Calvin, Jean - Psalm 15.
Inhaltsangabe: Dieser Psalm lehrt uns, zu welchem Zweck Gott die Juden sich zu seinem Volke erwählt und sein Heiligtum unter ihnen aufgerichtet hat. Er hat dieses getan, damit sie gerecht und rechtschaffen lebten und dadurch bezeugten, dass sie das heilige Volk seines Eigentums seien.
V. 1. Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte? Da man in der Welt sich allgemein rühmt, zum Volke Gottes zu gehören, und die meisten sich bei dieser falschen Vorstellung beruhigen, so wendet David sich absichtlich nicht an die Menschen, sondern an Gott selbst. Damit gibt er zu verstehen: Mögen alle Sterblichen sich mit falschen Titeln schmücken, so werden sie durch solchen Selbstbetrug doch nichts ausrichten. Denn Gott bleibt immer sich selbst gleich: und wie Er treu ist, so fordert er wiederum Treue. Denn wenn er auch Abraham aus Gnaden angenommen hat, so hat er sich doch dabei ausbedungen, dass er unbescholten lebe. Und dieses ist auch die Grundregel für den Bund, den er von Anfang an mit der ganzen Gemeinde geschlossen hat. Der Hauptgedanke ist, dass die Heuchler, die ihren Platz in dem Tempel Gottes einnehmen, umsonst Gottes sich rühmen, da er nur diejenigen als die Seinen anerkennt, die Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit in ihrem ganzen Leben beweisen. David sah den Tempel angefüllt mit einer gewaltig großen Menge von Menschen, die äußerlich am Gottesdienste teilnahmen. Darüber stellt er sich verwundert und wendet sich an Gott, der allein in diesem Durcheinander der Menschen die Seinen von den Fremden unterscheidet. Die Lehre, die hierin enthalten ist, hat einen dreifachen Nutzen.
Zuerst erinnert der heilige Geist uns daran, dass wir, wenn wir unter die Kinder Gottes gezählt werden wollen, dieses durch die Reinheit unseres Lebens beweisen müssen, da es nicht genügt, dass wir Gott mit äußerlichem Dienste ehren, wenn wir nicht zugleich rechtschaffen und unbescholten leben.
Zum andern: da oft der Fall eintritt, dass die Gemeinde Gottes durch viele Befleckungen entstellt erscheint, so wird hier, damit keiner an diesem Missverhältnis Anstoß nehme, ein Unterschied gemacht zwischen den Bürgern der Gemeinde, die immer bleiben, und den Fremdlingen, die nur eine Zeitlang unter ihnen wohnen. So empfangen wir hier die sehr nützliche Erinnerung, dass uns nicht der Ekel an dem Schmutz im Tempel Gottes und eine übertriebene Strenge zum Abfall von der Gemeinde bringe. Unter Schmutz verstehe ich die Fehler eines unreinen und verderbten Lebens. Denn wenn nur die Religion in Bezug auf die Lehre und die heiligen Handlungen rein geblieben ist, so dürfen wir an den Fehlern der Menschen keinen solchen Anstoß nehmen, dass wir um ihretwillen die Verbindung mit der Gemeinde lösten. Aber die Erfahrung aller Zeiten zeigt, wie groß die Versuchung hierzu ist, wenn die Gemeinde Gottes, die frei von allen Makeln in Reinheit glänzen sollte, viele Gottlose, Heuchler und nichtsnutzige Leute in ihrer Mitte sieht. Dieses war in früheren Zeiten der Grund, weswegen die Katharer, die Novatianer und die Donatisten sich von der Gemeinschaft der Frommen trennten.
