Calvin, Jean - Psalm 10.
Inhaltsangabe: David klagt in seinem und aller Frommen Namen darüber, dass Betrug, Raub, blutige Gewalttaten und Ungerechtigkeiten aller Art überall in der Welt ihr Wesen treiben. Als Grund hierfür gibt er an, dass die gottlosen und verkommenen Menschen, weil sie trunken geworden sind durch die guten Erfolge, die sie gehabt haben, keine Angst mehr vor Gott empfinden und meinen, alles ungestraft tun zu können. In dieser großen Not betet er zu Gott um Hilfe, dass er Rat schaffe, und endlich tröstet er sich selbst und die anderen Gläubigen mit der Hoffnung auf Erlösung. Dieser Psalm zeigt uns gleichsam wie in einem Spiegel das Bild eines zerrütteten und verderbten Staatswesens. Mögen die Kinder Gottes sich in ihn versenken, wenn einmal die Bosheit sich wie eine Flut ergießt, damit sie nicht in ihrem Glauben sich erschüttern lassen und den Mut verlieren: denn sie können hier sehen, dass die Versuchung, die sie durchzumachen haben, nichts Neues ist. Und es wird das auch eine Linderung für unseren Schmerz sein, wenn wir erkennen, dass das, was uns heute trifft, dasselbe ist, was die Gemeinde Gottes früher schon erfahren hat, und dass wir denselben Kampf zu kämpfen haben, wie David und die anderen Väter. Dann werden die Gläubigen auch daran gemahnt, in solch verzweifelter Lage Gott zu suchen. Denn wenn sie sich nicht an Gott wenden, so hilft ihnen all ihr Jammern und Klagen nichts.
V. 1. Herr, warum? usw. Wir sehen, dass der Prophet, als er in seiner verzweifelten Lage Hilfe sucht, sich geradeswegs an Gott wendet. Diese Regel müssen auch wir befolgen, dass wir, wenn wir ängstlich und bestürzt sind, Trost aus Gottes Vorsehung schöpfen. Bei dem Wogen und Wallen unserer Sorgen muss dies bei uns feststehen bleiben, dass es Gottes eigentliches Amt ist, den Elenden und Bedrückten mit seiner Hilfe beizustehen. Wenn der Dichter sagt, dass Gott von ferne tritt, so ist dies nicht eigentlich zu verstehen: denn seinen Augen bleibt ja nichts verborgen. Es liegt also eine Übertragung menschlicher Verhältnisse auf Gott vor. David stellt Gott nicht so dar, wie er in Wirklichkeit ist, sondern wie er im Augenblick erscheint. Wenn wir jedoch bedenken, dass Gott es uns erlaubt, in menschlicher Weise mit ihm zu verkehren, so wird diese Redeweise für uns nichts Auffälliges haben. Bei den Menschen kann der Fall eintreten, dass jemand, der sonst gerecht ist, doch ein Unrecht, das vor seinen Augen einem Armen angetan wird, nicht verhindert, weil ihm hierzu die Macht fehlt. Dieser Fall tritt aber bei Gott nie ein, da er immer mit unbesiegbarer Macht ausgerüstet ist. Dass er sich fern hält, bedeutet also nichts anderes, als dass er sich zu verbergen scheint. Es ist aber wohl zu beachten, dass David, wenn er sich auch über das Fernsein Gottes beklagt, trotzdem von seiner Gegenwart überzeugt ist; denn sonst würde er ihn ja vergeblich anrufen. Die Frage, die David hier an Gott richtet, hat diesen Sinn: Herr, was hat das zu bedeuten, dass du, der du doch als Herr der Welt diese nicht nur erhalten, sondern auch mit Gerechtigkeit regieren musst, diese große Vermessenheit der Gottlosen nicht gleich heimsuchst? Diese Worte sollen jedoch nicht so sehr ein Tadel gegen Gott sein, als vielmehr eine Aufmunterung für den Beter selbst zum Vertrauen auf Erlösung. Er sagt, dass er es mit seinem schwachen Verstande nicht fassen kann, dass Gott so lange seine Pflicht versäume. Doch unterlässt er es dabei nicht, dem Herrn die gebührende Ehre zu geben. Er legt nur die Last seines Elends, die ihn drückt, an Gottes Herz. Darauf bezieht sich auch das Folgende: zur Zeit der Not. Denn wenn Gott auch nicht jeden Augenblick seine Hand aussteckt, so darf er doch nicht länger warten, wenn er sieht, dass die Einfältigen und Unschuldigen bedrückt werden.
