Calvin, Jean - Psalm 30.
Inhaltsangabe: David war aus irgendeiner großen Gefahr erlöst. Dafür dankt er Gott nicht allein für sich, sondern lädt zugleich auch alle Heiligen zu dieser Pflicht ein und ermahnt sie dazu. Zweitens gesteht er, dass er sich im Glücke zu sicher gefühlt habe und deshalb von Gott mit Recht wegen dieses falschen Selbstvertrauens bestraft worden sei. Nachdem er dann noch einmal kurz seinen Kummer ausgeströmt, dankt er dem Herrn aufs Neue.
V. 1. Die Ausleger zweifeln, ob dieser Psalm von David gedichtet worden ist oder von einem Propheten nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft: denn bei der Einweihung des Hauses denken viele an den zweiten Tempel. Doch wird die Überschrift so zu verstehen sein, dass es sich um ein Wohnhaus für David handelte. Andere wiederum meinen, dass David, als er im Begriff stand, seinen Palast einzuweihen, von einer schweren Krankheit befallen worden sei (vgl. V. 3). Aber zu dieser Annahme liegt kein triftiger Grund vor. Vielmehr ist nach der heiligen Schrift zu schließen, dass er nach Vollendung seines Palastes ruhig und gemächlich in demselben gelebt hat. Er sagte nämlich dem Propheten Nathan, dass er sich schäme, selbst in einem Hause von Zedern zu wohnen, während die Bundeslade unter den Teppichen wohne (2. Sam. 7, 2). Wir werden auch durch nichts genötigt, dass, was er hier von der Gefahr sagt, auf eine Krankheit zu beschränken. Es ist viel glaublicher, dass David dem Herrn dieses Danklied gesungen hat, als er nach dem Tode Absaloms, der Zerstreuung seines Anhangs und der Niederwerfung dieses gefährlichen Aufstandes gleichsam zum zweiten Mal König geworden war. Erinnert er doch (V. 7), dass ihn Gott dann gezüchtigt habe, weil er in den Tagen des Glücks sich zu sehr erhoben und fast trunken geworden war, so dass er sich in falscher und törichter Weise einredete, er werde für alle Zeiten vom Unglück verschont bleiben. Seinen prächtigen königlichen Palast hatte er nun wieder bezogen, als die Ruhe im Königreich hergestellt war: aber jetzt reizte er nicht mehr Gottes Zorn, noch beschwor er Gottes Strafe herauf, - denn er konnte die Gebrechlichkeit menschlichen Glücks nicht mehr vergessen, nachdem er mit großer Not dem äußersten Verderben entronnen war. So ist es nur natürlich, dass David in diesem Psalm Gottes Gnade preist, die alles wieder in den vorigen Stand gesetzt hatte. Denn das Haus, das durch Absaloms Ehebruch und andere Verbrechen verunreinigt war, musste aufs Neue geweiht werden: und diese Einweihung bedeutete dann wohl überhaupt Davids Wiedereinsetzung in das Leben und die königliche Herrschaft. Mit der Überschrift will er also sagen, dass er dieses Loblied gesungen, nachdem die öffentliche Ruhe wieder hergestellt war und er sein Haus aufs Neue in feierlicher Weise geweiht hatte, um dort mit den Seinen zu wohnen. In Betreff dieser heiligen Handlung ist übrigens noch folgendes zu bemerken: da wir in der Betrachtung der göttlichen Wohltaten nur zu oft träge und schläfrig sind, so war solche Weihe den Kindern Israel befohlen, damit sie erkennen sollten, dass ohne Danksagung jeder Gebrauch eines Dinges unrein und unrechtmäßig ist. Wie sie also durch die Erstlinge den Ernte-Ertrag des ganzen Jahres als Gottes Gabe anerkannten, so erklärten sie durch die Einweihung ihrer Häuser, dass sie sich als Beisassen betrachteten, denen Gott Herberge gewährte. Daher war es auch ein Grund zur Befreiung vom Kriegsdienst, wenn jemand diese feierliche Zeremonie vorzunehmen hatte. Endlich war die Weihe für jedermann eine Erinnerung, dass man erst dann richtig und regelrecht in einem Hause wohnen könne, wenn dasselbe gleichsam ein Heiligtum Gottes wurde, in welchem Frömmigkeit und rechte Gottesverehrung im Schwange gehen. Sind nun auch jetzt solche Schattenbilder des Gesetzes dahingefallen, so gilt doch die Lehre des Paulus, dass alles, was Gott zu unserm Gebrauch bestimmt, durch Glaube und Gebet geheiligt werden muss.
