Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 13. Sonntage nach Trinitatis.

Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 13. Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 10, 23-37.

Vom barmherzigen Samariter.

Es war gewiß ein großer Vorzug und eine besondere Gnade für die Jünger Jesu, daß sie drei Jahre lang gewürdigt wurden, den Herrn Jesum, Gott im Fleische wandelnd, zu sehen, zu hören und mit Ihm wie Schüler und Freunde täglich umgehen zu dürfen. Er selbst hat das ausgesprochen im heutigen Evangelio, indem Er sich zu ihnen wandte und sprach: Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr sehet; denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, das ihr sehet und haben's nicht gesehen, und hören, was ihr höret, und haben es nicht gehöret. Was hätten die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, Joseph, Moses, Samuel, Elias und Elisa, was viele Könige, David und die bessern seiner Nachfolger darum gegeben, wenn sie so, wie die Jünger, den Messias gesehn und gehört hätten. Aber es wurde ihnen nicht gegönnt, so sehr sie der Herr liebte. Dieses besondere Vorrecht war den armen Fischern von Galiläa und den Zöllnern vorbehalten. Gott ist keinem Menschen etwas schuldig, dem frömmsten, heiligsten, weisesten nicht; Er giebt Jedem, was Er will. Was gäben wir um Einen Tag des Menschensohnes! Und wir müssen glauben und nicht sehen. Gott aber sey Dank, wir verlieren nichts; was uns am äußern Sehen gebricht, das ersetzt uns die innere Nähe und der Umgang mit dem Schmerzensmann; das ist Alles, was man wünschen kann. Man kann Ihn im Glauben und im Geiste so fassen und halten, als sähe man Ihn - in der Krippe liegen, unter den Kranken und Sündern wandeln, am Oelberge Blut schwitzen und am Kreuze sterben, wieder aufersteht! und gen Himmel fahren. Das darf und soll sich ja ein Jeder zueignen, als wäre es für ihn allein geschehen, als würde Er jetzt eben für uns geboren oder in den Tod gegeben. Selig also auch alle Augen, die im Glauben so auf Ihn schauen, und Ihn in ihr Herz aufnehmen, daß sie Ihn nicht nur äußerlich wandeln sehen im Fleische, sondern innerlich im Geiste haben und genießen.

Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte Ihn und sprach: Meister, was muß ich thun, daß ich das ewige Leben ererbe? Das ist immerhin die wichtigste Frage eines jeden Menschen, die in Aller Mund seyn, und aus Aller Herzen kommen soll. Aber wenn man sie bloß, um Gott zu versuchen, thut, wie dieser Schriftgelehrte; dann ist es ein Zeichen eines verblendeten und verstockten Herzens, welches wohl schwerlich zur Erkenntniß der Wahrheit und des Weges zur Seligkeit gelangen wird. Der Wahrheit und Seligkeit nachfragen, nicht um selig zu werden, sondern darüber zu streiten und einen Andern in der Rede zu fangen, ist teuflische Bosheit und Feindschaft gegen Gott. Dennoch ist der Heiland gütig und antwortet ihm, indem Er fragt: Wie steht geschrieben im Gesetz und wie liesest du? Laß dir die Bibel antworten, die wird dir's sagen; wenn du Lust hast, es zu thun.

Er antwortete und sprach: Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüth, und deinen Nächsten als dich selbst. Es fehlt den Gelehrten nicht am Wissen, sondern nur am Thun. Sie denken aber, Eins ist genug, nämlich das Wissen, und ziehen es dem Thun weit vor. Darum sagte der Heiland: Du hast recht geantwortet; thue das, so wirst du leben. Mit deinen Wissenschaften wirst du das Himmelreich nicht ererben. Gott ist die Liebe, und Sein Reich ist lauter Liebe; wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm - und wo Gott ist, da ist Sein Reich. Ohne Gottes- und Nächstenliebe kann Niemand das Reich der Liebe ererben. Und zwar muß es eine ganze, lautere, reine Liebe seyn - das ganze Herz, alle Kräfte, das ganze Gemüth und die ganze Seele, der ganze Mensch muß lieben und Liebe seyn gegen Gott und seinen Nächsten. Wer dieses Gebot weiß und nicht thut, der hat desto mehr Schläge zu erwarten, wie jener Knecht. Luc. 12, 47. Hast du keine Liebe, so schöpfe sie aus der Quelle der Liebe, die Jedermann offen steht, eben weil sie lauter Liebe ist. Ein Kind muß vom Vater Liebe lernen. Matth. 5, 45.

Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesu: Wer ist denn mein Nächster? Er wollte Recht haben, als wenn ihm nichts mehr fehlte, und er das Gebot schon vollkommen gehalten hätte, weil er es wußte und besser wissen wollte als Jesus. Denn er glaubte, wie alle Juden, sein Nächster könne Niemand seyn, als ein Jude und guter Freund, oder Verwandter, und die liebe er ohnehin; an der Liebe Gottes, da er alle Gebrauche und Ceremonien streng beobachte, gehe ihm ohnehin nichts ab; was ihm denn noch fehle, was denn Er ihn noch besser lehren könne - wer denn sonst noch sein Nächster wäre, den er lieben müßte. So bläht das blinde Wissen - wie aber die Liebe erbaut, zeigt die Antwort Jesu.

Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho, und fiel unter die Mörder, die zogen ihn aus und schlugen ihn, und gingen davon, und ließen ihn halb todt liegen.

Das ist zu allen Zeiten geschehen, und geschieht noch heute leiblich und geistlich - es hat im Paradiese schon angefangen, schon dort fiel der erste Mensch unter die Mörder; die Schlange hat ihn durch die Sünde ausgezogen, des Ebenbildes Gottes beraubt, und ihm Leben und Seligkeit genommen und ihn liegen lassen. - Die Welt, sagte ein Alter, ist ein Wirthshaus, man heißt es: „Zum Mord und zur Lüge.“ Wer geht da aus und ein, ohne beraubt und gemordet zu werden? Wer kommt ohne Betrug und ohne Wunden davon? Giebt es viele Räuber und Mörder, die den Leib tödten, so giebt's ungleich mehr Seelenmörder, die stets lauern, wie sie die Jungen und Alten verführen, schlagen, ausziehen und tödten können. O wie Viele liegen in ihrem Blute und in ihren Wunden am Wege, und Niemand ist, der sie verbindet und heilt!

Es begab sich aber von ungefähr, daß ein Priester dieselbige Straße hinabzog, und da er ihn sah, ging er vorüber; desgleichen auch ein Levit, da er zu der Stätte kam und ihn sah, ging er vorüber. Das Gesetz, Moses, das Priesterthum. der levitische Ceremoniendienst sah den Jammer, den Fall des Menschen, konnte ihm aber nicht helfen; es ging vorüber und überließ den gefallenen Menschen sich selber. Es konnte die tödtlichen Wunden nicht heilen, das Leben nicht geben; konnte den Schmerz nur ärger machen.

Der Priester und Levit mögen wohl gedacht haben, ihr Tempeldienst, ihr Opfern und Räuchern sey nothwendiger und Gott gefälliger, und wäre ihre Pflicht, die sie vor Allem erfüllen müßten - und da dieser Erschlagene kein Frommer, kein Glaubensgenosse, kein Jude oder nicht rein sey, so dürften sie sich mit ihm nicht einlassen. Oder sie hatten beide überhaupt keine Liebe und kein Erbarmen; ihre äußere Gottesdienstlichkeit und ihre Ceremonien hatten ihr Herz verhärtet und gegen alles menschliche Elend gefühllos gemacht. Aber aller Gottesdienst, alle Frömmigkeit ist eitel, wenn man den Nächsten nicht liebt, ihn in seiner Armuth und in seinem Elend liegen sehen und ohne Theilnahme vorübergehen kann. Der Priester und Levit hätten Gott kein wohlgefälligeres Opfer bringen, kein süßeres Rauchwerk anzünden können, als wenn sie beide zum Verwundeten hingegangen, ihn verbunden und ihn mit in den Tempel genommen und dort gepflegt und geheilt hätten. Laß alle Andacht, Gebet, Gottesdienst und was da ist, stehen, wenn dich die Noth des Nächsten ruft, und geh und hilf; denn was du dem geringsten Leidenden und Elenden thust, das hast du Gott und Christo gethan, viel mehr, als wenn du betest, opferst oder was immer für Gottesdienst hältst. Denn so Jemand spricht, er liebe Gott, und hasset seine Brüder, der ist ein Lügner; denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht (im Elende liegen), wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von Ihm, daß, wer Gott liebt, daß der auch seinen Bruder liebe, 1 Joh. 4, 20. Das Opfern und Räuchern des Priesters und Leviten, das sie indeß im Tempel trieben, kann Gott nicht gefallen haben, sondern muß ein Gräuel vor Seinen Augen gewesen seyn; denn die Wunden des Erschlagenen, die sie gesehn haben, müssen gen Himmel gegen sie geschrieen und sie der Härte und Lieblosigkeit angeklagt und ihr Gebet und Opfer in Fluch verwandelt haben. Hätten sie aber des Verwundeten und Halbtodten sich in Liebe angenommen, so würden die Engel mit Lust zugesehen und es im Himmel erzählt und gerühmt haben; und Gott hätte es als das lieblichste Opfer und Rauchwerk angenommen. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist, Wittwen und Waisen in ihrer Trübsal besuchen - oder Liebe an Hülflosen und Nothleidenden üben. Jak. 1, 27.