V. 2. Im Übermut verfolgt der Gottlose den Armen. Bevor der Dichter seine Verwünschung gegen die Gottlosen ausspricht, beschreibt er kurz ihr Vergehen, nämlich dass sie die Elenden nur deswegen so grausam quälen, weil sie sie stolz verachten. Darin zeigt sich gerade ihre Rohheit, dass sie jedes menschliche Mitgefühl verloren haben und mit den Armen und Bedrückten ihren Spott treiben. Die Grausamkeit ist ja immer stolz. Ja, der Stolz ist der Vater aller Ungerechtigkeiten. Denn wenn jemand sich im Stolz über seinen Nächsten erhebt und andere verachtet, weil er sich mehr anmaßt, als ihm zusteht, so setzt er sich über das Gesetz der Billigkeit und Bescheidenheit, das für alle gilt, hinweg. Hier aber will David insbesondere darauf hinweisen, dass die gottlosen Leute, gegen die er seine Anklage richtet, durch nichts gereizt wurden und doch gegen die Unglücklichen und Machtlosen wüten. Aus welch hochmütigem und frechem Geist geht solches Verhalten hervor! Wer daher schlecht und recht mit seinen Brüdern zu verkehren wünscht, darf sich nicht darin gefallen, andere zu verspotten, sondern muss vor allem bestrebt sein, sein Herz von der Krankheit des Hochmuts frei zu machen.
V. 3. Der Gottlose rühmt sich seines Mutwillens. „Mutwille“ bezeichnet hier die ungezügelte Begierde. Der Sinn dieser Stelle ist: die Gottlosen fühlen sich wohl, wenn sie sich von ihren bösen Begierden treiben lassen, verachten Gottes Gericht und sprechen sich von aller Schuld frei. Dies drückt Mose (5. Mos. 29, 18) so aus, dass der Frevler sich in seinem Herzen segnet und spricht: Es geht mir wohl, dieweil ich wandle, wie es meinem Herzen gut dünkt. David sagt etwas später (V. 5), dass die Gottlosen ihr Glück missbrauchen, indem sie sich ergötzen. Aber hier meint er etwas Schlimmeres, wenigstens nach meiner Ansicht, nämlich dass sie ihre Vermessenheit preisen und sich wegen ihrer Übeltaten rühmen. Und diese Sicherheit ist die Ursache ihrer zügellosen Frechheit. Die Wörter „rühmen“ und „segnen“ sind gleichbedeutend, ebenso wie die Wörter „Gottloser“ und„Gewalttätiger“. Hiermit stimmt das überein, was am Schlusse des Verses steht, dass diese Gottlosen Gott verachten. Sie lassen sich deshalb in so verkehrter Weise gehen, weil sie den Herrn ganz verachten. Denn wer bedenkt, dass Gott sein Richter sein wird, der fürchtet sich, sich in seinem Herzen zu segnen, wenn er ein schlechtes Gewissen hat.
V. 4. Der Gottlose untersucht nicht. 1) David meint damit, dass die Gottlosen sich ohne Prüfung alles erlauben und dass sie zwischen Recht und Unrecht nicht unterscheiden. Die Begierde gilt ihnen als Gesetz, ja, als stünden sie außerhalb des Gesetzes, wähnen sie, dass alles ihnen erlaubt sei, was ihnen gefällt. Demgegenüber ist der Anfang eines rechtschaffenen Wandels, dass wir, statt blindlings nach unserem Gutdünken zu handeln oder dem Triebe unseres verderbten Fleisches zu folgen, untersuchen, was Gottes Wille ist. Dieser Eifer, Gottes Willen zu erforschen, geht aus der Bescheidenheit hervor, die sich darin zeigt, dass wir, wie es billig ist, Gott als unseren Richter und Führer anerkennen. Mit Recht sagt der Prophet daher von den Gottlosen, dass sie, ohne vorher zu prüfen, alles ruhig tun, was ihnen gefällt. Denn sie sind so stolz in ihrem Hochmut, dass sie Gott nicht als Richter über sich anerkennen wollen. – Im zweiten Teil des Verses erhebt der Prophet gegen sie noch eine härtere oder wenigstens eine deutlichere Anklage, nämlich dass alle ihre schlechten Gedanken es kundtun, dass Gott ihnen nichts gilt. Ich verstehe diese Worte so, dass sie in heilloser Vermessenheit alle Billigkeit und alles Recht umkehren, als wenn kein Wort im Himmel thronte. Denn wenn sie von dem Dasein Gottes überzeugt wären, so würde die Furcht vor dem zukünftigen Gerichte sie in Schranken halten. Dabei soll nicht gesagt sein, dass sie ausgesprochene Gottesleugner sind, sondern nur, dass sie Gott seiner Macht entkleiden. Denn Gott würde für uns ein toter Götze sein, wenn er ein Wesen wäre ohne Tätigkeit, das an sich selbst genug hätte und nicht des Richteramtes waltete. Daher schaffen diejenigen, die die Welt der Vorsehung Gottes nicht unterordnen und seine Hand, mit der er alles regiert, nicht anerkennen, Gott selbst ab, soweit dieses in ihrer Macht steht. Doch ist es auch noch nicht genug, dass wir eine unbestimmte Kenntnis von Gottes Gericht haben, sondern die rechte Erkenntnis seiner Vorsehung muss uns auch mit Ehrfurcht vor ihm erfüllen.