V. 2. Ich preise dich, Herr. Da David gleichsam aus dem Grabe zum Leben zurückgebracht wurde, so verspricht er, dass er Gottes Namen erheben will. Denn so wie Gott uns, wenn wir in die Tiefe gesunken sind, durch seine Hand emporzieht, so ist es wiederum unsere Pflicht, sein Lob mit Mund und Zunge zu predigen. Die Feinde, denen Gott keinen Anlass zur Schadenfreude in die Hand gab, waren offenbar sowohl äußere wie innere. Denn viele ruchlose und böswillige Untertanen dienten dem Könige zwar mit schmeichelnder Unterwürfigkeit, trugen aber einen Hass im Herzen verborgen, der nur auf die Gelegenheit zum Aufruhr wartete.
V. 3 u. 4. Da ich schrie zu dir, machtest du mich heil. David zieht den Schluss, dass allein Gottes Gnade ihn gerettet hat, weil er in äußerster Todesgefahr sein Gebet an den einigen Gott richtete und plötzlich erfuhr, dass es nicht vergeblich war. In der Tat ist die Erhörung unserer Gebete der sicherste Beweis, dass Gott es ist, der uns rettet. Der Ausdruck, dass Gott den David gesund oder „heil“ machte, hat die Ausleger verleitet, an eine Krankheit zu denken. Da aber das Wort bei allerlei Wiederherstellungen gebraucht wird (z. B. Ps. 60, 4), dürfen wir es auch hier allgemein auf die Errettung aus Todesgefahr deuten. David fühlte sich gleichsam ins Leben zurückversetzt, als ihn der Herr aus schweren und äußersten Gefahren riss, wie er denn erläuternd fortfährt (V. 4): Du hast meine Seele aus der Unterwelt geführt. Er glaubt die Größe der Gnade nicht anders mit Worten ausdrücken zu können, als dadurch, dass er jene trübe Zeit mit dem Grabe und der Unterwelt vergleicht: musste er sich doch ängstlich flüchten und sich in Schlupfwinkeln verbergen, um sein Leben zu erhalten, bis das Feuer des Aufstandes gelöscht war. Nunmehr rühmt er wie ein vom Tode Erstandener seine wunderbare Rettung aus dem schon geöffneten Todesrachen. Wie verzweifelt seine Lage gewesen, wissen wir aus der heiligen Geschichte.
V. 5. Lobsingt dem Herrn. Um seinen Dank noch besser zu bezeugen, ruft David alle Heiligen herbei, um Genossen seines Dankes zu sein. Auch zieht er aus diesem einen Fall eine allgemeine Regel: seine wider alles Hoffen erfahrene Rettung wird ihm zum Unterpfand dafür, dass Gottes Güte gegen alle Gläubigen andauernd und unermesslich ist. Deshalb bricht er in diesen Ermahnungsruf aus, in welchem er das Heil der ganzen Gemeinde mit dem seinigen zusammenschließt. Denn er berichtet nicht nur, welche Gnadenerfahrungen er selbst bei seinem Gott gemacht hat, sondern wie freundlich und gnädig der Herr überhaupt den Seinen zu helfen pflegt. Seine persönliche Erfahrung wird ihm der Anlass zu diesem allgemeinen Glauben. Die „Heiligen“, welche David anredet, sich buchstäblich die „Gnädigen“ oder die „Gütigen“. Es ist dasselbe Wort, welches auch Ps. 4, 4 gebraucht wurde. Die Annahme zur Gotteskindschaft muss ja in den Gläubigen den Eifer anzünden, Gutes zu tun und ihres Vaters Geist spüren zu lassen, der seine Sonne aufgehen lässt über die Bösen und über die Guten (Mt. 5, 45). Denn nichts vermag die Menschen ihrem Gott näher zu bringen als Gutes tun.
