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Calvin, Jean - Psalm 16.
Inhaltsangabe: Am Anfange empfiehlt David sich dem Schutze Gottes. Darnach lässt er sich durch Betrachtung der göttlichen Wohltaten zum Dank antreiben. Und wenn er auch dem Herrn durch seine Verehrung nichts geben kann, so weiht er sich ihm doch ganz und bezeugt, dass er sich von der Verehrung fremder Götter fernhalten werde. Als Grund hierfür gibt er an, dass es ein volles und sicheres Glück sei, allein in Gott zu ruhen, der es den Seinen an nichts fehlen lässt.
V. 1. Ein gülden Kleinod Davids. Über die Bedeutung dieser Worte sind die Erklärer verschiedener Ansicht. Nach meiner Meinung bezeichnen sie die Melodie des Psalms.
Bewahre mich, Gott. Es ist dieses ein Gebet, durch das David sich dem Schutze Gottes empfiehlt. Er fleht aber nicht, wie sonst öfters, den Herrn in einer bestimmten Gefahr um Hilfe an, sondern er bittet ihn, fürs ganze Leben sein Beschützer zu sein: sind wir doch nur unter seinem Schutze sowohl im Leben als im Sterben geborgen. Wenn David hinzufügt: denn ich traue auf dich, so ist dies gerade, als versicherte uns der heilige Geist durch seinen Mund, dass Gott bereit ist, uns allen Hilfe zu bringen, wenn wir uns nur im festen Vertrauen unentwegt auf ihn verlassen, dass er aber nur solche Leute in seinen Schutz nimmt, die sich ihm von Herzen anvertrauen. Zugleich wollen wir uns einprägen lassen, wie fest David in allen Stürmen stehen konnte, da er sich auf diesen Glauben stützte.
V. 2. Ich habe gesagt: … meine Wohltaten gelangen nicht zu dir. David gesteht, dass er dem Herrn nichts geben könne, nicht allein, weil dieser keines Dinges bedarf, sondern auch weil der sterbliche Mensch keine Kraft besitzt, durch seinen Gehorsam sich Gottes Gunst zu erwerben. Dann fasst er aber neuen Mut, und weil unsere Frömmigkeit Gott angenehm ist, so verspricht er, einer seiner Verehrer werden zu wollen. Er spricht als seine beständige Herzensgesinnung aus: Es steht mir zwar ganz fest, dass Gott von mir keinen Nutzen und keinen Gewinn haben kann, und dennoch schließe ich mich den Heiligen als Genossen an, um ihm das Opfer des Lobes darzubringen. Zweierlei wird hier bestimmt ausgesagt: einmal dass Gott mit Recht alles von uns fordern kann, weil wir ihm ganz und gar verpflichtet sind, und dann, dass wir hierzu in keiner Weise tüchtig sind. Mögen die Menschen auch noch so sehr anstrengen, ihr ganzes Leben Gott zu weihen, so können sie ihm doch nichts geben, weil das, was sie in Händen haben, nicht bis zu ihm herankommt; nicht allein deswegen, weil er keines Dinges bedarf, da er an sich selbst genug hat, sondern auch weil wir aller Güter ledig und bedürftig sind, und nichts haben, was wir ihm geben könnten. Daraus folgt, dass keiner durch sein Verdienst sich dem Herrn so verpflichtet machen kann, dass er sein Schuldner wäre. Kurz, wenn wir zu Gott kommen, so müssen wir alles Selbstvertrauen ablegen. Denn wenn wir uns einbilden, etwas von uns selbst zu besitzen, so brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn er uns verschmäht, da wir ihm dann den vorzüglichsten Teil seiner Ehre rauben. Wenn wir dagegen anerkennen, dass unser Verdienst an und für sich nichts ist und gar keinen Wert hat, so ist diese Demut gleichsam der Duft eines süßen Geruchs.
