Nr. 305 (C. R. – 1422)
Calvin, Jean - An König Eduard VI. von England.
Widmung des Kommentars zu Jesaja.
Obwohl ich anerkennen muss, dass dieser Kommentar nach meinen Vorlesungen treu und geschickt zusammengestellt ist, so fürchtete ich doch, weil er von fremder Hand ausgearbeitet ist, die öffentliche Widmung an dich könne mir kaum für ein rechtes Geschenk an deine Majestät angerechnet werden. Doch von diesem Zweifel befreite mich schließlich vor allem die Überlegung, da dieser Prophet aus königlichem Stamm und vornehmste Gesandte des höchsten Königs Christus in erster Linie deiner Person würdig sei, so werde hoffentlich auch meine Arbeit in der Auslegung seiner Weissagungen deiner Majestät angenehm und wertvoll sein. Jesaja hat ja den Sinn von fünf Königen, denen er, wie sie der Reihe nach aufeinander folgten, als Lehrer gesetzt war, durch Erfahrung als sehr verschieden kennen gelernt. Welchen von diesen fünf du dir besonders als Vorbild nehmen sollst, das brauche ich dir gar nicht zu sagen, und wozu du dich schon freiwillig bereit zeigst, dazu brauche ich dich nicht zu ermuntern. Usia und Jotham, wiewohl sie nicht mutig genug waren, den Dienst Gottes wiederherzustellen, erkannte Jesaja doch als ihm wohl geneigt. Mehr zu kämpfen hatte er schon mit Ahas, zwar nicht als mit einem offenen Feind, sondern als mit einem gewandten Heuchler und einem Menschen voll treuloser Verstellungskunst. Und keine Art Feinde ist den Knechten Gottes lästiger als diese. Sein Nachfolger Hiskia achtete nicht nur ehrerbietig auf den heiligen Mann, sondern ordnete sich auch, so bescheiden wie irgendeiner aus dem Volk, seiner Lehre unter; seinem Rat gehorchte er, durch seine Ermahnungen ließ er sich leiten, ja, wenns nötig war, ließ er sich auch mit Gleichmut streng tadeln von ihm. Manasse schließlich ließ den Propheten, der doch, wie die Juden übereinstimmend berichten, sein Schwiegervater war, unter grässlichen Martern zu Tode foltern. Übrigens auch als nicht übel Könige ihm die Hand boten, selbst unter Hiskia, dem eifrigen Reformator, musste Jesaja sich doch unaufhörlich durch harte, lästige Anfeindungen plagen lassen und heftige Kämpfe bestehen. So selten und schwierig ist die Übereinstimmung der Menschen mit der reinen Lehre; vielmehr muss, wer aufrichtig und treu das Prophetenamt verwalten will, beständig mit der Welt Krieg führen. Umso eifriger sollten fromme Könige sich bestreben, Gottes Diener durch ihren Schutz zu unterstützen, damit sie nicht durch die Frechheit der Gottlosen übers Maß hinaus angegriffen werden. Doch so herrlich und wahrhaft heldenhaft solche Tugend ist, so selten und von so wenigen ist sie gehegt worden, auch wenn du in Gedanken die ganze Weltgeschichte von Anfang an durchgehst. Viele ließen feig und träg die Wahrheit Gottes ruhig unterdrückt werden, wie wenn die Sache sie nichts anginge; ein großer Teil war ihr offen entgegen und bekämpfte sie mit wilder Wut. Wenn doch heute alle, die sich Christen nennen, ebenso tapfer wären, die Heilslehre zu bekennen, wie sie sich hochmütig ihres Christennamens rühmen!
