftigt hat. Wenn wir uns nämlich damals ermunterten, auf der einen Seite gefaßt und gerüstet auf mancherlei Trübsal und Anfechtung, aber auch auf der andern Seite getrost im Vertrauen auf die Vatertreue und Vaterhülfe des HErrn der Zukunft entgegenzuwandeln, so finden wir uns dazu auch in unserer heutigen Abendlection ermuntert und aufgefordert. Ja, unsere heutige Epistel beschäftigt sich eigentlich ausschließlich mit dieser ernsten Seite unseres irdischen Pilgrimstandes und gibt uns für dieselbe die rechten Verhaltungsregeln, so wie die besten Trostmittel an die Hand. Und zu welcher Zeit könnten derartige Ermahnungen mehr am Platze seyn, als wenn man in einen neuen Zeitabschnitt eintritt, der mit einem dichten Schleier für unser kurzsichtiges Auge umhüllt ist und von dem sich gar nicht ausmachen läßt, was er für uns in seinem dunkeln Schooße birgt. Wie Manchem unter uns könnte er Tage bringen, die ihm nicht gefallen,-Verluste, die er sich nicht gedacht, Trauer, die er ferne gewähnt, und wie mancher Bedrängte, der mit einer schweren Last auf dem Rücken aus dem alten in's neue Jahr herübergetreten ist, wird nicht so bald erleichtert, vielleicht mit einer neuen Last beschweret werden! Da thut es nun doppelt wohl, wenn das Evangelium des Sohnes Gottes an unsere Seite tritt, für unsern irdischen Trübsalsstand uns die Hand bietet und aus seinem reichen Schatz die rechte Weisheit und den rechten Muth darreicht. Ein besonderer Vorzug des Evangeliums hiebei ist der, daß es nicht im Mindesten den herben Ernst des Leidens verkleinert, oder bemäntelt und verdeckt: o nein! es schmeichelt und verweichlicht uns nicht; aber auf der anderen Seite ist sein Trost unter dem Leiden so süß und kräftig, daß sich seine Gotteskraft eigentlich erst im Leiden ganz erproben, bewähren und vollenden kann. Darum wollen wir zum Gegenstand unserer Betrachtung machen: wie diejenigen, die in den Kreuzesorden Jesu Christi eintreten, auf der einen Seite sich gefaßt machen müssen, die Herbigkeit der Leiden in seiner Nachfolge zu schmecken, auf der andern Seite aber auch sich getrösten dürfen der Süßigkeit der Leiden in der Gemeinschaft mit Ihm.
I.
1) Es war bei den Christen, an welche Petrus schreibt, etwas längst Bekanntes, daß wer Christo nachfolgen wolle, sein Kreuz auf sich nehmen und nun auch im Leiden Ihm ähnlich werden müsse. Wie der Heiland seine Apostel von der Nothwendigkeit belehrte, in seiner Nachfolge Schmach und Verfolgung, Anfechtung und den Verlust sogar des Lebens mit in Rechnung zu nehmen, so verfehlten es auch die Apostel selber nicht, überall, wo sie auftraten und Gemeinden sammelten, zu bezeugen und zu bekennen, daß man nur durch viel Trübsal in's Reich Gottes eingehen könne; sie wollten ihren jungen Christen keine guten Tage vorspiegeln, um sie dadurch in den Dienst Christi herüberzulocken; nein! sie sagten ihnen rund heraus, was sie zu gewarten und zu übernehmen haben, wenn sie in den Kreuzesorden Jesu Christi sich begeben. Und daß sie in dieser Hinsicht keine leeren Befürchtungen ausgesprochen haben, das beweisen nicht nur die mancherlei Anfeindungen und Verfolgungen, welche die Apostel in eigener Person in manchen Städten und Ländern zu erfahren bekommen. Nein, in Kurzem griff der Nothstand der Kirche weiter um sich; bald da, bald dort brach entweder ein Volksaufstand aus, oder die weltliche Obrigkeit ließ die Christen das Gewicht ihres eisernen Arms fühlen, - kurz, es wurde Ernst, Ernst auch in den Gemeinden, an welche Petrus schrieb in Pontus, Galatien, Cappadocien, Asien und Bithynien. Da wollte es nun Manchen unter den Christen