Calvin, Jean - Psalm 143.
Inhaltsangabe: Obschon die Gegner, mit denen David zu tun hatte, boshafte Feinde waren, indem sie ihn ebenso ungerecht wie grausam bedrängten, so erkennt er doch, dass solches nach gerechtem Urteil Gottes geschieht, und nimmt deshalb, um Gottes Gunst zu gewinnen, seine Zuflucht zu flehentlichem Bitten um Vergebung. Nachdem er sodann Beschwerde geführt hat über das Wüten der Feinde und bezeugt hat, dass keine Traurigkeit ihm je das Gedächtnis Gottes aus dem Herzen gerissen habe, begehrt er sowohl hergestellt als auch von Gottes Geist regiert zu werden, um den Rest seines Lebens der Frömmigkeit zu widmen.
V. 1. Herr, erhöre mein Gebet usw. Nach den Ausdrücken des Schmerzes und der Angst zu schließen, mit denen David sein Ungemach beklagt, muss die Wut der Feinde äußerst heftig gewesen sein. Es zeigt aber schon die Einleitung, dass er von nicht geringer Traurigkeit heimgesucht war. Warum er „Wahrheit“ und „Gerechtigkeit“ miteinander in Verbindung bringt, ist anderswo (z. B. zu Ps. 40, 11) dargelegt worden. Beim Wort „Gerechtigkeit“ müssen wir nicht an Verdienst und Lohn denken, wie manche irrtümlich tun; sondern Gottes Gerechtigkeit heißt seine Güte, die ihn bewegt, die Seinen zu schützen. Auf dasselbe läuft auch die „Wahrheit“ hinaus; denn darin besteht die beste Bewährung seiner Treue, dass er die nicht verlässt, denen er seine Hilfsbereitschaft verheißen hat. Indem also Gott den Seinen beisteht, beweist er sich als den Gerechten und Wahrhaftigen, da er ihre Hoffnung nicht zuschanden werden lässt und in seinem Wohltun eine Probe von seinem wahren Wesen ablegt. Darum hält sich David beides vor Augen, um Zuversicht zum Gebet zu gewinnen.
V. 2. Und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte. Den Grund, warum David zur Bitte um Vergebung übergeht, habe ich oben erwähnt. Wenn nämlich Widerwärtigkeit von allen Seiten sich erhebt, so dürfen wir fest glauben, dass es Rutenstreiche Gottes sind, mit denen er uns zur Buße treiben will. Er hat durchaus keine Freude an unserm Unglück. Also sind sicher unsere Sünden die Ursache, wenn er uns etwas hart anfasst. Obschon daher Davids Widersacher gottlose Leute waren und er hinsichtlich seines Verhaltens gegen sie das beste Gewissen hatte, so bekennt er doch als tief gebeugter Sünder offen vor Gott seine Schuld. Und das müssen wir denn auch als allgemeine Regel festhalten: wollen wir einen gnädigen Gott haben, so müssen wir ihn bitten, dass er unserer Sünden nicht gedenke. Denn wenn ein David seine Zuflucht einzig und allein zur Bitte um Vergebung nahm, wer von uns wollte dann wagen, im Vertrauen auf seine eigene Gerechtigkeit und Unbescholtenheit vor Gottes Angesicht zu treten? Doch schreibt David den Gläubigen nicht nur durch sein Beispiel vor, wie sie beten sollen, sondern er spricht auch aus, dass keiner von den Sterblichen, wenn er vor Gericht erscheinen muss, „gerecht“ sein wird, buchstäblich: kein Lebendiger wird vor dir gerecht gesprochen oder gerechtfertigt werden. Eine überaus lehrreiche Stelle. Sie zeigt uns, - was ich weiter oben berührt habe -, dass Gott uns, so oft wir zu ihm treten, nicht anders Gnade erweist, als indem er sein Richteramt beiseitesetzt, uns die Schulden frei erlässt und uns so mit sich versöhnt. Demnach muss alle menschliche Gerechtigkeit zusammenbrechen, sobald es gilt, vor Gottes Richterstuhl zu treten. Wenn dies nun auch von jedermann leichthin zugestanden wird, so erkennt es doch unter Hunderten kaum einer im Ernst an. Denn da die Leute sich gegenseitig ihre Fehler nachsehen, lassen sie alle auch Gottes Urteil über sich leichten, sicheren Sinnes gelten, als ob es ebenso leicht wäre, ihm genug zu tun, wie von den Menschen freigesprochen zu werden. Um aber die Sache überhaupt richtig zu erfassen, müssen wir vor allem uns merken, was Rechtfertigung ist. Unsere Stelle zeigt uns deutlich, dass derjenige gerechtfertigt wird, der von Gott für gerecht angesehen oder erklärt wird, mit andern Worten: den der himmlische Richter selbst als einen Schuldlosen frei ausgehen lässt.