V. 5. Er hat Glück. Der Prophet redet hier von dem glücklichen Zustande der Gottlosen und ihrer andauernden Freude, die sie berauscht. Er beklagt sich aber nicht über ihr Glück, sondern weist vor allem darauf hin, dass sie ihre Schuld dadurch vergrößern, dass sie sich durch Gottes Güte zur Bosheit verhärten. Ich verstehe diese Stelle so: da ihnen fortgesetzt alles glückt, so bilden sie sich ein, dass Gott ihnen verpflichtet sei. Die Folge davon ist, dass sie an sein Gericht nicht denken. Sollte jemand ihnen entgegentreten, so glauben sie ihn wegblasen zu können. Der Prophet meint also einfach, dass die Gottlosen mit Gott ihren Spott treiben, indem sie sich auf seine Nachsicht berufen. Deshalb weisen sie auch Gottes Gerichte weit von sich. Allerdings verstehen andere die Worte: deine Gerichte sind ferne von ihm – dahin, dass Gott wirklich in übergroßer Gnade ihm verzeihe, wie wir auch sonst die Klage hören, dass die Gottlosen nicht wie andere zu leiden haben. Das passt hier aber nicht recht. Die richtige Erklärung ist, dass sie im Vertrauen auf das lange Ausbleiben des Gerichts sich nicht nur Frieden für dieses Leben versprechen, sondern auch einen ewigen Bund mit dem Tode. Denn wir sehen, dass sie in der Meinung, lange Zeit zu haben, sich dem Schlafe der Sicherheit ergeben; ja dass sie dadurch, dass sie Gott in den Himmel einschließen, als hätten sie nichts mit ihm zu tun, sich in der Hoffnung auf Straflosigkeit versteifen. Wie sie bei Jesaja (22, 13) auf die Drohungen des Propheten mit den Spottreden antworten: „Lasst uns essen, lasst uns trinken, denn morgen sind wir tot.“ Denn als die Propheten das Volk Gottes mit der Verkündigung der göttlichen Vergeltung erschreckten, riefen jene, dass dies Fabeln seien. Daher tadelt Gott sie hart, dass, während er das Volk zur Trauer, zur Bestreuung mit Asche und zur Anlegung von Säcken aufforderte, sie dasselbe zum Zitherspiel und zu Trinkgelagen einladen. Und endlich setzt er noch den Schwur hinzu (Jes. 22, 14): „So wahr ich lebe, diese Sünde soll nicht vergeben werden!“ Die Gläubigen erheben ihre Augen gen Himmel und warten auf die Erscheinung des Richters, und dabei sind sie immer in Furcht, weil sie wissen, dass er jeden Tag erscheinen kann. Die Gottlosen dagegen, obwohl sie Gottes Gerichte verachten, schließen ihn in ihren Gedanken in den Himmel ein, um nicht durch Furcht und Angst vor ihm beunruhigt zu werden, ebenso wie die Epikureer, die es auch nicht wagten, Gott zu leugnen, aber ihn darstellten als einen, der im Müßiggange sich ergötze. Die Folge dieses Stumpfsinnes ist jenes falsche Selbstvertrauen, das David meint, wenn er sagt, dass sie glauben, alles, was ihnen feindlich entgegentritt, mit ihrem bloßen Hauche zerstören zu können.
V. 6. Diesen Gedanken bestätigt auch der folgende Vers. Der Gottlose wähnt in seinem Herzen: Ich werde nimmermehr darniederliegen. Dergleichen sprechen frevle Menschen oft geradezu aus. Aber David geißelt hier schon den geheimen Hochmut, den sie in ihrem Herzen hegen. Denn er führt nicht an, was sie mit ihrem Munde aussprechen, sondern nur, was sie in ihrem Herzen meinen. Es fragt sich nun aber, weshalb David das bei andern tadelt, was er oft von sich selbst bekennt; denn im Vertrauen auf Gottes Schutz verachtet er mutig alle Gefahren. Und gewiss ist es nicht verkehrt, wenn die Kinder Gottes ihr Heil für so sicher halten, dass sie nicht daran zweifeln, dass sie erhalten bleiben werden, selbst wenn die ganze Welt tausendmal zusammenbrechen würde. Die Lösung ist leicht. Denn die Gläubigen fühlen sich so sicher, indem sie sich auf Gott stützen; aber dabei sind sie sich bewusst, dass sie allen Stürmen bloßgestellt sind, und lassen diese auch geduldig über sich ergehen. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob ein Verächter Gottes, der augenblicklich glücklich ist, in Verkennung der Unsicherheit der menschlichen Verhältnisse sich einbildet, ein ruhiges Nest gleichsam über den Wolken zu besitzen, - oder ob ein frommer Mensch, der weiß, dass sein Leben an einem Faden hängt und dass der Tod ihm von tausend Seiten droht, der bereit ist, alle Mühsale zu ertragen, und nicht anders auf Erden lebt als ein Schiffer, der auf dem sturmbewegten Meere fährt, sich in seiner Angst durch das Vertrauen auf Gottes Gnade beruhigt und in seiner Not sich damit tröstet. Der Gottlose sagt: Ich werde nicht bewegt werden, oder nicht wanken immerdar, weil er glaubt, dass seine Kraft stark genug sei, um alle Anfälle auszuhalten. Der Gläubige sagt dagegen: Wenn es mir auch begegnen sollte, dass ich wankte, ja dass ich zu Fall käme und in die Tiefe versenkt würde, so würde mein Fall doch nicht vernichtend sein, weil Gottes Hand mich halten wird. Hier haben wir auch die Lösung der anderen Frage, weshalb die Gläubigen sich fürchten und die Ungläubigen so sicher sind. Die Gläubigen sind in sich selbst furchtsam: deshalb fliehen sie zu dem Hafen der göttlichen Gnade. Die Gottlosen dagegen, obwohl sie vor dem Geräusch eines fallenden Blattes erschrecken und fortwährend in Unruhe sind, verhärten oder berauschen sich doch so, dass sie die Besinnung verlieren und infolgedessen ihr Unglück nicht merken.
