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Calvin, Jean – Hiob 9, 1-4.

Calvin, Jean – Hiob 9, 1-4.

1) Hiob antwortete: 2) Fürwahr, ich weíß, der Mensch hat vor Gott kein Recht. 3) Beliebt es ihm, mit ihm den Rechtsstreit zu führen, so kann er ihm auf tausend nicht eins antworten. 4) Weise ist er von Herzen, mächtig von Kraft, und wollte sicher einer ihm widersetzen, wem würde es gelingen?

Dass Gott gerecht und an ihm nichts zu tadeln ist, zu diesem Zugeständnis müssen sich die Menschen schon herbeilassen; dabei aber sind sie in ihrem Grübeln so maßlos und unbeherrscht, dass sie nicht allein gegen Gott murren, sondern geradezu aus vollem Halse lästern, wenn sie unter Druck stehen. Ihre Drangsal wird dabei nicht geringer, aber es ist ihnen eine Art Rache, wenn sie gegen den, mit dem sie es zu tun haben, wenigstens murren können. Umso nötiger ist es uns, schon vorher über Gottes Gerechtigkeit eingehend nachgedacht zu haben; denn wenn er uns dann ein Kreuz zuschickt, so sind wir demütig genug, um ihn in seinem eigentlichen Wesen zu erkennen, nämlich als den Gerechten und Untadeligen. Aber das allgemeine Bekenntnis zu der Gerechtigkeit Gottes genügt noch nicht; denn Bildad zieht aus dem allgemeinen Satz von Gottes Gerechtigkeit einen ganz verkehrten Schluss, indem er dabei beharrt, Gott strafe die Menschen genau so, wie sie es verdient haben. Aber Gott verfährt da nicht nach einer gleichmäßigen Regel: bisweilen verschont er die Gottlosen und duldet sie, bisweilen züchtigt er die, die er lieb hat, und hält sie viel härter und strenger als die ganz Unverbesserlichen. Es ist verkehrt die Gerechtigkeit Gottes nachmessen zu wollen und zu denken: Züchtigung ist immer Strafe für die Sünden, und in demselben Maß wie einer Gott gekränkt hat, muss Gott ihm in diesem Leben auch wieder vergelten. Wenn man so denkt, versteht man die Gerechtigkeit Gottes nicht recht.

Deshalb gibt uns Hiob eine viel bessere Lehre, was es mit der Gerechtigkeit Gottes für eine Bewandtnis hat und was für eine Vorstellung man sich davon machen muss: man muss nicht auf diese oder jene Sünde sehen, sondern die Menschen so nehmen, wie sie von Mutterleibe an sind; dennoch aber muss die ganze Welt vor Gott verdammt sein, und man muss sagen: Wie hart auch die Strafen erscheinen, auf Gott fällt dennoch kein Makel. Es sind also zwei ganz verschiedene Dinge, ob man sagt: Gott ist gerecht, denn er straft die Menschen nach Verdienst, oder ob man sagt: Gott ist gerecht, wie er auch mit den Menschen umgeht. Auf jeden Fall müssen wir unsern Mund schließen und ja nicht wider ihn murren, weil wir damit doch nichts gewinnen können. Sehen wir Gott einen Menschen strafen, so will er uns darin sein besonderes Gericht erkennen lassen, um uns zu warnen. Da zeigt uns Gott seine Hand und in seiner Hand einen Spiegel zu unserer Unterweisung, wie der hl. Paulus sagt: „Solches alles widerfuhr jenen zum Vorbilde; es ist aber geschrieben uns zur Warnung“ (1. Kor 10, 11). Wenn er den Ungehorsam gegen sein Wort straft, so will er uns damit lehren, in seiner Furcht zu wandeln. So sollen wir seine Gerichte anschauen, wenn sie offenkundig werden.