So geht auch mancher strenge Geschäftsmann aus übertriebener, steifer Berufstreue am sichtbaren Elend und der schreienden Noth des Armen und Verunglückten vorüber, ohne darnach umzusehen, indem er denkt, sein Beruf, sein Geschäft, sein Dienst, sein Gewinn, sein Broderwerb gehe Allem vor, er dürfe sich nicht aufhalten und das Seinige versäumen; da doch die Noth kein Gesetz kennt, oder über allen Gesetzen, über aller Ordnung und Regel steht, und Liebe das größte und vornehmste Gebot ist, das einem Jeden bei allen Gelegenheiten in das Gewissen ruft: Was du willst, das man dir thue, das sollst du auch Andern thun. Wenn du so in Wunden und in deinem Blute lägest, was wolltest du anders, als daß dich der erste beste Vorübergehende verbinden und sich deiner annehmen möchte?

Ein Samariter aber reisete und kam dahin, und da er ihn sah, jammerte ihn sein. Wir wissen, was die Samariter waren, Abgefallne von Israel, mit denen die Juden keine Gemeinschaft haben durften, wenn sie nicht unrein werden wollten - denn sie wurden für Ketzer, Abgöttische und Ungläubige gehalten, und waren es im Allgemeinen wohl auch. Aber in welcher Nation, Kirche, Sekte und Partei ist der große Haufe gut? unter welchem Volk, unter welcher Partei und Sekte hat der Herr nicht die Seinen? wo giebt es nicht Ausnahmen von der Regel? Und gerade unter den schlechtesten und verworfensten Parteien giebt es oft die Besten. Der Herr kennt die Seinen. Die Juden glaubten, sie wären die Besten, und ihre Priester und Leviten, die Frömmsten und Heiligsten; und die Samariter hielten sie für die Verworfensten; aber der Heiland zeigt den Juden, was von ihren Priestern im Durchschnitt zu halten sey, und daß ein Samariter den wahren Gottesdienst viel besser verstehe und übe, als alle ihre Priester und Leviten. Schon die Samariterin beim Jakobsbrunnen und die durch sie erweckten Bürger von Sichar bewiesen, wie empfänglich sie vor vielen Juden waren, und wie gern sie glaubten, als sie den Heiland hörten. Aeußere Gottesdienstlichkeit ohne Uebung der Liebe und Barmherzigkeit kann Gott nimmermehr gefallen. Ein Heide, ein Samariter, der da liebt und sich des Elenden erbarmt, hilft und tröstet, wo Hülfe und Trost noth thut, ist dem Reiche Gottes näher, als ein Christ, der streng an seiner Form und seinem Bekenntniß hält, aber sein Herz vor der Noth und dem Elend des Armen verschließt. An den Früchten kennt man die Aechtheit des Baumes, nicht an den Blättern. Es war den Juden gewiß das beißendste und demüthigendste Gleichniß, daß der Heiland den Samariter so schön, und ihre Priester und Leviten so schlecht mahlte; daß Er das, was ihnen das Erste und Höchste galt, ihren Tempeldienst, so heruntersetzte, und die Uebung der Liebe und Barmherzigkeit über Alles erhob. Das war ihnen unerträglich und unglaublich, daß ein Samariter, ein Ketzer in den Augen Gottes besser seyn sollte, als ihre Priester und Leviten. Denn

Der Samariter ging zum Verwundeten hin, verband ihm seine Wunden, und goß darein Oel und Wein, hob ihn auf sein Thier und führte ihn in die Herberge, und pflegte sein. Das war besser, als in den Tempel eilen und dort opfern und räuchern, welches zu anderer Zeit, wo keine Noth um Hülfe ruft, wohl auch recht und gut war; aber wenn ein Verwundeter und Unglücklicher am Kirchwege liegt, und nach Hülfe seufzt und stöhnt, da mußt du dein Ohr nicht verstopfen und dein Herz nicht verhärten, nicht vorübereilen, um Gott im Tempel zu dienen. Hier ist der Tempel Gottes, hier will Gott, daß du Ihm dienest in den Armen und Elenden - In der Kirche will Er gerne warten, bis du erst dem nothleidenden Bruder die unentbehrlichen Dienste geleistet hast, die Gott so annimmt, als hättest du sie Ihm gethan. Dein Gebet, dein Opfer, deine Andacht im Tempel oder im Kämmerlein, wenn es auch das innigste wäre, kann dem Herrn nicht gefallen, wenn indeß ein Leidender schmachtet und über dich und deine Härte seufzet, womit du ihn um deiner Andacht willen vernachlässiget hast und an ihm vorbeigegangen bist. Seine Noth, seine Wunden, sein Schmerz schreit zu Gott und klagt dich an; Gott kann dich so wenig als den Kain gnädig ansehen.

