Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – 3. Das Aufblühen der Kolonie.
Du machest das Land voll Früchte, die Du schaffst
PS. 104,13
In kurzer Zeit gewann nun jene Wildnis eine neue Gestalt, das ganze Land wurde urbar gemacht; auf den Hügeln, wo früher die Dorngesträuche wucherten, grünte der Weinstock in üppiger Fülle, und in den Tälern prangten die Wiesen und wogten die Kornfelder. Dörfer erhoben sich, deren erstes in der Nähe von Montalto erbaut und Borgo degli Oltramontani (Marktflecken derer von jenseits der Berge) genannt wurde. Fünfzig Jahre nach ihrer Niederlassung bauten sie San Xisto, welches hernach die Hauptstadt der Kolonie wurde. Später wurden die Dörfer Vacarisso, Argentina, San Vincenzo und Irussi gegründet und so wurde dieses Land durch den Fleiß seiner neuen evangelischen Bewohner binnen Kurzem eine der schönsten Gegenden Kalabriens. Die Kolonisten genossen in Stille ihre erworbenen Rechte, und indem sie ihre Grundzinsen und Zehnten, nach Gebrauch jener Zeit redlich entrichteten, lebten sie friedlich von ihrer Hände Arbeit.
Indes erregte der Wohlstand der neuen Landeskinder den Neid der alten Einwohner, und das um so mehr, da die Waldenser sich beharrlich weigerten, an ihren Lustbarkeiten Teil zu nehmen.
Als die Priester die Waldenserbevölkerung beständig wachsen und Dörfer gründen sahen, wollten sie sich ihnen als Pfarrer aufdrängen; allein die Waldenser widerstanden ihnen beharrlich, indem sie erklärten, sie hätten sich zwar verpflichtet, ihnen den Zehnten zu entrichten, und den bezahlten sie pünktlich, keineswegs aber ihre Religion zu ändern. Nun schrien die Priester über Ketzerei und nannten die Kolonisten verruchte Ketzer. Da aber die Landeigentümer sich durch den Fleiß derselben immer mehr bereicherten, so verwandten sie sich zu ihren Gunsten und überredeten die Priester, sie in Ruhe zu lassen, da ja durch den Landbau dieser Ketzer ihre Zehnten sich bedeutend vermehrt hätten. Dieser Grund schlug durch, und die Priester ließen die sogenannten Ketzer nun in Ruhe, indem sie sich begnügten, denselben zur Erntezeit einen Besuch abzustatten, um ihre Zehnten in Empfang zu nehmen. Indes berief der Markgraf Spinello Waldenser auf seine Güter, und ermächtigte sie, eine mit Mauern umgebene Stadt zu bauen, welche dieselben La Guardia (die Wache oder Warte) nannten. Als gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts neue Verfolgungen gegen die Waldenser in den piemontesischen Tälern entbrannten, zogen viele von dort zu ihren Glaubensbrüdern in Kalabrien, bei welcher Gelegenheit drei neue Dörfer gegründet wurden, nämlich La Cellaia, Faetto und La Motta; und da manche in Kalabrien keinen Raum fanden, so ließen sie sich in verschiedenen Gegenden des Königreichs Neapel nieder, einige Familien selbst in Sizilien.