V. 3. An den Heiligen, so auf Erden sind usw. Nach übereinstimmendem Urteil fast aller Ausleger will David sagen, dass man den Herrn nur dann in rechter Weise verehrt, wenn man sich bestrebt, seinen heiligen Dienern Gutes zu tun. Da unsere Wohltaten nicht an Gott selbst gelangen, so treten die Gläubigen an seine Stelle: der Herr will, dass wir an ihnen unsere Liebesgesinnung üben. Darin besteht also der rechte Gottesdienst, dass die Menschen sich untereinander hilfreich beweisen. Diese Liebe soll sich auch auf Unwürdige erstrecken, - wie auch der himmlische Vater seine Sonne aufgehen lässt über die Guten und die Bösen. Indessen zieht David mit Recht die Heiligen allen anderen Menschen vor und stellt sie auf eine höhere Stufe. Haben wir also in dieser Hinsicht eine Lehre aus Davids Worten zu entnehmen, so greift doch der Gedanke noch weiter: der heilige Sänger will sich mit Gottes frommen Verehrern als Freund und Genosse zusammenschließen; denn alle Kinder Gottes müssen durch das Band der brüderlichen Gemeinschaft vereinigt sein, um mit derselben Gesinnung und demselben Eifer ihren Vater zu ehren. Nachdem also David bekennen muss, dass er dem Herrn, dem er sich ohnedem ganz schuldig ist, nichts zu bieten vermag, wendet er sein Herz den Heiligen zu; weil ja Gott von der Gemeinde der Gläubigen in dieser Welt verherrlicht werden will und sie zu dem Zwecke erwählt hat, damit sie unter seinem Oberbefehl und unter der Leitung des heiligen Geistes einmütig zusammenwirken. Diese Stelle lehrt uns, dass es für Gott das wohlgefälligste Opfer ist, wenn wir uns ernstlich um die Einigkeit der Gläubigen bemühen, um, verbunden durch das heilige Band der Frömmigkeit, das brüderliche Wohlwollen zu pflegen. Das ist die Gemeinschaft der Heiligen. Durch diese sondern sie sich ab von der Befleckung der Welt, um Gottes Eigentum zu sein. Dabei wird ausdrücklich angemerkt, dass die Heiligen „auf Erden sind“: denn Gott will in dieser Welt strahlende Zeichen seiner Herrlichkeit haben, um uns dadurch zu sich zu leiten. Die Heiligen tragen deshalb sein Bild, weil sie uns durch ihr Vorbild zur Betrachtung des himmlischen Lebens antreiben sollen. Aus demselben Grund nennt David sie die Herrlichen oder majestätisch Schönen: denn wir sollen die Gerechtigkeit und Heiligkeit, in welcher die Klarheit des Geistes Gottes wiederstrahlt, als das Herrlichste und Schönste achten, wie uns auch der vorige Psalm (15, 4) lehrte, dass man die Gottesfürchtigen ehren soll. Deshalb müssen wir die aufrichtigen Verehrer Gottes so hoch achten, dass es für uns das Größte ist, uns zu ihren Versammlungen zu halten. Das wird dann geschehen, wenn wir mit Weisheit nachforschen, was wahre Größe und wahre Ehre ist, und unsere Augen nicht durch den eitlen Glanz der Welt und trügerischen Glimmer blenden lassen.
V. 4. Jetzt gibt David den Grund an, weswegen er die brüderliche Einigkeit mit den Heiligen pflegen will. Er sagt, dass er mit den Ungläubigen und Abergläubischen nichts zu tun haben will. Denn wir können nur dann eine einheitliche Gemeinde unter der Herrschaft Gottes bilden, wenn wir alle gottlosen Bande zerreißen, von den Götzendienern uns trennen und uns von allen Befleckungen rein und frei halten, durch die der reine Gottesdienst verdorben und entstellt wird.
