Frommel, Emil - Die zehn Gebote Gottes in Predigten - Viertes Gebot. 1.
Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.
Text: 2. Mose 20,12.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebst im Land, das dir der Herr dein Gott gibt.
In Christo geliebte Freunde! Gott ist ein Gott der Ordnung. Wie diese Ordnung durch das ganze Weltall geht und wiederum Ordnung ist in allen Gesetzen, nach denen die Kräfte der Erde sich bewegen, so waltet auch eine heilige Ordnung in dem Gesetz, wonach der Mensch leben soll. Jedes Gebot hat seine bedeutsame Stelle, keines ist mit Willkür an die Stelle gesetzt, die es einnimmt. Schauen wir einmal zurück in die drei ersten Gebote und in das heutige, welch heiliger Zusammenhang ist doch unter ihnen, wie rückt uns doch Gott in jedem Gebot näher und näher! Das erste Gebot handelt von dem Gott, den aller Himmel Himmel nicht fassen, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann, der in einem Licht wohnt, da Niemand zukommen kann. Aber schon mit dem Wort: „Ich bin dein Gott“ verheißt Er, dass Er dem Menschen gegenüber nicht verborgen bleiben will, dass er mit dem Menschen reden will und der Mensch auch mit Ihm reden soll, und darum schenkt Er ihm im zweiten Gebot seinen heiligen Namen. Mit diesem Namen soll der Mensch Ihn anrufen, und jeder Name Gottes soll ihm ein festes Schloss werden, darin er errettet wird, soll ihm eine feste Zusage sein, dass Gott sich ihm offenbaren werde in einer Gnade und Herrlichkeit. Damit alle diesen seinen Namen kennen lernen, damit er verkündigt und gepriesen würde, schenkt der Herr in dritten Gebot den Sabbattag. Er führt den Menschen an den Ort, wo seine Ehre wohnt; dort soll er seinen Herrn schauen durch den dunklen Spiegel in einem dunklen Wort, bis dass er ihn einst schaue von Angesicht zu Angesicht. Wie nahe ist und Gott schon gekommen im dritten Gebot! nun weilet Er mitten unter uns. Denn wo sein heiliges Wort verkündet wird, wo eine betende Gemeinde ihr Herz aufwärts zum Herrn erhebt, da ist Er. Aber näher will Er uns noch kommen, greifbarer und sichtbarer vor uns treten; nachdem Er uns im dritten Gebot in sein Haus genommen, geht Er im vierten Gebot in unser Haus und stellt uns mit dem Wort: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ die Eltern als seine Stellvertreter vor Augen und weiht dadurch unser Haus und den Staat zu seiner Hütte bei den Menschen. Nun hast du deinen Gott in Vater und Mutter recht nahe. Köstlich hat aber auch der Herr mit diesem Gebot die Brücke gebaut zwischen den Geboten gegen Ihn und den Geboten gegen unsern Nächsten. Handelten die drei ersten vom rechten Verhalten gegen Gottes Person, heiligen Namen und heiligen Tag, so handeln die sechs letzten vom rechten Verhalten gegen unsern Nächsten, zwischen drinnen aber steht das Gebot gegen die Eltern. Denn sie sind auf der einen Seite Gottes Stellvertreter, auf der andern aber sind sie unter unsern Nächsten die allernächsten. So ist denn in weiser Ordnung jedes Gebot mit dem andern verbunden. So lasst uns denn diese köstliche Ordnung im vierten Gebot in unsern Häusern aufpflanzen mit dem Wort: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Dass Keines unter uns sage, dies Gebot sei ihm zu gering, bedenkt es: es ist das erste Gebot, das Verheißung hat! Dass Keines sage, es sei heute eine Kinderpredigt, die gehe ihn nichts an; es ist ein Gebot das Eltern und Kinder gleichmäßig trifft. Wer dies Gebot gering achtet und aus dem Gesetz Gottes streicht, der streiche auch mit kecker Hand alle Gesetze und Ordnungen im teuren Vaterland; denn an der Verachtung dieses Gebotes hängt unheilschwer der Fluch über ein ganzes Land. Wir schauen für heute:
- Woher die Würde der Eltern stammt.
- Wie diese Würde verletzt wird von den Eltern selbst.
- Wie sie verletzt wird von den Kindern.