Aber welch ein Anblick und Lustspiel für die Engel Gottes war die Liebe und Theilnahme des Samariters, womit er den Verwundeten behandelte. Welch ein süßer Geruch und Rauchwerk stieg da auf gen Himmel! welch eine heilige Stätte war dies! welch ein Altar der Liebe, wo der Samariter mit dem Elenden sich so liebevoll zu thun machte! Mit welchem Wohlgefallen hat Gott auf ihn herabgeschaut und ihn gesegnet, während Er mit Abscheu und Mißfallen von dem Dienste jener Priester und Leviten, die indeß im Tempel opferten, hinweggesehen haben wird, weil ihre Heuchelei vor Ihm ein Gräuel war. Der Samariter ist ein rechtes Beispiel der Liebe auch dadurch, daß er nicht bloß sorgte und bezahlte für den Elenden, nicht zu ihm sagte: ich muß jetzt meine Reise fortsetzen, kann mich nicht aufhalten, ich will dir aber Jemand schicken, und dafür bezahlen, der dir deine Wunden verbindet, und dich in eine Herberge bringt - nein, er legt selbst Hand an, er sieht, es hat Eile, er macht sich selbst die Freude und Lust, dem Leidenden schnell zu helfen, und seine Schmerzen zu lindern, und ihn sobald wie möglich von der öffentlichen Landstraße in eine Herberge zu bringen, wo er besser gepflegt werden kann. Er giebt sein Oel und Wein, welches er zu seiner Wegzehrung mitgenommen hatte, her, und wendet Alles an, um den Verlassenen zu erquicken. Was wird der Verwundete gedacht haben? Welch einen Engel sandte mir Gott! Wie kann dieser Fremdling mich so lieben, und sich meiner so annehmen! - O wie köstlich ist die thätige Liebe in Gottes, in der Engel und Menschen Augen! Sie erweckt im Himmel und auf Erden, Freude, Dank und Lobpreisung Gottes.

Daß der Heiland uns Alle ebenso antrifft in unserm Blut und Wunden, uns ebenso sich naht, verbindet, und Oel und Wein eingießt, uns pflegt und heilt und Alles für uns bezahlt, wie der Samariter, wird wohl Jeder selber erkennen, und Ihm dafür danken, sich Ihm hingeben und ganz herstellen lassen zu Seinem Preise.

Und da er des andern Tages wegreisete, zog er heraus zween Groschen, und gab sie dem Wirth und sprach zu ihm : Pflege sein, und so du was mehr wirst aufwenden, will ich dir's bezahlen, wenn ich wieder komme. Er sah den Geschlagenen, den er am Wege gefunden hatte, nun als sein Eigenthum an, das ihm Gott in die Hände gelegt hatte, und für das er sorgen müßte, wie für ein ihm von Gott anvertrautes Gut. Er dachte nicht: jetzt ist's genug, ich habe ihn in die Herberge gebracht, nun mögen Andere sich sein annehmen; ich habe das Meinige gethan. Nein, er ließ sich's nicht nehmen, ganz für ihn zu sorgen, und das angefangene Werk der Liebe zu vollenden, bis er ganz hergestellt seyn würde. Er scheut keine Kosten, als wenn er sein Sohn oder sein Bruder wäre. Ist denn aber nicht jeder Unglückliche, Hülfsbedürftige unser Bruder? Soll denn ein Mensch uns fremd seyn? Haben wir doch Alle Einen Vater, hat uns doch Ein Gott geschaffen, Ein Mittler und Heiland erlöset! Haben wir nicht Alle Eine Hoffnung unsres Berufs? Sollen wir uns nicht allemal an die Stelle des Leidenden versetzen und denken: Wenn ich das Unglück hätte, was würde ich wünschen, daß mir mein Nachbar und die Zeugen meines Elendes thun möchten?