als etwas Seltsames vorkommen, auf diese Weise die Hitze der Anfechtung erdulden zu müssen, und wenn sie auch nicht von ferne an Abfall vom Glauben dachten, so war es ihnen doch etwas Schweres, ihren guten Namen, ihre Ehre bei den Menschen, ihr Gut und ihre Habe, ja sogar ihr eigenes Leben bedroht zu sehen. Die Herbigkeiten der Leiden in der Nachfolge Christi drangen mit Macht auf sie ein, und es bedurfte der kräftigen Ermunterungsworte des ergrauten Streiters im Kreuzesorden Christi, des Petrus, um sie zu freudiger Ergebung und zu williger Entschlossenheit zu kräftigen und zu ermuthigen, und daher die Ermahnung am Eingang unserer Textesworte: „Ihr Lieben, lasset euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden, die euch widerfährt, daß ihr versucht werdet, als widerführe euch etwas Seltsames.“
Wer hat's nicht schon selbst erfahren, wie bedürftig auch wir solcher Ermuthigung sind, wenn wir uns zum Leiden anschicken sollen. Wir wissen es aus dem Worte Gottes und aus der Lebensführung aller Kinder Gottes nur zu gut, daß ohne Prüfung kein wahrer Christ gedacht werden kann, daß Anfechtung mit dem Lebensgang eines jeden Kindes Gottes unzertrennlich verbunden ist; ja wir müssen manchmal im Blick auf unser trotziges und verzagtes Herz selber fragen: welche Leidensschulen wird der HErr mich noch durchlaufen, welche Züchtigungen noch über mich kommen lassen Müssen, bis ich tüchtig werde für sein himmlisches Reich? Aber wenn es nun Ernst wird, wenn wirklich die Trübsal herankommt und von uns übernommen werden muß, wie ungeschickt stehen wir dann zu dem Leiden hin, wie seltsam kommt es uns vor, daß nun die Reihe auch an uns kommt, wie offenbart sich da ein Grauen und ein Widerspruch unserer Natur, wie wollen da unsere Trostsprüche, die wir vielleicht Andern oft zugerufen haben, bei uns selber ihre Wirkung nicht thun, ja wie entfällt uns da so leicht der Muth, und Bangigkeit, Trostlosigkeit nimmt Besitz von unsrem Gemüth. Wir hatten es uns, wenn wir vom Leiden sprachen, doch ganz anders gedacht, wir hatten den Angriff von einer ganz andern Seite erwartet, und nun kommt er von einer, wo wir es am wenigsten vermuthet; da will es uns nicht recht ein, es däucht uns seltsam und befremdend, daß gerade dieser Kampf uns verordnet, gerade diese Schule uns aufgehoben, gerade dieses Läuterungsfeuer für uns entzündet sei, und es bedarf einer Gotteskraft von Oben, wenn wir mit der Fassung, die dem Gläubigen ziemt, die Last auf uns nehmen sollen, die uns zugemessen ist. O wie schwer hält es da, dem Kreuzesorden Christi sich anzureihen, in die ^ Fußtapfen des großen Vorkämpfers einzutreten und sich's gefallen zu lassen, keine guten Tage zu suchen für das Fleisch in Ewigkeit, ja wie unbequem ist es für den alten Menschen, wenn er eben wieder sich behaglich angewöhnen und am Leben der Wirklichkeit sich genügen lassen will, sich gewaltsam aufgeschreckt und aufgejagt zu sehen, um seine Ansprüche und weltlichen Wünsche wieder in den Tod zu geben! Man möchte wohl im Kreuzesorden Christi dienen, aber wo möglich auch daneben eine behagliche Garnison beziehen, um sich's so lange als möglich wohl seyn zu lassen und in einem ordentlichen Standquartier sich gütlich zu thun. So aber schallt alle Augenblicke die Schlachttrompete in unsere Ohren, wir müssen aufwachen und unter der Fahne des Kreuzes die Feldzüge der Streiter Christi mitmachen und aus feindlichem Boden die Kriege seines Reiches führen. Da heißt es dann:
Der Natur geht es gar sauer ein, sich immerdar in Christi Tod zu geben, und ist Ein Kampf wohl ausgericht't, das macht's noch nicht.