I. Woher stammt die Würde der Eltern?
Geliebte Freunde! Je weiter hinein wir in die Gebote kommen, umso mehr strafen sie uns, umso mehr Jammer und um so mehr Wunden werden offenbar, und zwar sind es Wunden, die vor Jedermanns Augen liegen. Es werden uns vom vierten Gebot an traurige Zustände aufgedeckt, bei denen es keiner besonderen Erleuchtung bedarf, um sie zu erkennen, denn sie leuchten von selber ein. Mancher, der es nicht Wort hat haben wollen, dass es mit der Abgötterei, mit dem Missbrauch des Namens Gottes, mit der Entheiligung des Sabbattages so schlimm aussieht und dass alle diese Übertretungen so traurige Folgen haben, so Mancher, sage ich, spricht und denkt beim vierten Gebot: „Hierin sieht es schlimm in der Welt aus“ oder er muss gar sagen: „Heute kommt mein Herzeleid dran, in diesem Stück habe ich traurige Erfahrungen gemacht.“
Es geht eben dem Menschen mit den Geboten, wie mit dem Vaterunser; die drei ersten Bitten, sagt er, verstünde er nicht und kümmere sich auch nicht drum, ob Gottes Name geheiligt werde oder nicht, ob sein Reich komme oder nicht, ob sein Wille geschehe oder nicht; aber die vier letzten Bitten vom täglichen Brot an verstehe er, diese seien ganz recht. So kümmern sich manche Eltern um die drei ersten Gebote gar nicht; haben wohl ihren Gott verloren, fluchen und schwören, entheiligen den Sonntag; aber das vierte Gebot soll gehalten werden samt den übrigen: sie wollen gehorsame Kinder haben, wollen nicht totgeschlagen noch bestohlen sein. Diese letzten Gebote sind ihnen ganz recht. Meine Lieben! das heißt Früchte wollen ohne den Baum, und ernten, wo man nicht gesät hat, Mit dem Halten des vierten Gebotes siehts darum so schlimm aus, weil es mit dem Halten der drei ersten so traurig aussieht. Denn Gott lässt sich keinen Stein aus den Geboten herausbrechen; das vierte Gebot ruht auf den drei ersten. Denn auf was gründet sich die Würde der Eltern, die sie in Anspruch nehmen und deren Respektierung sie verlangen?
Wohl scheint es, als ob das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern von Natur aus schon ein heiliges sei, dass sich das Ehren und Lieben der Eltern bei den Kindern von selbst verstehe; allerdings der Zug beider zu einander, den Gott in die menschliche Natur gelegt, ist gewaltig. Es flattert schon der Vogel ängstlich her um das Nest seiner Jungen, schützt sie unter seinen Flügeln, und so zieht es auch den Vater und die Mutter zum Kind, sie müssen sich sein erbarmen. Wenn Gott von der innigsten Liebe zu uns reden will, stellt Er sie noch über die Vater- und Mutterliebe und spricht: Wie sich ein Vater erbarmt über seine Kinder, so erbarmt zich der Herr über die, so ihn fürchten, oder: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, so will Ich doch dein nicht vergessen. So liegt auch im Kind ein tiefer Zug zu Vater und Mutter, es streckt seine Arme besonders nach der Mutter aus, wiewohl es sie nicht kennt; es fühlt sich allein ohne die Mutter, es ist froh und getrost, wenn es nur den Saum des Kleides der Mutter hat, es ist ja nichts ohne sie. Ist nun dies Band nicht stark genug, Eltern und Kinder zu verbinden, ists nicht die natürliche Liebe, die den Eltern die Krone ihrer Würde aufsetzt? Sollte es nicht so sein, wie es einst in einem heidnischen Staat war, wo man kein Gesetz gegen die Vatermörder gab, weil der Gesetzgeber sagte: „Ein solch unnatürlich Verbrechen werde nie vorkommen.“ So sollte es sein, aber es ist nicht so. Wenn es so wäre, dann brauchte der Herr nicht zu sagen: „Du sollst deinen Vater und Mutter ehren.“ Siehst du nicht unnatürliche Kinder genug, die für ihre Eltern Misshandlungen und Scheltworte und sogar Schläge haben, statt Achtung und Liebe? Nein! Gott muss das Ehren und Lieben der Eltern auf einen tieferen Grund bauen. Er baut dies Ehren und Lieben der Eltern darum auch nicht auf den Sand menschlicher Klugheit. Denn dass man sagt: „sie sind älter und klüger denn wir, sie tun uns Gutes und erziehen uns, lassen uns Etwas lernen,“ und daraus das Ehren und Lieben ableitet: damit ist nichts gewonnen; denn wie wärs, wenn ein Kind nun törichte Eltern hätte, oder lieblose Eltern, die ihm nichts Gutes gönnten, die es nichts lernen ließen, dürfte dann das Kind sagen: ich darf sie verachten, ich habe das Recht dazu? Gewiss nicht, denn sehr wahr hat Jemand gesagt: Der liebe Gott sagt nicht: „Du sollst deinen gescheiten und liebevollen Vater ehren,“ sondern es heißt schlechtweg: „Du sollst deinen Vater ehren,“ mag er sein wer und wie er wolle. Siehe, bei einem Fürsten ists dasselbe; der ist ja der Landesvater. Sollen wir nur den weisen, frommen, gerechten und liebevollen Fürsten ehren? ihn aber nicht ehren, wenn er diese Tugenden nicht hat? Nein, der Apostel schreibt kurzweg: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat,“ und das schreibt er unter der Regierung eines Kaisers, der seine eigene Mutter und seinen Lehrer umgebracht hat.
