Brenz, Johannes - Dritter Advents-Sonntag.
1541.
Matth. 11,2-10.
Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zween, und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin, und sagt Johanni wieder, was ihr seht und hört; die Blinden sehen, und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Da die hingingen, fing Jesus an zu reden zu dem Volk von Johannes: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häuser. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist als ein Prophet. Denn dieser ist's, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.
An den vergangenen Sonntagen haben wir geredet von der zwiefachen Zukunft Christi; die eine hat in Erniedrigung und am Kreuz stattgefunden, die andere soll in Herrlichkeit und Majestät eintreten. Nun haben zwar die entweder niedrige oder herrliche Zukunft des Messias diejenigen niemals bezweifelt, welche den Propheten Glauben geschenkt haben. Denn die Propheten sagen ganz deutlich, der Messias werde Anfangs so kommen, dass er kaum erkannt werde, danach aber in großer Majestät erscheinen. Wer jedoch der Messias, welches die Person des Messias oder Christus sei: darüber ist unter den Juden immer großer Streit gewesen. Daher werden wir am heutigen Tage aus dem Evangelium darlegen müssen, dass jener von Maria unter Augustus im Städtlein Bethlehem geborene, danach in Nazareth erzogene und unter Pontius Pilatus gekreuzigte Jesus allein der wahre Christus oder der Messias ist, von welchem die Propheten geweissagt haben, und welcher einmal niedrig im Fleisch gekommen ist, sodann aber kommen wird in großer Herrlichkeit, um zu richten die Lebendigen und die Toten.
Das aber scheint eine müßige und überflüssige Rede zu sein unter Christen, die, wie sie sagen, alle glauben, Jesus, Marias Sohn, sei der wahre Christus oder Messias, der in Majestät wiederkehren werde. Und doch zeigt sich in der Tat ganz etwas Anderes, als man mit den Worten aussagt. Denn schamlos sündigt noch der größte Teil der Menschen unter den Christen und führt das verderbteste Leben. Ich rede nicht von der Erbsünde, der alle Menschen, und wären sie noch so fromm, unterworfen sind, sondern von den äußerlichen Sünden und Lastern, wodurch die Menge der Menschen besudelt ist. Nun erkennen aber Diejenigen, welche Lastern frönen und ihr Leben ohne Reue in Lastern hinbringen, Jesum Christum nicht an, ob sie es gleich mit Worten aussagen. Denn Johannes sagt (1. Joh. 2,3.4): „An Dem merken wir, dass wir ihn kennen, so wir seine Gebote halten. Wer da sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in solchem ist keine Wahrheit.“ Und wiederum (1. Joh. 3,6): „Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer da sündigt, der hat ihn nicht gesehen, noch erkannt.“ Und Christus selber sagt (Joh. 16,3): Solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater, noch mich erkennen.“ Da also die größte Menschenmenge unter den Christen auf Sünden und Laster bedacht ist, so ist das ein klarer Beweis, dass sie diesen Jesus noch nicht als ihren wahrhaftigen Messias anerkennen und weder glauben, er sei gekommen, noch glauben, er werde kommen. Und eben deshalb ist durchaus notwendig, dass mit Fleiß aus dem Evangelium nachgewiesen werde, er sei der wahre Messias, damit Jene ihn anerkennen und zur Besinnung kommen.