Bisweilen sagt man: Gott ist gerecht, er hat einen gestraft, der ein böses und leichtfertiges Leben führte. Er vollzieht seine Strafe an einem Lande voll Befleckung und Zuchtlosigkeit. Ja, wir mögen wohl so urteilen, und wir sollen´s auch, aber das trifft doch nicht immer zu; denn Gott handelt nicht immer nach derselben Regel. Wir müssen mit unsern Gedanken noch höher hinauf: Gott ist immer und allezeit gerecht, wie er auch die Menschen behandeln mag.

Das ist gerade heute von Wichtigkeit; denn wir sehen heute Bestien, die sich für hohe und gelehrte Doktoren halten: wenn sie die Gerechtigkeit Gottes nach ihrem Gefühl und ihrer Einbildung behaupten wollen, so wollen sie, Gott solle als gerecht gelten. Warum? Weil er die Menschen nach eines jeden Verschulden behandelte! Und darum müssen sie den Menschen einen „freien Willen“ zuschreiben, darum muss die Gnadenwahl Gottes umgestoßen und vernichtet werden. Denn dass Gott die, die er will, auswähle, dass er sie in seiner gnadenweise Güte zur Seligkeit berufe und dass die andern von ihm verworfen seien, das dünkt sie befremdlich, weil sie es mit ihrer Vernunft nicht zu begreifen vermögen. Da sieht man, warum diese Schurken, die sich für große Kirchenfürsten ausgeben wollen, unsere ersten Glaubensgrundlagen umstoßen möchten, um die Gerechtigkeit Gottes zu beweisen – natürlich wie sie sie verstehen. Denn so hoch können sie gar nicht kommen, dass sie erkennten, dass Gott im Vergleich zu den Menschen, sie seien, wie sie wollen, immer und in allen Fällen gerecht ist.

Gewiss, wir müssen auch auf der Hut sein, um nicht in einen anderen Fehler zu verfallen. Denn wir sehen unter den Menschen ausgemachte Bösewichter; wenn sie sich in ihrer Schande bloßgestellt sehen, so heißt es: Oh, wenn ich die Welt ansehe, bin ich ein frommer Mann; ich bekenne, dass vor Gott jeder ein Sünder ist. Mit diesem allgemeinen Mäntelchen decken sie sich zu. Ja, solche Schurken mögen wohl sagen: Wir sind Sünder vor Gott; denn gerecht ist keiner! Ihre Laster, die so schlimm sind, dass es über alles Maß hinausgeht, schieben sie beiseite und suchen sich zu verbergen unter dem Deckmantel menschlicher Schwäche; sie sagen: Mit Gott vergleichen kann sich doch kein sterblicher Mensch! Mit solch einem Bekenntnis meinen sie denn wunders was getan zu haben. Aber ich sagte bereits, dass hier zwei Dinge miteinander festgehalten werden müssen: Im allgemeinen müssen wir einsehen, Gott ist gerecht gegen jedermann in der Welt, und die Menschen, mögen sie sein, wer sie wollen, und mögen sie vorbringen können, was sie wollen, dürfen mit Gott nicht hadern und streiten. Das ist das eine. Das zweite aber ist: Jedermann muss auf sich selber sehen, jeder auf sich besonders, jeder muss seufzen über seine Sünde, jeder sie verfluchen und verdammen. Zudem müssen wir auf die Strafen achten, die Gott an den Sündern vollzieht, damit wir unsern Gewinn daraus ziehen. Werden wir selbst mit seinen Ruten geschlagen, so muss es heißen: Das ist recht, ich hab´s wohl verdient. Straft er andere vor unsern Augen, unterweist er uns durch der andern Schaden, so sollen wir das zu Herzen nehmen und aus diesen Beispielen lernen, damit wir Gott zuvorkommen und ihn nicht zwingen, sich auf uns zu stürzen, weil die Strafen der andern uns nicht gebessert haben.