2) So müssen wir die Herbigkeit der Leiden schon dann erfahren, wenn es gilt, sich zu ihnen anzuschicken. Aber dieselbe wird auch unter dem Leiden selbst auf besondere Art uns offenbar. Der Apostel ruft seinen Christen in unsrer heutigen Epistel zu: „Niemand unter euch leide als ein Mörder, oder Dieb, oder Uebelthäter, oder der in ein fremdes Amt greife; er leide aber als ein Christ.“ Die Befürchtung, daß Einzelne von ihnen sich während ihres Christenlaufes solcher groben und argen Versündigungen schon gegen das bürgerliche Gesetz schuldig gemacht haben, fiel hier von selbst weg; wurden ja die Christen in der damaligen Zeit gerade darum oft so bitter verfolgt, daß sie nicht mitliefen mit den Andern in dasselbige wüste, unordentliche Wesen. Aber dennoch sollten ihre äußern Leiden nun eine Veranlassung für sie werden zu mannigfacher Selbstprüfung ihres Herzens und Lebens, theils, ob sie nicht in ihrem unbekehrten Zustand sich Sünden und Uebertretungen haben zu Schulden kommen lassen, die nun mit Recht an ihnen heimgesucht und gezüchtiget werden, theils, ob nicht während ihres Christenlaufes in ihrem Herzen allerhand böse Wurzeln des Haffes, der Bitterkeit, des Eigennutzes aufgeschossen seien, die, in Gottes Augen so verwerflich als die äußere That, durch das scharfe Messer äußerer Trübsal ihnen zum Bewußtseyn gebracht werden sollten. Der mehr nach außen und auf die Erscheinung der Dinge gerichtete Mensch ist, wenn ihn etwas zu leiden trifft, gleich mit der Behauptung bei der Hand: „ich leide unschuldig, das thut mir am wehesten, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe, ich bin ohne meine Schuld in dieses oder jenes Unglück hineingekommen.“ Und er hat auch gewöhnlich in Beziehung auf die zunächstliegende Ursache wohl recht. Diese lag außer seinem Bereich. Aber wer es nun gründlicher mit sich selbst nimmt, wer in Allem einen genaueren Maßstab bei sich anlegt, der wird, wenn ihn ein Leiden trifft, nicht gleich die Hände in Unschuld waschen wollen, nein, er wird die Sonde der Selbstprüfung etwas tiefer in das Geschwür seines Herzens setzen, und wenn er redlich ist, gar bald erforschen, was der HErr meint, worauf sein Absehen gerichtet ist, welche Unart Er strafen, welche Versäumnisse Er uns dadurch zur Anschauung bringen, welche verborgene Sünde Er uns aufdecken und wie Er uns vielleicht in die Erinnerung längst vergessener Dinge zurückführen will, auf daß unser inwendiger Mensch genesen und geheilt werden möge. Wenn du z. B. auf einem Schmerzenslager liegst und elend dahinsiechst, so kannst du dir dein Herz wohl erleichtern durch die Behauptung: ich kann mir nichts vorwerfen, daß ich selber Schuld an meinem elenden Zustand trage; es dürfte aber doch wohl auch der Mühe werth seyn, die Frage gründlich aufzuwerfen: ob du stets auch deinen Leih in Zucht und Ehren gehalten, ob du vor der Ehe oder in der Ehe ihn als einen Tempel des Heiligen Geistes behandelt und dich nicht selbst an dir versündiget hast, ob du nicht vielleicht in deiner Jugend schon den Grund zu deinem siechen Körper gelegt hast. Oder wenn du viel Unlust und Herzeleid an einem