Indem nun David den Ruhm der Schuldlosigkeit allen Sterblichen abspricht, deutet er an, dass auch die Gerechtigkeit, die bei den Heiligen etwa gefunden wird, nicht so vollkommen ist, dass sie vor Gott bestehen könnte. Und so erklärt er, dass alle vor Gott straffällig sind und nicht entbunden werden können, wenn sie nicht eingestehen, dass sie mit Recht angeklagt sind. David konnte sicherlich mit Recht sich rühmen, einer der vollkommensten zu sein, wenn es solche in der Welt überhaupt gäbe; auch wusste er, welcher Art die Rechtschaffenheit Abrahams und der heiligen Erzväter war. Wenn er nun weder sich selbst noch jene mit seinem Urteil verschont, so erklärt er damit, dass es für alle nur das eine Mittel, Gott zu versöhnen, gibt, indem sie bei seiner Barmherzigkeit Zuflucht suchen. Daraus erkennen wir, was für ein teuflischer Wahnsinn den Geist derer gefangen hält, die bis auf den heutigen Tag von einer vollkommenen Gerechtigkeit faseln und so die Vergebung der Sünden beiseiteschaffen. Sie würden gewiss nie so weit gehen, wenn sie nicht im innersten Grund voll Verachtung gegen Gott wären. Mit hochtönenden Worten reden sie von einer Erneuerung in dem Sinne, als ob die ganze Herrschaft Christi in nichts weiter als in einem rechtschaffenen Leben bestünde. Indem sie aber das Hauptstück des ewigen Bundes, die Versöhnung aus Gnaden, vernichten und sich und andere mit wahnwitzigem Stolze aufblähen, verraten sie ihre barbarische Unwissenheit. Sie sollen deshalb in unsern Augen so verabscheuungswürdig sein, wie wenn sie willentlich Gott ins Angesicht spien.
Dazu kommt aber noch ein anderes. Auch die Päpstlichen bekennen zwar, dass, wenn Gott als Richter auftreten und das Leben der Menschen prüfen will, sie alle einer gerechten Verdammnis unterliegen. Und darin zeigen sie ein gesünderes Verständnis und bescheideneren, nüchterneren Sinn als jene Frechen, von denen ich eben sagte. Aber wenn sie sich auch die Gerechtigkeit nicht bestimmt anmaßen, so halten sie dafür Gott ihre verdienstlichen Werke und Abbüßungen entgegen und sind also von Davids Vorbild weit entfernt. Sie gestehen jederzeit, dass ihre Werke in irgendeiner Weise mangelhaft sind, und um Gnade zu erlangen, begehren sie, dass Gottes Barmherzigkeit ihnen zu Hilfe komme. Allein die beiden Dinge: Rechtfertigung aus den Werken und Rechtfertigung aus dem Glauben sind nach der Schrift einander entgegengesetzt. Ein Mittelding, etwa Rechtfertigung aus Glauben und Werken, gibt es nicht. Es ist also eine Torheit, wenn die Päpstlichen eine dritte Art von Gerechtigkeit erfinden, die sie zum Teil durch ihre Werke erstreben und die zum Teil Gott nach seiner Huld ihnen zurechnen soll. Wenn nun David versichert, dass kein Sterblicher, wenn er nach seinen Werken gerichtet wird, vor Gott bestehen kann, so träumt er nicht von jener doppelten Gerechtigkeit, sondern fordert uns auf, ohne weiteres den Schluss zu ziehen, dass Gottes Gunst sich einzig nach seinem Erbarmen richtet, weil alles, was Menschen an Gerechtigkeit vorzubringen gedenken, vor ihm in nichts zerrinnt.