Großes Herzeleid werden haben usw. Viele halten dieses für eine Verwünschung, durch die David, von heiligem Eifer entbrannt, die Abergläubischen dem gerechten Zorn Gottes übergibt. Andere erklären es so, dass die unglücklichen Menschen sich immer neuen Tand herbeiholen, um sich damit ängstlich zu quälen. Ich glaube jedoch, dass er hier auf das Ende hinweist: diese elenden und unglücklichen Menschen mühen sich nicht nur erfolglos ab, sondern alle ihre abergläubischen Selbstpeinigungen müssen geradezu ins Verderben führen. David trennt sich von ihrer Gesellschaft, weil es feststeht, dass sie nicht nur durch ihren eitlen Aberglauben nichts erreichen, sondern sich durch alle ihre Anstrengungen vielmehr immer größere Leiden bereiten. Denn was wird der Ausgang sein, den diese unglücklichen Menschen, die sich dem Teufel zum Eigentum verschrieben haben, einst nehmen werden? Sie werden sich in ihren Hoffnungen betrogen sehen, wie Gott bei Jeremia (2, 13) klagt: „Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hier und da ausgehauene Brunnen, die doch löchrig sind und kein Wasser geben.“ Kurz, wenn die Ungläubigen ihr Vermögen ausgeben und verschleudern, so verlieren sie nicht nur das, was sie ihren Götzen opfern, sondern sie laden dadurch auch Gottes Zorn auf sich und bürden sich so immer neue Lasten auf. Vielleicht spielt der Prophet auch auf das an, was öfters in der Schrift gelehrt wird, dass die Götzendiener die Treue des geistlichen Ehebundes mit dem wahren Gott brechen, wenn sie mit den Götzen einen Bund eingehen. Denn Hesekiel (16, 33) wirft den Juden nicht ohne Grund vor, dass, während sonst der Buhler seine Dirne mit Geschenken an sich lockt, sie den Götzen, denen sie sich preisgeben, Lohn gespendet haben. Aber der einfache Sinn dieser Stelle passt am besten, dass die Ungläubigen wenn sie die falschen Götter mit ihren Geschenken ehren, nicht allein ihr Geld wegwerfen, sondern sich auch Schmerzen auf Schmerzen häufen, so dass das Ende einmal ein trauriges sein wird.
Ich will ihres Trankopfers mit Blut nicht opfern. Viele verstehen unter dem „Trankopfer mit Blut“ blutige Opfer oder solche Opfer, die vom Raube genommen sind. Aber der Prophet fährt nicht gegen grausame und blutgierige Menschen los, sondern er verurteilt im Allgemeinen die erdichteten und verkehrten Gottesdienste. Dann redet er auch nicht einfach von Opfern, sondern von Trankopfern. Ich zweifele nicht, dass er diese Trankopfer mit Blut deshalb verwirft, weil sie wider Gottes Gesetz sind. Wir wissen ja, dass dem Volke des alten Bundes der Genuss des Blutes sowohl im gewöhnlichen Leben wie auch beim Opfern verboten war, damit sie Abscheu vor dem Morde und vor aller Rohheit bekämen. Dagegen bezeugt die Geschichte, dass die Heiden gewohnt waren, bei ihren Opfern auch Blut zu spenden. David verkündigt also, dass er sich nicht nur von verderblichen Irrtümern, die zum Götzendienst führen, freihalten, sondern sich auch davor hüten will, durch äußerliches Bekennen ein Zeichen der Zustimmung zu geben. Dieselbe Bedeutung haben die folgenden Worte: noch ihren Namen in meinem Munde führen. Dem heiligen Sänger sind die Götzen derartig verhasst und gräulich, dass er sich vor dem Aussprechen ihrer Namen wie vor einer schändlichen Gottlosigkeit hüten will. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass es überhaupt nicht recht sei, ihren Namen auf die Zunge zu nehmen: wir finden die Namen der Götzen ja oft bei den Propheten. David gebraucht diesen Ausdruck nur, um damit anzuzeigen, dass die Gläubigen die größte Abscheu vor den Götzen haben müssen. Dies tritt auch in der äußeren Form dieses Satzes hervor. Denn statt „Götter“ gebraucht er das Fürwort „ihr“. Er verschweigt also das Wort „Götter“ ganz und gar. So lehrt er die Gläubigen durch sein Beispiel, sich nicht nur vor allen Irrtümern und falschen Ansichten zu hüten, sondern auch vor jedem Schein einer Zustimmung. Denn er spricht hier offenbar von dem äußerlichen Gottesdienst, der eine Bezeugung sowohl der wahren als der falschen Religion ist. Wenn es den Gläubigen nun nicht erlaubt ist, sich durch irgendein Zeichen den Anschein zu geben, als stimmten sie mit den Abergläubischen überein, so sind auch die falschen Jünger des Nikodemus im Unrecht, die sagen, dass sie den Glauben heimlich in ihren Herzen hätten, und die trotzdem an den gotteslästerlichen Handlungen der Papisten teilnehmen. Einige freilich beziehen die Worte: „noch ihren Namen in meinem Munde führen“ auf die Verehrer der falschen Götter; aber nach meiner Meinung denkt David an die falschen Götter selbst. Er will einprägen: mag die Welt von ganzen Haufen Aberglaubens erfüllt sein und mögen die Ungläubigen mit größtem Eifer ihre Götzen immer von neuem schmücken, - so wird doch den Frommen und Heiligen alles ein Gräuel sein, was jene ersinnen.
V. 5. Der Herr ist mein Erbgut. David entwickelt seine Meinung nun deutlicher, indem er den Grund angibt, weswegen er sich von den Götzendienern getrennt, um in der Gemeinde des Herrn zu bleiben, und von den Irrtümern mit Abscheu sich abgewandt hat, um sich zu dem reinen Gottesdienst zu halten. Der Grund ist, dass er in dem wahren Gott ruht. Denn die traurige Unruhe der blinden Menschen, die in wahnsinnigem Drange bald hierhin bald dorthin laufen und immer herumirren, kommt daher, dass ihnen die rechte Erkenntnis Gottes fehlt. Es kann nicht anders sein: Leute, die nicht auf Gott gegründet sind, müssen oft schwanken, und Menschen, die den rechten Glauben nicht festhalten und durch ihn sich bestimmen lassen, müssen von dem Strom der Irrtümer mit fortgerissen werden. Diese Stelle lehrt uns also, dass man nur dann von wahrer Frömmigkeit weiß, wenn man an dem einigen Gott sein volles Genüge hat. Wenn David den Herrn sein Erbgut und sein Becherteil nennt, so versichert er eben damit, dass er mit ihm allein zufrieden ist, dass er außer ihm nichts begehrt und nicht durch schlechte Wünsche sich reizen lässt. So wollen denn auch wir lernen, den Herrn, wenn er sich uns anbietet, so zu umfassen, dass wir unser ganzes Heil nur in ihm suchen. Denn alle abergläubischen Lehren, die je auf Erden geherrscht haben, haben immer darin ihren Ursprung gehabt, dass den abergläubischen Menschen Gott allein nicht genügte. Wir besitzen aber Gott nur dann, wenn er unser Erbteil ist, d. h. wenn wir ihm ganz ergeben sind, so dass keine ungläubige Sorge uns mehr aufregt. Deshalb sagt der Herr auch zu den Juden, indem er ihnen vorwirft, dass sie von ihm abfielen und den Götzenbildern nachliefen (Jes. 57, 6): „Mögen sie dein Erbgut sein.“ Er will den Götzen den Platz räumen, wenn man sich an ihm nicht ganz und gar genügen lässt. David gebraucht hier drei Bilder. Zuerst vergleicht er Gott mit einem Erbgut, dann mit einem Becher, drittens nennt er ihn den Erhalter seines Erbes. Mit alledem spielt er auf die Erbteile der Juden an, die, wie wir wissen, so verteilt waren, dass ein jeder nach den Bestimmungen des Gesetzes mit seinem Erbe zufrieden sein musste. Unter dem „Becher“ ist der Ertrag des vererbten Landes oder Lebensunterhalt überhaupt zu verstehen: der Gott, der unser Eigentum ist, gleicht einem Besitz samt allen daraus fließenden Erträgen. Der dritte Vergleich ist nicht überflüssig, denn es kommt oft vor, dass die rechtmäßigen Herren von ihrem Besitze vertrieben werden, weil keiner sie beschützt. Gott gibt sich uns dagegen so zum Erbteil, dass er uns zugleich durch seine Kraft in dem Genuss desselben erhält. Denn es würde uns wenig nützen, dass wir einmal seiner teilhaftig geworden sind, wenn er diesen Besitz nicht gegen die täglichen Angriffe des Teufels beschützte.