Kinde erlebest und der Gram über dasselbe dich niederdrückt, da kannst du dir alle Selbstprüfung schnell vom Halse schaffen durch die Versicherung: ich habe es doch an nichts fehlen lassen, ich brauche mir nichts vorzuwerfen; es wäre aber doch die Frage: ob du es nicht fehlen ließest an heiligem Wandel, an Gebet und Fürbitte, an Zucht und Vermahnung; es wäre doch die Frage: ob nicht deine eigenen Sünden, die du an deinen Eltern begangen, heimgesucht werden an dir durch deine eigenen Kinder, und in deinem Kinde dir an's Licht gestellt würde, was du im Verborgenen auch gethan hättest. Oder es kommt Einer zurück im Vermögen und im Gewerbe: Nahrungslosigkeit und Armuth ist endlich das einzige Erbtheil, das ihm bleibt, da kann man nun bald fertig seyn und alle Schuld auf die traurigen Zeiten, auf Uebersetzung aller Gewerbe, auf unglückliche Zufälle u. s. w. schieben; es wäre aber besser gethan, seinen ganzen bisherigen Lebensgang einer Prüfung und Erforschung zu unterziehen und nachzusehen, ob man sich nicht Verschwendung und Genußsucht, Bequemlichkeit und Trägheit, namentlich aber auch Vervortheilung und Unredlichkeit im Kleinen und im Verborgenen habe zu Schulden kommen lassen.
Entdeckungen dieser Art sind nun zwar nichtsehr angenehm, sie schmerzen, aber sie sind aus der Wahrheit, und es ist doch besser, einer bittern Wahrheit sein Herz zu öffnen, als einer süßen Lüge. Wir sind in dieser Beziehung viel zu weichlich gegen uns selbst: eben das sollte unter allem Leiden unser erstes und wichtigstes Augenmerk seyn, in's Klare zu kommen darüber, was der HErr uns dadurch in's Licht stellen, was Er an uns züchtigen und strafen und wie Er uns heilen und reinigen wolle. Aber eben dieß gehört zur Herbigkeit der, Leiden, und deßwegen zuckt die Narbe, sobald sie berührt wird.
3) Dabei kommt noch ein dritter Punkt in Betracht, der ebenfalls die Herbigkeit des Leidens uns zu schmecken und erfahren gibt. Es ist Zeit, daß anfange das Gericht an dem Hause Gottes, zuerst an uns und darnach an denen, die dem Evangelio nicht glauben. Ein heiliges Gericht muß über die ganze Welt ergehen, wodurch das ungöttliche Wesen ausgeschieden und Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit kund gethan werden, wie in unzähligen Proben seine Liebe und Langmut!) kund gethan wird. Dieses Gericht aber fängt an an dem Hause Gottes, an denjenigen, welche zu der durch Christum versöhnten und wiedergebrachten Familie gehören. Auch an ihnen gibt es noch viel, viel zu reinigen und zu läutern, damit sie eine würdige und wohlgefällige Wohnung des Höchsten seien. Darum fängt das Gericht bei ihnen an, ist aber ein Gnadengericht zum Leben, kein Zorngericht zum Tode, wie Paulus an die Korinther schreibt: „wenn wir gerichtet werden, so werden wir von dem HErrn gezüchtiget, auf daß wir nicht sammt der Welt verdammt werden (1 Kor. 11,32).“ Und wer wollte behaupten, daß er eines solchen Gerichts nicht mehr benöthigt wäre? Du sagst: „ich habe Buße gethan und habe durch Christum Vergebung der Sünden erlangt; darum haftet keine Verdammniß mehr an mir, ich bin in Ihm gerecht und untadelich.