Preist sein heiliges Gedächtnis. Damit könnte etwa die Stiftshütte gemeint sein. Freilich müsste man dann übersetzen: „preist bei seinem heiligen Gedächtnis.“ So würde David die Kinder Gottes auffordern, zur Bundeslade zu kommen, die insbesondere das Denkzeichen der Gegenwart Gottes war. Richtiger wird man doch Gottes „Gedächtnis“ als seinen Namen deuten. Durch seine Werke schafft Gott sich einen Namen, bei dem wir seiner gedenken: in diesen Werken leuchtet der Abglanz seiner Herrlichkeit, deren Anblick uns zum Lob erwecken soll.
V. 6. Gottes Zorn, der einen Augenblick anhält, und seine Gnade, die lebenslang in ununterbrochener Dauer währt, stehen in unverkennbarem Gegensatz. David legt das Bekenntnis ab, dass Gott, wenn er auch die Seinen züchtigt, nicht nur die strenge Strafe möglichst mildert, sondern sich überhaupt alsbald wieder versöhnt zeigt und seinem Zorn ein Maß setzt, - dass er dagegen seine Nachsicht und verzeihende Gnade lange Zeit währen lässt. Dabei will er, wie gesagt, weniger von sich persönlich reden, als eine allgemeine Regel aufstellen, damit alle Frommen inne werden, dass dieser ununterbrochene Fortgang der Gnade auch für sie Geltung habe. Hieraus kann man aber ersehen, welch milden Geistes er war, und mit welch bereitwilligem Gehorsam er seinen Rücken der Rute Gottes darbot. Wir wissen ja, dass er von der ersten Blütezeit seines Lebens an fast sein ganzes Leben hindurch fortdauernd durch Heimsuchungen mannigfachster Art so geprüft wurde, dass er unglücklicher und mühseliger als alle anderen erscheinen konnte. Trotzdem preist er Gottes Gnade und erkennt an, dass er nur leicht, nur für kurze Zeit, gleichsam nur im Vorübergehen vom Unglück heimgesucht worden sei. Hieraus erklärt sich auch sein Maßhalten und seine Billigkeit, dass er Gottes Wohltaten hochschätzte und im Ertragen des Kreuzes sich geduldiger zeigte, als die Welt im Allgemeinen zu tun pflegt. Wenn es uns gut geht, so verschlingen wir die Wohltaten Gottes, ohne sie zu empfinden, oder lassen sie doch wenigstens in unserer Fahrlässigkeit unbeachtet vorübergehen. Sobald jedoch etwas Trauriges und Unglückliches sich ereignet, klagen wir so über Gottes Strenge, als hätte er sich nie gütig und milde gegen uns erwiesen. Endlich macht unser irdischer Sinn und unser Übermaß des Schmerzes aus einem Augenblick ein Jahrhundert, während unsere Bosheit und Undankbarkeit Gottes Gnade, mag sie noch so lange über uns gewaltet haben, so darstellt, als hätte sie nur einen Augenblick gedauert. Es ist daher eine Schuld unserer Bosheit, wenn wir es nicht alle tatsächlich erfahren, dass Gottes Zorn nur kurze Zeit dauert, während seine Gnade unser ganzes Leben lang anhält. Denn nicht umsonst verkündigt der Herr immer wieder (z. B. 2. Mo. 34, 6 f.; Ps. 103, 8 ff.), dass er barmherzig und geduldig sei, langsam zum Zorn und zum Verzeihen bereit, und dass er Gnade bewahre bis in tausend Geschlechter. Und was er durch Jesaja (54, 7) sagt, muss sich an jedem Tage neu erfüllen, weil es auf die Zeit des Reiches Christi zielt: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen; aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.