Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 25.
V. 1. Herr, du bist mein Gott usw. Bis hierher hat Jesaja von den göttlichen Gerichten geweissagt, die nicht nur einem einzelnen Volk, sondern fast dem ganzen Erdkreis bevorstanden. Der Gedanke an das furchtbare Unheil, das er voraussah, musste ihn erschüttern. Denn fromme Herzen möchten gern das ganze Menschengeschlecht gerettet sehen; weil sie Gott ehren, wollen sie alles, was sein ist, in Liebe umfassen. Jeder wird von den Gerichten Gottes innerlich aufs tiefste getroffen in dem Maße, wie er Gott wahrhaft fürchtet. Die Gottlosen werden den göttlichen Gerichten gegenüber wohl stutzig, aber wahrhaft erschreckt werden sie nicht; die Frommen aber entsetzen sich bei den geringsten Anzeichen seines Zornes. Wenn das uns so geht, wie wird es dann wohl erst dem Propheten ergangen sein, welcher das Unheil, das er vorausgesagt hatte, fast leibhaftig vor Augen sah! Die Diener Gottes müssen mehr, als die große Menge, von seinen Gerichtsdrohungen erschüttert werden; die Wahrheit und Gewissheit des Wortes Gottes soll dadurch bekräftigt werden. Da also der Herr jene furchtbaren Heimsuchungen dem Jesaja wie auf einem Gemälde gezeigt und vorgeführt hatte, so musste dieser, von großer Traurigkeit und Sorge getrieben, zum Herrn seine Zuflucht nehmen; er hätte sonst bei der gewaltigen Erschütterung seiner Seele innerlich in maßlose Verwirrung geraten können. Daher sucht er sich innerlich zu sammeln durch die Zuversicht: der Herr will in diesen Stürmen nichtsdestoweniger für seine Kirche Sorge tragen und auch diejenigen unter seine Macht beugen, die früher ferne waren. Jesaja bleibt also fest und unerschütterlich auf seinem Posten; er lässt sich von seinem Vorsatz nicht abbringen und stützt sich immer wieder auf seinen Glauben an die göttliche Barmherzigkeit. Deshalb beharrt er auch im Lobpreis Gottes. Dieser ganze Lobpreis Gottes hängt mit den vorhergehenden Weissagungen zusammen. Der Prophet schaut ja nicht nur das, was er weissagt, sondern auch wozu der Herr dies tut, d. h. weshalb er so viele Völker schwer heimsucht. Nämlich, damit er Menschen, die früher ungebunden und wild dahinlebten, die keine Gottesfurcht, keinen Sinn für Religion und Frömmigkeit hatten, unter seine Gewalt brächte.
Gleichsam verwirrt und bestürzt richtet der Prophet seine Gedanken auf Gott: „Herr, du bist mein Gott“. Wenn also unsere Seele infolge der mannigfachen täglichen Schläge und Heimsuchungen in Verwirrung gerät, dann sollen wir alsbald in Gott uns sammeln, um in der Gewissheit seiner Fürsorge Ruhe zu finden. Auch durch das geringste Unglück werden wir zu Boden geschmettert, wenn wir dort nicht unsere Zuflucht suchen und unsere Seele nicht durch den Glauben an Gottes Vorsehung aufrichten. Um den Sinn des Propheten noch deutlicher zu machen, wird es erlaubt sein, ein passendes Wörtlein einzuschieben: Welche Versuchungen und Heimsuchungen mich auch immer erschüttern mögen, dennoch, nichtsdestoweniger bist du mein Gott. Er verspricht also, den Herrn nach Gebühr zu loben und zu preisen. Das können wir aber nur dann, wenn er in unserem Herzen die Oberhand und der feste Glaube an seine Gnade die Herrschaft hat. Aus diesem Glauben wird die Freude geboren, und diese Freude gibt reichen Anlass zu Lob und Preis, wenn wir eben, unseres Heils gewiss, die feste Überzeugung haben, dass der Herr unser Gott ist. Leute, die gar keinen Trieb haben, Gott zu loben, die haben auch keinen Glauben und haben Gottes Güte nicht erfahren. Wenn wir auf Gott wirklich vertrauen, dann müssen wir auch zum Lobpreis seines Namens willig und bereit sein.
Denn du tust Wunder . Der Prophet bleibt bei seinem Gedanken nicht an der Gegenwart haften, er schaut auf das Ziel. Auch Weltmenschen erkennen in der Weltregierung wunderbare Dinge an, bei deren Anblick sie staunen. So war es gewiss bei den Tyrern, Sidoniern, Babyloniern und Moabitern. Aber nur denjenigen können derartige Wundertaten Gottes von Nutzen sein, welche seine Weisheit und Güte erfahren haben. Sonst schätzen sie Gottes Werke gering und verachten sie. Sie verstehen deren Herrlichkeit nicht, weil sie ihren Zweck nicht ins Auge fassen, dass Gott nämlich, indem er in wunderbarer Weise aus der Finsternis das Licht hervorgehen lässt, seine Kirche im Tode lebendig macht und Verhältnisse, die, menschlich betrachtet, völlig verwirrt sind, wieder zurecht bringt und aufs trefflichste regelt.