Hiob spricht: Fürwahr, ich weiß, der Mensch hat vor Gott kein Recht. Das ist, wenn man´s recht versteht, ein richtiger Satz, denn das Wort „vor“ bedeutet soviel wie „gegen“. Wie kommt es, dass die Menschen sich so keck rechtfertigen, dass sie so viel von sich selber halten, dass sie sich so hoch einschätzen und voll Hochmuts sind? Nur daher, dass sie am Irdischen kleben bleiben und jeder sich mit seinem Nachbarn vergleicht! Dazu nehmen wir dann unsere Zuflucht! Darum stellt uns denn auch Paulus vor den großen Richter: „Ein jeglicher wird seine Last tragen“ (Galater 6, 5), - als wollte er sagen: Meine Freunde, man täuscht sich, wenn man solche Vergleichungen anstellt. Ich sehe, sagen die Menschen, die anderen führen kein besseres Leben als ich, und habe ich meine Fehler, so hat jeder andere sie auch. So kommt es, dass sie sich selber nicht verurteilen, wie sie doch müssten, sondern dass sie aus Gefallen an sich selber sich selbst rechtfertigen. Hier aber wird ausdrücklich gesagt, dass der Mensch vor Gott kein Recht hat. Sooft man von unseren Sünden spricht und sie uns vorhält, dürfen wir unsere Augen nicht aufs Irdische heften, sondern müssen den Richterstuhl unseres Herrn Jesus Christus anschauen, wo wir Rechenschaft ablegen müssen; wir müssen die unbegreifliche Majestät Gottes kennen lernen. Dann werden wir erwachen und unsere Torheiten abtun; wir gehen dann auch nicht mehr mit so eitlen Einbildungen und Träumen um, womit sich die Sünder in Sicherheit wiegen.

Wenn man das mehr beachtet hätte, so gäbe es heute in der Christenheit nicht soviel Streit um die Glaubensgerechtigkeit. Die Papisten wollen sich gar nicht davon überzeugen lassen, dass wir recht haben mit unserer Lehre von der Rechtfertigung durch die lautere Gnade Gottes in unserem Herrn Jesus Christus. Wo bleiben denn, sagen sie, die Verdienste und die guten Werke, worin das Heil der Menschen besteht? Woher kommt es aber, dass die Papisten so sehr an ihren Verdiensten hängen und sich daran berauschen? Doch nur daher, dass sie nicht auf Gott blicken! In ihren Hochschulen halten sie gelehrte Reden: „Da sind die guten Werke, die Erstattung und Belohnung verdienen, genau ebenso wie die bösen Werke Strafe verdienen; denn das eine entspricht genau dem andern. Verdienen aber die Sünden der Menschen Strafe, so muss es auch eine Belohnung der Tugenden geben; denn sonst verführe die Gerechtigkeit Gottes nicht gleichmäßig.“ Mit solchen gelehrten Reden wiegen sich die Papisten in Schlaf; unterdessen aber stellt Gott sein Richten nicht ein, und zwar richtet er nicht nach ihren Gesetzen, sondern nach seiner Majestät: er findet an den Menschen, was wir an ihnen gar nicht wahrnehmen können. Wären unsere Tugenden wirklich so göttlich, könnten sie wirklich vor Gott bestehen, ja, das wäre wohl etwas Großes. Aber wenn wir sie noch so hoch schätzen, das ist nur Wind; kommen sie vor Gott, so bricht das alles zusammen. Es bleibt also dabei: Der Mensch hat kein Recht vor Gott. Sobald wir mit Gott rechten wollen, werden wir zu Schanden und versinken im Abgrund.