V. 3. Denn der Feind verfolgt meine Seele. Nachdem David bekannt hat, dass er gerechte Strafe für seine Sünden erleidet, kommt er auf seine Feinde zu sprechen. Von ihnen zuerst zu reden, wäre verkehrt gewesen. Ihre Grausamkeit nun ist nach seiner Schilderung derart, dass sie sich nicht zufrieden geben, ehe sie ihn, den heiligen Mann, vertilgt haben. Ja, er sagt, sein Leben sei bereits verloren, wenn Gott nicht eilends zu Hilfe komme. Er vergleicht sich nämlich nicht einfach mit einem Toten, sondern mit denen, so längst tot sind, also mit verwesenden Leichnamen. Damit zeigt er, dass er nicht nur in tödlicher Krankheit auf Gott als seinen Arzt vertraut, sondern dass es auch in Gottes Macht steht, seine Asche wieder zum Leben zu erwecken, selbst wenn sein Leben schon längst in Vergessenheit versunken wäre.
V. 4 u. 5. Und mein Geist usw. Von äußerem Ungemach hat David bisher gesprochen. Nun gesteht er, wie er auch innerlich litt, woraus wir ersehen, dass seine Widerstandskraft nicht felsenhaft war. Da er vielmehr bei seinem menschlich schwachen Gemüt von Traurigkeit überwältigt war, konnte er nur durch Glauben und durch die Gnade des heiligen Geistes sich aufrechterhalten. Wenn also bisweilen Trübsale uns niederbeugen, vielleicht sogar beinahe aus der Fassung bringen, so sollen wir doch den Kampf nicht aufgeben. Zuletzt werden wir ja durch Gottes Beistand unser Haupt wieder erheben, wenn nur unser Herz unter seinen Ängsten nach ihm verlangt.
Und im folgenden Vers erwähnt David, dass er fleißig nach dem Heilmittel trachtete, das seine Schmerzen lindern konnte: Ich gedenke an die vorigen Zeiten. Bei der Trägheit, der sich die meisten gern hingeben, ist es nicht verwunderlich, dass sie unterliegen. Sie nehmen sich eben nicht die Mühe, aus der Erinnerung an Gottes Gnade Kraft zu holen. Wohl empfinden wir bisweilen, wenn wir uns daran erinnern, wie freundlich Gott ehedem mit uns gehandelt hat, unser Ungemach umso herber, da die Vergleichung unser Gefühl dafür weckt und schärft. David fasst jedoch einen anderen Gesichtspunkt ins Auge und schöpft aus Gottes ehemaligen Wohltaten neues Vertrauen. Und in der Tat ist solch ein Rückblick auf das Gute, das wir früher von Gott empfangen haben, das beste Mittel, den Schmerz zu lindern, wenn wir dem Verzagen nahe sind. David denkt auch nicht bloß an seine eigenen Erfahrungen von Jugend auf, wie einige – wohl zu einseitig – die Worte auslegen. Mit dem, was er selbst erlebt hat, verbindet er ohne Zweifel die älteren Geschichten, in denen man leicht die fortwährende Güte Gottes gegen die Seinen erblicken konnte. Auch wir wollen von ihm lernen, nicht nur zu erwägen, was Gott an uns getan hat, sondern auch ins Gedächtnis zurückzurufen, wie oft und viel er seinen Knechten zu Hilfe gekommen ist. Und das wollen wir dann uns zunutze machen. Wenn dabei der Schmerz auch nicht augenblicklich nachlässt, so bleibt die Besserung nachher doch nicht aus. Denn wie auch David darüber klagt, dass dieser Trost seine Sorgen und Beschwerden nicht sogleich erleichterte, so führt er doch fort in seinem Nachsinnen, bis die Früchte davon zu seiner Zeit zum Vorschein kommen. Das Zeitwort des dritten Satzes kann sowohl „nachdenken“ als „reden“ heißen. Von manchen wird es in letzterem Sinne genommen: „Ich rede von allen deinen Werken.“ Ich halte aber dafür, dass David hier wie im zweiten Satz vom Nachdenken spricht. Er will andeuten, wie anhaltend er diesem Nachsinnen obliegt. Es geschieht ja oft, dass wir nur flüchtig an Gottes Werke denken und gleich darauf unser Sinnen wieder anderswohin lenken. Da ist dann leicht begreiflich, dass kein fester Trost Platz greift. Damit also unsere Erkenntnis nicht haltlos werde, müssen wir sie mit unablässigem Aufmerken unterstützen.