“ Ich gestehe, dass unser Leben in dieser Welt so reich ist an Leiden und so wechselvoll, dass fast kein Tag ohne Mühe und Schmerz vergeht; auch der zweifelhafte Ausgang aller unserer Schritte macht uns immer wieder ängstlich und furchtsam. Wohin daher auch die Menschen sich wenden mögen, überall umgibt sie ein Irrgarten von Übeln. Doch wenn Gott seine Getreuen auch durch noch so viel Zeichen seines Zornes erschreckt und demütigt, so legt er ihnen doch immer etwas von der Süßigkeit seiner Gnade bei, um dadurch ihren Kummer zu verringern und zu lindern. Wenn man daher auf rechter Wage den Zorn Gottes und sein Wohlgefallen gegeneinander abwiegt, so wird es sich einmal als Wahrheit herausstellen, dass jener eine kurze Zeit dauert, dieses sich dagegen bis ans Ende des Lebens erstreckt. Ja, währt sogar weit darüber hinaus, da man Gottes Gnade doch nicht in den engen Grenzen dieses hinfälligen Lebens beschlossen denken darf. Überhaupt wird man dafür halten müssen, dass nur Leute, die sich durch eine Empfindung himmlischen Lebens über diese Welt erheben lassen, den unermüdlichen und ununterbrochenen Lauf der Gnade Gottes so ernstlich spüren, dass sie seine Züchtigungen freudig ertragen. Auf diesen Grund stellt uns auch Paulus, wenn er mit unbesieglichem Duldermut bekräftigt (2. Kor. 4, 17 f.): „Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.“ Inzwischen dürfen wir auch festhalten, dass Gott den Seinen niemals zu harte und zu lange Strafen auflegt: Er zieht alsbald seine strafende Hand wieder zurück und würzt den bitteren Schmerz mit irgendeinem Trost. Wer sich daher durch die Betrachtung des himmlischen Lebens aufrichtet, der wird nie in den Heimsuchungen, mögen sie auch noch so lange anhalten, unterliegen; und wenn er diese Heimsuchungen mit den großen und mannigfachen Beweisen der göttlichen Gnade vergleicht, so wird er letztere so viel größer finden, dass er bekennen muss, dass Gottes Güte hundertfach seinen Zorn überwiegt. –
Der zweite Satz des Verses wiederholt denselben Gedanken in einem Bilde. Denn die Meinung ist nicht, dass jedes Weinen nur einen Abend lang währt, sondern das Bild will besagen, dass, wenn es dunkel wird wie beim Sonnenuntergang am Abend, das Licht zur Erquickung trauriger Gemüter doch alsbald wieder aufgehen muss. David will uns einprägen, dass der Herr uns schon zu seiner Zeit Anlass zur Freude geben wird, wenn uns auch für kurze Zeit die Finsternis des Leides zu verschlingen scheint: unsere Ungeduld muss es nur erwarten lernen, dass auf die Nacht die Morgenröte folgt.