Aber, um von andern zu schweigen, es ist bei der gegenwärtigen elenden Lage der Kirche als kein geringer Trost anzusehen, dass du, edelster König, von Gott durch deine vorzügliche Geistes- und Gemütsanlage zum Schutz der Frömmigkeit ausgerüstet bist und deinen Dienst in dieser Sache Gott ebenso willig anträgst, als er es, wie du weißt, wünscht und gerne sieht. Wenn auch die Regierungsgeschäfte bisher noch durch deine Räte geführt werden und auch dem erlauchtesten Herzog von Somerset, deiner Majestät Oheim, wie den meisten andern die Religion so am Herzen liegt, dass sie emsig, wie sichs ziemt, dafür wirken, sie zu festigen, so eilst du allein ihrem allgemeinen Bestreben doch so voraus, dass leicht ersichtlich ist, der Eifer, den sie an dir bemerken, sei kein geringer Sporn für deine Räte. Denn nicht nur spricht der Ruf rühmend von deiner hochherzigen Charakteranlage und einem gewissen Aufkeimen der Tüchtigkeit, die in so zartem Alter schon als außerordentlich angesehen wird, sondern von einer über deine Jahre hinausgehenden völligen Reife der Tugenden, die auch bei Volljährigen nicht nur Lob, sondern geradezu Bewunderung erringen. Besonders aber wird deine Frömmigkeit so gerühmt, dass ich überzeugt bin, du werdest unseren Propheten so achten, dass er jetzt nach seinem Tode noch mit derselben Ehrerbietung behandelt wird, mit der Hiskia den Lebenden aufnahm.
Welchen Nutzen du daraus haben wirst, das kannst du beim Lesen am besten erkennen, und das deute ich bei der Behandlung des Stoffes selbst an; nur über einen Punkt habe ich mir vorgenommen, mit deiner Majestät noch zu reden. Nachdem der Prophet die gerechte Klage Gottes über das undankbare Volk dargelegt und die Juden mit den Strafen bedroht hat, die ihr treuloser Abfall und ihre verzweifelte Halsstarrigkeit verdienten, nämlich mit einer Zeit gräulicher Verwüstung, so redet er gleich nachher von der neuen und unglaublichen Wiederherstellung der Kirche und verheißt, Gott werde dafür sorgen, dass sie ihren Feinden zum Trotz stets in Glück und Herrlichkeit blühen werde. Diesen fröhlichen, glücklichen Zustand durften die schmecken, die heimkehrend aus der babylonischen Gefangenschaft bei dem Wiederaufbau des Tempels die Hoffnung fassen konnten auf noch größeres Glück, als sie damals genossen, wie man beim Anblick der Morgenröte auf den baldigen Sonnenaufgang hofft. Als aber die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, mit dem Glanz seines Evangeliums aufging, da war alles, was die Verheißungen des Propheten so herrlich gefeiert hatten, weit übertroffen. In kurzer Zeit verbreitete sich die Kenntnis des wahren Gottes durch die ganze Welt. Die reine Religion, die vorher in Judäa als einem dunklen Weltwinkel verachtet und verborgen lag, begann in allen Völkern und Provinzen Pflege zu finden, so dass unzählige Zungen in Einmütigkeit des Glaubens Gott anriefen. Gottes Sohn sammelte überall seine Gemeinde und richtete seinen Königsthron auf, so dass er sichtbar strahlte vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne. Die Gemeinden selbst, ausgestattet mit unerhörten Geistesgaben, durften nicht nur für sich unvergleichliche Frucht der göttlichen Güte spüren, sondern waren selbst für Blinde eine wunderbare, leuchtende Darstellung seiner Macht. Und obgleich der Sohn Gottes unter dem Kreuze herrschte, so strahlte seine Herrlichkeit gerade in den harten Verfolgungen umso erhabener und waren seine Siege schöner, als wenn die Kirche ruhig und glücklich gewesen wäre. Schließlich kams, dass auch die stolze Hoheit des römischen Reiches sich Christo unterwarf und dadurch ein außerordentlicher Schmuck im Hause Gottes wurde. Doch damit dies Glück nicht unaufhörlich weiter gehe, trat ihm die menschliche Bosheit und Undankbarkeit in den Weg. So wurde die Braut Christi ihres kostbaren Gewandes entkleidet, ihrer Ehre beraubt, um ihren herrlichen Glanz gebracht und zu elender Hässlichkeit entstellt. Zwar erhielt der Herr stets einige Reste wie im Versteck, aber was die äußere Gestalt der Kirche anging, so sah man jahrhunderte lang nichts als große, wirre Verwüstung. Und auch heute sehen wir den Antichrist in Rom weit und breit das Heiligtum in frevler Tyrannei besetzt halten und, was Gottes war, zerreißen und unter die Füße treten. Denn wenn die reine Lehre durch wunderliche Irrlehren verderbt ist, der rechte Gottesdienst verschwunden ist und zahllose Götzendienereien dafür aufgekommen sind, wenn aus dem rechten Kirchenregiment eine gräuliche Mördergrube geworden ist, wenn die Sakramente teils durch krasse Verderbnisse entstellt, teils zum Gegenstand eines schmutzigen Jahrmarkts geworden sind, was ist da außer traurigen Trümmern noch übrig von der wahren, echten Schönheit des geistigen Baus?