Beliebt es dem Menschen, mit Gott den Rechtsstreit zu führen, so kann er ihm auf tausend nicht eins antworten. Man könnte das auf Gott beziehen: Wir können unsere Sache noch so schön gegen Gott verteidigen, wir können einen noch so langen Prozess gegen ihn führen – und wenn er tausend Punkte enthält, Gott würde den Mund nicht auftun, um auch nur einen einzigen zu widerlegen. Wir müssen nur nicht meinen, wir könnten Gott mit unserm langen, großen Prozess und unsern Schaumschlägereien bange machen. Wenn wir anfangen, uns zu entschuldigen und von unseren Tugenden Aufhebens zu machen, ja, dann sieht das aus, als müsse Gott klein beigeben, dabei aber lacht und spottet er bloß über all das Narrenwerk, das die Menschen vorbringen, und mit all unserm Geschwätz ist es nichts. Es ist also ein ganz richtiger und heiliger Gedanke, Gott antworte auf keinen einzigen Punkt; und wenn wir auch tausend vorbrächten: das alles gilt ja vor ihm nichts, es zählt gar nicht. Menschen mögen solche Münze wohl in Zahlung nehmen, aber auf Gott macht das alles keinen Eindruck.

Und doch ist der natürliche Sinn dieser Stelle ein anderer: Kommen wir zu Gott, ihm den Prozess zu machen, so werden wahrlich Mühe genug damit haben, denn wir können nicht auf einen einzigen von den tausend Anklagepunkten, die er uns vorhält, antworten. Es ist wahr: Wir sind so schwerfällig, dass wir mit Gott im Kriege liegen, noch ehe wir blankgezogen haben, wie man zu sagen pflegt. Wir sehen es ja. Würden wir nicht viel mehr Bedenken tragen, uns an einen sterblichen Menschen oder eine armselige Kreatur heranzumachen als an den lebendigen Gott? Was für ein Wahnsinn, ja, was für ein teuflischer Wahnsinn ist es, sich so an Gott heranzuwagen! Aber haben wir es wirklich erst mit ihm zu tun, so werden wir´s spüren und erfahren, was es bedeutet, uns an ihm gerieben zu haben, und dass mit einem solchen Herrn nicht zu spaßen ist. So meint´s auch Hiob. Er zeichnet die Vermessenheit der Menschen, wie sie wirklich ist, auf der andern Seite aber die Bestürzung, in die sie geraten, wenn Gott sie spüren lässt, dass er gerecht ist und sie zu Schanden macht. Die törichte Vermessenheit, deren die Leute sich brüsten und mit der sie sich selbst betrügen, kommt daher, dass sie nicht auf Gott blicken; nein, sie denken so: Ich bin doch nicht schlimmer als die andern, und wenn ich meine Fehler habe, so habe ich doch auch Tugenden, die ihnen die Waage halten! Damit schläfern sie sich selber ein, weil sie nicht erkennen, was es um die Majestät Gottes ist; hätten sie eine lebendige Vorstellung davon, sie würden sich wohl unter sie demütigen.

Wenn uns Gott tausend Punkte vorhält, so können wir ihm auch nicht auf einen einzigen antworten. Und wenn wir alle unsere Fehler wohl durchforschten, so erkennen wir davon doch nicht den hundertsten Teil, ja, von tausend nicht einen. Wenn sich die Menschen ohne Heuchelei selber prüfen, so müssen sie sich in so viel Böses verwickelt finden, dass sie sich vor sich selber schämen müssen und ganz zerschlagen daliegen, vor allen anderen aber wir selbst. Denn wenn man auch die Allerheiligsten aussucht, so werden sie sich doch neben David stellen müssen, der bekannt hat: „Wer kann merken, wie oft er fehlet?“ (Ps 19, 13). Wenn aber die Allerheiligsten, die man für Engel halten möchte, in ihren unzählbaren Sünden völlig zu Schanden werden, was soll dann aus dem gemeinen Mann werden? Denn wir meinen doch wohl nicht, wir wären schon so weit gekommen, dass wir uns neben sie stellen könnten!