V. 7. Ich aber sprach usw. Jetzt legt David, wie ich schon erinnerte, das Geständnis ab, dass er nach Recht und Verdienst für seine törichte Sicherheit gestraft wurde, weil er vergessen hatte, wie wandelbar das Geschick ist, und sich ein beständiges Glück versprach. Mit den Worten: „da mir es wohl ging“, deutet er auf den ruhigen und glücklichen Stand seines Reiches. Andere denken dabei freilich an Reichtum: das passt aber nicht so gut. David will sagen, dass, als das Glück ihm von allen Seiten zulächelte und nirgends sich Gefahr zeigte, so dass er sich hätte fürchten müssen, sein Geist gleichsam von Schlafsucht übermannt wurde, so dass er sich einbildete, sein Glück werde immer ununterbrochen dauern. Dieses fleischliche Selbstvertrauen beschleicht selbst dann und wann die Heiligen, wenn sie auf ihren Ergötzungen wie auf der Hefe stillliegen. Deshalb vergleicht Jeremias (31, 18) Ephraim, bevor es von Gott gezüchtigt war, mit einem ungebändigten Kalbe. Scheint nun Davids Vergehen auf den ersten Blick nur leicht, so lässt sich doch aus der Strafe abnehmen, wie sehr es dem Herrn missfiel: und darüber werden wir uns nicht wundern, wenn wir bedenken, aus welcher Wurzel es hervorgeht und welche Früchte es trägt. Denn da wir den Tod in tausendfacher Gestalt fortwährend vor Augen haben, und da so viele Zeichen der Veränderung uns zur Furcht und Sorge mahnen, so müssen wir von teuflischem Stolz bezaubert sein, wenn wir uns einbilden, dass unser Leben von dem Lose der gesamten Welt verschont bleiben werde. Wir sehen ja, welch bunter Wechsel auf Erden herrscht, und wie alle irdischen Dinge sich bald hierhin, bald dorthin wenden. Wie können wir uns da über das Menschengeschick erhaben dünken und meinen, dass wir unveränderlich und ewig aufrecht stehen würden? Aus solcher Gedankenlosigkeit erwächst der Übermut des Fleisches, in dem man seinen Lüsten den Zügel schießen lässt, ferner ein hochfahrendes und liebloses Wesen, endlich Lässigkeit im Gebet. Denn wie sollte man zu Gott seine Zuflucht nehmen, wenn keine Empfindung eigener Bedürftigkeit dazu treibt? Allerdings haben auch die Kinder Gottes ihre fromme Sicherheit, die bei den wilden Stürmen auf Erden ihre Herzen ruhig erhält. So musste David, selbst wenn er sah, dass die ganze Welt erschüttert wurde, trotzdem im Vertrauen auf Gottes Verheißung guter Hoffnung in Bezug auf die beständige Dauer seines Reiches sein. Aber die Gläubigen, wenn sie sich auch auf den Flügeln des Glaubens hoch emporschwingen und das Unglück verachten, denken daran, dass auch sie den allgemeinen Beschwerden unterworfen sind. Deshalb bereiten sie sich darauf vor, zu dulden, und sind zu jeder Stunde darauf gefasst, Schläge zu empfangen. In diesem Kampfe, zu welchem sie sich bestimmt wissen, üben sie sich, sie ermannen sich von der Schlaffheit und flüchten sich zitternd in den Schutz Gottes. Denn sie halten sich nirgend anders für sicher als nur unter seiner Hand. So war es nicht bei David, als er durch das Wohlleben sich fesseln ließ: dass er sich ewigen Frieden versprach, entsprang mehr seinem Gefühl, als dass er sich dabei auf Gottes Wort gestützt hätte. In denselben Fehler fiel auch der heilige König Hiskia, der sich nach Erhörung seines Gebets und glücklicher Rettung aus schwerer Krankheit alsbald durch fleischliche Eitelkeit zu stolzer Prahlerei verleiten ließ (2. Chron. 32, 24 ff.). Wie viel mehr müssen wir uns hüten, dass bei glücklichen Erfolgen uns Satan nicht mit seinen Schmeicheleien bezaubere! Je mehr Freundlichkeit jemand also von Gott erfährt, desto sorgfältiger muss er sich vor solchen Fallstricken hüten. Immerhin wird David nicht so stumpfsinnig gewesen sein, dass er Gott verachtet und aller Übel gespottet hätte, - wie wir bei vielen Gewaltmenschen sehen, dass sie im Rausche ihres Glücks über Gottes Gerichte nur hochmütig lachen. Vielmehr hatte sich wohl eine gewisse weichliche Schlaffheit seines Geistes bemächtigt, so dass er im Beten lau wurde, nicht mehr an Gottes Gnade sich klammerte und endlich dem wechselvollen und vergänglichen Glücke zuviel Vertrauen schenkte.
