Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Jänkendorf, 24.07.1826

Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Jänkendorf, 24.07.1826

Liebe, teure Schwester im HErrn!

Ihre Zeilen vom 13. d. M., die des lieben Gr. Antons1) Brief begleiteten, haben mich erst vorgestern in Königshayn gefunden, doch ist damit nichts versäumt worden, denn was Gr. A. verlangte, ist schon geschehen und er wird die Antwort von mir schon erhalten haben, nachdem sein Brief kaum aus seinen Händen gewesen ist.

Übrigens war es mir sehr angenehm, von Ihnen mit Ihren herzlichen Buchstaben überrascht zu werden. Es war auch mir nicht ganz recht, dass ich nicht vorher von Ihnen Abschied nehmen konnte. Es war nicht möglich, weil Abends noch Freunde kamen, und Alle bis 9 Uhr bei mir blieben, so dass ich kaum noch Anstalten zur Reise machen konnte. Doch was äußerlich nicht geschehen konnte, ist dem Geiste nicht verwehrt. Die Liebe segnet auch in der Ferne, und sie durchdringt Himmel und Erde. Ich segnete meine Feinde, (oder doch Unfreunde), warum nicht vielmehr die Freunde. Der Allen nahe ist und Alle mit seiner Liebe umfasst, hört uns auch gerne und viel lieber, wenn wir im Vertrauen und Gebet zu Ihm segnen, als wenn wir fluchen. Wenn ich Ihn nicht hätte und nicht also erkannte, möchte ich wohl nicht auf Erden sein. Aber in Ihm ist man dennoch selig. Seine Freundlichkeit versüßt uns die Unfreundlichkeit der Menschen. Er ist das Licht, sie sind der Schatten und gehören auf diese Weise auch zum Gemälde. Ich war nur 4 Tage in Königshayn und Görlitz, hatte da viele Freude im Schoß der ungesuchtesten Freundschaft und Liebe. Heute kam ich wieder nach Jänkendorf zurück, und morgen soll ich den lieben Grafen2) nach Klipphausen begleiten, wohin sein Bruder der 44. heute vorausgefahren ist. Dort werden wir 8 Tage bleiben und auch nach Dresden fahren. Den 10. Aug. gehts nach Gnadenberg und Stonsdorf, wohin bis den 16. Aug. auch der Propst Döring kommen wird, obwohl der Graf und H. es ihm missraten haben.

Grüßen Sie recht herzlich Ihre liebe Frau Tochter und lieben Schwiegersohn. Ihr Andenken wird mir immer teuer bleiben, sowie in einem andern Sinn, Leipzig unvergesslich.

Ich danke für alle Liebe und Freundschaft, die ich bei Ihnen genossen. Möge der HErr, der die Liebe ist und Wohlgefallen an Liebe hat, Sie Alle segnen mit der schönsten Gabe, der Liebe. Die Leipziger haben mich der Konventikel wegen vertrieben und nun muss ich doch alle Tage, überall wo ich hinkomme, Konventikel halten, ich kann's nicht abschlagen, wie wird das werden?

Friede sei mit Ihnen!

und Ihrem Gossner.

Jänkendorf, d. 24. Juli 1826.

1)
Graf Anton Stolberg.
2)
XXXVIII Graf Reuß, Besitzer von Jänkendorf
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