Und zu unseren Zeiten erregen die Wiedertäufer denselben Streit, da sie meinen, dass diejenige Kirche nicht die wahre sei, welche die Gebrechen duldet. Aber nicht ohne Grund nimmt Christus (Mt. 25, 32) für sich das Recht in Anspruch, die Schafe von den Böcken zu scheiden. Ja noch mehr, er ermahnt uns, die Fehler, die wir nicht verbessern können, so lange zu tragen, bis die rechte Zeit zur Reinigung kommen wird. Zu gleicher Zeit wird aber den Gläubigen auch befohlen, dass ein jeder an seinem Teil sich Mühe gebe, dass die Gemeinde Gottes von den Fehlern frei werde. Und dieses ist der dritte Nutzen dieser Lehre. Denn wenn die heilige Tenne Gottes auch nicht vor dem jüngsten Tage, an welchem Christus bei seiner Wiederkunft die Spreu fortschaffen will, ganz gereinigt werden wird, so beginnt er dieses Werk doch schon jetzt durch die Verkündigung des Evangeliums, welches deswegen auch die „Worfschaufel“ heißt (Mt. 3, 12). Daher dürfen wir keineswegs gleichgültig werden, sondern müssen vielmehr eifrig dahin streben, dass alle, die Christi Namen bekennen, sich auch in rechter Zucht halten. Vor allem ist aber dieses festzuhalten, dass allen Ungerechten der Eintritt ins Heiligtum versagt ist, und dass die heillose Vermessenheit derjenigen, die sich ohne Scheu in die Versammlung der Frommen hineindrängen, verdammt wird. David spricht hier aber von der Hütte, weil der Tempel damals noch nicht erbaut war. Was er hauptsächlich sagen will, ist, dass nur allein den reinen Verehrern Gottes der Zugang zu Gott offen steht.
V. 2. Wer ohne Tadel einhergeht usw. Zu beachten ist der Gegensatz zwischen dem eitlen Pochen auf den Namen oder dem bloß äußerlichen Bekennen durch äußeren Gottesdienst, und dem sicheren Kennzeichen der Frömmigkeit, das David hier rühmt. Indessen könnte man fragen, weshalb hier von dem Glauben und dem Gebet gar nicht geredet wird, während doch die Anbetung Gottes den Pflichten der Nächstenliebe vorangeht: denn gewiss zählen auch jene unter die Merkmale, welche die wahren Kinder Gottes von den Heuchlern unterscheiden. Die Lösung ist leicht. Den Glauben, die Anbetung Gottes, diese geistlichen Opfer, will David durchaus nicht ausschalten. Da aber die Heuchler meistens großes Gewicht auf den äußerlichen Gottesdienst legen und sich damit brüsten, während ihr äußeres Leben von ihrer Gottlosigkeit zeugt, da sie mit Stolz und Grausamkeit erfüllt sind und sich dem Trug und der Räuberei ergeben, so muss, damit der Glaube ins rechte Licht gestellt werde, ihr Leben an den Gesetzen der zweiten Tafel geprüft werden. Nur dadurch wird es offenbar, ob ihr Glaube rein und lauter ist oder nicht. Denn nur dann, wenn jemand Gerechtigkeit und Billigkeit gegen seinen Nächsten beweist, bezeugt er es durch die Tat, dass er Gott fürchtet. David lehrt hier also nicht etwa, dass die bürgerliche Gerechtigkeit genüge, als ob es genug wäre, den Menschen zu geben, was ihnen zukommt, und als ob man nicht verpflichtet wäre, Gott zu geben, was ihm von Rechts wegen gehört; sondern er will hiermit nur sagen, dass die aufrichtigen Verehrer Gottes an den Früchten der Gerechtigkeit erkannt werden. An erster Stelle fordert er von ihnen, dass sie ohne Tadel einhergehen, was besagen will, dass sie in Geschäften lauter und ohne Hintergedanken verfahren. Ferner wird von Frommen verlangt, dass er recht tut d. h. dass er dem Nächsten Gutes zu tun strebt, dass er niemanden verletze und sich von allem fernhalte, was andern schaden könnte. Drittens: und redet die Wahrheit von Herzen. So soll auch in der Rede kein Betrug noch Hinterlist zu finden sein, und Herz und Zunge sollen derartig zusammenstimmen, dass die Rede das lebendige Bild der verborgenen Gesinnung ist.
V. 3. Nachdem David kurz angegeben hat, mit welchen Tugenden diejenigen, die zur Gemeinde gehören wollen, geziert sein sollen, zählt er jetzt einige Fehler auf, von denen sie frei sein müssen. Zuerst sagt er, dass sie keine Verleumder sein, weiter dass sie von allen bösen Werken und von jeder Ungerechtigkeit sich fernhalten, und drittens dass sie Schmähungen und Verleumdungen auch nicht unterstützen sollen. Das Übrige werden wir später sehen. Die Verleumdung nennt David als das erste Stück der Ungerechtigkeit, wodurch man den Nächsten beleidigt. Denn wenn der gute Name mehr wert ist als alle Reichtümer (Spr. 22, 1), so ist die Verletzung des guten Rufes der größte Schade, der dem Menschen angetan werden kann. Übrigens wird hier nicht jedes Aussprechen eines Tadels verdammt, sondern nur die Verleumdungssucht und die Begierde, welche schlecht gesinnte Menschen treibt, böse Gerüchte zu verbreiten. Doch ist es ohne Zweifel die Absicht des heiligen Geistes, alle falschen und schändlichen Beschuldigungen zu verurteilen. Das Folgende, dass die Kinder Gottes sich von jeder Ungerechtigkeit fernhalten sollen, umfasst noch mehr: sie sollen ihren Brüdern in keiner Weise schaden.