V. 8. Denn, Herr, durch dein Wohlgefallen usw. Dieser Vers weist auf den Unterschied hin zwischen der Zuversicht, die auf Gottes Wort gegründet ist, und der Sicherheit des Fleisches, die aus der Anmaßung hervorgeht. Denn wenn die Gläubigen sich auf Gott verlassen, so sind sie dabei nicht lässig im Gebet, sondern im Gegenteil, weil sie ernstlich bedenken, von wie vielen Gefahren sie umgeben sind, und weil sie so viele Beispiele menschlicher Vergänglichkeit vor Augen haben, so lassen sie sich dieses zur Warnung dienen und seufzen zu Gott. Das Vergehen Davids bestand also darin, dass er seinen Anker auf den gegenwärtigen Wohlstand und den augenblicklichen Frieden warf, oder dass er die Segel ausspannte, um sich durch den günstigen Wind treiben zu lassen, statt sich auf die gnädige Güte Gottes zu verlassen und jeden Augenblick bereit zu sein, alles, was er zusammengebracht hatte, willig in seine Hand zu legen. Zu beachten ist nämlich der Gegensatz zwischen der Sicherheit, die hervorgeht aus dem Selbstvertrauen, das man hat, wenn alles in Frieden ist, und der Sicherheit, die sich auf Gottes freie Gunst gründet. Dass der Herr Davids Berg stark gemacht hatte, deuten einige Ausleger auf den Berg Zion; andere fassen es gleichbedeutend mit befestigter Burg, weil früher die Bollwerke auf den Bergen und erhabenen Plätzen errichtet wurden. Ich glaube indessen, dass wir es mit einem Bilde zu tun haben, welches ein fest gegründetes Glück beschreibt, - wobei immerhin eine Anspielung an den Berg Zion vorliegen mag. David beschuldigt sich also der Torheit, weil er nicht genügend bedacht hatte, dass das Nest, das er sich geschaffen, nicht in sich selbst Festigkeit besaß, sondern allein durch Gottes Wohlgefallen.
Aber da du dein Antlitz verbargst usw. Jetzt gesteht er, dass es ihm zum Heilmittel diente, der Gaben Gottes beraubt zu werden: es wurde dadurch sein Herz von dem Taumel eitlen Selbstvertrauens befreit. Welch wunderbares und unglaubliches Verfahren! Indem Gott sein Angesicht vor seinem Diener verbarg und ihn gleichsam mit Finsternis bedeckte, erleuchtete er seine Augen, die bei hellem Lichte nichts wahrnahmen. Aber es ist nötig, dass wir in dieser Weise heftig erschüttert werden, damit wir von den falschen Hoffnungen frei werden, die den Glauben niederdrücken, uns am Leben hindern und uns durch ihre süße Torheit ganz betäuben. Wenn nun David eines solchen Mittels bedurfte, so sind wir nicht so gesund, dass wir es nicht gleichfalls nötig hätten: unsere behäbige Sicherheit muss erst durch Mangel erschüttert werden. Wir brauchen uns deshalb nicht zu wundern, wenn Gott dann und wann sein Angesicht vor uns verbirgt, da wir uns gegen den freundlichen Blick seiner Augen in Blindheit verschließen.
V. 9. Zu dir, Herr, rief ich. Jetzt folgt die Frucht der Züchtigung. Bislang hatte David geschlafen und war mit beiden Ohren taub gewesen, auch hatte er sich durch Vergessen in seiner Trägheit bestärkt. Jetzt wacht er plötzlich auf und beginnt, zu Gott zu rufen. Denn wie das Eisen, wenn es durch lange Untätigkeit rostig geworden ist, so lange nichts nütze ist, bis es vom Feuer durchglüht und mit dem Hammer bearbeitet worden ist, so wendet sich auch keiner, bei dem einmal die fleischliche Sicherheit die Oberhand gewonnen hat, eher mit Freudigkeit zum Beten, als er durchs Kreuz mürbe gemacht und recht gedemütigt ist. Und das ist der größte Nutzen der Heimsuchungen, wenn wir durch sie unseres Elends uns bewusst werden und uns dahin bringen lassen, Gott aufs Neue um Gnade anzuflehen.