V. 6 u. 7. Ich breite meine Hände aus zu dir. Hier zeigt sich der Nutzen, den David von seinem Nachsinnen hatte, indem es seinen Gebetseifer anregte. Wenn wir ernstlich darüber nachdenken, welche Gesinnung Gott seinen Knechten noch immer erwiesen hat, und was auch wir von ihm erfahren haben, so muss ja notwendig unser Geist durch die süße Empfindung seiner Güte zum Verlangen nach ihm sich hingerissen fühlen. Das Gebet geht zwar sonst aus dem Glauben hervor. Da aber die Beweise von Gottes Macht und Güte den Glauben selbst stärken, so sind sie die besten Hilfsmittel gegen unsere Geistesträgheit. Nun gibt David sein brennendes Verlangen zu erkennen, indem er in einem schönen Bilde von seiner Seele sagt, dass sie dürstet„wie ein dürres Land“. Es ist bekannt, wie in Zeiten größter Hitze die Erde sich spaltet, wie wenn sie mit geöffnetem Munde einen Trank vom Himmel begehrte. David deutet also an, dass er mit heißer Sehnsucht vor Gott tritt, gleich als ob der Lebenssaft ihm versiegte.
Das drückt er dann im folgenden Vers noch deutlicher aus. Da zeigt sich nun wieder eine hervorragende Probe seines Glaubens, da er trotz dem Gefühl, dass seine Kraft am Ende und er dem Grabe nahe sei, doch nicht mit wankelmütigem Sinn da und dort umherspäht, sondern sich fest an seinen Gott hält. Obschon er übrigens mit seiner eigenen Schwachheit hart zu kämpfen hatte, so musste ihn doch das Schmachten seiner Seele, von dem er redet, mehr zum Gebetseifer anstacheln, als wenn er mit stoischem Trotz seine Ängste, Schmerzen und Kümmernisse bezwungen hätte. Es gilt aber jederzeit darauf zu achten, dass man, um sein Herz an Gott allein zu hängen, alle anderweitigen Hoffnungen daraus verbanne, so dass man sich die Not zunutze macht und sich von ihr wie auf einem Wagen zu Gott emporführen lässt.
V. 8. Lass mich frühe hören deine Gnade. In diesem Vers verlangt David aufs Neue darnach, dass Gottes Gnade sich ihm, und zwar mit Erfolg, offenbare. „Lass mich hören“, scheint nicht wörtlich gemeint, da Gottes Güte eher geschmeckt als gehört wird. Da es uns aber wenig nützt, Gottes Wohltaten zu empfangen, wenn sie nicht vermittelst des Glaubens uns zur Empfindung kommen, so geht David mit Recht vom Hören aus. Leute, die fern von Gott sind, nehmen bekanntlich seine Wohltaten wie einen Raub hin, ohne seine Güte darin zu schmecken, weil sie eben nicht auf sein Wort achten noch im Lichte des Glaubens wandeln, der sie Gott als Vater erkennen ließe. Das Umstandswort „frühe“ (wörtlich: „am Morgen“) fassen manche – zu eng – als Bezeichnung des Morgenopfers, nach der Sitte des täglich zweimaligen Opferns, am Morgen und am Abend. Andere verstehen es in mehr geistlichem Sinn, nämlich dass Gott, indem er seinen Knechten wieder größere Milde zuwendet, ihnen dadurch gleichsam einen neuen Morgen anbrechen lässt.
Aber David wiederholt hier einfach, was er vorher mit den Worten „erhöre mich bald“ gesagt hat. „Frühe“ heißt also so viel wie „zeitig, eilends“.
Mit den Worten„denn ich hoffe auf dich“, hält er, wie auch sonst oft, den Herrn fest an seinem eigenen Wort, da er sich uns aus freier Gnade zum Vater angeboten und zugesagt und so nach menschlicher Weise vertraglich verpflichtet hat. So dürfen wir ihn also gewissermaßen nach seinem Versprechen haftbar machen, wie es in diesen Worten Davids geschieht. Damit sind wir aber so weit entfernt, etwas wie eigene Würdigkeit oder Verdienst vorzubringen, dass unsere Hoffnung vielmehr von unserer Leerheit und Hilflosigkeit zeugt. Wenn er nun bittet, es möge ihm der Weg kundgetan werden, darauf er gehen solle, so bezieht sich das auf seine angstvolle Lage. Er deutet an, dass die Not, in der er schwebt, ihn wie betäubt hat, so dass er keinen Fuß bewegen kann, wenn nicht Gott ihm einen Ausweg öffnet; mit anderen Worten: Herr, alle Wünsche meiner Seele gehen auf dich; darum wollest du mir in meiner so verwickelten Lage Rat schaffen.