Ihr seht, liebe Freunde, es muss also das Ehren der Eltern einen tieferen, heiligeren Grund haben; Jemand anders muss es sein als die natürliche Liebe und Klugheit, der ihnen die Krone aufsetzt und ihnen ihre Würde schenkt. Wer ist das? Siehe, was steht auch vor diesem Gebot? Es steht auch vor ihm: Ich bin der Herr dein Gott: du sollst deinen Vater und Mutter ehren. Durch ein majestätisches Wort Gottes sind sie eingesetzt, „das Gebot des HErrn ist die goldene Kette, die sie an ihrem Hals tragen,“ sagt Luther. Der HErr gibt Ihnen eine Hoheit, die sie sich nicht geben, die sie sich darum auch nicht nehmen können. Er ernennt sie zu seinen Stellvertretern und zu seinen Gesandten, wie auch unser Katechismus sagt: Wir sollen sie in Ehren halten, „dieweil uns Gott durch ihre Hand regieren will.“ Ihr Regiment im Haus soll ein Abbild seiner Vaterschaft im Himmel sein, sie sollen mit ihm die Kinder erziehen, und die Kinder sollten in Ihnen den HErrn schauen. Darum befiehlt Gott auch sie zu ehren. Köstlich sagt der große Katechismus Luthers: „Diesem Vater- und Mutterstande hat Gott sonderlich den Preis gegeben vor allen Ständen, die unter ihm sind, dass Er nichts Gemeines gebietet, die Eltern lieb zu haben, sondern auch zu ehren; denn gegen Brüder und Schwestern und den Nächsten insgemein befiehlt Er nichts Höheres, denn sie zu lieben; also dass Er Vater und Mutter ausscheidet und auszeichnet vor andern Personen auf Erden und neben sich setzt: denn es ist ein viel höher Ding Ehren denn Lieben, als das nicht allein die Liebe in sich begreift, sondern auch eine Zucht, Demut und Scheu, als gegen eine verborgene Majestät.“
Ja das gibt den Eltern ihre Würde, dass Gott der rechte Vater hinter ihnen steht, sie schützt und spricht: Nicht mit dem armen Vater und der schwachen Mutter hast dus zu tun, du Kind, wenn du sie nicht ehrst, sondern mit mir, mit dem starken gewaltigen Gott! Wisse, an Mir vergreifst du dich, wenn du dich an den Eltern vergreifst! Denn wer sich an dem Stellvertreter oder Gesandten eines Königs vergreift, und ihn antastet, der tastet die geheiligte Person des Fürsten selbst an.
Darum ruht auch auf dem Haupt des versunkensten Vaters immer noch ein Schimmer der Herrlichkeit, die er von Gott um seines Amtes willen hat. Es gilt hier von den Eltern, was David von Saul sagte. Zu jenem Mann, der den König Saul getötet hatte, jenen König, der doch von Gott verworfen war und sich von Ihm gewandt hatte: „Wie, dass du dich nicht gefürchtet hast, deine Hand zu legen an den Gesalbten des Herrn!“ Auch in seiner Verworfenheit ist er dennoch der Gesalbte de Herrn; so bleibet auch der versunkenste Vater immer noch der Vater. Dabei möchte ich eines rührenden Zuges eines Kindes gedenken. In Wien ging ein feiner, wohlgekleideter, junger Mann an einer Schar von Züchtlingen vorüber, die in ihrer Züchtlingstracht die Straße kehrten. Da blieb er plötzlich stehen und ging auf einen Züchtling zu und küsste ihm die Hand. Ein Staatsrat sah dies gerade von seinem Zimmer aus, ließ den jungen Mann zu sich rufen und sagte zu ihm, es schicke sich doch nicht für ihn, einem Züchtling die Hand zu küssen. Darauf erwiderte mit innerer Bewegung der junge Mann: „Aber dieser Mann ist mein Vater.“ Da konnte der Staatsmann nichts mehr sagen. So ruht nicht um ihrer Person willen, sondern um des Gebotes Gottes willen auf Vater und Mutter solche Würde und Herrlichkeit. Der HErr hat sie gegeben. Darum habe ich oben gesagt: Es kann Niemand das vierte Gebot halten, ohne die drei ersten zu halten. Denn wer den Gott nicht fürchtet, der die Eltern einsetzt, wer wird die Eltern ehren, die von ihm eingesetzt sind? Wer den Gott für nichts achtet, der seine Stellvertreter gesandt hat, der wird auch seine Stellvertreter für nicht achten. Darum steht auch in der Erklärung dieses Gebotes wieder, wie in den übrigen, voran: Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten usw. Gottesfurcht und Gottesliebe sind die heiligen Kronwächter, die der Eltern Ehrenkrone hüten. Daraus kommt allein das rechte Ehren und Lieben der Eltern.
Ihr teuren Eltern, seid Ihr Euch bewusst und wisst Ihr, dass ihr Eltern von Gottes Gnaden seid? So freut Euch mit mir, dass eine heilige, allmächtige Hand die Krone auf unser Haupt gesetzt hat. Aber fühlt mit mir, wie schwer diese Krone drückt, welch ein Amt sie auferlegt, welch weisen and gerechten Szepter diese Krone nun auch verlangt. Ach bedenkt es$ mit Furcht und Zittern, dass ihr eine Krone tragt, über die der Herr einst Rechenschaft verlangen wird! Webe dem Vater und wehe der Mutter, die dies vergessen!
