Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 8. Sonntag nach Trinitatis.
1541.
Matth. 7, 15-23.
Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen, oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht Alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden Viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, weicht Alle von mir, ihr Übeltäter!
Nachdem Christus in der langen Predigt, die er auf einem Berge gehalten hat, den wahren Sinn des göttlichen Gesetzes erklärt hatte, ermahnt er uns nun in diesem Abschnitt, den wir verlesen haben, uns vor den falschen Propheten vorzusehen, d. i. vor denen, die etwas von seiner Lehre Verschiedenes lehren, und das Gesetz anders auslegen. Denn die Religionslehre ist nicht wandelbar, sondern ist Eine, wahre und durchgängig mit sich übereinstimmende Lehre. An einem Orte zwar sind diese, an einem anderen jene bürgerliche Gesetze, und ein Jeder muss sich den Gesetzen des Staates fügen, in welchem er lebt; ist er jedoch in einen anderen Staat gekommen, so muss er dort die Ordnungen des früheren Staates aufgeben und nach der Ordnung des jeweiligen Leben. Es ist aber nicht erlaubt, dasselbe zu tun bei der Lehre der Religion; denn Eine Lehre der Religion ist die wahre, die man festhalten muss, wohin man kommt, und wir sollen uns nicht umtreiben lassen von jeglichem Wind der Lehre. Wie also die wahrhaftigen Lehrer immerdar zu hören sind und ihre Lehre immerdar festzuhalten ist, so sind die falschen Propheten oder Lehrer immerdar zu fliehen und zu meiden.
So nun Christus im heutigen Evangelio ermahnt, uns vorzusehen vor den falschen Propheten tadelt er erstlich diejenigen, welche das Evangelium oder die wahrhaftige Lehre der Religion nicht eher im Glauben annehmen wollen, als bis Einigkeit in der Religion öffentlich bekannt gemacht werde. Es gibt nämlich Leute, welche offen aussagen, dass sie öffentliche Einigkeit erwarten und dass sie danach das Evangelium annehmen würden, das jetzt gepredigt wird; allein diese sind die tadelnswertesten als Vernachlässiger ihres eigenen Heils. Denn es hat niemals um die menschlichen Verhältnisse so gut gestanden, dass es öffentliche Einigkeit der wahren Religion unter den Menschen gegeben hätte. Der Satan nämlich, welcher stets ein Feind jedes menschlichen Heiles ist, pflegte immerdar Widersacher und Verstörer der wahren Religion zu erwecken, und zwar nicht nur äußere, sondern auch innere, im Volke Gottes selbst. Das meint auch Christus in dem Gleichnis vom Unkraut (Matth. 13,24-30): Der Hausvater sät guten Samen, da aber die Leute schliefen, säte der Feind Unkraut zwischen den Weizen. Im Anfang des Erdkreises hat der Satan den Kain wider den Abel erweckt; wegen der Religion nämlich hat Kain den Abel getötet. Wider Mosen hat der Satan den Jannes und Jambres erweckt (2. Tim. 3,8). Wie viel Widersacher und falsche Propheten er aber gegen die wahren Propheten und gegen die Apostel Christi, und nachher Ketzer wider die evangelische Wahrheit erweckt hat, das ist zu augenscheinlich, als dass es hier weitläufiger besprochen zu werden brauchte. Niemals also hat es öffentliche Einigkeit in der wahren Religion gegeben, und wird sie niemals geben.
Was ist nur der Grund, dass Gott vor dem Satan die Augen schließt und zulässt, dass falsche Propheten unter den wahren aufstehen? Gott zwar ist sehr gut, das Ärgernis aber, das aus verschiedener Lehre der Religion bei den Ungläubigen und Schwachen entsteht, ist sehr schlimm. Der so gute Gott würde daher das so Schlimme nicht zulassen, wüsste und vermöchte er nicht dadurch außerordentlich Gutes zu bewirken. Was ist nun jenes Gute, das Gott durch dieses Schlimme bewirkt? Das eben, dass er unsere Schlaffheit aufschreckt, und uns daran gewöhnt, nur das Wort Gottes und nicht die Personen der Menschen zu beachten. Die Menschen sorgen nämlich von Natur mehr für das Leibliche, als für die Religion, und pflegen die Personen mehr zu bewundern, als die Wahrheit. Wie aber Gott zwischen dem Weizen Dornen, Disteln und Unkraut wachsen lässt, um den Menschen zu beschäftigen, dass er nicht erschlaffe: so lässt er falsche Propheten erstehen unter den wahren, um uns zur Erkenntnis der wahren Glaubenssätze der Religion zu ermuntern, und lässt nicht nur falsche Propheten irren, sondern bisweilen auch wahre Propheten und Apostel fallen. Siehe David an, welcher der erhabenste Prophet war und dennoch aufs schmählichste fällt. Siehe auch den Apostel Petrus an, welcher, bevor und nachdem er den Heiligen Geist empfangen hat, schnöde fällt, wie man Gal. 2,11-15 findet. Gott hat aber solche Fälle zugelassen, damit wir unsere Augen nicht auf die Personen, sondern auf das offenbarte und bestätigte Wort Gottes selber richten lernten. Deshalb muss Jedermann notwendig die Wahrheit des Wortes Gottes erkennen, um zwischen den wahren und den falschen Lehrern unterscheiden zu können und nicht von den Personen der Menschen abzuhängen, wie heilig und groß sie auch sein mögen.