Und nun hat der Herr in unsrer Zeit wider aller Erwarten begonnen, wieder aufzurichten, was eingestürzt war, damit sich wenigstens wieder eine Art Rohbau des wahren Tempels erhebe, in dem rein nach dem Gebot des Evangeliums angebetet wird. Ein paar Menschlein aus dem gewöhnlichen Volk, die aber mit aufrichtiger Lehre dies Werk fördern sollten, hat er sich als Baumeister erwählt. Ein schweres, ungeheures Werk, auch wenn der Satan es nicht störte. Da dieser nun aber, sobald sich ein Teil des Baus erhob, alle Mittel in Bewegung setzte, ihn zu zerstören, ists da zu verwundern, wenn wir nur mit geringem, langsamem Erfolg viel und unter Sorgen schwitzen müssen? So hochmütig verachten uns die großen Riesen, als hieße die Tyrannei des römischen Stuhls ins Wanken zu bringen nichts anderes, als den Berg Olympos aus seinen Grundfesten reißen zu wollen. Schlaue Leute aber mit besonderer Spürnase, (so kommts ihnen wenigstens vor), bespötteln und belächeln unsern Eifer, weil wir so sehr an der Wiederherstellung des rechten kirchlichen Zustands arbeiten, als ob sich da etwas Sicheres, Festes finden ließe. Jene Hochmütigen nämlich halten sich für so wohl gegründet und gesichert, dass sie meinen, es sei nicht leichter, das Papsttum zu zerstören, als Himmel und Erde zusammenzubringen. Diese Spötter aber denken anders: weil die Schlechtigkeit der Welt zu groß sei, als dass sie sich zügeln lasse, so, meinen sie, sei es unsinnig von uns gehandelt, wenn wir die Fehler bessern und eine reine, ehrliche Verwaltung der Kirche haben wollen. Bekannt ist des Erasmus [von Rotterdam] Wort: Wie stellt sich denn Capito seinen zehnten Nachfolger vor? Nämlich er konnte nicht leugnen, dass Wolfgang Capito ein frommer Mann sei und mit heiligem Eifer eine Reinigung der Kirche erstrebe; aber weil er überzeugt war, die Diener Christi kämpften gegen die Bosheit der Welt ebenso vergeblich, wie wenn sie das Wasser aufwärts fließen lassen wollten, (wie es die müßigen Philosophen tun!) so verurteilte er uns alle in diesem einen Mann ob unseres unbedachten Eifers. Aber beide irren gewaltig, weil sie nicht bedenken, dass wir im Wiederaufbau der zertrümmerten Kirche dem Herrn die Hilfe, die er will und fordert, nur in der Weise leisten, dass doch die Reformation der Kirche sein eigenes unerschütterliches Werk ist. Das wird uns ja nicht grundlos durch die ganze Schrift bezeugt, noch umsonst durch den Propheten Jesaja so nachdrücklich eingeschärft. Dieser Lehre eingedenk, zögern wir nicht, ein Werk, das weit über unsre Kraft geht, im Vertrauen auf Gottes Schutz zu unternehmen, und keine Schwierigkeit vermag uns zu brechen oder zu erweichen, dass wir das Begonnene ließen.