Deine Ratschlüsse von Altem her usw. Mit diesen Worten sucht der Prophet Gottes Vorsehung noch mehr in ein empfehlendes Licht zu stellen. Er will sagen: Gottes Ratschlüsse sind alt, sind keine voreiligen, plötzlichen. Bei ihm ist sicherlich alles vor der Schöpfung der Welt beschlossen, wenn er auch nach unserer Meinung zuweilen unverhofft zu handeln scheint. Alle Wunder also, darauf weist der Prophet hin, die wider menschliches Erwarten geschehen, sind ein Ausfluss der wohl geordneten Weltregierung Gottes, in der er von Anfang bis zu Ende alles bestimmt hat. Da wir an jene geheimen Ratschlüsse Gottes mit unserem Verstand nicht heranreichen und unser Geist sich so hoch nicht erheben kann, so müssen wir um Offenbarung derselben bitten. Sie sind uns verborgen und gehen über unser Verstehen weit hinaus, bis der Herr sie offenbart durch sein Wort, in welchem er unserer Schwachheit entgegenkommt und derselben sich anpasst. Sein Rat ist ja unerforschlich. Auf die Festigkeit und Gewissheit des Wortes Gottes weist der Prophet hin, wenn er sagt: deine Ratschlüsse von Altem her, sind treu und wahrhaftig. Was von Gott ausgeht, was von ihm verkündigt wird, ist treu und wahrhaftig, fest und unveränderlich.
V. 2. Denn du machst die Stadt zum Steinhaufen. Einige Ausleger beziehen diesen Vers auf Jerusalem, aber meiner Meinung nach redet der Prophet nicht von einer Stadt, sondern von einer ganzen Reihe von Städten, die, wie er sagt, zu einem Steinhaufen gemacht werden sollen.
Der Fremden Palast usw. Einige beziehen dies darauf, dass Jerusalem zu einem Palast der Römer geworden sei. Aber das ist dem Propheten nicht in den Sinn gekommen. Der Sinn tritt klar hervor, wenn wir das oben Gesagte festhalten, dass nämlich der Prophet in seinen Gedanken nicht bei jenen schweren Heimsuchungen der Völker stehen bleibt, sondern sie auf den Zweck jener Züchtigungen richtet. Der Herr hatte die Absicht, den schmählichen Stolz der Menschen niederzuwerfen und zu brechen, was er niemals ohne mancherlei Schicksalsschläge vermocht hätte. Weiter zeigt der Prophet damit nicht nur, dass nach Vertreibung der Einwohner Fremde in den eroberten Städten wohnen werden, - das passt nicht ganz zu den folgenden Worten: dass nicht mehr eine Stadt sei – sondern er deutet damit darauf hin, dass Nomaden, welche keine feste Wohnstätte haben, dort Raum und Platz genug finden werden, weil eben keine Bewohner mehr da sind. Von einem Palaste redet er in ironischem Sinne. Räuber werden dort wegen der gewaltigen Ausdehnung jener öden Plätze wie in einem Palaste wohnen.
V. 3. Darum ehret dich ein mächtig Volk. Hier tritt der erwähnte Zweck wieder hervor. Würde der Herr nämlich den Erdkreis völlig zugrunde richten, dann würde daraus keine Frucht hervorgehen können. Solch ein Untergang könnte nur Schrecken erzeugen. Niemals würden wir dann zum Lobe Gottes uns bestimmen lassen; vielmehr müssten wir vor Schrecken erstarren, da wir nichts als Gottes Zorn empfänden. Aus der Erfahrung seiner Gnade und Güte aber gehen Lob und Dank hervor. Der Prophet will also sagen: Herr, du wirst nicht nur erschüttern und schlagen, du wirst auch machen, dass die Heimsuchungen nicht ohne Frucht bleiben. Durch sie wirst du den trotzigen Sinn der Menschenkinder niederzwingen, dass auch Menschen den Nacken vor dir beugen, die früher ferne von dir waren. Hieraus sollen wir lernen, wie nötig Züchtigungen für uns sind. Durch dieselben werden wir zum Gehorsam gegen Gott erzogen. Im Glück erheben wir uns derart, dass wir wähnen, alles sei uns erlaubt. So lange Gott uns freundlich behandelt, lassen wir uns dreist und frech gehen. Damit dass er hier mit dem Ehren das Fürchten verbindet, deutet der Prophet darauf hin, dass dies Ehren und Preisen nicht in Worten oder äußern Gebärden besteht, sondern in der rechten Herzensbeschaffenheit. Unter „Ehren“ versteht er also die wahre Gottesverehrung. Weil nun viele meinen, sie hätten ihre Pflicht erfüllt, wenn sie mit dem Munde ein Bekenntnis ablegen, fügt er zur näheren Erklärung hinzu:
Die Städte gewaltiger Heiden fürchten dich. Gewaltige Heiden nennt er sie, um damit ihren anmaßenden Hochmut zu kennzeichnen; sie waren vom Glück aufgeblasen. Sie erheben sich gegen Gott und können nur dadurch niedergeworfen und gedemütigt werden, dass sie völlig entblößt und beraubt werden. Das müssen wir also in allen Heimsuchungen, die wir erleben, bedenken: der Trotz der Menschen soll durch sie erschüttert und gebrochen werden, damit sie zur Aufnahme des Wortes und zum wahren Gehorsam tüchtig werden. So lange sie im eitlen Vertrauen auf ihre Macht blind sind, verlachen sie in ihrer Sicherheit Gottes Gerichte und unterwerfen sich ihm niemals.