Als David in die Selbstprüfung eintritt und seine Fehler sieht, da ruft er aus: „Wer kann merken, wie oft er fehlet?“ Damit bekennt er doch, er habe bei sich selbst allzu viele gefunden; dann aber fügt er hinzu: „Verzeihe mir auch die verborgenen Fehler!“ Wie kann er von verborgenen Fehlern reden? Unsere Sünden müssen uns doch bekannt sein, sonst können wir sie doch nicht als Sünden bekennen! Nun, David wusste wohl: Gott sieht schärfer als wir. Wenn wir also schon vor dem eigenen Gewissen als Angeklagte dastehen, wie wollen wir dann erst vor Gottes Gericht bestehen? Unser Gewissen ist doch sicher ein Richter, den man wohl fürchten mag; sieht aber Gott nicht viel schärfer als ein sterblicher Mensch? Gott richtet nach dem, was er sieht und weiß, nicht nach dem, was wir finden können; denn wir laufen sozusagen schnell über die heißen Kohlen hin, Gott aber geht den Dingen auf den Grund, er ist der Herzenskündiger, wie er sich in der Schrift nennt.

Dazu aber kommt noch, dass wir auch zwischen Tugenden und Lastern nicht so scharf unterscheiden, wie es nötig wäre: das muss also ihm vorbehalten bleiben. Und warum unterscheiden wir nicht? Wollen wir alle unsere Werke richtig beurteilen, so müssen wir wissen, was Vollkommenheit ist; denn ohne Vollkommenheit gibt es nichts Gutes vor Gott, da ist alles nur Gestank. Wie sollen wir aber wissen, was Vollkommenheit ist, wenn doch unsere Augen so dunkel sind, dass wir alles nur wie im Dämmer sehen? Es ist wahr: „Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer den kein zweischneidig Schwert, und dringet durch, bis dass es scheidet Seele und Leib, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens“ (Hebr 4, 12), ja es ist „unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege“ (Ps 119, 105), und Jesus Christus wird genannt „die Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 4, 2). Aber wir haben allezeit trübe Augen! Darum sind wir weit davon entfernt zu wissen, was Vollkommenheit ist. Finden wir an uns etwas Gutes und merken keinen Fehler daran, so ist es deshalb doch nicht ohne Fehler; denn wir kennen die Vollkommenheit nicht, die Gott fordert. Niemand als Gott allein weiß, was Vollkommenheit ist, denn in ihm allein ist Vollkommenheit; er allein kennt sie, und wir sind viel zu schwach, als dass wir so weit kommen könnten.