V. 6. Das Los ist mir gefallen aufs Liebliche. Was David soeben sagte, bekräftigt er nun des Weiteren: er ruht mit stillem und befriedigtem Geiste allein in seinem Gott aus, ja er rühmt sich seiner in einer solchen Weise, dass er stolz alles verachtet, was etwa die törichte Welt neben Gott als begehrenswert ansieht. Welch besseren Ehrentitel könnte er dem Herrn geben, als dies rühmende Bekenntnis, dass er außer ihm nichts braucht? Hier ergibt sich vielerlei nützliche Lehre. Wir prägen uns ein, dass wir uns nicht nur von allen abergläubischen Lehren, sondern auch von allen Versuchungen des Fleisches und der Welt fern halten müssen. So oft uns daher etwas beschleicht, was uns von dem Einen Gott abziehen könnte, müssen wir uns dieses vorenthalten, dass es sehr gut um uns steht, wenn sich der uns zu genießen gegeben hat, der die ganze Fülle aller Güter in sich beschließt. Dann wird unsere Lage uns immer angenehm und süß sein. Wer Gott hat, dem fehlt nichts an seinem Glück.
V. 7. Zuletzt gesteht David, dass er es auch nur der Gnade Gottes allein verdankt, dass er durch den Glauben in den Besitz eines solchen Gutes gelangt ist. Es würde nämlich nichts nützen, dass Gott sich uns in seiner Gnade anbietet, wenn wir ihn nicht auch im Glauben erfassen. Gott lädt die Verworfenen und die Auserwählten in gleicher Weise zu sich ein, aber die ersteren berauben sich durch ihre Undankbarkeit eines solchen Gutes. Lasst uns daher bedenken, dass beides ein Gnadengeschenk Gottes ist, sowohl dass er unser Erbteil ist, als auch, dass wir ihn im Glauben besitzen. Der Rat, von dem David hier redet, ist die Erleuchtung durch den heiligen Geist. Denn diese bewirkt, dass wir das Heil, zu dem der Herr uns einlädt, nicht in unserer fleischlichen Blindheit von uns weisen. Es heißt also Gottes Gnade in ebenso törichter wie lästerlicher Weise verstümmeln, wenn man die Annahme oder Ablehnung derselben in den freien Willen des Menschen stellt. Dass es sich hier nicht um eine äußerliche Belehrung handelt, geht klar aus den Worten hervor. David sagt nämlich, dass er des Nachts unterwiesen wird, wenn kein Mensch ihn sieht. Wenn er ferner sagt, dass seine Nieren ihn züchtigen, so denkt er dabei ohne Zweifel an heimliche Eingebungen. „Nachts“ bedeutet hier so viel als in jeder Nacht. David schreibt also nicht nur den Anfang des Glaubens Gott zu, sondern er erkennt auch an, dass er nur in seiner Schule weitere Fortschritte machen kann. Und in der Tat bedarf die Eitelkeit unseres Sinnes ein ganzes Leben hindurch heilender Zucht; das Licht des Glaubens muss noch heller aufleuchten und wir müssen noch immer mehr in der göttlichen Weisheit gefördert werden.