V. 9. Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden. Ungefähr dasselbe wie im vorhergehenden hat David bei dieser Bitte im Auge, da die zudringliche Gewalt der Feinde ihm alle Auswege versperrt. Was nun die Worte „zu dir habe ich Zuflucht“ betrifft, so werden sie von einigen dahin ausgelegt, dass David, der sich tausendfachen Todesgefahren ausgesetzt sah, sich unter Gottes Schutz und Schirm begab und sich da gedeckt und geborgen wusste. Diese Auslegung scheint mir annehmbar. Jedenfalls hat sie meinen Beifall eher als die andere, die freilich durch ihre Spitzfindigkeit manchen gefällt, dass nämlich David im Verborgenen1) und unter vier Augen Gott anrief.
V. 10. Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen. Davids Wünsche steigen nun höher. Er begehrt nämlich nicht nur Befreiung von äußeren Beschwerden, sondern, was wichtiger ist, dass er von Gottes Geist regiert werde, damit er weder zur Rechten noch zur Linken abweiche, sondern auf dem wahren, richtigen Weg bleibe. Dieses Verlangen muss uns sogleich im Herzen aufsteigen, so oft uns Versuchungen härter anfechten. Denn nichts fällt uns schwerer, als dem Herrn so untertan zu sein, dass wir keine unerlaubten Hilfsmittel suchen. Es lassen sich denn auch viele durch Sorgen, Furcht oder Verdruss oft verleiten, zum ersten besten Auskunftsmittel zu greifen. Darum wollen wir nach Davids Vorbild bitten, dass Gott uns Zügel anlege, damit wir nicht durch fleischlichen Trieb auf etwas Ungehöriges verfallen. Es ist aber wohl zu beachten, dass David nicht bloß wünscht, belehrt zu werden, welches der Wille Gottes sei, sondern er will sich dazu anleiten lassen, denselben mit der Tat zu befolgen. Die bloße Belehrung wäre noch zu wenig fruchtbar. Denn wenn Gott uns auch zeigt, was recht ist, so sind wir doch nicht sofort bereit, seinem Rufe zu folgen, solange er uns nicht den Herzenstrieb einflößt, der auf ihn gerichtet ist. Und so ist es also notwendig, dass Gott uns nicht nur durch toten Buchstaben lehre und anleite, sondern durch einen verborgenen Antrieb des Geistes. Oder genauer gesagt: Gott übt sein Erzieheramt an uns auf dreifache Weise aus. Erstlich unterweist er uns durch sein Wort, sodann erleuchtet er den Verstand mit seinem Geiste, und zum dritten prägt er seine Lehre unsern Herzen so ein, dass wir aus wahrer, ernstlicher Übereinstimmung gehorchen. Denn auch das Hören des Wortes ist an sich noch nutzlos, auch genügt die Einsicht noch nicht. Es muss ein williger Gehorsam hinzukommen. David sagt aber auch nicht: „Lehre mich, damit ich deinen Willen tun kann“, wie die Papisten sich einbilden, dass Gottes Gnade nur so weit ihre Kraft beweise, dass sie uns für das Gute empfänglich macht. David stellt vielmehr einen tatsächlichen Erfolg der Gnade fest.
Dasselbe bekräftigt er im zweiten Versglied, wo er sagt: dein guter Geist führe mich usw. Gottes Geist wünscht er zu seinem Führer, nicht nur insofern derselbe den Verstand erleuchtet, sondern weil er uns gleichsam bei der Hand führt, indem er erfolgreich an den Herzen wirkt und sie zur Übereinstimmung mit ihm willig macht. Die Stelle enthält sodann durch die Umstände, unter denen sie verfasst wurde, eine Mahnung an uns. Wenn wir mit gottlosen Leuten im Streite liegen, so haben wir uns wohl zu hüten, dass nicht verkehrte Leidenschaften sich unserer bemächtigen. Und weil zu deren Bezähmung unsere Vernunft oder Vermögen nicht hinreicht, so müssen wir jedes Mal die Leitung des Geistes Gottes erbitten, damit er die zügellosen Triebe bändige. Daneben vernehmen wir hier, was überhaupt der freie Wille vermag. David spricht demselben die Fähigkeit ab, das Rechte zu wählen, solange nicht das Herz durch den Geist Gottes zu heiligem Gehorsam tüchtig gemacht wird. Durch die Bitte „führe mich“ bestätigt sich, was früher gesagt wurde, dass David sich die Gnade nicht nach Art der Papisten als eine nur halbwegs heilsame vorstellt, so dass sie den Menschen im Ungewissen ließe, sondern er schreibt ihr weit größeren Erfolg zu, wie auch Paulus (Phil. 2, 13) sagt: „Gott ist es, der in euch wirkt beide, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“
Auf rechter Bahn wünscht David geführt zu werden, weil wir auf Irrwege geraten, sobald wir von dem Wege, der Gott gefällt, abweichen. Vom „guten Geist“ redet er im Gegensatz zu der uns angeborenen, verderbten Neigung. David will sagen: alles Dichten der Menschen ist böse und verkehrt, bis es durch die Gnade des heiligen Geistes zurecht gebracht wird. Fleisch und Blut geben uns also keine untadeligen und heilsamen Gedanken ein. Gottlose Leute werden zwar, wie ich zugebe, etwa durch einen bösen Geist, der von Gott gesandt ist, verführt, indem Gott durch Teufel seine Gerichte vollziehen lässt. Aber ich glaube nicht, dass David an dieser Stelle solch feine Andeutungen in seine Worte legen wollte, sondern er verurteilt seine Sündhaftigkeit und preist dagegen den Geist Gottes als den guten, gerechten und wahrhaftigen.