Da er nicht in Not ist. Diese Worte geben den Grund hierfür an. Sie lassen eine doppelte Erklärung zu. Der Gottlose gebärdet sich darum so sicher, weil er entweder auf Grund der bisherigen Straflosigkeit auf weiteres ruhiges Glück hofft, - oder er glaubt überhaupt in falscher Einbildung über dem gemeinen Menschenlos zu stehen. Wie sie bei Jesaja (28, 15) sprechen: „Wenn eine Flut dahergeht, wird sie uns nicht treffen.“
V. 7. Sein Mund ist voll Fluchens. Diese Verse wollen den Herrn erinnern, dass, wenn er seinen Knechten helfen wolle, gerade jetzt die rechte Zeit sei: denn die Zügellosigkeit der Gottlosen sei bis zum äußersten gekommen. Zuerst beklagt David sich darüber, dass ihr Mund voll Fluch und Trug ist und dass sie nur Mühe und Arbeit anrichten: man kann nichts mit ihnen zu tun haben, ohne Schaden zu nehmen. Mit „Fluch“ meint er nicht einen solchen Fluch, der über andere ausgesprochen wird, sondern einen solchen, mit dem man sich selbst verflucht. Sie scheuen sich nicht, alles Böse auf sich herab zu wünschen, um damit andere zu täuschen. Fluch ist hier also etwa gleichbedeutend mit Meineid; so erfordert es die Zusammenstellung mit den anderen Ausdrücken. Der Fluch ist also, wie gesagt, für die Frevler ein Hilfsmittel, andere zu betrügen, um ihnen zu schaden; und die Mühe und Arbeit kommt daher, dass die Einfältigen den Schlingen, die aus List, Meineid und Bosheit gedreht sind, nicht ohne eigenen Nachteil entgehen können.
V. 8 bis 10. Er sitzt und lauert. David beschreibt hier das Gebaren der Gottlosen. Zunächst vergleicht er sie mit Straßenräubern, die an den Engpässen lagern und in den Schlupfwinkeln lauern, um von dort aus achtlose Wanderer zu überfallen. Das weitere Bild: seine Augen halten auf die Armen erinnert an einen Jäger, der mit halb geschlossenen Augen zielt, um besser zu treffen. Bei alledem schweben ihm nicht gewöhnliche Straßenräuber vor, sondern jene großen und vornehmen Räuber, die ihre Schandtaten unter ehrenden Titeln, Prunk und Glanz verbergen. Wie die Räuber die Ausgänge der Dörfer besetzt halten, so legen jene sich überall, wo sie nur können, in den Hinterhalt. In dem folgenden Verse gebraucht David ein anderes Bild, um ihre Wildheit mit noch stärkeren Farben auszumalen. Er sagt, dass der Frevler auf Beute gierig ist wie ein Löwe in der Höhle. Den wilden Tieren zu gleichen, zeugt ja von größerer Rohheit, als den Räubern gleich zu wüten. Dabei ist beachtenswert, dass mit der Gewalt immer Betrug und Hinterlist verbunden erscheint. Dadurch wird klar, dass die Kinder Gottes in jeglicher Beziehung elend sein müssten, wenn ihnen nicht durch den Beistand von oben geholfen würde. Jetzt kommt ein drittes Bild, das die listigen Schliche, die mit Wildheit gepaart sind, noch deutlicher zur Darstellung bringt: der Frevler zeucht den Elenden in sein Netz. So sehen wir ganz deutlich, dass er neben der Gewalt offenen Angriffs auch schlaue Hinterlist gebraucht. Das alles fasst der zehnte Vers noch einmal zusammen, indem er uns das Gebaren des Frevlers sehr anschaulich vor Augen stellt: Er duckt sich, wirft sich nieder, damit nicht ein offenes, gewaltsames Auftreten schon aus der Ferne abschreckend wirke. Die Beute, die sich nur aus der Nähe ergreifen lässt, will erst getäuscht und angelockt sein. So verbindet sich wiederum beides: zuerst wirkt beim Vogelfang der täuschende Lockruf, sodann die unvermutete Gewalt, nachdem die Beute dem Vogelsteller in die Hand fiel. Darauf deutet der letzte Satz: es fällt durch seine Starken ein Haufe von Unglücklichen. Der Frevler stürzt zu plötzlichem grausamem Angriff hervor und die Einfältigen müssen innewerden, dass sie seiner Gier nicht mehr entgehen können. Es ist, als stürzte ein Löwe aus seinem Lagerplatz wütend hervor, um seine Beute zu zerreißen. Der Sinn des Satzes ist klar: wir sollen uns überall vor den Gottlosen hüten, denn sie verbergen ihre Grausamkeit nur für so lange, bis sie die Menschen, die sie zu verschlingen wünschen, in ihrem Netze gefangen haben. Die „Starken“ sind die stärksten Waffen des Raubtiers, seine Tatzen und Zähne. Der eigentliche Name dafür wird vermieden, weil in einem neuen Bilde Tatzen und Zähne wie starke Krieger erscheinen sollen. Mag der Frevler in trügerischer Zurückhaltung seine Macht verhüllen, - es steht ihm doch gleichsam ein Heer von Söldnern zur Verfügung, das er gebraucht, sobald die Gelegenheit sich bietet, Schaden zu tun.