Wo sich Eltern das rauben lassen, dass sie von dem HErrn selbst eingesetzt, von Gottes Gnaden Eltern sind, die haben damit den Edelstein aus ihrer Krone herausgebrochen und weggegeben. Sie verletzen selbst ihre Würde, die Gott ihnen gegeben. Es tut aber not, vor solchem Tun zu warnen und zu fragen:
II. Wie solche Würde von den Eltern selbst verletzt wird?
Das geschieht einmal da, wo Eltern den HErrn verachten, der sie eingesetzt. Wo man den Kindern vorangeht im Unglauben und Spott über heilige Dinge, wo man es vor ihnen öffentlich ausspricht oder im Geheimen merken lässt, wie wenig man sich eigentlich um den HErrn bekümmere und um die Dinge seines Reiches; spottet über das Wort des Herrn und seine Witze mit ihm treibt und es lächerlich macht - wie wollen solche Eltern von den Kindern verlangen, dass sie das Gebot achten, das ja auch in der Bibel steht: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren?“ Wenn der Vater spottet über das Wort: „Ich bin der Herr dein Gott“ - wird da da Kind nicht dem Vater ins Angesicht lachen, wenn er es ermahnen und ihm befehlen will und spricht: „Ich bin dein Vater?“
Wie schwer wird es ferner einem Kind, in seinem Vater noch Hoheit und Würde zu sehen, wenn er sich in Trunk und Spiel, in Fressen und Saufen unter das Tier herabwürdigt? Oder wenn es an seiner Mutter fast nichts hat, weil sie in eitler Weltlust dahingeht und sich nichts um es kümmert? Wo Kinder den Bedienten und Mägden zur Erziehung überlassen werden und es hergeht, wie Jemand wahr geschildert hat, dass wenn man in ein Haus tritt und die Kinder allein sieht und sie fragt: Kindlein, wo ist euer Vater? die Antwort erhält: Im Wirtshaus; oder „Kindlein, wo ist eure Mutter?“ „In der Gesellschaft;“ „Kindlein, wo sind eure Mägde?“ „Drunten auf der Straße stehen sie und plaudern unterm Tor!“ - Wie kann ein Kind Achtung vor der Würde des Vaters haben, wenn der Vater selbst sein wehrloses Weib vor den Augen der Kinder beschimpft oder sie gar schlägt? Denn glaubt nur nicht, dass das nur auf dem platten Land vorkommt, ihr findet das in den sogenannten „gebildeten“ Ständen ebenso gut. Sagt an, ihr Väter, helft ihr da nicht eure Krone selbst zertreten? Wenn, ihr Mütter, den Vater der Kinder vor ihnen als einen einfältigen Menschen behandelt, vor ihnen redet von ihm, alle von einem Menschen, der nicht weiß, was er redet: Wie! setzt ihr selber nicht damit die Krone auch von eurem Haupt? Wenn ihr Dinge vor ihnen verhandelt, die Zucht und Sitte verletzen, wenn ihr sie Bücher lesen lasst oder an Orte mitnehmt, wo der einfältige kindliche Gehorsam ihnen lächerlich gemacht, das Umgehen des elterlichen Gebotes, das Überlisten der alten Eltern als Etwas Witziges und Geistreiches dargestellt wird? Merkt ihr nicht, wie da die Achtung vor eurer Würde schwindet? Ja wenn ihr sie Euch ungestraft antasten lasst, etwa ein böses Wort, das sie über Euch reden, belacht und sagt: „mein Bube ist eben ein gescheiter Junge;“ - wenn ihr statt den einfachen und schnellen Gehorsam von euren Kindern zu verlangen, euch lange rechtfertigt über das, was ihr von ihnen begehrt, lange Reden und Gegengründe bringt; euch sorgfältig auszudrücken sucht, damit ihr ja nicht ihr zartes Gemüt beleidigt; wenn ihr euch neben sie stellt, ihnen das Recht der Widerrede lasst - sagt selbst! wie soll denn da das Kind von eurer von Gott verliehenen Würde etwas merken? wie solls verstehen, dass ihr aus göttlicher Machtvollkommenheit als seine Stellvertreter mit ihnen handelt? Heißt denn das an Gottes Statt regieren? Steht ihr denn mit euren Kindern auf dem Fuße eines Vertrags, wobei das Kind zu jeder Zeit eure Schritte kritisieren darf? Seid ihr nicht dem HErrn allein Rechenschaft schuldig über eure Handlungen, namentlich so lange die Kinder noch ganz unerwachsen sind? Oder rechtfertigt sich denn Gott vor uns Menschen? Blickt in die Gebote hinein, sagt er da etwa: „Du sollst nicht töten, denn das wäre sehr unrecht und sehr unklug! ich bitte dich, tue das nicht, erkenne, dass es das Vernünftigste ist, nicht zu töten?“ Nein, er spricht kurzweg: „Du sollst nicht töten“ und droht ernst mit seiner Strafe. Raubt ihr nicht auch die Würde, die der HErr auf euer Haupt gelegt, wenn ihr uneinig unter euch seid und doppelt Regiment führt? Wenn das eine Kind seinen Schutz am Vater und das andere seinen Schutz an der Mutter hat? Wenn das Kind etwa vom Vater gezankt oder gestraft wird, die Mutter es heimlich aber auf den Schoß nimmt und spricht: „Der Vater ist zu streng und ungerecht, hier hast du etwas für deine Schmerzen“ und dann das Kind beschenkt und küsst? Oder so ihr einen Unterschied in der Liebe gegen eure Kinder macht, das eine vorzieht, das andere herumstoßt; vielleicht ach! nur um der äußeren Geistesgaben willen, die das eine Kind mehr hat denn das andere - leidet nicht da eure Würde, muss nicht das Kind irre werden an eurer Gerechtigkeit? Ach ich habe von Kindern gehört, die behandelt sind als wären sie landfremde Menschen; denen es nicht einmal vergönnt war an Vaters und Mutters Tisch mitzuessen! Was muss da in einem solchen Kindesherzen entstehen? Ihr raubt euch selbst eure Würde, wenn ihr dieselbe nicht anders aufrecht zu erhalten wisst, als durch Scheltworte und durch den Stock, wenn ihr in ungöttlichem Zorn straft und dann auch durch willkürliche Forderungen eure Kinder zum Zorn reizt.