V. 4. Denn du bist der Geringen Stärke. Hier wird die Frucht der Bekehrung geschildert. Gott weckt uns aus dem Tode auf und führt uns gleichsam aus dem Grabe hervor; er streckt uns vom Himmel her die Hand entgegen, um uns aus der Hölle selbst herauszureißen. Nur unsere Armut gibt ihm Anlass, seine Barmherzigkeit auszuüben; die bietet den ersten Zugang zu ihm. Darum müssen wir an unserm Teil in uns selbst arm und hilflos sein, um seine Macht zu erfahren. Wir müssen von allem Selbstvertrauen und allem Selbstbewusstsein freigeworden sein, bevor er seine Kraft uns fühlen lässt. Und dazu bereitet er uns zu durch Kreuz und Heimsuchungen, durch welche er uns fähig macht, seine Macht und Gnade aufzunehmen. Jesaja schmückt aber nicht ohne Absicht diese Ausführung mit mannigfachen Bildern aus. Es kommen nämlich mancherlei Versuchungen; die müssen tapfer bestanden und dazu müssen die schwachen Menschenkinder gestärkt und gefestigt werden. Darum beschreibt er den Herrn als eine Zuflucht vor dem Ungewitter usw. Was für schwere Gefahren auch über die Armen hereinbrechen, der Herr wird die Seinen gegen sie schützen und wird ihnen allerlei Schutzwaffen darreichen.
Wenn die Tyrannen wüten. Der Prophet versteht darunter die gewalttätigen Angriffe, mit denen die Gottlosen sich auf die Kinder Gottes stürzen. Sie stoßen nicht nur schreckliche Drohungen aus, sie scheinen vielmehr wider dieselben Feuer und Flammen auszuspeien. Darauf geht auch der Ausdruck: wie ein Ungewitter gegen eine Wand. So heftig stürmen die Gottlosen daher, wenn ihnen die Freiheit, zu schaden, gewährt ist, dass sie alles niederwerfen, was ihnen in den Weg kommt. Wenn Wände umgestürzt und zerstört werden, so will das mehr besagen, als wenn eine Wasserflut nur über Äcker und Ländereien dahinwälzt.
V. 5. Du demütigst der Fremden Ungestüm. Die Ausleger erklären dies Bild auf doppelte Weise. Einige legen es so aus: Die Gottlosen werden von dem Grimm Gottes weggerafft werden, wie wenn heiße Glut die schon an sich unfruchtbaren Äcker ausdörrt. Andere verstehen es so: Wenn auch die Gottlosen im Vertrauen auf ihre Macht so stürmisch daher fahren, so wird der Herr sie doch in einem Nu niederwerfen, wie wenn sie an einem heißen Platz von der Hitze überrascht worden wären. Der Sinn dieses Bildes ist aber, wie ich glaube, ein anderer. Nachdem nämlich der Prophet gezeigt hat, wie groß der glühende Hass der Gottlosen gegen die Gläubigen ist, fügt er hinzu: Du, Herr, demütigst der Fremden Ungestüm. Damit auf das Bild vom Ungewitter, das er vorher gebraucht, anspielend, will er sagen: Du wirst die heiße Glut der Gottlosen, von der wir sonst verzehrt würden, dämpfen, wie ein einziger Schauer oder ein Regenguss vom Himmel die Hitze dämpft, welche das lechzende Land ausdörrt. So ist der Zusammenhang am besten gewahrt, während die andern Auslegungen gezwungen sind und den Worten Gewalt antun.
So wird gedämpft der Tyrannen Siegesgesang. Dies dient zur Bekräftigung der vorhergehenden Aussage: das gewalttätige Dahinstürmen der Gottlosen oder ihr Siegesgesang, den sie dabei in ihrem wilden Trotz erheben, wird plötzlich ein Ende nehmen, wie die Glut der Sonne durch einen niedergehenden Regenschauer gedämpft wird.