V. 11. Er spricht in seinem Herzen usw. Aufs Neue weist David auf die Quelle der Vermessenheit hin, nämlich dass die Gottlosen deswegen auf Straflosigkeit hoffen, weil Gott nachsichtig gegen sie ist. Sie sprechen jedoch diese heillose Gotteslästerung, dass Gott es vergessen habe, dass er sein Antlitz verborgen habe und es nimmermehr sehen werde, was sie tun, nicht offen mit ihrem Munde aus, sondern halten diese Gedanken tief in ihrem Herzen verborgen (vgl. auch Jes. 29, 15). Wir sehen hier wiederum, dass die Gottlosen im Blick auf ihre gegenwärtige glückliche Lage wähnen, dass Gott ihnen gleichsam verpflichtet und verbunden sei. Sie glauben deswegen für alle Zeiten sicher zu sein, weil sie nicht bedenken, dass, wenn Gott sich lange Zeit nachsichtig zeigte, seine Gerichte später umso härter ausfallen.
V. 12. Stehe auf, Herr. Obwohl alle Sterblichen an der Krankheit leiden, dass sie sich Gott müßig und ruhig daliegend vorstellen, wenn er sein Gericht nicht ausübt, so ist doch zwischen den Gläubigen und Ungläubigen ein großer Unterschied. Die Ungläubigen pflegen den Irrtum, der aus ihrer fleischlichen Schwachheit hervorgegangen ist, und schmeicheln sich in ihrer geistlichen Blindheit mit falschen Hoffnungen, bis endlich die gottlose Halsstarrigkeit bei ihnen in grobe Gottesverachtung ausartet. Die Gläubigen dagegen verscheuchen solche falschen Vorstellungen aus ihrem Geiste. Sie nehmen sich in Zucht und kehren von selbst zur Vernunft zurück. Hierfür haben wir an dieser Stelle einen deutlichen Beweis. Da der Prophet so redet, wie die anderen Menschen, so erklärt er damit, dass er in denselben Irrtum gefallen ist, den er früher bei den Gottesverächtern getadelt hat. Aber er beeilt sich gleich, sich davon frei zu machen. Er kämpft mit sich selbst und zügelt seinen Geist, damit keine Gedanken, die der göttlichen Gerechtigkeit und Ehre zuwider sind, bei ihm entstehen. Allen Menschen ist die Anlage zu der Versuchung angeboren, dass sie, wenn Gott seine Hand und sein Gericht verbirgt, alsbald anfangen an seiner Vorsehung zu zweifeln. Und doch ist ein großer Unterschied zwischen den Verworfenen und den Frommen. Die Gläubigen verbessern ihre fleischliche Meinung sofort durch den Glauben, die andern dagegen geben sich ihrer verkehrten Einbildung hin. So will David mit den Worten: „Stehe auf, Herr!“ nicht so sehr Gott antreiben, als vielmehr sich selbst aufwecken, anderes von Gott zu hoffen, als er sieht. Dieser Vers enthält also für uns die wichtige Lehre, dass wir, je mehr die Gottlosen sich in ihrer Unwissenheit verhärten, indem sie sich einreden, dass Gott sich nicht um die menschlichen Angelegenheiten kümmere und die Übeltaten nicht ahnde, umso mehr nach der entgegengesetzten Seite streben müssen. Ihre Gottlosigkeit muss uns ein Sporn sein, tapfer die Zweifel zurückzutreiben, welche die andern nicht nur aufkommen lassen, sondern sich auch absichtlich selbst bereiten.
