Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der Gewißheit unsers Heils.
Eine gute Hoffnung weiß nicht von Bestürzung.
Was bist du so unruhig, meine Seele, was zweifelst du noch an der Barmherzigkeit Gottes? Gedenke deines Schöpfers, der dich geschaffen hat ohne dich, der deinen Leib im Verborgenen gemacht hat, da dein Gebein gebildet ward unten in der Erde Ps. 139,15. Der also die Sorge für dich übernahm, da du noch nicht warest, sollte der nicht auch für dich sorgen, nachdem er dich zu seinem Bilde geschaffen hat? Ich bin Gottes Geschöpf, an den Schöpfer halte ich mich. Ist auch mein natürliches Wesen vom Teufel verdorben, verwundet und halb zu Schande gerichtet von Straßenräubern, nämlich von den Sünden, so lebt doch mein Schöpfer noch. Der mich in's Leben rufen konnte, der wird mich auch wieder heilen können. Der mich ohne alles Böse geschaffen hat, der wird auch alles Böse von mir nehmen können, das durch die Einflüsterung des Teufels, durch Adams Sünde, so wie auch durch mein eignes Thun in mich gedrungen ist und mein ganzes Wesen durchdrungen hat. Es wird mich mein Schöpfer wieder in den vorigen Stand einsetzen können, wenn er nur will. Und er will, denn wer hasset je sein eigenes Werk? Sind wir vor ihm nicht wie der Thon in deß Töpfers Hand? Jer. 18,6. Haßte er mich, so hätte er mich nimmermehr aus Nichts geschaffen. Er ist selbst der Heiland aller Menschen, sonderlich aber der Gläubigen 1 Tim. 4,10. Wunderbar hat er mich geschaffen, doch noch wunderbarer hat er mich erlöst. Nirgends hat es klarer sich gezeigt, wie sehr der Herr uns geliebt hat, als in seinem Leiden und in seinen Wunden. Der wird in Wahrheit geliebt, um deßwillen der Eingeborne aus dem Schoße des Vaters gesandt wird. Wenn du mein Heil nicht wünschtest, Herr Jesu, weshalb wärest du vom Himmel herabgestiegen? Aber du bist herabgestiegen auf die Erde, in den Tod, an's Kreuz. Um den Knecht zu erlösen, hat Gott seines Sohnes nicht verschonet. Fürwahr mit großer Liebe umfaßt er das menschliche Geschlecht, der um der Erlösung deß menschlichen Geschlechtes willen seinen Sohn dahingegeben hat, daß er mit Leiden angethan, dem Tode überliefert, an's Kreuz geschlagen würde.
Fürwahr ein sehr theurer und hoher Preis, um den wir erlöset sind; darum eine werthe und große Barmherzigkeit des Erlösers. Es könnte einem so vorkommen, als ob Gott seine auserwählten Kinder mit eben so großer Liebe umfaßte, als seinen eingebornen Sohn; denn das, woran wir etwas wenden, ist werther als das, was wir daran wenden. Um Kinder zu haben, die es erst durch Annahme an Kindes Statt geworden, hat Gott seines wahren und dem Wesen nach ihm gleichen Sohnes nicht verschonet. Was ist es daher Großes, daß er im himmlischen Hause uns Wohnungen bereitet hat, da er seinen Sohn uns gegeben hat, in de in die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnete? Col. 2,9. Gewiß wo die ganze Fülle der Gottheit, da ist auch die ganze Fülle des ewigen Lebens und der ewigen Herrlichkeit. Wenn er nun in Christo die ganze Fülle des ewigen Lebens gegeben hat, wie wird er denn ein kleines Theilchen desselben versagen? Fürwahr mit großer Liebe umfaßt der himmlische Vater uns seine angenommenen Kinder, um welcher willen er seinen eingebornen Sohn dahin gegeben hat. Fürwahr mit großer Liebe umfaßt uns der Sohn, der um unsertwillen sich dahin gegeben hat. Um uns reich zu machen, erduldete er die äußerste Armuth, denn er hatte nicht, da er sein Haupt hinlegen konnte Matth. 8,20. Um uns zu Kindern Gottes zu machen, wird er Mensch und begibt sich unserer auch für's Künftige nicht, nachdem er ein Mal das Werk der Erlösung vollbracht hat, sondern bittet noch für uns, nachdem er zur Rechten der göttlichen Majestät gesetzet ist Röm. 8,34. Wie wird er mir irgend etwas, was zu meinem Heile wichtig ist, nicht zuwenden, da er, um das Heil mir zu Wege zu bringen, sich selbst geopfert hat? Was wird der Vater dem Sohne abschlagen, der ihm gehorsam geworden ist bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuze? Phil. 2,8. Was wird der Vater dem Sohne abschlagen, nachdem er das vom Sohne gebrachte Opfer zuvor schon angenommen hat?
Mögen meine Sünden mich anklagen, ich sehe mein Vertrauen auf diesen Fürbitter. Der entschuldiget ist großer als der anklagt. Mag meine Schwachheit mich schrecken, ich rühme mich seiner Stärke. Mag der Satan mich anklagen, wenn mich nur dieser Mittler entschuldiget. Mag der Himmel und die Erde mich anklagen und meiner Ungerechtigkeit mich schuldig zeihen, mir ist's genug, daß der Schöpfer Himmels und der Erde und die Gerechtigkeit selbst für mich bittet. Es reicht mir hin zum Verdienst, zu wissen, daß das Verdienst nicht hinreicht. Es reicht mir hin, daß ich den zum Freunde habe, an dem ich allein gesündiget habe. Was der beschlossen hat mir nicht anzurechnen, das wird so sein, als wäre es nie gewesen. Mich beunruhiget es auch nicht, daß meine Sünden eben so schwer, als manchfaltig und häufig wieder vorgekommen sind. Denn fühlte ich keine Last wegen meiner Sünden, so würde ich nach der Gnade jenes nicht verlangen. Fühlte ich meine Krankheit nicht, so würde ich die Hilfe des Arztes nicht anrufen. Er ist selbst der Arzt Matth. 9,12; er ist selbst der Seligmacher Matth. 1,21; er ist selbst die Gerechtigkeit 1 Cor. 1,30; er kann sich selbst nicht leugnen 2 Tim. 2,13. Ich bin krank, ich bin verdammt, ich bin ein Sünder, ich kann mich selbst nicht leugnen. Erbarme dich meiner, o Arzt, o Seligmacher, o Gerechtigkeit! Amen.