Wohlan denn, Lasst uns die Behandlung derjenigen Beweise in Bezug auf den Messias vornehmen, welche das heutige Evangelium darbietet. Indem die Propheten verkündigt haben, Christus werde Anfangs in Niedrigkeit kommen, haben sie zwei bestimmte Merkmale und Zeugnisse hinzugefügt, woran er könne erkannt werden. Das eine ist Elias. Maleachi nämlich spricht (3,1): „Siehe ich will meinen Engel senden, der vor mir her den Weg bereiten soll.“ Und ferner (4,5.6): „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elias, ehe denn kommt der große und schreckliche Tag des Herrn; der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern, und das Herz der Kinder zu ihren Vätern.“ Diesem Ausspruch zufolge war es eine unter den Juden weitverbreitete Meinung, Elias werde vor dem Messias kommen. Diesen Ausspruch des Maleachi erklären Etliche in Bezug auf die zweite Zukunft Christi, vor welcher der Elias, der unter Ahab in feurigem Wagen gen Himmel empor geführt worden ist, kommen, alle Juden zu Christo bekehren und die Gottlosigkeit des Widerchrists zeigen werde. Etliche setzen auch hinzu: Henoch werde mit Elias kommen; aber es ist offenbar, dass der Prophet von der ersten Zukunft Christi redet. Obgleich es nämlich für Gott möglich ist, nicht nur den Elias und den Henoch vor dem jüngsten Tage wieder zu uns zu senden, sondern auch viele andere Heilige zur Predigt des Evangeliums Christi von den Toten zu erwecken, so ist dieses uns doch nicht in der Schrift offenbart. Und was Christus (Matth. 17,11) sagt: Elias soll kommen, das weissagt er nicht von der Zukunft jenes Elias, der unter Ahab gelebt hat, sondern erweist damit den Satz der Schriftgelehrten, in dem Sinne: Diese haben es mit Recht gesagt; Elias wird kommen. Was sie daher als zukünftig bezeichnen, das bezeichne ich jetzt als erfüllt, weil der Elias, von welchem Maleachi schreibt, bereits gekommen ist. Der Elias jedoch, welcher Christo den Weg bereiten soll, und von welchem der Prophet Maleachi geweissagt hat, ist Johannes der Täufer; denn also legt es der Engel Gabriel (Luk. 1,17) aus: „Er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft des Elias, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern“ rc. Und Christus selbst spricht in dem heutigen Evangelium: „Dieser ist's, von dem geschrieben steht: Siehe! ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.“ Und nachher (Matth. 17,12): „Ich sage euch: Es ist Elias schon gekommen, und sie haben ihn nicht erkannt.“ Die Sache selbst indessen zeigt, dieser sei der Elias, von welchem der Prophet Maleachi geweissagt hat. Derselbe sagt nämlich: „Elias werde die Herzen der Väter zu den Kindern, und die Herzen der Kinder zu den Vätern bekehren,“ d. h., die wahre Religion der Väter predigen, dass die Kinder, welche der väterlichen Religion entfremdet waren, zu derselben zurückkehren würden. Fürwahr, das hat Johannes getan, weil der Väter Religion der Glaube an Christum gewesen ist. Diese Religion haben die späteren Juden nicht gekannt, Johannes aber hat sie wieder an das Tageslicht gebracht. Hat er also erfüllt, was der Prophet von Elias geschrieben hat, so ist offenbar, er sei der wahrhaftige Elias, und kein anderer sei zu erwarten. Nun hat dieser Elias, d. i. Johannes der Täufer, bewiesen, kein Anderer sei als der Messias anzuerkennen, als eben Jesus, Marias Sohn. Er spricht ja: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Und ferner: „Dieser ist's, der nach mir kommen wird, des ich nicht wert bin, dass ich seine Schuhriemen auflöse“ (Joh. 1,29.27.). Dieses Zeugnis aber ist nicht ohne Gewicht; denn Johannes hatte alle Eigenschaften eines glaubwürdigen Zeugen. Zuerst nämlich empfängt er Lob wegen seiner Festigkeit: „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Ein Rohr, das der Wind hin und her weht?“ d. h. Johannes ist der Vollkommenste. Darauf empfängt er Lob wegen seiner Wahrhaftigkeit: „Er ist nicht mit weichen Kleidern angetan,“ d. h. kein Schmeichler. Außerdem empfängt er Lob in Bezug auf den heiligen Geist: „Er ist mehr als ein Prophet.