V. 13. Warum soll der Gottlose Gott lästern? Eigentlich ist es unnütz, dem Herrn Gründe vorzuführen, um ihn dadurch zu überreden. Aber er gestattet uns, vertraulich im Gebete mit ihm zu verkehren, ebenso wie ein Sohn mit seinem irdischen Vater spricht. Der Zweck des Gebets ist immer im Auge zu behalten, und der ist, dass Gott Zeuge aller unserer Gedanken sei. Nicht als ob sie ihm sonst verborgen blieben. Aber wenn wir unsere Sorgen Gott ans Herz legen, so entledigen wir uns dadurch derselben, und zugleich nimmt dadurch unser Vertrauen auf Erhörung zu. So gewinnt David in dem vorliegenden Falle dadurch neue Hoffnung auf Hilfe, dass er sich vorhält, wie unsinnig und unerträglich es doch wäre, wenn die Gottlosen den Herrn ungestraft verachten dürften. Denn eben dadurch lästert man Gott, dass man ihm Macht und Amt zu richten abspricht, dass man ihn gewissermaßen von seinem Richterstuhl stößt und ihn dadurch tief erniedrigt. Wie es nun soeben hieß, dass die Gottlosen Gott leugnen oder sich vorstellen, als schliefe er, ohne sich um die Menschen zu kümmern, so wird ihnen im gleichen Sinne jetzt die Rede in den Mund gelegt, dass er nach nichts frage.
V. 14. Du siehst ja. Hier betritt David, angetrieben durch heiligen Eifer, plötzlich den Kampfplatz, um, ausgerüstet mit dem Glauben, tapfer jene unheiligen Gedanken zurückzutreiben. Da er jedoch bei Menschen nichts erreichen kann, so wendet er sich an Gott. Die Gottlosen fliehen vor Gott, um ungestört sündigen zu können, und in ihrem verkehrten Sinn denken sie sich ihn weit weg. Dagegen ziemt es den Gläubigen, ihre zerstreuten Gedanken zu sammeln, nachdem sie sich von falschen Vorstellungen frei gemacht haben, ihr Herz nach oben zu richten und mit Gott als dem gegenwärtigen zu reden. Mit Recht wendet daher David, um den Spottreden der Menschen nicht zu unterliegen, seine Gedanken von ihnen ab. Zur Bestätigung dieses Gedankens beruft er sich darauf, dass Gott den Jammer und das Elend schaut. Er zieht aus der Tatsache, dass es eine wesentliche Eigenschaft Gottes ist, alle Ungerechtigkeiten zu sehen, den Schluss, dass Gott unmöglich blind sein könne gegen das Tun und Treiben der Gottlosen, die ihn bedrücken. Es ist dies ein Schluss von dem Allgemeinen auf das Besondere, was wir wohl beachten wollen. Nichts ist nämlich leichter, als im Allgemeinen anzuerkennen, dass Gott für die Welt und die menschlichen Angelegenheiten sorge; dagegen ist die Anwendung dieser Wahrheit auf das tägliche Leben sehr schwer. Und doch hat alles das, was die Schrift uns von der Macht und Gerechtigkeit Gottes lehrt, eigentlich nur dann Bedeutung, wenn jeder es, je nach seinem Bedürfnis, auf sich selbst anwendet. Lasst uns daher von David lernen, diesen Schluss zu ziehen: Da es Gottes Amt ist, allen Schaden, der den Guten und Einfältigen angetan wird, wahrzunehmen, so sieht er auch unser Elend und unsern Schmerz, mag er auch eine Zeitlang nachsichtig gegen unsere Bedrücker sein. David setzt noch hinzu, dass Gott nicht müßig vom Himmel herniederschaue auf das, was hier auf Erden geschieht, sondern es auch richte: es steht in deinen Händen. Denn dieser Ausdruck will besagen, dass Gott die betreffenden Vorgänge ernstlich und mit tatkräftiger Absicht verfolgt. Dabei ist es unsere Pflicht, weil die Rache in Gottes Hand steht, so lange geduldig zu warten, bis er seinen Arm zu unserer Hilfe ausstreckt. Deshalb folgt bald nachher: die Armen befehlen es dir. Mit diesen Worten zeigt David an, dass der göttlichen Vorsehung Raum gelassen werden muss. Wenn die Frommen unter schwerem Drucke stehen, so müssen sie ihre Sorgen an Gottes Herz legen. Aber wenn sie ihr Heil ihm befohlen haben, so dürfen sie in ihren Wünschen nicht eilen, sondern, ihrer Last entledigt, müssen sie ruhig warten, bis Gott es durch die Tat zeigt, dass die rechte Zeit zum Handeln gekommen ist. Derjenige stellt es also Gott anheim und befiehlt es ihm, der sich unter seinen Schirm stellt und im festen Vertrauen, dass Gott sein Sachwalter sein werde, ruhig die rechte Zeit der Erlösung abwartet. Der Sinn dieser Stelle ist, dass das Gebet aller Frommen nicht vergeblich sein werde, wenn sie sich selbst mit allen ihren Sachen ganz Gott übergeben haben. Denn an den eben besprochenen Satz schließt sich in unlösbarem Zusammenhange der nächste: Du bist der Waisen Helfer. Dabei sind unter den „Waisen“ oder Verlassenen etwa dieselben Leute zu verstehen, die zuvor als Arme und Unglückliche bezeichnet wurden.