Zweitens, wenn uns Christus gebeut, uns vorzusehen vor den falschen Propheten, so wappnet er unser Gewissen wider Ärgernis. Schwache denken nämlich: Solltest du etwa mehr Einsicht haben, als so große und so gelehrte Männer? So zwingt uns auch zu dieser Zeit das Evangelium Christi, von den römischen Päpsten und Bischöfen abzufallen; das erscheint nicht nur schwer, sondern auch seelenverderblich. Sie wollen nämlich die Kirche sein, und sagen: wer von ihnen abfalle, der falle von der Kirche ab, außer welcher kein Heil ist. Christus aber befreit uns von solchem Ärgernis und befiehlt uns beredt, uns vorzusehen vor den falschen Propheten. Gott (sagt Paulus) sieht die Person des Menschen nicht an. Gott will zwar, dass es einen Unterschied unter den Personen der Menschen gebe, will aber nicht, dass wir wegen der Person eines Menschen von der Wahrheit des Wortes Gottes abfallen. Ein Engel ist eine sehr würdige Person, so zu sagen; wäre aber ein Engel ein falscher Prophet, so will Gott, dass wir uns vor Jenem vorsehen. Ein Apostel ist eine angesehene Person; lehrt aber ein Apostel Verkehrtes, so gebietet uns Gott, uns vor Jenem vorzusehen. Wie sie sonst gewesen sind (sagt Paulus), geht mich nichts an, Gott nimmt die Person des Menschen nicht an. So sind ein Papst, ein Bischof, ein Kaiser, ein König, ein Fürst die erhabensten Personen auf Erden, befehlen sie aber gottlose Dinge und heißen das Evangelium Christi verleugnen, so müssen wir uns vor ihnen vorsehen.
Was soll ich also tun? sagst du; wie soll ich einen falschen Propheten unterscheiden von einem wahren? wie erkenne ich den Unterschied der falschen Lehre und der wahren? Christus hat einige Kennzeichen der falschen Lehrer aufgestellt und heißt uns indessen fleißig die Lehre kennen lernen, welche von ihm und seinen Aposteln durch Wunder bestätigt ist; so nämlich wird man einen falschen Propheten von einem wahren unterscheiden. Eine jede falsche Lehre hat ihre Kennzeichen und Früchte. Von den Kennzeichen der falschen Propheten nun, welche das Gesetz falsch auslegen, sagt Christus also: Sie kommen in Schafskleidern zu euch, inwendig aber sind sie reißende Wölfe; und an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, wie ein Baum an seinen Früchten erkannt wird. Welches sind also die Früchte der falschen Propheten? Christus redet nicht hauptsächlich von den Werken der falschen Propheten, weil sie zuweilen dem äußeren Anscheine nach ein besseres Leben führen, als die wahren Lehrer; auch unter den Aposteln wirst du Sünder finden. Er redet aber von den Früchten der Lehre der falschen Propheten, d. h. welche Früchte ihre Lehre hervorbringt in denen, die ihrer Lehre Folge leisten.
Als erstes Kennzeichen nun, welches Christus in dieser seiner Predigt angibt, ist obenan gestellt (Matth. 5,19): „Wer Eins von diesen kleinsten Geboten auflöst, und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich.“ Denn die da lehren, dass die Menschen dem Gesetze durch äußere Werke genugtun, wie die Pharisäer lehrten, die haben das offenbare Kennzeichen, dass sie falsche Propheten sind. Diese Lehre bringt die ärgsten Früchte hervor, nämlich fleischliche Sicherheit, Vertrauen auf eigene Verdienste, Verachtung Christi usw. Das zweite Kennzeichen steht Luk. 17,23: „Sie werden zu euch sagen: Siehe hier, siehe da.“ Diese falschen Propheten, von denen Christus predigt, lehrten ja, das Reich Christi würde fleischlich sein, und versprachen dem Volke äußerliche Freiheit rc. Die Frucht dieser Lehre war Aufruhr, Totschlag, Blutvergießen, weil die falschen Propheten, welche sich rühmten, Christus zu sein, Empörungen wider die rechtmäßige Obrigkeit erregten und in Folge davon Blutvergießen und Totschlag. Das dritte Kennzeichen beschreibt Paulus 1. Tim. 4,1-3. Solche Kennzeichen sind eben Verbot der Ehe und Enthaltung von Speisen oder von Fleisch. Wer sind die, welche Solches verboten haben? Nicht nur jene alten Ketzer, sondern vielmehr das ganze Papsttum. Sie haben nämlich die Ehe den Priestern verboten und, soviel sie selber angeht, die ganze Ehe verdammt. In Betreff der Speisen ist offenbar, was sie gelehrt haben. Die Früchte solcher Lehre sind Ehebruch, Hurerei, Weichlichkeit, Unzucht und andere gräuliche Verbrechen, desgleichen Saufen und Trunkenheit. Es haben aber die einzelnen falschen Propheten. ihre eigenen Kennzeichen, wovon hier nicht der Ort ist zu reden, sondern zufrieden mit den Kennzeichen, welche Christus und Paulus angezeigt haben, und dadurch bewogen, lasst uns die falschen Propheten meiden.
Zuletzt wird hinzugefügt: „Es werden nicht Alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ Hier wird ganzer Gehorsam gegen das Gesetz gefordert, und, so dieser nicht gleistet werden kann, müssen wir zu Christo unsere Zuflucht nehmen, auf dass wir in ihm die Erfüllung des Gesetzes haben. Amen.