V. 6. Und der Herr Zebaoth wird allen Völkern machen ein fett Mahl. Zu diesem Vers gibt es mannigfache Auslegungen. Einige Ausleger meinen, der Prophet drohe den Juden damit, dass er eine Reihe von Völkern zu einem Gastmahl zusammenruft, er wolle bei demselben die Juden wegen ihrer Gottlosigkeit den Heiden zur Beute geben und lade die letzteren selbst zum Mahle ein. Sie lassen also Gott gleichsam sagen: Ich habe den Heiden ein reiches Mahl zugerichtet; die heidnischen Römer werden die Juden plündern und ausrauben. Diese Auslegung kann aber meines Erachtens nicht bestehen. Die Darlegung des richtigen Verständnisses wird ohne weiteres zu ihrer Widerlegung dienen. Andere verstehen die Worte so, als ob Jesaja von dem Zorn Gottes redete, etwa in der Weise: Gott wird den Völkern den Kelch seines Zornes vorsetzen; an dem werden sie sich berauschen. Doch der Prophet wollte etwas ganze Anderes sagen. Er fährt in der Schilderung der göttlichen Gnade, welche in Christo offenbart werden sollte, fort. Dabei gebraucht er dasselbe Bild, wie David im 22. Psalm, wo dieser das Reich Christi beschreibt. Dort heißt es (V. 27, 30): „Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden“ – und: „Alle Fetten auf Erden werden essen und anbeten“. Unsere Worte weisen nun darauf hin, dass alle Menschengeschlechter dieser Güte Gottes teilhaftig werden sollen. Vorher schien der Herr die Juden allein zu sättigen, weil sie allein zu Kindern angenommen und gleichsam zum Tisch seines Hauses geladen waren. Nun aber lässt er auch die Heiden zu und schüttet über alle Nationen seine Güte aus. Wenn der Prophet also sagt: allen Völkern, so liegt darin der Gegensatz zu dem einen Volk, welchem der Herr bisher allein bekannt war. Ein „fett Mahl“ ist ein Mahl von wohl gemästeten Tieren. Unter „reinem Wein“ ist ein alter Kraftwein zu verstehen, der völlig geklärt ist und keine Bestandteile von Hefe mehr zeigt. – Nach alledem muss festgestellt werden, dass hier weder den Heiden, noch den Juden der Untergang angekündigt wird, vielmehr werden beide zugleich zu einem überaus reichen Mahle eingeladen. Das geht mit voller Deutlichkeit auch aus den Worten Christi hervor, der das Himmelreich mit einer Hochzeit vergleicht, die ein König seinem Sohne macht, zu der er, nachdem die zuerst Geladenen nicht kommen wollten, alle ohne Unterschied einlädt (Mt. 22, 2 ff.). Ich bin darüber nicht im Zweifel, dass der Prophet hier von der Verkündigung und Ausbreitung des Evangeliums redet. Weil dies vom Berge Zion ausgegangen ist, so sagt er, die Heiden würden dorthin zum Gastmahl geladen. Denn dort hat Gott der ganzen Welt, um Menschenseelen zu speisen, eine geistliche Speise vorgesetzt. Dort hat er gleichsam einen gemeinsamen Tisch zugerichtet. Auch uns ladet der Herr noch heute ein, um mit all seinen Gütern uns zu füllen und reich zu machen. Er setzt treue Diener ein, durch die uns jener Tisch bereitet wird, und bietet uns in seinem Wort eine kräftige Speise dar, an der wir uns sättigen sollen. Da nun die jetzigen Haushalter Gottes, die uns speisen sollen, nicht von jenem Berge ausgehen, so muss unter diesem Berge die Kirche Gottes verstanden werden, außerhalb welcher niemand jener Speise teilhaftig werden kann. Diese Speise wird nicht auf offener Straße dargeboten, der Tisch ist nicht überall gedeckt und das Gastmahl nicht allerorten angerichtet. Darum müssen wir, wenn wir essen wollen, zur Gemeinde Gottes kommen. Jener Berg wird also deshalb erwähnt, weil dort allein Gott verehrt wurde, weil von dort seine Offenbarungen ausgingen und dort auch der Ursprung des Evangeliums liegt. Dass er das Mahl als ein herrliches und prächtiges schildert, tut der Prophet, um das Evangelium zu empfehlen. Es ist ja die geistliche Speise, durch die unsere Seelen gesättigt werden; so herrlich und schmackhaft ist dieselbe, dass wir nicht nötig haben, andere zu suchen.