V. 15. Zerbrich den Arm d. h. die Macht des Gottlosen. Das ist nicht bloß eine Bitte, sondern zugleich eine Stärkung. Die mächtige Wut der Feinde pflegt unser Gemüt heftig zu erschüttern, als ob sie sich durch nichts brechen ließe. David aber kennt eine Stütze seines Glaubens, die ihn keinem Schrecken unterliegen lässt: er denkt daran, dass wenn es dem Herrn gefällt, die Gottlosen zu zerbrechen, sie samt allen ihren Plänen zunichtewerden müssen. Während David bittet, dass Gott mit seiner Hilfe und seiner Rache eilen möge, hält er sich durch den Trost aufrecht, dass die Gottlosen nicht mehr Freiheit haben, als Gott ihnen einräumt, da es in seiner Macht steht, sie, wenn er sich auf den Richterstuhl gesetzt hat, durch seinen bloßen Anblick zu vernichten. Und gewiss: wie die aufgehende Sonne Nebel und Dunst mit ihrer Hitze zerstreut und die dunkle Luft reinigt, so stellt auch Gott, wenn er seine Hand erhebt, um Gericht zu halten, alles wieder her, was in der Welt in Verwirrung und Unordnung gekommen ist. Die Zusammenstellung des Gottlosen und des Bösen dient zur Verstärkung. Es soll etwa gesagt werden: Mögen die Bösen noch so sehr in ihrer Bosheit und Gottlosigkeit wüten, so hat Gott doch gleich ein Heilmittel zur Hand.
V. 16. Der Herr ist König immer und ewiglich. Jetzt bricht David in Danksagung aus, als hätte er schon Erhörung seiner Bitte erlangt. Denn wenn er Gott den ewigen König nennt, so ist das ein Zeichen seiner Zuversicht und seiner Freude. Dadurch dass er ihn König nennt, schreibt er ihm die Weltregierung zu. Und er weist auf die Ewigkeit seines Reiches hin, um daran zu erinnern, dass es verkehrt ist, Gott in die engen Schranken der Zeit einzuschließen. Ein Menschenleben geht bald vorüber: darum bereiten oft auch die gewaltigsten Herrscher ihren Schützlingen eine große Enttäuschung, - wie es im Psalm (146, 3 f.) heißt: „Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen. Denn des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zu Erde werden; alsbald sind verloren alle seine Anschläge.“ Oft fehlt ihnen die Macht, oder es entgeht ihnen die günstige Gelegenheit, weil sie zu langsam sind, zu helfen. Aber von dem himmlischen Könige muss man höher denken; denn wenn er auch seine Gerichte nicht sofort ausführt, so bleibt seine Macht doch immer ungeschmälert, und dann regiert er nicht für sich selbst, sondern für uns immer und ewiglich, so dass die lange Verzögerung für ihn kein Hindernis ist, um zur gelegenen Zeit auch den Toten und Verzweifelten seine Hand zur Hilfe zu bieten.
Die Heiden kommen um aus seinem Lande. Der Sinn ist: Das heilige Land wurde endlich von der Unreinigkeit und dem Schmutz, womit es befleckt war, gereinigt. Denn es war eine unwürdige Entheiligung, dass das Land, das dem Volke Gottes zum Erbteil gegeben und heiligen Bewohnern geweiht war, gottlose und schlechte Insassen nährte. Indessen wird schwerlich an die Ausrottung der früheren heidnischen Bevölkerung zu denken sein. Der Ausdruck bezeichnet vielmehr bildlich Heuchler, die fälschlich sich des Namens Gottes rühmten, - wie auch jetzt noch viele, die nur dem Namen nach Christen sind, ihren Sitz in dem Schoße der Gemeinde haben. Es ist nicht neu, dass die Abtrünnigen, welche die heiligen Sitten der Väter aufgegeben haben, von den Propheten zum Schimpf „Heiden“ genannt werden. Diese werden nicht nur den Unbeschnittenen überhaupt, sondern sogar den Kanaanitern gleichgestellt, die am meisten verachtet waren. So ruft auch Hesekiel (16, 3) der Bewohnerschaft Jerusalems zu: „Dein Geschlecht und deine Geburt ist aus der Kanaaniter Lande, dein Vater aus den Amoritern, deine Mutter aus den Hethitern.“ Ähnliche Stellen begegnen uns oft. Indem also David die falschen und entarteten Söhne Abrahams mit dem Schimpfnamen „Heiden“ belegt, dankt er Gott, dass er solche verderbten Glieder aus seiner Gemeinde verbannt hat. Übrigens lehrt uns dieses Beispiel, dass es nichts Neues ist, wenn heutzutage gemeine Menschen die Gemeinde Gottes verunreinigen. Aber man muss Gott bitten, dass er sein Haus rasch wieder reinige und seine heilige Wohnung nicht wie einen Misthaufen den Schweinen und Hunden preisgebe.