V. 8. Wiederum rühmt sich David seines Glaubens. Denn dass er den Herrn allezeit vor Augen hat, will besagen, dass alle seine Sinne fest auf ihn gerichtet sind und nicht abschweifen. Der Glaube ist es, der uns in Schranken hält, dass wir Gott nicht den Rücken zukehren. Allerdings müssen wir ihn mit anderen als den leiblichen Augen anschauen, da er uns selten erscheint, wenn wir uns nicht über die Welt erheben. Der Sinn ist daher, dass David sich so an Gottes Vorsehung hält, dass er fest versichert ist, Gott werde immer, wenn Not da ist, ihm mit seiner Hilfe zur Hand sein. Er sagt ausdrücklich: „allezeit“. Denn wir sollen wissen, dass er sich fortwährend auf Gottes Hilfe verlässt, so dass, wenn er auch viele Kämpfe zu bestehen hat, doch keine Furcht ihn zwingt, seine Augen anderswohin zu wenden. So müssen auch wir auf Gott vertrauen, dass wir fest von seiner Gegenwart überzeugt sind, wenn er auch sehr fern zu sein scheint. Haben wir so den Herrn vor Augen, so werden wir uns nicht durch die eitlen Trugbilder dieser Welt täuschen lassen.
Denn er ist mir zur Rechten. David hat Gott deshalb immer vor Augen, um in allen Gefahren zu ihm fliehen zu können: so werde ich fest bleiben. Um seine Hoffnung zu beleben, hält er sich vor, welchen Nutzen diese göttliche Hilfe und väterliche Fürsorge ihm bringt. Dieser besteht darin, dass der Herr die Seinen, denen er nahe ist, in einem sicheren Stand erhält. David ist also geschützt gegen alle Gefahren und verspricht sich ein sicheres Heil, weil er Gott mit den Augen des Glaubens gleichsam vor sich sieht. Durch diese Stelle wird die Lüge umgestoßen, dass die Gläubigen immer in Ungewissheit sein müssten, ob sie auch bis ans Ende ausharren würden. Denn David spricht es deutlich aus, dass er auch für die Zukunft fest auf Gottes Gnade vertraut. Und gewiss, wenn das nicht feststünde, dass wir in der Gnade fortwährend wachsen, so wäre unsere Lage traurig; denn dann müssten wir jeden Augenblick zittern.
V. 9. Darum freut sich mein Herz. Dieser Vers preist die unvergleichliche Frucht des Glaubens, von der auch sonst oft in der Schrift die Rede ist, nämlich dass wir unter dem Schutze Gottes nicht nur ruhig, sondern auch fröhlich und heiter leben. Wir wissen ja, dass zu einem glücklichen Leben vor allem der Frohsinn gehört, wie es anderseits das Traurigste ist, unter vielen Sorgen und Ängsten zu stöhnen. Denn wenn die Gottlosen sich auch durch den Geist des Wahnsinns und Stumpfsinns berauschen, so genießen sie doch niemals wahre Freude; sie sind nie heiteren Gemüts, sondern innerlich immer voll Unruhe. Dadurch werden sie verwirrt und immer wieder aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Nur der allein hat eine ruhige Freude, der gelernt hat, sich auf den Einen Gott zu verlassen und sein Heil in Gottes Hand zu legen. Wenn daher Beunruhigungen von allen Seiten auf uns eindringen, so ist es das einzige Hilfsmittel, unsere Augen auf Gott zu richten. Dann wird der Glaube nicht nur unser Herz beruhigen, sondern auch mit voller Freude erfüllen. David fügt aber hinzu, dass nicht nur sein Herz, sondern auch seine Zunge sich freut. Buchstäblich wäre das Wort freilich zu übersetzen: „meine Ehre“. Es ist aber (wie auch 1. Mo. 49, 6) sicher die Zunge gemeint; so entsteht ein dreifacher Parallelismus: der Mensch ist innerlich fröhlich, gibt dem mit der Zunge Ausdruck, und zugleich wird sein Fleisch sicher liegen. So kann mit Recht gesagt werden, wenn auch der Leib nicht von allen Mühen und Schmerzen verschont bleibt: denn Gott schützt nicht nur unsere Seele, sondern auch unsern Leib.