V. 7. Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegtun. Auch hier gehen die Ausleger auseinander. Einige verstehen unter der Hülle die Schmach, mit der die Gläubigen in dieser Welt derart bedeckt sind, dass Gottes Ehre in ihnen sich nicht offenbart. Der Prophet habe sagen wollen: wenn auch die Frommen mit viel Schmach bedeckt sind, der Herr wird doch diese Schmach aufheben und sie herrlich machen. Andere Auslegungen übergehe ich. Der rechte Sinn ist nach meiner Meinung dieser: der Herr verheißt, er werde die Hülle wegtun, durch welche die Völker in Blindheit und Unwissenheit gehalten wurden. Durch das Licht des Evangeliums ist diese Finsternis zerstreut worden. Das aber, sagt der Prophet, wird auf dem Berge Zion geschehen. Von dort aus hat ja auch das Licht des Wortes die ganze Welt erleuchtet. Diese Stelle muss also auf das Reich Christi bezogen werden. Denn das Licht leuchtete allen Menschen erst dann, als die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, aufgegangen war, durch die alle Schleier, alle Hüllen, alle Decken aufgehoben wurden. Wir haben hier demnach eine weitere Empfehlung des Evangeliums. Durch dasselbe wurde die Finsternis zerstreut und die Decke des Irrtums von unsern Augen genommen. Darum sind wir von Finsternis und Unwissenheit umhüllt und blind, so lange wir durch das Evangelium uns nicht erleuchten lassen. Durch dieses allein können wir dem Licht und dem Leben zurückgegeben werden und wieder gesunden. Wir haben auch hier wieder eine Bestätigung für die Berufung der Völker also auch unseres Volkes. Denn nicht die Juden allein, sondern alle Nationen, die früher von aller Art Irrtum und Aberglauben umhüllt waren, werden zu diesem Gastmahl eingeladen.
V. 8. Er wird den Tod verschlingen ewiglich. Die Seligkeit wird im Reiche Christi eine dauernde, ewige sein. Um das auszudrücken, gebraucht der Prophet verschiedene treffende Bilder. Jenes Glück ist ein wahres, nicht zeitlich beschränkt und vergänglich. Selbst der Tod kann es nicht nehmen. Auch im größten Glück mindert die Unbeständigkeit desselben nicht wenig die Freude. Zwei Stücke also, die ein vollkommenes, unbeschränktes Glück ausmachen, stellt der Prophet nebeneinander. Erstlich: jenes Leben ist ein ewiges, - für die, welche nur zeitlich glücklich sind, ist das Sterben ein Jammer -; zweitens: jenes Leben ist mit Freude verbunden, - ein trauriges, kummervolles Leben ist schlimmer als der Tod.
Und wird aufheben die Schmach seines Volkes in allen Landen. Dies Leben wird also auch ein glorreiches Leben sein. Der traurige Druck, der auf dem Volke lag, hätte wohl sonst dem Glauben an diese Weissagung Abbruch getan. Auf welche Zeit bezieht sich nun diese Weissagung? In dieser Welt müssen wir mit mancherlei Kümmernissen streiten; fortgesetzt müssen wir kämpfen. Wir sind nicht nur für den Tod bestimmt, sondern wir sterben täglich. Paulus schreibt seufzend von sich und andern hervorragenden Säulen der Kirche (1. Kor. 4, 9. 13): „Wir sind ein Schauspiel worden der Welt, wir sind stets als ein Fluch der Welt und ein Fegopfer aller Leute.“ Wo also und wann findet das statt, was hier geweissagt wird? Ohne Zweifel ist diese Stelle auf das ganze Reich Christi zu beziehen; ich sage: auf das ganze. Man muss also nicht nur auf seinen Anfang, sondern auch auf sein Ziel und Ende sehen. Die Weissagung muss auch auf das zweite Kommen Christi, welches auch der Tag der Erlösung und der Wiederherstellung genannt wird, ausgedehnt werden. Alles, was jetzt in Verwirrung zu sein scheint, wird dann wiederhergestellt werden und eine neue Gestalt erhalten. Freilich bezieht sich das alles auch auf die Erlösung aus der Gefangenschaft Babels. Diese ist aber doch nur ein Vorspiel und ein schwaches Abbild jener Erlösung am Ende der Zeiten. So ist ohne Zweifel diese Verheißung bis auf den jüngsten Tag auszudehnen. Darauf sollen wir also alle Hoffnung und Erwartung richten und sollen nicht zweifeln, dass der Herr das alles an uns erfüllt, wenn der Lauf vollendet ist. Wenn wir hier mit Tränen säen, werden wir dort ohne Zweifel mit Freuden ernten. Lasst uns die Schmach und Schande vor Menschen nicht fürchten. Aus derselben wird einst für uns die höchste Ehre geboren. Den Anfang solcher Seligkeit haben wir schon hier erlangt, wenn wir von Gott zu Kindern angenommen sind, wenn wir anfangen, in Christi Bild hineingebildet zu werden. Dann dürfen wir festen, getrosten Herzens den Gipfel jener Seligkeit erwarten am jüngsten Tage. Weil nun das alles nach soviel Trauer und Jammer unglaublich erschien, weist der Prophet darauf hin, dass die Weissagung nicht von einem Menschen, sondern von Gott ausgeht: der Herr hat` s gesagt. Jerusalem war zerstört, jeglicher Gottesdienst aufgehoben, der Tempel vernichtet, der Rest des Volkes von harter Tyrannei bedrückt. Niemand hätte sich überzeugen lassen, das alles könne wiederhergestellt werden. Diesem Unglauben – zu ihm sind die Menschen leicht geneigt – musste begegnet werden. Darum bekräftigt der Prophet diese Verheißungen und besiegelt sie. Wisset, will er sagen, der Herr hat mir jene Dinge geoffenbart; darum richtet auf ihn eure Gedanken, nicht auf mich! Auf ihn, der nicht lügen noch trügen kann, soll euer Vertrauen sich stützen.