Wenn er nun sagt: denn Du bist mein Gott, so zeigt er damit an, dass er die zuversichtliche Hoffnung auf Erhörung ausschließlich aus seiner gnädigen Annahme und Gottes Verheißungen schöpft, denn es liegt nicht in unserem Belieben, zu bewirken, dass er unser Gott ist. Das steht nur in seiner Gnade, mit der er uns zuvorkommt.
V. 11. Herr, mache mich lebendig. Mit den Worten: um deines Namens willen bekräftigt David wieder, dass er den Glauben an sein Heil aus keiner anderen Quelle schöpft als aus der lauteren Güte Gottes; denn wenn er etwas Eigenes vorbrächte, so würde seine Sache nicht auf Gott allein gestellt sein. Hilft Gott uns aber „um seines Namens Willen“, so bewegt ihn dazu nur seine Güte, da er an uns nichts findet, das uns seine Gunst gewinnen könnte. Dasselbe sagt auch der Ausdruck: um deiner Gerechtigkeit willen, indem das Heil der Gläubigen dazu dienen muss, Gottes Gerechtigkeit ins Licht zu stellen, wie wir schon anderswo sagten. Zugleich wiederholt er auch, was er von seinen überaus schweren Trübsalen gesagt hat. Er bittet ja um Belebung und bekennt damit, dass er gewissermaßen des Lebens beraubt, dem Tode geweiht ist, wenn nicht Gott, der (nach Ps. 68, 21) vom Tode erretten kann, ihn wiederherstellt durch eine Art geheimnisvoller Auferweckung.
V. 12. Und verstöre meine Feinde. Auch in diesem Verse betont David aufs Neue, was er bereits öfter ausgesprochen, dass er die Erhaltung seines Lebens nur von Gottes Güte erhofft. Denn obschon es Gottes Strenge ist, die im Vernichten der Gottlosen an den Tag tritt, so stellt doch David fest, dass die Vergeltung, die er über jene fordert, ein Zeichen von Gottes väterlicher Gnade gegen ihn sein wird. In der Tat begegnet sich oft Gottes Strenge mit seiner Barmherzigkeit. Indem er die Hand über die Seinen ausstreckt, um sie zu bewahren, lässt er den Blitz seines Zorns gegen ihre Feinde ausgehen. Und zuletzt tritt er hervor in seiner Macht zur Errettung der Seinen, wie es (Jes. 63, 4) heißt: „Ich habe einen Tag der Rache mir vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu erlösen, ist gekommen.“
Wenn nun David sich Gottes Knecht nennt, so rühmt er sich durchaus nicht seiner Dienstleistungen, sondern preist vielmehr Gottes Gnade; ihr musste er es ja zuschreiben, dass er Gottes Knecht sein durfte. Solche Würde, unter Gottes Diener gezählt zu werden, wird ja nicht durch eigenes Ringen und eigenen Fleiß erlangt, sondern hängt von seiner Gnadenwahl ab, durch die er uns in die Zahl und den Rang der Seinen einzureihen geruht, noch ehe wir geboren sind, wie derselbe David an anderem Ort noch deutlicher ausspricht (Ps. 116, 16): „Ich bin dein Knecht; ich bin dein Knecht, deiner Magd Sohn.“ Denn das will bedeuten, dass David sich als Gottes Schützling betrachtet und sein Leben ihm befiehlt.