V. 10. Was ist nütze an meinem Blut? Einige erklären diese Stelle in folgender Weise: Was nützt es mir, gelebt zu haben, wenn du mein Leben nicht so weit verlängerst, bis ich das Werk, zu dem ich berufen bin, vollendet habe? Das scheint mir jedoch zu eng gefasst zu sein, und sicherlich bedeutet Blut hier auch nicht das Leben, sondern den Tod. David will etwa sagen: Welchen Nutzen wirst du aus meinem Tode haben? Dies geht noch deutlicher aus dem anderen Gliede hervor, wo er sich darüber beklagt, dass sein Leichnam Gottes Lob nicht verkündigen könne. Es scheint aber, dass er absichtlich an Gottes Treue erinnert, der es nicht entsprechen würde, wenn er durch einen frühzeitigen Tod hingerafft würde, bevor Gott das erfüllte, was er von dem zukünftigen Erben verheißen hatte. Denn da eine wechselseitige Beziehung zwischen Gottes Verheißungen und unserem Glauben besteht, so steht seine Treue und Wahrheit gleichsam in der Mitte. Durch sie zeigt uns Gott deutlich, dass er nicht etwa schöne Worte über uns ausschüttet, um uns mit leerer Hoffnung zu ködern und endlich zu enttäuschen. Dass aber Gott ihm ein langes Leben schenken müsse, begründet David durch den Hinweis auf das Lob Gottes, zu dem wir geboren und geschaffen sind. Es ist, als hielte er dem Herrn vor: Hast du mich nicht dazu geschaffen, damit ich mein ganzes Leben lang ein Zeuge und Verkündiger deiner Gnade sei, um deinen Namen zu verherrlichen? Aber diesem Wirken würde mein Tod ein Ziel setzen; denn wenn ich tot bin, so muss ich für immer schweigen. Nun erhebt sich aber die Frage, ob der Tod der Gläubigen Gott nicht ebenso verherrliche wie ihr Leben. Aber David redet hier nicht vom Tode überhaupt, sondern zieht, (wie ich schon zu Ps. 6, 6 ausführte), die besonderen Umstände dabei in Betracht. Da Gott ihm nämlich einen Nachfolger verheißen hatte, so fürchtete er sich nicht ohne Grund vor Enttäuschung, falls diese Hoffnung nicht erfüllt würde. So wurde er dann zum dem Ausrufe gedrängt: „Was ist nütze an meinem Blut?“ Es war für Gott eine Ehrensache, dass er erhalten blieb, bis er die Erfüllung seines Wunsches erlangt hatte und Zeugnis dafür ablegen konnte, dass Gott Treue hält und ausführt, was er verspricht. Übrigens will die Frage: wird dir auch der Staub danken? – den Toten nicht unter allen Umständen die Fähigkeit absprechen, den Herrn zu loben. Denn wenn die Frommen schon unter der Last dieses Fleisches in dieser Pflicht der Frömmigkeit sich üben, wie sollten sie damit aufhören, wenn sie von den Fesseln des Fleisches befreit und erlöst sind? Es ist also wohl zu beachten, dass David nicht ausdrücklich von dem spricht, was die Toten tun oder womit sie sich beschäftigen, sondern dass er nur den Zweck unseres Lebens auf Erden im Auge hat, dass wir uns gegenseitig Gottes Ruhm verkündigen. Wir werden also bis zum letzten Atemzuge auf diese Pflicht bedacht sein, bis der Tod unseren Mund verschließt.
V. 11. Herr, höre usw. Dieser Schluss mildert die vorhergehende Klage und führt sie auf das rechte Maß zurück. Denn es wäre nicht passend gewesen, wenn David mit Gott gehadert hätte als einer, der an seiner Rettung verzweifelt, und wenn er mit diesem Murren geschlossen hätte. Nachdem er also den Herrn treuherzig gefragt hat, was sein Tod ihm nütze, ermannt er sich zum freudigen Gebet, und mit neu gewonnener Hoffnung fleht er zum Herrn, dass er ihm gnädig sei und sein Helfer werde. Dabei steht die Gnade voran, die der alleinige Grund der heiß erbetenen Hilfe ist.