V. 9. Zu der Zeit wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott. Gottes Wohltaten hängen und schweben nicht irgendwo in der Luft, sondern werden von den Menschen tatsächlich empfangen und empfunden. Das Gastmahl, von dem der Prophet vorher geredet hat, wird Gott nicht zum Ansehen anrichten. Durch dasselbe sollen die Menschen gespeist werden und ewige Freude genießen. Denn jene Freudenstimme, die öffentlich laut werden wird, ist Zeugnis und Beweis für die, wenn ich so sagen darf, reale Gnade Gottes, die wirklich erfahren ist. Diese Stelle ist sorgsam zu beachten. Denn der Prophet bezeichnet die Offenbarung als eine solche, welche die Menschen bindet an Gottes Wort, sodass sie alles Zweifels bar in ihm ruhen. Wenn dies alles sich auf das Reich Christi bezieht, - und sicherlich bezieht es sich darauf – so ergibt sich daraus eine köstliche Frucht: Christen haben, vorausgesetzt, dass sie es an sich selbst nicht fehlen lassen und Gottes Gnade nicht zurückweisen, die gewisse Wahrheit, in der sie sicher ruhen; aller Anlass zum Zweifel ist gehoben, und Gott offenbart sich ihnen, sodass sie getrost zu verkündigen wagen: Wir haben und kennen seinen Willen, - und dass sie wagen dürfen, mit aller Bestimmtheit zu behaupten, was Christus zur Samariterin sagt (Joh. 4, 22): „Wir beten an, was wir wissen“. Und in der Tat, nachdem wir über die in Christo angebotene Gnade gewiss geworden sind, irren wir nicht mehr, wie andere, in ungewissen Ansichten hin und her; vielmehr wir haben Gott, wir haben die reine Gottesverehrung. Getrost dürfen wir sagen: Fort mit andern menschlichen Meinungen und Erdichtungen! – Zu beachten ist auch der Unterschied zwischen der noch dunklen und schwachen Erkenntnis der Väter unter dem Gesetz und der vollen Erkenntnis, welche im Evangelium uns entgegenleuchtet. Denn obschon Gott Israel, das Volk des alten Bundes, des Lichtes seiner himmlischen Lehre gewürdigt hat, so ist er uns doch erst in Christo bekannter und vertrauter geworden (Joh. 1, 18). Diese volle, gewisse Erkenntnis, welche Gottes eingeborener Sohn durch sein Kommen gebracht hat, indem er uns den Vater zeigte, preist hier der Prophet. In diesem Stück stehen wir höher als das Volk Israel, da die Versöhnung, durch Christum geschehen, uns Gott den Herrn näher bringt. Gott kann nur in Christo erkannt werden, welcher ist das Ebenbild seines Wesens (Hebr. 1, 3). Wer den Sohn nicht kennt, kennt auch den Vater nicht. Wie sehr sich also auch Juden, Türken und andere Ungläubige brüsten, sie beteten den wahren Gott an, den Schöpfer Himmels und der Erde, sie beten dennoch einen erdichteten Gott an. Sie mögen noch so fanatisch in ihrem Glauben sein, sie folgen leeren, ungewissen Meinungen anstatt der Wahrheit; sie tappen im Finstern und verehren ihr erdichtetes Gebilde anstatt Gott. Außer Christo ist jede Religion falsch und eitel, und alle solche Arten der Gottesverehrung sind verabscheuens-, ja verdammenswert.
Nicht ohne Absicht sagt der Prophet: „Siehe, das ist unser Gott“. Damit will er die Gegenwart Gottes noch bestimmter bezeugen. Unmittelbar darauf wiederholt er noch einmal: Das ist der Herr. Er bringt damit die feste Gewissheit und das bestimmte Vertrauen zum Ausdruck, welches diejenigen erfüllen soll, die Gott in Christo verehren. Gewiss kann Gott in seiner vollen Majestät von uns nicht erfasst werden. Er wohnet in einem Licht, da niemand zukommen kann; wir würden von demselben verzehrt werden, wenn wir uns zu ihm erheben wollten. Darum lässt er sich herab zu unserer Schwachheit und teilt sich uns in Christo mit, durch den er uns der Weisheit, der Gerechtigkeit, der Wahrheit und anderer Gnadengüter teilhaftig macht. Auch das ist bemerkenswert, dass der Prophet Christum den Herrn, Jehovah, nennt. Er sagt: Das ist „der Herr“. Daraus schließen wir, dass in Christi Person die wahre, ewige Gottheit eingeschlossen ist. Da uns zudem Christi Gottheit durch das Evangelium bekannt geworden ist, so mögen wir daraus abnehmen, welch schändlicher Undank es ist, wenn man sich mit einer so vollkommenen Offenbarung nicht zufrieden gibt, sondern sich unterfängt, eigne nichtige Spekulationen an Christi Person zu hängen, wie unter dem Papsttum geschehen ist.