Unter dem Nächsten sind dabei nicht nur diejenigen zu verstehen, mit denen wir im vertrauten Verkehr stehen oder durch Verwandtschaft verbunden sind, sondern alle, an die wir durch das Band der allgemeinen Menschenliebe gebunden sind. David gebraucht dieses Wort, um dadurch die Gläubigen mit Hass gegen diese Sünde zu erfüllen, damit sie vor derselben umso mehr zurückschaudern: denn wer einem andern Schaden zufügt, der verletzt das Recht der menschlichen Gesellschaft. In Bezug auf den dritten Punkt stimmen die Erklärer nicht überein. Einige meinen, dass „Schmähungen aufheben“ oder „erheben“ so viel bedeute wie „Schmähungen ersinnen“, wie denn böse Menschen nur zu gern ohne Grund böse Gerüchte in Umlauf setzen. Ich glaube jedoch, dass hier ein anderer Fehler getadelt wird, nämlich die Leichtgläubigkeit, dass man böse Reden über andere zu viel Beachtung und zu schnellen Glauben schenkt, während man doch vielmehr bestrebt sein muss, sie zu unterdrücken. Wer eine Lüge von sich weist, lässt sie gleichsam zur Erde fallen; dagegen kann von dem, der sie verbreiten hilft und sie von Mund zu Mund weitergibt, mit Recht gesagt werden, dass er sie „aufhebt“.
V. 4. Wer die Gottlosen (wörtlich „die Verachteten“) für nichts achtet. Es gilt die verachtenswerten Gottlosen zu verachten, wie sie es verdienen, dagegen die Gerechten und Gottesfürchtigen zu ehren. Mit unbestechlichem Urteil soll man die Bösen als solche erkennen und den Guten die schuldige Ehre lassen. Denn die Schmeichelei, welche die Fehler dadurch befördert, dass sie sie verdeckt, ist ein Übel, das ebenso verderblich als allgemein verbreitet ist. Ich gebe ja zu, dass dann, wenn die Schlechten herrschen, man sie nicht so verachten darf, dass man ihnen nicht gehorcht, soweit die Pflicht dieses erfordert. Aber wir müssen uns hüten, dass wir uns nicht dadurch, dass wir ihnen in knechtischer Weise zustimmen, mit in ihre Schuld verwickeln. Denn wer die Verbrechen jener Leute nicht nur verschweigt, sondern auch ehrt, zeigt damit, dass er sie billigt. Deshalb lehrt Paulus (Eph. 5, 11), dass es ein Zeichen gottloser Gemeinschaft sei, wenn man schändliche Taten nicht tadelt. Gewiss ist es ganz verkehrt, wenn wir, um den Menschen zu gefallen, Gottes spotten; und das tun alle diejenigen, die bestrebt sind, sich den Schlechten gefällig zu erweisen. Jedoch denkt David hier nicht so sehr an die Personen als an ihre Vergehen. Denn wenn jemand sieht, dass die Gottlosen geehrt und durch den Beifall der Welt noch mehr in ihrer Bosheit bestärkt werden, und wenn er ihnen trotzdem zustimmt, hilft er dann nicht dem Laster zur Herrschaft? Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse heißen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, spricht Jesaja (5, 20). Kurz, die Kinder Gottes urteilen frei über eines jeglichen Werk und lassen sich nicht durch Gunst zu einem verkehrten Urteil bestimmen, um den Schlechten in ihrer Bosheit mit fortzuhelfen. – Eine nicht gewöhnliche Tugend empfiehlt der Psalm des Weiteren: sondern ehrt die Gottesfürchtigen. Denn weil die Frommen oft der Auskehricht der Welt sind, so müssen ihre Freunde nicht selten den Hass, der sie trifft, mit ihnen teilen. Daher will der größte Teil ihre Freundschaft nicht und weist sie verächtlich von sich. Das kann aber nicht geschehen ohne schwere und furchtbare Beleidigung Gottes.