“ Gut, aber damit bist du noch nicht geheiligt durch und durch, nach Leib, Seele und Geist, sondern du bedarfst dieser Heiligung noch und dieser kannst du nur auf dem Wege des Kreuzes und des Leidens theilhaftig werden. Du sagst: „der neue Mensch ist in mir zur Welt geboren, ich bin in Christo eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, es ist Alles neu worden.“ Wohl dir, wenn es also ist, aber doch wirst du noch empfinden ein ander Gesetz in deinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in deinem Gemüthe; das erste wird nur sterben, wenn du in der Trübsal tödtest die Glieder, die auf Erden sind, auf daß der ganze Mensch Gott diene. Endlich du sagst: „ich stehe im Glauben und in ihm ruht meine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ Richtig, aber dein Glaube muß sich auch bewahren, und wie kann er sich am besten bewähren? nicht bloß in Freude, sondern auch in Leid, nicht bloß im Frieden, sondern auch in der Anfechtung, nicht bloß im Genuß dessen, was Christus dir erworben, sondern auch in der Prüfung, wie viel du Ihm zu opfern, zu verläugnen und dahinzugehen fähig bist. O wie vieles ungöttliche Wesen muß an dir ausgestoßen werden, wie viele Schlacken an dir ausgeläutert, wie viele Unarten ausgetilgt werden, wenn du ein Gefäß der Ehre werden sollst, dem Hausherrn bräuchlich und zu jeglichem Dienste geschickt! Bis dieß erreicht, gibts freilich Herbigkeiten, die gar bitter schmecken, Erfahrungen, die die Natur zermalmen und durchläutern, Gerichte, die unter manchem Seufzer des inwendigen Menschen endlich zum Siege ausgeführt werden.
II.
Um so wohlthuender ist es aber auch-auf der andern Seite, daß der. der in den Kreuzesorden sich begibt, auf der andern Seite auch die Süßigkeit des Leidens zu schmecken und die verborgenen Segens- und Siegeskräfte, die unter demselben zu Theil werden, erfahren darf. Je ernster und strenger das Evangelium das Leiden der Zeit auffaßt und dem natürlichen Sinn in keinem Stücke durch Schmeichelei und Nachgiebigkeit etwas einräumt, desto süßer ist sein Trost und desto zarter seine Aufrichtung, wodurch dem inwendigen Menschen aufgeholfen und das Glaubensfünklein wieder angefacht wird.
1) Das Erste, was der Apostel seinen von mancherlei Noth und Drangsal umfangenen Christen in dieser Hinsicht zuruft, ist: freuet euch, daß ihr mit Christo leidet, auf daß ihr auch zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget. Er räumt ihnen hiemit die große Vollmacht und Erlaubniß ein, ihr Leiden anzusehen als ein Leiden mit Christo, aus dem auch wie bei Christo, nur Freude und Wonne und Verherrlichung entsprießen könne. Erduldeten sie doch auch ihre Trübsal um des Namens Christi willen, als Glieder an seinem Leibe, mußten sie ja doch oft Hab und Gut, Leib und Leben, Vaterland und Besitzthum dahingehen, um seinem Bekenntniß treu zu bleiben und seinem Namen keine Schande zu machen. In diesem Sinne nun sind unsere Leiden gewöhnlich keine Leiden mit Christo; wir haben gar wenig Gelegenheit, in der uns umgebenden christlichen Welt irgend etwas auf's Spiel zu setzen um seines Namens willen. Das Höchste