Auf den wir harren. Der Prophet bringt die Geduld und Ausdauer derer zum Ausdruck, welche Gott in Christo einmal erfasst haben. Denn die Erkenntnis Gottes in Christo darf nicht nur eine gewisse Zeit dauern; in ihr muss man bis ans Ende beharren. Jesaja redet hier als Vertreter der alttestamentlichen Gottesgemeinde, die damals allein unter den Juden ihren eigentlichen Sitz hatte. Alle Götzen, welche anderswo verehrt wurden, verachtet er und verkündigt zuversichtlich: Dieser allein ist Gott, welcher dem Abraham sich offenbarte und sein Gesetz durch die Hand des Mose bekannt machte. Von den andern Nationen, die noch in Finsternis und Unwissenheit gehüllt waren, war der Herr nicht erwartet worden. Denn dieses Harren und Warten entspringt aus dem Glauben, mit dem auch die Geduld verbunden ist. Glauben aber gibt es nicht ohne das Wort Gottes. Der Prophet erinnert also die Gläubigen daran, dass ihr Heil auf Hoffen und Harren gestellt sei; denn Gottes Verheißungen blieben bis zur Ankunft Christi in der Schwebe. Dabei ist auch die ganze Zeitlage zu bedenken. Gottes Verheißungen schienen damals zunichte geworden zu sein und die Nachkommen Abrahams von ihm verstoßen. Gott offenbarte sich ihnen nirgends: erst auf eine ferne Zukunft sollten sie ihr Augenmerk richten. Darum mussten sie mit wunderbarer Geduld ausgerüstet werden, um alle die herben, schweren Prüfungen auszuhalten. Still sollen sie auf Christi Kommen warten; dann werden sie erfahren, wie nahe Gott denen ist, die ihn anbeten. So müssen auch wir heute noch getröstet werden, damit wir, ob auch unser Heil verborgen ist, dennoch in fester, unerschütterlicher Hoffnung auf den Herrn harren. Wenn er auch fern ist, sollen wir doch in Bezug auf ihn immer wieder sagen: Siehe, da ist unser Gott! Auch in den schlimmsten Wirrnissen sollen wir ihn zu erkennen verstehen und sprechen: Das ist der Herr. Alles in allem: wo man Christum in Geduld anruft, da wird die Hoffnung der Seinen niemals zu Schanden.
V. 10. Denn die Hand des Herrn ruhet auf diesem Berge. Ohne Zweifel will der Prophet die Frommen trösten, welche sonst geglaubt hätten, sie wären von Gott verlassen und verworfen. Nach anderer Auslegung reden diese Worte von dem Gericht, das der Herr an den Juden vollziehen wollte. Das passt aber nicht. Es ist vielmehr dasselbe, als wenn der Prophet sagte: der Herr wird allezeit seiner Kirche nahe sein. Wohl weiß ich, dass die Hand des Herrn auch auf den Gottlosen ruht, wenn seine Strafe sie unaufhörlich drückt bis zur völligen Niederwerfung. Hier aber ist des Herrn Hand als eine helfende, nicht als eine strafende zu fassen. Daher ist unter dem Worte „ruhen“ ein fortdauerndes Schützen und Schirmen zu verstehen. Gott streut zwar zahllose Wohltaten über die ganze Erde aus, sodass auch die Gottlosen ihr Teil daran haben, aber seine Hand ruht fortgesetzt nur auf seinem heiligen Berge, d. h. auf seiner Gemeinde, in der er geehrt wird. Zu beachten ist auch, dass Jerusalem zuvor gezüchtigt worden ist, bevor es diese Wohltaten erfuhr. Zuerst hatte der Prophet ihm Schläge und Strafen angekündigt. Nun aber lässt er diese Tröstung folgen.
Moab wird unter ihm zertreten werden. Dieser zweite Teil des Verses macht die Gnade Gottes noch größer. Denn dadurch, dass Gott die Feinde seiner Kirche straft, zeigt er, wie teuer ihm ihr Heil ist. Die Juden hatten kaum schlimmere Feinde, als die Moabiter, wie man überall bei den Propheten lesen kann, obschon sie mit denselben stammverwandt waren. Unter deren Namen fasst nun der Prophet alle Feinde der Kirche zusammen, zumal diejenigen, mit denen sie irgendwie verbunden ist, und das sind die gefährlichsten. Mögen dieselben auch eine Zeitlang die Oberhand haben und die Kirche bedrücken, sie werden doch ihre Strafe finden. Die Gläubigen sollen – das ist des Propheten Absicht – im Unglück nicht verzweifeln, als wären sie die Unglückseligen, während die Gottlosen munter und fröhlich jauchzen könnten. Darum sagt er: Moab wird unter dem Volk Gottes zertreten werden. Wenn wir darum auch heute die Gemeinde des Herrn schwer getroffen und in Verwirrung gebracht sehen von denen, die mit uns durch irgendwelche Bande verknüpft sind, ja welche den Namen und Titel der Kirche sich besonders anmaßen, so sollen wir an solchen Verheißungen unsere Herzen aufrichten.