Wer sich selbst zum Schaden schwört und hält es. Der Sinn dieser Worte ist, dass die Gläubigen lieber Schaden leiden, als ihr Wort brechen. Denn das ist kein Beweis der Treue, wenn ein jeder nur dann sein Versprechen hält, wenn es ihm Vorteil bringt. Sehr oft benutzt man einen kleinen Nachteil als Vorwand, um sich seiner Verpflichtung zu entziehen, wenn man jemand etwas versprochen hat. Ein jeder erwägt, was ihm nützlich sei, und wenn es lästig fällt, dem Versprechen nachzukommen, so sind die meisten sehr erfinderisch darin, sich viel mehr Schaden auszudenken, als in Wirklichkeit zu befürchten ist. Es scheint eine sehr ehrenvolle Entschuldigung zu sein, wenn jemand klagt, dass er Schaden leiden würde, wenn er nicht von seinem Vertrage zurücktrete; daraus entsteht aber eine solche Frechheit des Treubruchs unter den Menschen, dass sie meinen, sie seien durch das gegebene Versprechen gar nicht weiter gebunden, als dieses ihnen Nutzen bringt. David, indem er jenen Leichtsinn verdammt, verlangt stattdessen von den Kindern Gottes eine andere Beständigkeit in ihren Versprechungen. Hier zeigen sich aber Schwierigkeiten. Wenn z. B. jemand einem Räuber Lösegeld versprochen hat, und daraufhin freigelassen worden ist, - muss er dann sein Wort halten? Ferner wenn jemand in unwürdiger Weise betrogen worden ist, ist er dann berechtigt, seinen Eid zu brechen? Was den ersten Fall betrifft, so würde der, der dem Räuber das Lösegeld auszahlt, dadurch in einen anderen Fehler verfallen, denn er würde einen Feind des ganzen menschlichen Geschlechts zum Schaden des Gemeinwohls mit seinem Gelde nähren. Dieses legt David den Gläubigen aber nicht als Verpflichtung auf, sondern er befiehlt ihnen nur, ihre Verpflichtungen ihrem eigenen Nutzen voranzustellen, besonders dann, wenn sie sich eidlich verpflichtet haben, diese zu erfüllen. Falls jemand durch eine arge List zum Schwören bestimmt worden ist, so muss die Heiligkeit des Namens Gottes ihm so viel gelten, dass er lieber geduldig Schaden leidet, als den Eid bricht. Doch steht es ihm frei, den Betrug, den man gegen ihn angewandt hat, aufzudecken, wenn er es nur nicht aus Rücksicht auf seinen eigenen Nutzen tut. Auch hindert nichts, dass man etwa mit seinem Widerpart in gütige Verhandlungen eintrete.
V. 5. Wer sein Geld nicht auf Wucher gibt. In diesem Verse befiehlt David den Gläubigen, den Nächsten nicht durch Wucher zu bedrücken, noch sich durch Geschenke bestechen zu lassen, ungerechte Sachen zu begünstigen. Es scheint so, als verurteile David das Zinsnehmen ganz allgemein ohne jede Einschränkung. Infolgedessen hat dieses einen schlechten Namen bekommen; aber schlaue Leute haben sich hierfür schöne Namen erdacht und glauben sich durch diese so gedeckt, dass sie jetzt mit größerer Freiheit rauben, als wenn sie offen wuchern würden. Doch Gott lässt sich durch Spitzfindigkeiten und schöne Namen nicht täuschen, sondern sieht einfach die Sache selbst an. Daher gibt es keine schlimmere Art des Wuchers, als wenn man in ungerechter Weise Geschäfte abschließt, ohne Rücksicht auf den anderen zu nehmen. Wir wollen uns daher merken, dass hier jedes Geschäft verdammt wird, bei dem jemand in unbilliger Weise aus dem Schaden eines anderen Gewinn zu erlangen sucht, einerlei welchen Namen es hat. Nun fragt es sich aber, ob hierunter alle Zinsen zu rechnen sind. Wenn alle Zinsen durchaus verworfen werden, so fühlen sich viele dadurch so gebunden, dass sie nichts tun können, ohne Gefahr zu laufen, zu sündigen. Solche Leute fangen dann an, nachdem sie an der Ausführung dieses Gebotes verzweifelt sind, allen ohne Auswahl zu tun. Anderseits, sobald irgendetwas freigegeben wird, fassen viele das so auf, als ob ihnen vollkommene Freiheit zum Wuchern gegeben sei. Zuerst möchte ich daher die Leser ermahnen, nicht