ist bis jetzt ein wenig Schmach oder ein nichtsbesagender Unname; sonst leben wir im Frieden und können uns in der Stille erbauen auf unsern allerheiligsten Glauben, und deßwegen dürfen wir wahrhaftig nicht gleich in's große Horn stoßen, wenn uns etwa um des Bekenntnisses Christi willen Widerliches begegnet; man hat uns noch lange nicht von Haus und Hof vertrieben, noch lange nicht auf Scheiterhaufen gestellt, noch lange nicht wilden Bestien vorgeworfen, noch lange nicht in langsamen Todesqualen unser Herzblut abgepreßt. Was würden wohl die ersten Christen für Augen machen, wenn, sie uns im stillen Frieden wohnen sehen und noch über dem Evangelium ungünstige und feindselige Zeiten klagen hören würden. Wir müssen uns schämen und sprechen: Unsre Brüder, die einst glaubten, Mögen uns ein Beispiel sein, Denn sie ließen sich enthaupten, Schliefen unter Steinen ein. Dennoch aber dürfen auch wir in unsrem geringen Theil die Leiden, die uns betreffen, wenn wir anders sie im Glauben des Sohnes Gottes auf uns zu nehmen und zu tragen entschlossen sind, als Leiden mit Christo betrachten und des seligen und süßen Trostes, der darin verborgen liegt, uns freuen. Durch den Glauben werden wir ja Christo eingepflanzt, durch die Liebe werden wir Ein Geist mit ihm. Darum ist seine Sache unsre Sache und unsre Sache die seine, und wie einst Jesus einem Saulus entgegentrat mit den Worten: Saul, Saul, was verfolgst du mich? während er doch Jesum nur in seinen Gliedern verfolgte, so ist unsre Last seine Last, unser Schmerz sein Schmerz, unsre Trauer seine Trauer, unsre Anfechtung seine Anfechtung. O herrliche Verheißung: alles was mir begegnet, alles was mich verwundet, alles was mich beugt und drückt, alles sieht der HErr, an den ich glaube, als seine Sache an, Er ist deßwegen mir nahe mit seinem Geiste; ich stehe nicht allein: Christus und seine ganze Kreuzgemeine sind meine Streitgenossen, ich diene in einem unabsehbaren Heere, das auf demselben dornenvollen Wege, durch dieselben heißen Kämpfe von Christo den Gang der Seligkeit geführt und vollendet worden ist.
2) Der zweite Trost, den der Apostel den Seinigen darbietet, liegt in dem Wort: Leidet einer als Christ, so schäme er sich nicht, er ehre aber Gott in solchem Fall. Gott soll von uns gepriesen werden: das ist unsre Lebensaufgabe; unser Arbeiten und Ruhen, unser Reden und Schweigen soll seiner Ehre dienen. Gewöhnlich glauben wir nun: Gott werde am meisten von uns gepriesen durch Thätigkeit in seinem Dienst, durch Rührigkeit in unsrem Beruft und Geschäftskreise, und wer sollte das Bestreben auch tadeln, die Stelle auszufüllen, in die uns seine Weisheit gesetzt hat? Da machen nun manche Leiden, denen wir uns zu unterziehen haben, einen Strich durch unsre Rechnung, sie setzen uns außer unsere gewohnte Thätigkeit, sie legen uns Hindernisse über Hindernisse in den Weg; wir fühlen unsre Unmacht, unsre Schwäche, unsre Unbrauchbarkeit, unsre Entbehrlichkeit, wir werden andern zur Last und Bürde - o wie schwer fällt das unsrem Geiste. Da tritt Petrus in's Mittel: er leide als ein Christ und ehre Gott in solchem Fall.