Und nun ein Wort, das uns noch tiefer treffen soll: Weise ist Gott von Herzen und mächtig von Kraft. Dächten die Menschen wirklich an Gott, - würden sie ihn dann nicht in der Tat erkennen, wie er sich ihnen zu erkennen gibt? Würde sie das nicht zu einer solchen Furcht und Ehrerbietung treiben, dass sie ihn nach Gebühr verherrlichten? Aber warum tun sie´s nicht? Sie kennen Gott nicht, wie er wirklich ist! Wir sagen oft genug: Gott, Gott; das schwebt uns immer auf der Zunge, aber von seiner unendlichen Majestät spüren wir nichts; alles, was Gott für uns ist, ist uns wie ein totes Ding. Das sieht man an den Gotteslästerungen, den Meineiden und ähnlichen Dingen. Fühlten die Menschen sich auch nur irgendwie von der Majestät Gottes angerührt, würden sie dann ein so heiliges und teures Ding in Stücke reißen? Sind die Menschen zornig, so muss Gott herhalten, als wäre er ihr Knecht. So gibt wohl ein Herr, wenn er in Zorn gerät, seinem Knecht eine Ohrfeige! Aber so machen wir´s mit Gott. Wenn die Menschen ihren Zorn in dieser Weise Ausdruck geben, als wäre Gott ihr Untergebener, muss man sie dann nicht toll und verrückt nennen? Ja, selbst wenn sie nicht gerade in Zorn geraten, machen sie´s so. Denn diese Hunde machen sich gar kein Gewissen daraus, den Namen Gottes zu zerreißen, und obwohl sie keinen Anlass haben, so können sie es doch nicht lassen, ihn in allen Dingen zu lästern, und das ist doch etwas Abscheuliches und Widernatürliches. Das ist doch sicherlich ein Zeichen, dass uns die Majestät Gottes unbekannt ist, mögen wir das Wort auch noch so oft im Munde führen. Das gilt ebenso von den Meineidigen. Es ist heutzutage schrecklich: Mit was für Feierlichkeiten man die Leute auch zum Zeugeneid veranlasst, nicht ein einziges wahres Wort bringt man aus ihnen heraus, sie sind alle meineidig; wenn man den Zeugen genau zuhört, man findet unter zehn nicht einen, der die Wahrheit sagt; ja, es geht nach dem Sprichwort: Wenn man nur keine Zeugen hat, so ist die Sache schon gewonnen; das heißt: es ist nicht einer da, der die Wahrheit sagen will. So trotzt man gegen Gott. Und was hält man für Reden, wenn von der Heiligen Schrift die Rede ist, von der ganzen Religion und all den heiligen Dingen, mit denen wir heute zu tun haben? Die Leute sollten sich wahrlich in der Furcht halten; denn das wahre Kennzeichen der Kinder Gottes ist die zitternde Furcht vor seinem Wort: „Ich sehe an den Elenden und der zerbrochenen Geistes ist und der sich fürchtet vor meinem Wort“ (Jes 66, 2).

Man redet genug von Gott, man schwatzt von ihm und allen Geheimnissen seiner Majestät, ja, man macht sich ein Vergnügen daraus – geht daraus nicht klar hervor, dass man gar nicht weiß, was Gott ist, obgleich sein Name in aller Munde ist? Deshalb ist die Bemerkung nicht überflüssig: Weise ist Gott von Herzen und mächtig von Kraft. Diese Worte sind scheinbar nicht von besonderer Bedeutung; bei genauer Erwägung aber enthalten sie eine Lehre, die wohl darnach angetan ist, uns zu demütigen. Gottes Weisheit ist nicht eine menschliche und unserer Vernunft begreifliche Weisheit, seine Kraft aber ist nicht allein die eines Riesen oder eines Berges, sondern wir müssen ihn so preisen, dass wir keiner Kreatur irgendwelche Gewalt, Macht oder Stärke zuschreiben, sondern alle Kraft und Stärke allein in Gott suchen.

Wollen wir nun wissen, wer wir sind? Dann brauchen wir uns nur den allgemeinen Gedanken anzueignen: Wenn man keine offenbaren Sünden an uns findet, wenn unser Leben nicht zuchtlos ist, wenn wir vor den Menschen ehrbarlich und ohne Tadel gewandelt sind – das alles ist nichts! Denn alle Kreaturen mögen sein, wie sie wollen, Gott kann sie alle verdammen und bleibt dabei doch gerecht; und wenn wir uns unterstehen, ihm zu widersprechen, so wird Gott sich das eine Weile gefallen lassen, ja, er wird uns zunächst nicht einmal widerstehen, aber am Ende müssen wir doch den Kopf hängen lassen und unser Verdammungsurteil empfangen. Und wenn auch die Menschen uns los gesprochen haben, so werden wir nichtsdestoweniger verdammt, wenn wir vor diesen großen Richter kommen. Ein anderes Mittel aber, um Gottes Gnade zu gewinnen und zur Deckung unserer Sünden zu gelangen, gibt es nicht, als dass wir unsere Zuflucht zu unserm Herrn Jesus Christus nehmen, denn da findet sich eine völlige und vollkommene Gerechtigkeit, die uns vor Gott angenehm macht und seine Gnadengesinnung gegen uns verbürgt.

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