V. 10. David führt den bisherigen Gedanken weiter aus. Er sagt, dass ihm nichts an einer vollkommenen Freude fehle, da er sich auch vor dem Untergange nicht fürchte. Daraus folgt, dass nur der in Wahrheit an Gott glaubt, der das ihm vom Herrn verheißene Heil so erfasst, dass er den Tod verachtet. Übrigens schwebt unserem Psalm nicht eine Rettung ganz bestimmter Art vor, so wie etwa Ps. 49, 16: „Gott wird meine Seele erlösen aus der Hölle Gewalt.“ Vielmehr spricht David allgemein seine gewisse Hoffnung auf die ewige Seligkeit aus, die ihn von Angst und Furcht frei macht. Er weiß, dass ihm jederzeit der Ausgang aus dem Grabe offen steht, so dass er nicht in der Verwesung bleibt. Denn wenn Gott die Seinen aus einer bestimmten Gefahr befreit, so verlängert er ihr Leben nur für kurze Zeit. Welch eine geringe und dürftige Tröstung würde es mithin sein, wenn wir nur für kurze Zeit aufatmen dürften, um endlich ohne Hoffnung vom Tode verschlungen zu werden. Hieraus schließen wir, dass David so redet, weil er sich über das gewöhnliche Los des menschlichen Geschlechts erhebt. Denn da über alle Kinder Adams das Urteil gefällt ward (1. Mo. 3, 19): „Du bist Erde und sollst zur Erde werden“, so erwartet alle ohne Ausnahme dasselbe Schicksal. Würde also Christus, welcher der Erstgeborene aus den Toten ist, nicht ins Mittel treten, so würden wir alle unter der Verwesung bleiben. Daher folgert Petrus (Apg. 2, 30 ff.) mit Recht, dass David nicht so hätte rühmen können, wenn er nicht im prophetischen Geiste auf den ihm verheißenen Fürsten des Lebens geblickt hätte, dem dieses Vorrecht allein zukommt. Trotzdem darf auch David sich Bewahrung vor dem Tode versprechen, da Christus durch seine Auferstehung nicht nur für sich allein, sondern für uns alle unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat. Wenn nun aber Petrus und Paulus (Apg. 13, 35) behaupten, dass diese Verheißung allein in Christo erfüllt sei, so ist das so zu verstehen, dass er allein völlig vor der Verwesung im Grabe bewahrt blieb, während er seine Glieder nur allmählich nach eines jeglichen Maß zur Teilnahme hieran beruft. Da Davids Leichnam zu Staub geworden ist, so schließen die Apostel mit Recht, dass er selbst vor der Verwesung nicht bewahrt geblieben sei. Dasselbe gilt von allen Gläubigen, da keiner von der Verwesung ausgeschlossen ist und keiner von ihnen ein unvergängliches Leben besitzt. Hieraus folgt, dass die Fülle des Lebens allein im Haupte wohnt und nur tropfen- und stückweise auf die Glieder übergeht. Unter der Unterwelt ist hier das Grab zu verstehen. Das hebräische Wort „Scheol“ bedeutet buchstäblich ein Wesen, welches alles einfordert, bezeichnet also den unersättlichen Schlund, der alles verschlingt. Nur über Christum hatte Grab und Verwesung keine Gewalt: vielmehr wurde Christi Grab mit dem lebendig machenden Duft seines Geistes durchtränkt und ist nun das Eingangstor zur herrlichen Unsterblichkeit. Allerdings ist mir bekannt, dass die alten griechischen und lateinischen Ausleger den „Scheol“ oder die Unterwelt als den Totenort denken, aus welchem Christi Seele wieder zurückgekehrt sei. Aber die einfache Deutung auf das Grab bewahrt uns vor vielen ungereimten Folgerungen. Jedenfalls ist im zweiten Satzgliede nicht an die Seele, sondern an den Leib zu denken, der nicht in der „Grube“ bleiben soll.