Auch in diesem Fall kann man Gott ehren; denn wir ehren ihn durch Gehorsam und stille Fügung in seinen Willen. Leiden soll unser Geschäfte, Stillhalten unser Beruf, Unthätigkeit unsere Lebens-Aufgabe sein, und dadurch daß wir es uns gefallen lassen, wird Gott mehr geehrt, als durch unsere gepriesenste Vielthätigkeit und Aufopferung. O wie viele Leidende gibt es auch in unsrer Gemeinde, denen es oft eine schmerzliche Aufgabe ist, ihre Kräfte zerfallen, ihre Brauchbarkeit für diese Welt schwinden zu sehen und, während Thätigkeit und freudiger Berufseifer ihr Lebenselement gewesen war, auf einen gar kleinen Wirkungskreis sich beschränkt zu sehen: liebe Brüder und Schwestern, seid getrost, auch dadurch könnet ihr Gott ehren, auch so kann euer Leben einen ewigen und göttlichen Werth haben und euer Leiden für euch und die Eurigen eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit schassen. Wie ein Joseph, der mehrere Jahre im Gefängniß blieb, wie ein Moses, der vierzig Jahre in die Wüste gieng, wie ein Johannes, der lange Zeit auf Patmos in Verbannung lebte, wie Johannes der Täufer, durch seinen Aufenthalt im Burgverließ des Königs Herodes, Gott ehreten, Gott priesen, obgleich sie dort abgeschnitten waren von aller Wirksamkeit für die Welt und in der Welt: so kannst auch du Gott ehren und den HErrn preisen an deinem Leibe und an deinem Geiste, welche sind Gottes, wenn du seiner Zucht stille hältst und seinem Willen dich kindlich überlässest. So tröste denn dich damit, und
3) Übe das Vorrecht, das der Apostel allen Streitern im Kreuzesorden Christi eröffnet, wenn Er sagt: Die, welche leiden nach Gottes Willen, sollen ihre Seele ihm befehlen als dem treuen Schöpfer in guten Werken. Zu wirken, zu handeln ist manchem Leidenden nicht mehr möglich. Aussichten und Hoffnungen sind ihm verriegelt und verschlossen; vor ihnen und hinter ihnen ist kein Weg und Steg, - aber Ein Weg bleibt ihnen, der Weg aufwärts, auf welchem sie ihre Seele dem treuen Schöpfer befehlen können, der sie aus Mutterleib gezogen, in seiner Hand bisher geleitet und nach seiner Schöpfersherrlichkeit Macht und Willen hat, seinen Geschöpfen mit Hülfe zu begegnen und sie zu erlösen von allem Uebel. In seine Hände dürfen sie ihre Seele befehlen im Leben und Sterben, in Zeit und Ewigkeit und wenn sie dieselbe auch nicht mehr befehlen können, so dürfen sie dessen sich getrösten, daß der Geist, der ein Geist Gottes und der Herrlichkeit ist, auf ihnen ruht und sie vertritt mit unaussprechlichen Seufzern, auch wenn sie nicht mehr wissen, was sie beten sollen. Denn der Schöpfer aller Dinge, der alle Dinge geschaffen hat in Christo Jesu und alle erneuern will durch den Sohn seiner Liebe, - Er ist treu und will und kann auch die einzelnen Seelen stärken, vollbereiten, kräftigen und gründen, auf daß sie unsträflich erfunden werden; ja er kann auch die Trübsals-Hitze und das Leiden so segnen, daß, wenn die Geburtsstunden des zweiten Menschen vorüber sind, ein Kind des ewigen Lebens zur Welt geboren ist, das neu erwachen darf nach seinem Bilde. Denn:
Unter Leiden prägt der Meister
In die Herzen, in die Geister
Sein allgeltend Bildniß ein.
Wie er dieses Leibes Töpfer,
Will er auch des künft'gen Schöpfer
Auf dem Weg der Leiden seyn.
Leiden bringt empörte Glieder
Endlich zum Gehorsam wieder,
Macht sie Christo unterthan,
Daß er die gebrochnen Kräfte
Zu dem Heiligungsgeschäfte
Sanft und still erneuern kann.
Leiden sammelt unsre Sinne,
Daß die Seele nicht zerrinne
In den Bildern dieser Welt,
Ist wie eine Engelwache,
Die im innersten Gemache
Des Gemüthes Ordnung hält.
Wenn auch die gesunden Kräfte
Zu des guten HErrn Geschäfte
Wurden willig sonst geweiht:
O so ist's für sie kein Schade,
Daß sie ihres Führers Gnade
Läutert in der Prüfungszeit.
Endlich mit der Seufzer Fülle,
Bricht der Geist durch jede Hülle,
Und der Vorhang reißt entzwei.
Wer ermisset dann hienieden,
Welch' ein Meer voll Gottesfrieden
Droben ihm bereitet sei!