bestrebt zu sein, das Rauben mit schönem Namen zu belegen, noch sich einzubilden, dass irgendetwas erlaubt sei, was anderen lästig ist und ihnen Schaden bringt. Was nun den Wucher betrifft, so ist in der ganzen Welt kaum ein Wucherer zu finden, der nicht zugleich räuberisch und ungerechtem und schändlichem Gewinn ergeben wäre. Deshalb stellte Cato einst mit Recht den Wucherer fast auf dieselbe Stufe mit dem Mörder, da diese Menschenklasse es nur darauf abgesehen hat, den andern das Blut auszusaugen. Es ist doch eigentlich eine große Schande, dass, während die anderen, ein jeder in seiner Weise, durch mühevolle Arbeit ihr Brot verdienen, während der Bauer sich täglich mit seiner Arbeit abquält, die Künstler sich viele Mühe geben, um anderen zu dienen, die Kaufleute nicht nur fleißig arbeiten, sondern sich auch vielen Beschwerden und Gefahren unterziehen, nur die Bankhalter allein in behaglicher Ruhe den Verdienst aus der Arbeit der anderen einstreichen. Zudem wissen wir, dass nicht die Reichen durch die Wucherer ausgesogen werden, sondern die kleinen Leute, die vielmehr zu unterstützen sind. Deshalb verbietet Gott nicht ohne Grund (3. Mo. 25, 35 ff. Vgl. überhaupt zu dieser Stelle Bd. 2, Abschnitt 191, Auslegung zu 2. Mo. 22, 25; 3. Mo. 25, 35 – 38; 5. Mo. 23, 19. 20) das Wuchern, indem er dieses Gebot damit begründet, dass wenn das Volk arm geworden ist, man es mit Wucher nicht noch mehr belasten soll, da die Armen vielmehr Mitleid verdienen. Wenn dieses nun auch ein bürgerliches Gesetz ist, das Gott den Juden besonders gegeben hat, so hat es doch zu allen Zeiten und bei allen Völkern als billig gegolten, die unglücklichen und schwachen Leute nicht zu Grunde zu richten. Daraus folgt, dass zum ungerechten Wucher nicht die Zinsen gehören, die der Gläubiger von seinen Schuldnern nimmt, falls letztere dadurch nicht geschädigt werden. Nun scheint es aber doch, dass von Hesekiel (18, 8) jede Vermehrung des Vermögens verdammt wird. Aber ohne Zweifel denkt er hierbei an die betrügerischen Künste, welche die Reichen anwenden, um das arme Volk zu schinden. Die Hauptsache ist, dass das Gesetz der Billigkeit, das Christus uns (Mt. 7, 12) gibt, dass ein jeder seinem Nächsten das tue, was er will, dass jener ihm tue, in unserem Herzen feststeht. Dann bedarf es gar keiner weiteren Auseinandersetzung über die Zinsen.
Und nimmt nicht Geschenke wider den Unschuldigen. Dies gilt besonders für die Richter, die sich durch Gewinn bestechen lassen, alles Recht und alle Gerechtigkeit zu verkehren. Doch kann es auch weiter gefasst werden, da es oft vorkommt, dass auch Privatleute sich durch den Gewinn bestechen lassen, eine schlechte Sache zu unterstützen. Dergleichen Bestechungen, durch die wir uns von der Wahrheit und Gerechtigkeit abbringen lassen, hat David hier im Auge. Die einfache Beschränkung auf die Raubgier der Richter, die gern von den Unschuldigen ein Lösegeld erpressen, während sie doch verpflichtet wären, umsonst zu helfen, wird schwerlich das Richtige treffen. Wenigstens zeigt eine sehr ähnlich lautende Stelle bei Hesekiel (18, 8) den allgemeinen Sinn.
Wer das tut, der wird wohl bleiben. Dieser Schluss erinnert uns aufs Neue daran, dass nicht alle, die sich in das Heiligtum eindrängen, auch dauernde Bürger Jerusalems sind, sondern dass diese Heuchler und alle, die sich mit Unrecht den Namen „Heilige“ beilegen, einst mit Ismael, dem sie gleichen, ausgetrieben werden. Was der 46. Psalm von der ganzen Gottesgemeinde sagt, wendet David hier auf jeden einzelnen Gläubigen an. Dass Gottes Gemeinde in Ewigkeit bleiben muss, wird dort darauf begründet, dass Gott bei ihr darinnen ist: wir wissen aber, dass er von den treulosen und frevelhaften Leuten, die sich ihm heuchlerisch nur mit Mund und Lippen nahen, sehr weit entfernt ist.