V. 17. Das Verlangen der Elenden hörst du. Mit diesen Worten bestätigt der Prophet das, was er vorher gesagt hat, nämlich dass man, wenn die Heuchler in der Gemeinde regieren und durch ihre Menge die Gläubigen erdrücken, den Herrn fortwährend anflehen soll, dass er sie ausscheide. Denn die wahren Verehrer Gottes muss es bitter schmerzen, dass die Gemeinde so schmählich verwüstet ist. Und der heilige Geist versichert uns durch diesen Spruch, dass auch wir das erlangen werden, was den Vätern einst auf ihr Gebet hin gewährt worden ist, wenn uns die Reinigung der Kirche nur so, wie es sich ziemt, am Herzen liegt.
Du festigst ihr Herz. Dieser Satz wird verschieden gedeutet. Die einen denken sofort an die Erhörung. Andere meinen, dass Gott dem Herzen die rechte Richtung gebe, damit das Gebet nur begehre, was recht und gut ist, - so etwa wie Paulus (Röm. 8, 26) sagt, dass der heilige Geist uns unaussprechliche Seufzer eingibt. Beides ist aber zu eng. Vielmehr dankt David dem Herrn zunächst dafür und preist es als eine Gnade von ihm, dass er seine Verehrer in stürmischen Zeiten aufrichtet, damit sie nicht den Mut verlieren, dass er sie mit Tapferkeit und Geduld ausrüstet, sie zu guter Hoffnung ermuntert und sie zum Gebet antreibt. Und in der Tat ist es eine besondere Wohltat Gottes, wenn er in der Versuchung unser Herz auf sich gerichtet erhält und nicht duldet, dass es sich anderswohin wende. Dann erst folgt das andere, dass die Gedanken der Frommen sich nicht umsonst auf den Herrn richten, um ihm mit Hoffnung und Geduld zu gehorchen, auf ihn zu warten und ihn anzurufen: dein Ohr hört auf das Seufzen. David rühmt hier also eine doppelte Gnade Gottes, deren jedes Stück auf das andere angelegt ist: Gott lässt seine Gläubigen nicht fallen noch den Glauben oder die Spannkraft des Gebets verlieren, sondern er bindet sie innerlich an sich, - bis es handgreiflich erscheint, dass ihre Hoffnung nicht eitel und vergeblich war. Der Zusammenhang lässt sich also auch so ausdrücken: du wirst ihr Herz stärken, bis dein Ohr hört.
V. 18. Dass du Recht schaffst. David zieht hier aus dem vorhergehenden Gedanken die besondere Nutzanwendung, dass die Gläubigen, wenn sie ungerecht bedrückt werden, nicht daran zweifeln sollen, dass Gott doch endlich als ihr Rächer erscheinen werde, um sie zu befreien. Mit diesen Worten erinnert er daran, dass man tapfer unter dem Kreuz und im Elend ausharren muss, da der Herr oft seinen Dienern nicht eher helfen will, als bis es mit ihnen zum äußersten gekommen ist. Das ist jedoch schwer auszuführen. Denn ein jeder von uns wünscht ganz frei von Mühsalen zu sein, und deshalb erscheint Gott uns langsam und träge, wenn er nicht schnell hilft. Doch wenn wir seiner Hilfe Raum lassen wollen, so müssen wir unseren Eifer mäßigen, unsere Ungeduld zügeln, unseren Schmerz lindern, bis endlich unser Elend ihn bestimmt, uns gnädig zu sein.
Dass der Mensch nicht mehr trotze von der Erde. Damit wird noch einmal Gottes Macht gerühmt, welche die Gottlosen zerbrechen kann. So bleibt uns inmitten ihrer wütendsten Angriffe die Überzeugung unerschüttert, dass alle Anschläge zunichtewerden, sobald es dem Herrn gefällt. Mag der Gottlose trotzig sein Haupt über die Wolken erheben, er bleibt doch ein sterblicher, vielen Leiden unterstellter „Mensch“2), wie unser Satz wegwerfend sagt. Welch ein Hohn über die wahnsinnige Vermessenheit, in welcher der Mensch vergisst, was er ist, schreckliche Drohungen aushaucht und Schrecken um sich verbreitet, als ob selbst Gott nicht stark genug wäre, solchen Mutwillen zu zügeln! Auch die Worte „von der Erde“ weisen auf den Gegensatz zwischen der Niedrigkeit der Erde und der Höhe des Himmels hin. Woher kommen sie, die Gottes bekämpfen wollen? Von der Erde! Das ist, wie wenn Würmer aus ihren Löchern hervorkriechen. Und doch greifen sie Gott an! Er aber verheißt, seinen Dienern vom Himmel her zu helfen.