Ihr vergebt euch aber auch in dieser Würde ebenso sehr, wenn ihr in die Kinder wie in einen Spiegel schaut, sie als Engel betrachtet, sie lobt vor ihren eigenen Ohren, als eine Art lebendiges Spielzeug sie anseht und sie verzärtelt. „Zärtele mit deinem Kind und es wird dich mit Ruten schlagen.“ sagt Salomo. Glaubt nur besser, als ihr selbst, kennen eure Kinder eure Schwächen. Sie lohnen schlecht, wenn Ihr aus Schwachheit und in der Meinung ihr Herz an euch zu ziehen, euer Gut teilt und der Gnade eurer Kinder euch überlasst.
Ihr sehet an alledem, Geliebte, wie mannigfach die Versündigung der Eltern an ihrer von dem HErrn gegebenen Würde ist. Nur einige solcher Verletzungen habe ich euch nennen können, sie sind aber vielfach; bei dem Einen geschehen sie offenbarer, bei dem andern verborgener. Dürfen wir uns darum wundern, wenn die Kinder noch mithelfen, diese Würde herabzuziehen? wenn sie die bereits halb aus den Händen gegebene Ehrenkrone noch vollends herunterreißen? geschieht es doch schon an Eltern, die sich bewusst sind, Gottes Stellvertreter zu sein, und die, (obwohl in aller Schwachheit) dennoch mit Ernst ihr heiliges Amt zu führen und dem Herrn mit unbeflecktem Gewissen darüber Rechenschaft zu geben suchen; wie vielmehr wird es an den Eltern geschehen, die selbst den Kindern die Waffen gegen sich in die Hand geben? Es ist leider so. Wir schauen darum noch
III. Wie diese Würde der Eltern von den Kindern verletzt wird?
Massenweise kommen aus allen Ständen die Klagen über die Entartung der Kinder. - Da klagt eine Mutter über den Ungehorsam ihrer Kinder, dort ein Vater über den Trotz seines Knaben; dort klagen Eltern über die Unzufriedenheit ihrer Kinder und andere über Scheltworte, über böse Reden aus Kindermund, über Misshandlungen und sogar über Schläge von Kindeshand. Viele Eltern können nicht mehr rühmen mit dem Psalm von ihren Kindern, dass sie seien „wie die Ölzweige um die Tische her;“ sondern müssen sagen: „sie sind wie die Dornzweige um die Herzen her.“ Ja nicht einmal das können sie sagen, was doch einst eine heidnische Mutter von ihren Söhnen sagen konnte. Zu dieser Frau, sie hieß Cornelia, kam an einem Tag einst eine andere vornehme Frau. Im Gespräche zeigte diese Frau der Cornelia ihren Schmuck und ihre Edelsteine und forderte sie auf, ein Gleiches zu tun. Die Cornelia schwieg und zog das Gespräch hinaus, bis ihre beiden Söhne aus der Schule kamen. Da nahm sie sie bei der Hand, führte sie vor die Frau und sprach: „Siehe! diese hier sind mein Schmuck und meine Edelsteine.“
Wie viele christliche Mütter sind es, die Solches von ihren Kindern sagen und rühmen können? Oder sind nicht viele Mütter da, die ihre Kinder aus dem Haus schaffen müssen, wenn Besuch zu ihnen kommt, damit sie nicht an Ende Schande erleben müssen an ihnen? Es ist weit heruntergekommen mit der Entartung der Kinder; jedes Zeitungshaus ist ein schlagendes, betrübendes Beispiel und Zeichen, wie es auf dem Land aussieht; wer will aber die Rettungshäuser für die vornehmen Kinder bauen?
Es gibt allerdings Kinder genug, die wie der Katechismus sagt: „ihre Eltern und Herren verachten und erzürnen;“ verachten heißt: die Achtung wegwerfen, sich neben und über die Eltern stellen, alles das vergessen, was sie an einem getan.
