Nr. 603 (C. R. – 3064)
Calvin, Jean - An eine unbekannte Dame in Frankreich.
Wann darf eine Frau ihren Mann verlassen.
Wir sind nicht so unmenschlich, dass wir nicht Mitleid mit all denen hätten, die leiden müssen um der Ehre Gottes und des Evangeliums unsres Herrn Jesu Christi willen, und möchten sie trösten, soweit es möglich ist und wir Gelegenheit dazu haben. Vor allem haben wir Mitleid mit den armen Frauen, die von ihren Männern schlecht und roh behandelt werden, weil das eine gar harte, grausame Tyrannei ist, unter deren Joch sie stehen; indessen halten wir es doch nicht für erlaubt nach Gottes Wort einer Frau zu raten, sie möge ihren Mann verlassen, es sei denn, dass Vergewaltigung vorliegt. Eine Vergewaltigung sehen wir noch nicht darin, wenn der Mann grobe Worte braucht und sie bedroht, nicht einmal, wenn er sie schlägt, sondern nur, wenn ihr Leben offenkundig in Gefahr ist, sei es das der Gatte sie verfolgt oder sich mit den Feinden der Wahrheit wider sie verbündet, oder dass es anderswoher komme. So antworten wir denn in dem uns vorgelegten Fall, dass wir noch keinen genügenden Grund wahrnehmen, weswegen sich diese Frau zurückziehen darf, bis die Gefahr handgreiflich ist. So ermahnen wir sie im Namen Gottes, das Kreuz geduldig zu tragen, das Gott ihr auferlegt hat, jedoch nicht zu weichen von ihrer Pflicht gegen Gott, um ihrem Mann zu gefallen, sondern sich ruhig zu verhalten, was es auch gebe, und zu zeigen, dass sie entschlossen ist, ihren Vorsatz nicht aufzugeben. Fühlt sie sich schwach, so soll sie Gott bitten, dass er ihr Festigkeit gebe. Dabei soll sie sich bemühen, das Herz ihres Gatten zu erweichen. Wird sie gewaltsam gezwungen, dann ist es ihr nach Gottes Wort erlaubt, sich von ihm zu trennen, und wenn sie es tut, so ists doch kein böswilliges Verlassen ihres Gatten; denn sie ist dann doch stets bereit, bei ihm zu sein, wenn es ohne Todesgefahr angeht.
4. Juni 1559.