V. 11. David begründet den Gedanken des vorhergehenden Verses und führt aus, wie Gott ihn von der Knechtschaft des Todes befreit. Es geschieht dies dadurch, dass er unter seiner Führung zum Leben gelangt. Hieraus ziehen wir wiederum den Schluss, den wir schon früher gemacht haben, dass die Gläubigen hier für die Ewigkeit von den Draußenstehenden und Verworfenen unterschieden werden. Wenn andere auslegen, dem David sei der Weg zum Leben dadurch gezeigt, dass ihm seine Lebenszeit verlängert wurde, so ist dies eine Ausflucht. Denn Gottes Gnade würde zu sehr entleert werden, wenn man sagen würde, dass er für die Seinen nur während der wenigen Jahre ihres Lebens ein Führer sei. Dann würden sie sich gar nicht von den Verworfenen unterscheiden, denen ja dieselbe Sonne scheint. Da David hier die besondere Gnade preist, deren Gott nur seine Kinder würdigt, so ist der Weg zum Leben, den Gott ihm auftut, ohne Zweifel der Weg zur seligen Unsterblichkeit. Und nur der hält schon während des gegenwärtigen Lebens jenen Weg recht inne, der so mit Gott verbunden ist, dass er in ihm und nicht außer ihm lebt. Endlich fügt David hinzu, dass dem, der einen gnädigen Gott hat, nichts am vollsten Glück fehlt. Der Hinweis auf Gottes Angesicht bedeutet sowohl, dass Gott uns ansieht, als dass wir Gottes Angesicht schauen. Die erste Ursache der Freude ist seine väterliche Gunst, wenn er uns mit heiterem Blick ansieht. Aber wir genießen die Freude erst dann, wenn wir auch wiederum sein liebes Angesicht schauen. Mit diesen Worten will David genau bestimmen, für welche Leute diese Freuden da sind, deren Fülle in Gottes Hand ist. Wie kommt es, dass, obgleich bei Gott liebliches Wesen ist, womit er die ganze Welt erfüllt, trotzdem ein trostloser und totbringender Nebel den größten Teil des menschlichen Geschlechts bedeckt? Kommt es nicht daher, dass Gott nicht alle in gleicher Weise mit heiteren und väterlichen Augen anblickt, und nicht allen die Augen öffnet, so dass sie nun nirgends anders als nur in ihm die Quelle der Freude suchen? Die Fülle (wörtlich „Sattheit“) der Freude steht hier im Gegensatz zu den flüchtigen Ergötzungen der Welt, mit denen die unglücklichen Menschen sich eine Zeitlang täuschen, um sich zuletzt doch unbefriedigt und hungrig zu fühlen. Denn wenn sie sich auch noch so sehr in Vergnügungen hineinstürzen, so siechen sie doch mehr im Ekel dahin, als dass sie gesättigt würden. Und dann vergehen diese zeitlichen Freuden gleich wie Träume. David bezeugt also, dass man nirgend anderswo eine sichere Freude finden kann, in welcher das Menschenherz auszuruhen vermag, als nur in Gott, und dass deshalb nur die Gläubigen, die mit seiner Gnade allein sich zufrieden geben, in jeglicher Beziehung glücklich sind.