Da sitzt der Vater - er hat sichs sauer werden lassen in seinem Leben, um seinem Kinde Etwas zu erwerben, damit das Kind es leichter habe als er es gehabt; der sichs abgespart hat am Eigenen, um sein Kind Etwas lernen zu lassen: da kommt denn der „Herr“ Sohn und tut, wie wenn sich das von selber verstünde, ja wie wenn der Vater lange nicht genug an ihm getan, muss es hören, wie er mit nichts zufrieden ist und nicht übel Lust hat, mit dem verlorenen Sohn zu sagen: „Gib mir das Teil der Güter, das mir gehört.“ Es gibt ja Kinder, die meinen auf Kontrakt mit dem Vater zu stehen, und dem Vater jeden Kreuzer, den er braucht, aufrechnen. Da sitzt eine Mutter mit Gefahr ihres eigenen Lebens hat sie das Kind geboren, hat Nächte lang an seinem Bett gewacht und namenlose Geduld mit ihm gehabt; in irgend einer Krankheit ist sie am Bett gesessen, hat ängstlich auf jeden Atemzug gehorcht; hat gesorgt für das Kind und lieber sich was versagt und dem Kind gegeben. O Mutterliebe! wer kann dich schildern, wer kann dich preisen! Und siehe! das Kind ist größer geworden, nun tritts hin vor die Mutter, fährt ihr über den Mund, wenn sie etwas gebietet, meint, die Frauen verstünden nichts, verachtet und verspottet ihr Wort und spricht: höchstens des Vaters Rat nehme es an, aber von ihr lasse es sich nichts sagen; dort wirft gar einer seinen Eltern vor, „sie wollten ihn ruinieren und ständen seinem Lebensglück nur im Weg;“ mutet ihnen Dinge und Absichten zu, die man nicht dem schlimmsten Menschen zumuten würde. Noch anderer Verachtung der Eltern lasset mich gedenken.
Dort schämt sich Mancher seiner Eltern; mag er etwa von der Wanderschaft oder von Reisen heimgekommen sein: da dünkt ihm Alles so altfränkisch und seine Eltern so altmodisch; da wird er verlegen, wenn man ihn um seine Eltern fragt, tituliert ihren Stand höher, damit es nicht herauskomme, dass er eines ehrlichen Bauern oder ehrenfesten Handwerkers Kind sei (was früher unserer Väter Stolz war); dort ist manchem vornehmen Herrn sein ungebildeter Vater unbequem; schämt sich nicht zu ihm etwa vor einer Gesellschaft zu sagen: „Betrage dich nur anständig und rede keine solch einfältige Sachen wie gewöhnlich, du machst dich nur lächerlich.“ O arme Kinder, wisst ihr nicht, wen ihr damit verachtet! Wisst ihr nicht, mit wem ihr also redet? Der HErr, euer Gott ists, der eure Worte hört, der hinter den Eltern steht. Lasst einen Vater gar alt und schwach werden, wie gehts ihm dann? Gottlob es gibt manche Kinder, die pflegen ihn, seine Krankenstube ist die Segensstätte im Haus, sein Krankenbett eine ernste Kanzel, von der herab jedes Wort mit Ernst und Liebe gehört wird - aber es gibt auch Häuser, da liegt hinten im abgelegensten Zimmer der alte Vater, damit man seinen Husten und sein Jammern nicht höre und durch ihn nicht gestört werde, da wirds ihm heimlich oder offen gesagt, dass er sich bald zur Ruhe legen könne; da kanns mancher vornehme Sohn und mancher Bauernsohn nicht erwarten, bis der Alte seine Füße zusammenlegt, damit die Erbschaft bald anfangen könne. O ich frage in dieser Kirche Euch, die ihr mit diesen Dingen zu tun habt, wie Erbteilung und dergleichen, sagt einmal: Schämtet ihr euch nicht über die Reden, die ihr aus Kinder Mund hören musstet, oft noch über den toten Vater, dessen Leiche kaum kalt geworden?
Ja wahr ists was unser Volk sagt: „Es kann eher ein Vater sechs Kinder ernähren, als sechs Kinder einen Vater.“
So sagt man ein Exempel von einem Vater in Nürnberg, der hatte sechs Kinder und übergab ihnen alle seine Güter, Haus, Hof, Äcker und alle Bereitschaft und versah sich dessen zu seinen Kindern, sie würden ihn ernähren. Da er nun bei seinem ältesten Sohn eine Zeitlang war, wurde der Sohn sein überdrüssig und sprach: „Vater, mir ist diese Nacht ein Knäblein geboren, und wo jetzt euer Armstuhl ist, soll seine Wiege stehen, wolltet ihr nicht zu meinem Bruder ziehen, der eine größere Stube hat?“
Da er nun eine Zeitlang bei dem andern Sohn gewesen war, wurde der auch sein müde und sprach: „Vater, Er hat gerne eine warme Stube, und mir tut der Kopf davon weh: will er nicht zu meinem Bruder gehen, der ein Bäcker ist?“
Der Vater ging, und da er nun eine Zeitlang bei seinem dritten Sohn gewesen war, wurde er auch diesem zur Last, dass er sprach: „Vater, bei mir geht es aus und ein, wie in einem Taubenschlage, und du kannst dein Mittagsschläflein nicht machen, willst du nicht zu meiner Schwester? die wohnt an der Stadtmauer“ - und der Alte merkte, wie viel es geschlagen hatte, und sprach bei sich selbst: „Wohlan, das will ich tun! Ich will mich aufmachen und es bei meinen Töchtern versuchen! Die Weiber haben ein weicheres Herz.“
Da er aber eine Zeitlang bei seiner Tochter gewesen war, wurde auch sie sein überdrüssig und meinte, es sei ihr immer höllenangst, wenn der Vater zur Kirche, oder sonst wohin gehe und die hohe Treppe hinunter müsse. Bei der Schwester Elisabeth brauche er keine Treppe zu steigen, die wohne zur ebenen Erde.