Nun fragte der Heiland den Schriftgelehrten: Welcher nun dünkt dich, der unter diesen dreien der Nächste (der beste Freund) sey gewesen deß, der unter die Mörder gefallen war? Er sprach: der die Barmherzigkeit an ihm that. In ihren Schulen hatten es die Gelehrten ganz anders gelernt, gelehrt: nur ein Jude kann des Juden Nächster und Freund seyn; aber der Heiland widerlegt sie durch die That und Praxis, und zeigt ihnen, daß es nicht an der Form hange; sondern daß die Liebe und Barmherzigkeit über der Form und schulgerechten Lehre stehe -: daß auch ein Samariter und Ketzer als Mensch mein Nächster und Freund seyn könne und ich sein Nächster und Freund und Bruder seyn soll, wenn er meiner Liebe und Hülfe bedarf; daß ohne Unterschied ein jeder Mensch, er habe Namen und Farbe, welche er wolle, des andern Retter und Helfer seyn soll, wenn Noth und Liebe es gebietet. Wenn man Einen in der Noth sieht, muß man nicht erst fragen: Weß Glaubens, von welcher Kirche und Confession bist du? Der Gelehrte mußte gegen sein ganzes System antworten, daß nicht die Form und der Rock, sondern die Barmherzigkeit den wahren Freund und Nächsten bilde und beweise; daß die Orthodoxen: der Priester und der Levit Feinde und Fremde, lieblose und harte Nachbarn des unter die Mörder Gefallenen waren, und dagegen der barmherzige Samariter sich als seinen wahren Freund, Bruder und Nächsten erwiesen, und auch den Erschlagenen, ohne Rücksicht auf seine Religion für seinen Nächsten und Bruder angesehen und so behandelt habe.

Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin, und thue desgleichen. Aendre dein System. Das Wissen thut's nicht, Hand an's Werk, übe, was du weißt, daß du thun sollst. Das schönste System der Moral und Menschenliebe auf dem Papiere und in Büchern hilft nicht, so wenig als der Plan von einem Hausbau, wenn du ihn nicht ausführst, den Grund legst, und einen Stein an den andern anfügst, und sie gehörig verbindest.

Ihr Priester, ihr Leviten! ihr frommen Christen! die ihr fleißig Gottes Haus und Wort besuchet und gottesdienstlich seyd; nicht Opfer will der Herr, sondern Barmherzigkeit, Liebe, Hülfe, Handreichung, Oel und Wein in die Wunden, Hände, die Ihn in den Armen, Kranken, Verwundeten anfassen, für eine Herberge, Pflege und dergleichen sorgen, und ihre Groschen nicht sparen oder unnütz ausgeben, sondern an Ihn in den Armen und Kranken verwenden.

Möchte doch der barmherzige Samariter in allen Kirchen und Schulen, auf allen Universitäten und Bildungsanstalten, Prediger, Lehrer, Professor, Erzieher und Bildner seyn! Möchte er doch überall zum Muster dienen und Aller Augen auf ihn sehen! wie ganz anders würde es in der Christenheit aussehen! Möchte doch das - Gehe hin, und thue desgleichen;“ uns Allen in das Herz geschrieben seyn, und uns bei jeder Gelegenheit, wo wir desgleichen, wie der Samariter thun können und sollen, anspornen, .Barmherzigkeit und Liebe zu üben, unser Herz nie zu verschließen vor dem Leidenden. Denn so Jemand dieser Welt Güter hat, und stehet seinen Bruder darben, und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibet die Liebe Gottes bei ihm. Meine Kindlein, lasset uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern mit der That und Wahrheit. Daran erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind, und können unser Herz vor Ihm stillen. 1 Joh. 3, 17 - 19.

Wer liebet, der ist Gottes Kind,
In welchem sich das Leben find't;
Wer ohne Lieb' ist, bleibt im Tod,
Ist ohn Erkenntniß, ohne Gott.

Schlecht muß es um den Glauben stehn,
Wenn man des Nächsten Noth kann sehn,
Und wie ein Bach vorüberfließt,
Ohn‘ daß die Liebe sich ergießt.

Sprichst du von ihm: er ist mein Feind;
Wie kann man seyn des Feindes Freund?
Christ, sieh, es ist dein Fleisch und Blut,
Thu. wie der Samariter thut.

Ein Heide liebt nur, wer ihn liebt,
Thut dem nur Gut's, der ihm was giebt;
Allein ein Christ muß insgemein
Auch gegen Fremde (Feinde) gütig seyn.

Drum reicht in Bruderliebe dar,
Gemeine Lieb' auch offenbar,
So werdet ihr viel Feinde los,
Und euer Lohn bei Gott wird groß.

Du lieber Gott, Du Freundlicher!
Mach' meine Liebe brünstiger,
Laß mich darin unsträflich seyn,
Nach rechter Art, ohn' Heuchelschein!

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