Und dich, vortrefflicher König, rufe ich hier nun mit Namen auf, ja Gott selbst ruft dir zu durch den Mund seines Knechtes Jesaja, du mögest fortfahren, alle Kraft und Macht, die du hast, an die Förderung dessen, was in deinem Reich so glücklich begonnen, zu setzen, an die Reformation der Kirche. Dass das für das Königreich, an dessen Spitze du gestellt bist, deine erste Pflicht ist, hörst und liesest du täglich. Besonders Jesaja, der die Könige die Pfleger der Kirche [49, 23] nennt, will nicht haben, dass deine Hilfe der Kirche, die so kläglich steht, fehle; es darf dein Herz nicht wenig rühren, welches Wehe der Prophet allen Königen und Völkern zuruft, die die Kirche um ihre Hilfe betrogen. Was die Not der Zeit erfordert, das erkennt deine Majestät deutlich. Auch wenn du trotz eifriger Bemühung nicht viel ausrichtetest, dürfte dich doch gar kein noch so großer Misserfolg von deinem Vorsatz abbringen, weil du weißt, dass das ein Gott wohlgefälliger Dienst und ein wohlriechendes Opfer ist. Nun aber, da Gott dich zu eifrigem Handeln mahnt und zugleich dir auch Erfolg verheißt, warum solltest du da seinem Ruf nicht fröhlich folgen? Jesaja, unser Prophet, ruft irgendwo: Machet Bahn, machet Bahn, räumet den Weg, hebet die Anstöße aus dem Wege meines Volkes! [Jes. 57, 14] Wie hoffnungslos die Heimkehr aus der Verbannung ins Vaterland für die Gefangenen schien, ist bekannt genug. Denn es war das damals noch nicht geschehen, sondern, weil der Prophet im Geist voraussah, was die Nachkommen erst später tatsächlich erlebten, so sagt er es früh heraus, - damit kein Frommer sich entmutigen lasse durch das traurige Schauspiel, - nichts sei so von Hindernissen versperrt und verschlossen, dass der Herr sich nicht doch noch den Weg hindurch bahne zur Befreiung der Kirche. An keinen geringeren Trost müssen wir uns heute aufrichten. Dass du aber, edelster König, in deiner Stellung kräftig aufgerufen wirst, ist wohl der Mühe wert, da Jesaja alle Könige und Obrigkeiten in der Person des Cyrus auffordert, sie sollten der ringenden Kirche zur Wiedererlangung ihres frühern Zustands die Hand bieten. Freilich ist deine Lage von der des Cyrus darin verschieden, dass er, ein Fremder für die Herde des Herrn, nie sozusagen von Berufswegen dazu angehalten war, sich freiwillig von Herzen der Kirche als Beschützer anzubieten und zu bewähren; dich aber, den der Herr nicht nur gewürdigt hat, sein Kind zu werden, sondern auch unter seinen Kindern an die erste Stelle gesetzt hat, dich ruft der Prophet mit erhobenem Arm zu dieser Aufgabe. Mit umso größerm Vertrauen und umso heißerm Eifer musst du deshalb, hochherziger König, in deinem Lauf fortfahren. Die Sache ist zwar, wie gesagt, voll großer Schwierigkeiten und mit noch größerer Verdrießlichkeit verknüpft, ja mit Gefahren verbunden, weil der Satan nicht aufhört, unzählbare Ränke anzuwenden, ob er Gottes heiligen Tempel zum Einsturz oder doch ins Wanken bringen könne. Zuweilen will auch Gott unsere Beharrlichkeit mit solchen Erfahrungen auf die Probe stellen. Aber wenn du nur daran festhältst, dass du samt deinen vorzüglichen Ratgebern in der Kirchenreformation nichts begonnen hast oder jetzt ausführst, was nicht auf Gottes Gebot geschähe, so wirst du ohne Zweifel erfahren, wie wunderbar er alles durchführt, was er seinen Dienern geboten hat. Unvergleichliche Frucht wird England aus deinem Vorgehen davontragen; wir werden dich und dein Reich beglückwünschen können. Unterdessen will ich, wie sichs ziemt, mit meinem Gebet, da ich nichts Besseres habe, deinem heiligen Unternehmen beistehen.
Lebwohl, gnädigster König. Der Herr bewahre deine Majestät recht lange in Kraft, er stehe dir bei, leite dich mit seinem Geiste und segne dich in allen Dingen. Amen.
Genf, 24. Dezember 1550.