Damit er in Frieden wegkam, gab ihr der Alte zum Schein Recht und zog zu seiner andern Tochter. Und da er eine kurze Zeit bei ihr gewesen war, wurde sie auch sein müde und ließ ihm durch einen Dritten zu Ohren kommen, ihr Quartier an der Pegnitz wäre zu feucht für einen Mann, der mit der Gicht geplagt sei, dagegen ihre Schwester, die Totengräberin bei St. Johannis, hätte eine überaus trockene Wohnung. Der Alte glaubte selbst, sie könne Recht haben, und begab sich vor das Tor zu seiner jüngsten Tochter.
Und als er zwei Tage bei ihr gewesen war, sagte ihr Söhnlein zu ihm: „Großvater, die Mutter sprach gestern zur Base Elisabeth, für dich gebe es kein besseres Quartier, als - in einer Kammer, wie sie der Vater grabe.“ Über diese Rede brach dem guten Alten das Herz, dass er in seinen Armstuhl zurücksank und starb. St. Johannis nahm ihn auf und ist barmherziger gegen ihn, als seine sechs Kinder, denn er lässt ihn in seiner Kammer immer ungehindert schlafen seit dieser Zeit. Darum sagt man im Sprichwort, dass ein Vater leichter kann sechs Kinder ernähren, denn sechs Kinder einen Vater, und gibt den Alten den Rat: „Tue dich nicht aus, ehe du dich schlafen legst!“
Dort erzürnt ein Kind seinen Vater und Mutter durch Widerspruch und Ungehorsam und durch unbeugsamen Trotz. Liebe Eltern, die ihr eure Kinder wahrhaft liebt! wenn der erste Widerspruch, wenn die erste Lüge auf die Lippe des Kindes kam, wenn das Kind euch nicht mehr in sein Auge und Herz blicken ließ wie in ein aufgeschlagenes Buch, wenn ihr das erste Misstrauen eurer Kinder gegen Euch fühltet, wie war euch zu Mute? Ja wie war Euch? Ein Schmerz mag durch euer Herz gezogen sein, wie er durch unsern Gott gegangen ist, als das erste Menschenpaar, seine Kinder Adam und Eva sich von Ihm gewandt, als sie ihm nicht mehr glaubten, als sie sich vor ihm versteckten in die Büsche. Euch war, als müsstet ihr in euer Kämmerlein gehen und weinen, und dem Gott es klagen, der ins Verborgene sieht und ihn bitten, dass Er, der im Verborgenen wirkt, das Kindesherz regiere und auf ebenen Weg bringe.
Wohl kommen aus dem Kinde die argen Gedanken, aber was für Steine kann nicht ein schlechter Umgang auch zwischen ein Kind und seine Eltern werfen! Wie an einem giftigen Tau welken da im Kinderherzen die Blumen des Vertrauens und der treuen Hingebung an die Eltern. Wo aber innerlich das Band sich löst und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern verletzt wird in den Gedanken, da verletzt man es bald auch äußerlich in rohen Worten. Ach man kann ja Dolche und Schwerter in der Eltern Herzen stoßen mit den Worten die man redet; heillose Reden von Kindern gegen ihre Eltern habe ich schon hören müssen! Wenig Väter sind es, die in solchem Fall dann das Rechte treffen, die einen Ernst ohne Bitterkeit gegen das Kind zu beweisen, und den seufzenden Aufblick zu dem Herrn nicht vergessen, der Richter über das alles, der aber auch ein Herr ist über das trotzige Menschenherz. Ich gedenke noch einer andern Art die Eltern zu erzürnen, da nicht allein durch Reden, sondern auch durch Schweigen ihr Herz gekränkt wird. Es gibt ein Schweigen gegen die Eltern, das ist herber als alles Reden, ein Schweigen so eiskalt, so tötend, ein Schweigen aus einem Herzen voll Bitterkeit. Wehe dem Kinde, das so zu schweigen versteht!
Ach, dass es nur bei solchem Reden oder Schweigen bliebe, aber es fehlt nicht an Kindern, die die Hand auch aufheben wider die Eltern, denen sie nächst Gott Alles zu verdanken haben. Entschuldigt euch nicht, ihr Kinder, dass ihr sagt: „Es ist im Zorn geschehen, oder ich war gereizt.“ Würdet ihr der Eltern Würde bedenken, auch der grimmigste Zorn dürfte euch nicht zum Scheltwort oder gar zu Misshandlung bewegen; aber im Zorn kommt nur heraus, was bereits im Herzen war. Sagt auch nicht: „Meine Eltern sind auch darnach“ oder „Sie habens ihren Eltern auch nicht anders gemacht!“ Traurig, wenns wahr ist, aber habt ihr nicht vorhin gehört, dass auch ein wunderlicher, ja selbst ein schlechter Vater, dennoch der Vater bleibt, und dass auch hinter ihm der HErr steht?