Und wie Kot. Das hebräische Wort, das wir mit „Kot“ übersetzen, hat einen ähnlichen Klang wie der Name der Stadt Madmen, die der Prophet Jeremia (48, 2) erwähnt. Darum setzen einige Ausleger für „Kot“ geradezu den Namen dieser Stadt ein, doch stimme ich dieser Übersetzung nicht zu. Wie aber wäre es, wenn wir annähmen, der Prophet spiele auf jene Stadt an, die wahrscheinlich in einer fruchtbaren Gegend lag, um so die Moabiter noch härter zu treffen? Der Prophet will sagen: Wie Spreu und Kot zertreten wird auf deren Ackerland, so wird der Herr die Moabiter zertreten. Andere Auslegungen verwerfe ich nicht; aber am besten gefällt mir die Annahme, dass der Prophet auf die Fruchtbarkeit der Gegend, in der jene Stadt lag, anspielt.
V. 11. Und er wird seine Hände ausbreiten mitten unter sie. Der Prophet fährt in seinem letzten Gedankengang fort. Er gebraucht dabei jedoch ein anderes Bild. Der Herr, sagt er, wird seine Hände ausbreiten mitten unter sie, mitten hinein in das Land der Moabiter, nicht nur in seine Grenzgebiete. Kein Teil des Moabiterlandes wird so verborgen sein, dass Gottes Rache ihn nicht träfe.
Wie sie ein Schwimmer ausbreitet. Manche erklären dies Bild folgendermaßen. Wie beim Schwimmen die Arme ausgestreckt werden, so wird der Herr sie hierhin und dorthin gegen die Moabiter ausstrecken und sie züchtigen. Andere nehmen an, es würde hier auf eine Häufung der Strafen hingewiesen, als wollte der Prophet sagen: der Herr wird nicht nur einmal an den Moabitern seine Strafen vollziehen, sondern er wird wieder und wieder die Grausamkeit, welche sie gegen die Kinder Gottes verübt haben, rächen. Wir können aber dies Bild auch anders erklären. Leute, die schwimmen, stürzen nicht mit ganzer Wucht daher, sondern strecken mit einer gewissen Leichtigkeit ihre Arme aus und öffnen sie ruhig. Dabei durchschneiden sie aber doch das Wasser und überwinden dessen Widerstand. So wendet auch der Herr oft keine große Kraft auf, um die Gottlosen zu durchschneiden, sondern ohne irgendwelche Mühe, ohne irgendeine Anstrengung, ohne irgendwelchen Lärm und irgendwelche Unruhe bringt er sie ins Verderben und schlägt sie nieder, sie mögen noch so stark und gerüstet sein. Diese Auffassung des Bildes gefällt mir am besten, weil sie den Sinn des vorhergehenden Verses nicht beeinträchtigt, vielmehr die Tatsache noch klarer herausstellt, dass die Gottlosen oft zunichte gemacht werden durch Gottes Hand, obwohl diese nicht offen und sichtbar den Blitz vom Himmel herabschleudert.
V. 12. Und die hohen Festen eurer Mauern beugen. Der Prophet redet weiter vom Lande Moab. Dasselbe war sehr stark befestigt und ragte besonders hervor durch seine mit festen Mauern geschützten Burgen. Nun sagt er: diese ausgezeichneten Mauern haben nichts zu bedeuten, mögen dieselben auch noch so fest und noch so schwer einzunehmen sein. Nicht überflüssigerweise hat der Prophet, um den Ausdruck zu verstärken, drei Zeitwörter nebeneinander gestellt: er wird beugen , er wird niedrigen , er wird zu Boden werfen. Der Stolz, von dem die Moabiter erfüllt und aufgebläht waren, musste zurückgewiesen werden. Sie waren ja, wie wir Kapitel 16 sahen, unerträglich. Der Prophet verlacht sie also, dass sie so tun, als ob der Herr sie von der Höhe, deren sie sich rühmten, nicht herabstürzen könnte.
In den Staub zu Boden werfen, das soll heißen: Er wird sie nicht nur dem Erdboden gleich machen, sondern sie zu Staub zermalmen, sodass auch nicht einmal die geringste Spur einer Ruine von ihnen übrig bleibt. Diese Stelle enthält einen herrlichen und sehr zeitgemäßen Trost. Auch heute brüsten sich die Feinde der Kirche und haben die Menschen, ja Gott selbst zum Spott. Derart haben sie sich in dem Bewusstsein ihrer Macht erhoben und aufgebläht, dass sie sich selber für unbesiegbar halten. Aber ihren Festen und Mauern dürfen wir dies Wort des Propheten entgegen stellen: Der Herr wird dieselben mit Leichtigkeit beugen, niedrigen und in den Staub zu Boden werfen. Inzwischen müssen wir geduldig tragen, was sie in ihrer Kraft und Macht vermögen, bis ihre Zeit kommt, da sie zum Untergang reif werden.