V. 12. Du hast mir meine Klage verwandelt usw. Wie der Psalm begonnen, so schließt er: mit Danksagung. David bekräftigt, dass es Gottes Werk und Wohltat war, wenn er unversehrt entrinnen durfte. Als Grund und Zweck seiner Rettung fügt er hinzu (V. 13), dass er den Rest seines Lebens nun verwenden soll, Gottes Lob zu singen. Wie übrigens David sich offen darüber aussprach, dass er im Unglück nicht ein Mann von eiserner Unempfindlichkeit war, der nicht Trauer und tiefe Betrübnis empfunden hätte, so gewährt er uns jetzt einen Einblick, wie gerade seine Bekümmernis ihn trieb, um Abwendung des göttlichen Zorns zu bitten. Beides verdient genaue Beachtung. Erstens sehen wir, dass die Heiligen nicht so gefühllos waren wie die Stoiker, so dass sie gar keinen Schmerz empfunden hätten; zweitens sondern wir hieraus lernen, dass die Trauer uns zur Buße treiben muss, worauf die Erinnerung an den Sack deutet. Denn bei dem Volke des alten Bundes war es Sitte, bei der Trauer einen Sack anzulegen. Dies geschah, damit man in der Erscheinung eines Angeklagten, in schmutziger Kleidung demütig um Vergebung bittend, vor den himmlischen Richter trete. Es ist ja bekannt, dass die Völker des Orients vor allen anderen zu solch äußeren Zeremonien geneigt waren. Wir müssen, wie gesagt, daran festhalten, dass David, wenn er sich auch geduldig dem Herrn unterwarf, doch nicht frei von Schmerz war. Aber zugleich sehen wir auch, dass seine Traurigkeit eine göttliche Traurigkeit war (vgl. 2. Kor. 7, 10), da er, um seine Buße zu bezeugen, einen Sack anlegte. Unter dem Reigen, in welchen die Klage sich dann wandelte, ist nicht ein ausgelassenes weltliches Tanzen zu verstehen, sondern eine würdige und heilige Bezeugung der Freude, wie die heilige Geschichte von einer solchen berichtet, als David die Bundeslade an ihren Ort brachte (2. Sam. 6, 16). Übrigens, wenn Schlüsse hier am Platz sind, so kann man hier auch sehen, dass die große Not, von der David redet, nicht auf eine Krankheit zu beziehen ist; denn es ist nicht wahrscheinlich, dass er einen Sack angelegt hat, als er ans Bett gefesselt war. Als er nun das Trauergewand wieder ablegen durfte, ging er alsbald von Schmutz und Entstellung zur Freude über: und da er diesen Wandel allein der Gnade Gottes zuschrieb, rühmt er den Herrn als seinen Erretter.
V. 13. Auf dass dir lobsinge meine Ehre. In diesem Verse drückt er es noch deutlicher aus, zu welchem Zweck er durch Gott vom Tode errettet wurde, und zugleich bekennt er, dass er bestrebt sein werde, seine Dankespflicht gegen Gott zu erfüllen. Das Wort „Ehre“ steht hier bildlich für Zunge, wie wir schon zu Ps. 16, 9 sagten. Da David ferner noch hinzusetzt: „Ich will dir danken in Ewigkeit“, so fordert der Zusammenhang, dass die vorhergehenden Worte als eine genauere Bezeichnung der Pflicht, die er Gott gegenüber hat, aufgefasst werden. Mithin ist der Sinn: Herr, weil ich weiß, dass ich deswegen bewahrt geblieben bin, damit meine Zunge dein Lob verkündige, so leiste ich dir treu diesen Dienst und werde meine Pflicht bis zu meinem Tode erfüllen. Besonders nachdrücklich lautet die Wiederholung, dass David lobsingen und nicht stille werden will: er will also dem Herrn durchaus nicht das schuldige Lob schmälern, sondern sich ernstlich seiner Verherrlichung weihen.