Nr. 587 (C. R. – 3000 )
Calvin, Jean - An Königin Elisabeth von England.
Im November 1558 war die blutige Maria gestorben und Elisabeth, die bisher im Tower gefangen gewesen war, bestieg, freudig begrüßt von allen Evangelischen, den Thron; Calvin widmete ihr sofort die zweite Auflage seines Jesaja-Kommentars (vgl. Nr. 305).
Die zweite Auflage des Jesaja-Kommentars als Krönungsgeschenk.
Wenn ich auch, edelste Königin, zu der Neubearbeitung dieses Kommentars so viel Mühe und Fleiß anwandte, dass sie mit Recht für ein neues Werk gelten darf, so hatte ich doch im Sinn, an der Widmung nichts zu ändern, weil er in der ersten Auflage deinem Bruder, König Eduard, gewidmet gewesen war, und ich wünschte, dass das Andenken dieses Knaben, der viele Männer seiner Zeit überragte, auch bei den Nachkommen weiter blühen sollte nach seinem Verdienste. Aber da während der kläglichen, traurigen Zerstreuung der Kirche und der Vernichtung der reinen Lehre, die in so kurzer Zeit mit ganz unglaublicher Heftigkeit hereinbrachen, mein Buch samt allen Schriften des wahren Glaubens zeitweilig aus England ausgeschlossen war, ich nun aber die Hoffnung hegen darf, dass es unter dem Glück bringenden Schutz deiner Regierung sozusagen durch Rückkehrsrecht wieder einziehen darf, so schien es mir nicht unpassend, wenn ich dem Namen des edelsten Königs den deinigen, der allen Guten nicht minder lieb und wert ist, beifügte. Ja, es bot sich nicht nur die Gelegenheit, sondern die Notwendigkeit sogar schien es zu fordern, für diesen Kommentar, wegen dessen Verbot, wie ich weiß, eine sehr große Zahl Frommer in deinem Reiche geseufzt hat, deinen Schutz zu erbitten. Doch will ich damit nicht nur für mein Werk allein sorgen, sondern vielmehr dich um des heiligen Namens Christi willen ergebenst bitten und ersuchen, dass durch deine Gnade nicht allein alle rechtgläubigen Schriften wieder nach England gebracht und dort frei verbreitet werden dürfen, sondern dass du es dir überhaupt angelegen sein lässest, die in gräulicher Weise daniederliegende Religion wieder zu pflegen. Wenn das der eingeborene Sohn Gottes mir Recht von allen Königen der Erde fordert, so hat er dich, edelste Königin, durch ein noch heiligeres Band zu dieser Pflicht berufen. Denn da vor dem fürchterlichen Sturm, der so gewaltig über die Häupter aller Frommen hinfuhr, nicht einmal du, eine königliche Prinzessin, sicher warst, Gott dich aber doch unversehrt, wenn schon nicht unberührt von Furcht, wunderbar gerettet hat, so hat er damit dich und dein ganzes Interesse für sich gewonnen. Dieser Befreiung brauchst du dich nicht im mindesten zu schämen, da Gott dir damit vielmehr reichen, großen Grund zum Rühmen gegeben hat, indem er dein Leben gestaltete nach dem Vorbilde seines Sohnes, zu dessen Ruhm der Prophet Jesaja auch das aufzählt, dass er aus Kerker und Gericht aufgestiegen ist zur höchsten Höhe seiner himmlischen Herrscherstellung [Jes. 53, 8]. Wie es nun eine außergewöhnliche Ehre ist, wenn es einem nach solchem Beispiele geht, so muss es dir, so oft du dich wieder darauf besinnst, (und du darfst es ja nie vergessen, aus welcher kläglichen, beängstigenden Not du emporgestiegen bist, als Gott dich sozusagen offenkundig an der Hand nahm), stets als dein Lebensziel im Gedächtnis bleiben, deinem Rächer und Befreier wiederum durch unerschütterliche Standhaftigkeit und unüberwindliche Höhe der Gesinnung sein Recht zu geben und unter Hintansetzung aller andern Geschäfte, deren dir ja gewiss bei deinem Regierungsantritt eine ungeheure Menge vorliegen, seine zeitweilige schnöde und schändlich verunstaltete Verehrung wieder in ihrem alten Glanze herzustellen. Wenn dir der Satan viele große Hindernisse in den Weg stellen und dich dadurch ängstlich und untätig machen will, so weißt du wohl, woher du Mut erhalten kannst zu energischem Fortfahren, einen Mut, der alle Hindernisse überwindet, und Gott, der schon gewöhnlicher Leute Wirken seines Segens würdigt, wird auch dein Werk nicht ohne den wünschenswerten guten Erfolg lassen. Es muss dich auch, hoch verehrte Königin, dein Pflichtbewusstsein dazu treiben; denn nicht nur von den Königen verlangt Jesaja, dass sie die Pfleger der Kirche, sondern auch von den Königinnen, dass sie ihre Säugammen sein sollen [Jes. 49, 8]. Diese Pflicht kannst du erfüllen, nicht nur in einer erneuten Reinigung vom Schmutz des Papismus und in der Pflege der Herde, die sich noch bis vor kurzem ängstlich verborgen halten musste, sondern auch in der Rückberufung der Vertriebenen, die lieber das Vaterland entbehren wollten, als in der Heimat wohnen, solange das Evangelium daniederlag. Das wird die Werke deiner Dankbarkeit gegen Gott krönen und ein Opfer süßen Geruches sein, wenn die treuen Verehrer Gottes, die, wegen ihres evangelischen Bekenntnisses vertrieben, durch die weiten Lande ziehen mussten, durch deine Gnade nun in ihr Vaterland heimkehren dürfen. Uns aber, denen das klägliche Schauspiel ihrer Verbannung bittern Schmerz machte, wie es nicht anders sein konnte, wird es ein Grund sein, uns zu freuen und dir herzlich Glück zu wünschen, wenn wir sehen, dass durch deine Milde den Brüdern die Rückkehr ermöglicht wird, nicht nur, damit sie wieder in deinem Reiche Gott dienen dürfen, sondern auch, damit sie andern darin Helfer sein können. Wenn nun, edelste Königin, dies Zeichen meiner Ergebenheit, das andern vielleicht wertlos und gering erschiene, von dir in deiner Milde nicht verachtet wird, wie ich zuversichtlich hoffe, so werde ich es für eine außerordentliche Gnade halten und mich anstrengen, meine Dankbarkeit mein Leben lang in allen nur möglichen Dienstleistungen zu beweisen. Gnädigste Königin, der Herr leite dich mit dem Geiste der Klugheit und unterstütze dich mit unüberwindlicher Stärke; er behüte deine Majestät und mache dich reich an Segen aller Art.
Genf, 15. Januar, am Tag, der gerüchtweise als dein Krönungstag genannt wurde, so dass ich mich umso eifriger ans Schreiben gab, nachdem ich mich etwas von der Erschlaffung durch ein Wechselfieber erholt hatte.