“ Da er nun die Eigenschaften eines glaubwürdigen Zeugen besitzt, und von Jesu gezeugt hat, dass er der wahrhaftige Messias sei, ist in der Tat kein anderer Heiland zu erwarten. Weshalb also, wird man sagen, schickt er seine Jünger zu Jesu, um zu fragen: ob er Der sei, der da kommen soll? Ich antworte: er schickt nicht, weil er es nicht weiß, sondern um seine Jünger zu belehren und sie von sich zu entfernen, damit sie Jesum kennen lernen. Denn was ihn selbst betrifft, hatte er ja zuvor schon denselben getauft und den heiligen Geist auf ihn herabkommen sehen und Zeugnis abgelegt, dass es keinen anderen Christus gäbe. Daran hast du das erste Merkmal und Zeugnis in Bezug auf Jesum, nämlich das des Elias oder Johannes des Täufers. Lasst uns nun auch das zweite hören. Die Propheten nämlich haben nicht bloß gesagt, Elias würde vor dem Messias kommen, sondern dieser würde auch Wunder tun, damit man ihn erkenne. Die Wunder also, die die Jesus getan hat, sind das zweite Merkmal, woran wir, nach dem Geheiß der Propheten, Christum erkennen sollen. Und das ist das Nämliche, was Christus zu den Jüngern des Johannes sagt, weil er zu derselben Stunde Viele geheilt hatte. Er redet deshalb: „Geht hin und sagt dem Johannes wieder, was ihr seht und hört; die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören“ rc. Gleich. als spräche er: Johannes zwar weiß, wer ich bin, hat euch aber euretwegen zu mir gesandt, damit ihr nicht ungläubig seid bei seiner Stimme, mit welcher er von mir gezeugt hat. Lernt denn jetzt von den Taten, dass wahr ist, was Johannes mit Worten verkündigt hat. Er hat geredet, ich sei Christus, und diese seine Rede bestätigen meine Wunder. Wollt ihr nun mir nicht glauben, so glaubt meinen Werken. Denn Jesaias spricht (35,5.6): Wenn der Messias gekommen ist, „alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren werden geöffnet werden; alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch.“ Noch deutlicher jedoch (Jes. 61.1):“Der Geist des Herrn ist über mir, darum hat mich der Herr gesalbt. Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen.“ Das ist das Nämliche, was Christus sagt: „Die Armen hören das Evangelium,“ d. i.: Die Elenden hören die willkommenste und erwünschteste Botschaft. Denn zu der Zeit, als Christus sein Evangelium predigte, gab es keinen Menschen, der nicht Trost und Hilfe in seinem Elend empfangen hätte, wenn er Christum um Hilfe anrief; Niemand hat bei ihm eine Fehlbitte getan. Wer mit Sünden beladen war, hat auf seine Bitte Vergebung der Sünden von ihm erlangt. Wer mit Krankheit beschwert war, ist auf seine Bitte von Christo befreit und wieder gesund gemacht worden. Zwar sind auch Diejenigen elend, die ihren Gläubigern Vieles schulden und nicht im Stande sind zu bezahlen, oder die, welche in Gefängnisse eingeschlossen sind; wir lesen jedoch nicht, dass Christus solche Elende äußerlicher Weise befreit hat. Niemandem hat er äußerliche Schulden erlassen, Niemanden gewaltsam dem Kerker entrissen, nicht einmal Johannes den Täufer. Das ist aber deshalb geschehen, weil Christus nicht gekommen war, um in dieser Welt die Staatsverhältnisse zu stören; er hat dieselben vielmehr bis zu seiner letzten Wiederkunft erhalten wollen. Darum verkündigte er sein Evangelium den Elenden, welchen er ohne Störung der Staatsverhältnisse beistehen konnte. Den elenden Schuldnern und Gefangenen indessen hat er ebenfalls sein Evangelium gepredigt, so dass dieselben, wenn sie auch nicht aus der äußerlichen Gefangenschaft befreit worden sind, dennoch durch ihn wahrhafte Befreiung erlangt haben, nämlich von den Sünden und der ewigen Verdammnis.
So hast du nun das zweite Merkmal oder Zeugnis, dass Jesus der wahre Christus oder Messias sei, und diese zwei Zeugnisse verbindet Christus (Joh. 5,33.36): „Ihr schicktet zu Johannes, und er zeugte von der Wahrheit. Ich aber habe ein größer Zeugnis; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, dass ich sie vollende, dieselbigen Werke, die ich tue, zeugen von mir, dass mich der Vater gesandt habe.“ Das verhält sich denn also: wie es gewiss ist, Jesus sei Christus, ebenso gewiss ist es denn auch, dass er das Himmelreich mit sich auf die Erde gebracht hat; denn Daniel sagt (Dan. 2,44): „Christus werde vom Himmel ein Königreich aufrichten.“ Daher bleibt nur noch übrig, dass wir in dieses Reich eingehen und es annehmen, wir gehen aber durch Sinnesänderung in dasselbe ein. Tut Buße,“ spricht er „,denn das Himmelreich ist nahe herbei gekommen.“ Er schließt ja Keinen aus, der einzugehen begehrt, stößt Keinen zurück, auch den nicht, welcher die größten Sünden begangen hat; denn er spricht: „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu erlösen, sondern die Sünder“ keinen Kranken, denn er spricht: „Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ keinen Greis oder Krüppel, denn es gibt kein Ansehen der Person bei Christo. Allein diejenigen verwirft er, welche nicht in das Reich Gottes eingehen wollen und lieber in ihren Sünden fortfahren, als Buße tun; Solche sind unbußfertig. Daher dürfen wir die Zeit nicht verabsäumen, sondern müssen Buße tun, auf dass wir mit Jesu Christo, dem wahrhaftigen Messias, das Erbe des himmlischen Reiches empfahen. Amen.