Der Gott aber, der als sein Stellvertreter die Eltern eingesetzt, wird sie auch zur Rechenschaft ziehen. Er fordert Eltern, die ihre Ehrenkrone mit Füßen getreten haben, vor sein Gericht, lässt ihnen hier schon bezahlen, was sie an Ihm und ihren Kindern verschuldet haben. Gibts eine ärgere Strafe, als wenn der Herr aus den eigenen Kindern eine Geißel für die Eltern flicht? Wenn sie an den Kindern ihre eigene Sünde lebendig vor Augen schauen, wenn sies bekennen müssen, dass der Herr an ihnen ihre Versündigung an ihren Eltern durch die Kinder heimsucht, ja wenn sies nicht leugnen können, dass sie selbst dem Kind den Stab in die Hand gegeben, um nach ihnen zu schlagen? Nicht für einen Vater, der seinen alten Vater nicht am Tisch essen ließ und ihm ein Tröglein aus Holz machte, darin er sein Essen bekam, hat das eigene Büblein auch ein Tröglein geschnitzt, und dem Vater, als er frug, was er da mache, die Antwort gegeben: „das ist für euch, wenn ihr einmal so alt seid wie der Großvater;“ das haben Tausende von Vätern auf tausendfache Art erfahren. „Wer einen Raben erzieht, der wird ihm die Augen aushacken“, sagt unser Volk. Der Lebensabend solcher Eltern, die ihre Würde verletzt, ist nicht erheitert durch liebe Kinder, sondern mit düstern Wolken umzogen und vor der Zeit fahren sie mit Jammer in die Grube. Aber ebenso sucht der Herr alle gottlosen Kinder heim. Ernst spricht sein heiliges Wort: „Ein Auge, das den Vater verspottet und verachtet der Mutter zu gehorchen, das müssen die Raben am Bache aushacken und die jungen Adler fressen.“ „Wer seinem Vater und seiner Mutter flucht, des Leuchte wird verlöschen mitten in der Finsternis!“ Damit keines wähne, es dürfe einen Unterschied machen zwischen Vater und Mutter, ists wohl gesagt: „Des Vaters Segen baut den Kindern die Häuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder.“ Vater- und Mutterfluch, Vater- und Muttertränen und Seufzer, wie dringen sie doch aus so vielen Häusern, wie rauben sie, wie Schreckensgestalten, die Ruhe, wie nehmen sie den Segen trotz aller Arbeit! wundert euch nicht, wenn wenig Segen in den Häusern ist, wenig Segen in den Ehen, die ohne und gegen den Willen der Eltern geschlossen sind! Aber weiter geht noch die Strafe.
Tiefsinnig sagt unser Volk: „Die Hand, die Vater und Mutter geschlagen, müsse aus dem Grabe wachsen.“ Es will damit sagen, dass der Fluch übers Grab hinaus folgt. Das geschieht auch. Es werden Freudentränen einst geweint werden, wenn treue Eltern und treue Kinder sich drüben in der Gottesstadt nach der Trennung ans Herz sinken; aber es werden auch Eltern erblassen, wenn sie ihre Kinder als Ankläger vor sich erblicken; und Kinder werden ihr Augenlicht erloschen wünschen, um ihre Eltern nicht sehen zu müssen, deren Herz sie gebrochen haben.
Meine teuren Freunde! Ist dies Gebot so gering zu achten, da doch sein Fluch bis in jene Zeit droben hineinreicht? Seht ihr dies aber nicht ein, glaubt ihr nicht jenen Jammer, nun so verschließt doch nicht mutwillig eure Augen vor dem Jammer hienieden, der aus der Übertretung dieses Gebotes folgt. Fragt in den Zuchthäusern, womit die angefangen, die gestohlen und gemordet, oder die als Staatsverbrecher leiden? Sie haben damit angefangen, dass sie ihrer Eltern Gebot verachtet! darnach haben sie auch das Gebot des Staats in den Wind geschlagen; erst haben sie ihre Eltern verstört, gegen sie die Hand erhoben, ihnen die Krone geraubt ehe sie nach der Krone ihres Fürsten die Hand gestreckt; erst haben sie die Hand wider die Eltern erhoben, ehe sie sie gegen den Nächsten erhoben haben. Dort sitzt mit die Hauptkrankheit unseres Volks- und Staatslebens. Drum sagt ein teurer Mann: „Von den Kinderstuben aus wird die Welt regiert.“ Das heißt nicht, dass Kinder sich in die Regierung des Landes mischen sollen, denn wehe dem Land, des König und Berater Kinder sind; aber das meint er, dass so wie es in den Kinderstuben in Zucht und Gehorsam aussieht, so sieht es auch im Staat aus. Es ist noch keiner ein großer Mann im Staat geworden, der nicht entweder einen tüchtigen Vater, oder namentlich auch nicht eine fromme Mutter gehabt; und Keiner kann recht befehlen, der nicht selber gehorsam und untertan seinen Eltern war. Je weiter unsere Familien und die Kinderzucht herunter kommen, um so weiter wird der ganze Staat herunter kommen. Drum helfen die schönsten Verordnungen für den Staat nicht, wenn nicht von Innen heraus die Häuser gebessert werden; es nützt einem Haus nichts, es schön anzustreichen, wenn der Schwamm in den Balken und Wänden sitzt! Ja es heilt sie weder Kraut noch Pflaster, sondern Dein Wort, HErr, das alles heilt! So heile denn du uns, du großer Arzt, heile die Eltern, heile die Kinder; baue du, großer Bauherr, die Häuser zu Zionsburgen und Friedenshäusern, dann werden auch feststehen die Mauern zu Jerusalem! Amen.