Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 24. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 24. Sonntag nach Trinitatis.

1537.

Matth. 9, 18-26.

Da er solches mit ihnen redete, siehe, da kam der Obersten einer, und fiel vor ihm nieder, und sprach: Herr, meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm, und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig. Und Jesus stand auf, und folgte ihm nach, und seine Jünger. Und siehe, ein Weib, das zwölf Jahre den Blutgang gehabt, trat von hinten zu ihm, und rührte seines Kleides Saum an. Denn sie sprach bei sich selbst: Möchte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund. Da wandte sich Jesus um, und sah sie, und sprach: Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und das Weib ward gesund zu derselbigen Stunde. Und als er in des Obersten Haus kam, und sah die Pfeifer und das Getümmel des Volks, sprach er zu ihnen: Weicht! denn das Mägdlein ist nicht tot, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. Als aber das Volk ausgetrieben war, ging er hinein, und ergriff sie bei der Hand; da stand das Mägdlein auf. Und dies Gerücht erscholl in dasselbige ganze Land.

Wir haben bisher viele evangelische Abschnitte erklärt, darin erwähnt wird, was von Christo an Wohltaten Männern erwiesen worden ist. Jetzt aber liegt ein Abschnitt vor, darin zweier Frauen Erwähnung geschieht, welche die größten Wohltaten von Christo erlangt haben, auf dass nicht etwa die Frauen meinen möchten, Christus und das Himmelreich gehöre allein den Männern, und nicht ebenso wohl den Frauen. Obgleich aber in dieser Geschichte hauptsächlich nur der Frauen Erwähnung geschieht, wird sie uns dennoch vorgehalten,

damit die ganze Kirche daraus im wahren Glauben und der [wahren] Religion unterwiesen werde.

Die Sache nun verhält sich also. Christus wird von einem Obersten, Namens Jairus, gebeten, in sein Haus hinabzukommen, und seine eben gestorbene Tochter von den Toten zu erwecken. Als Christus nun unterwegs war, trat ein blutflüssiges Weib hinzu, das zwölf Jahre an seiner Krankheit gelitten hatte, und sein ganzes Vermögen aufgewandt. Da sie sich schämte, ihre Krankheit öffentlich zu gestehen, berührte sie heimlich den Saum seines Kleides, und ward alsobald gesund. Was wollen wir dazu sagen? So wäre es denn heilig und fromm gewesen, den Rock Christi zu dem Zwecke aufzubewahren, dass wir hinpilgerten, um ihn zu besichtigen und bei der Berührung desselben Genesung von unseren Krankheiten zu erlangen, sintemal Christus hinzusetzt: „Dein Glaube hat dir geholfen?“ Sollen wir nun den Rock Christi berühren und glauben, wir würden durch denselben genesen? Werden wir dann zur Einsicht gelangen? Das ist jedoch nicht die Meinung Christi, sondern die Sache verhält sich also.

Christus ist in diese Welt gekommen, niedrig und gering, und wie der Prophet (Jes. 53,3) sagt, der Unwerteste, und dennoch hat er von sich selber so herrliche Dinge geredet, wie niemals über irgend Einen in der ganzen Welt sind gepredigt worden. Er hat öffentlich ausgesprochen: Er sei der von den Propheten geweissagte Messias, er sei Gottes Sohn, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, auf dass Alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Wer aber würde solcher Rede einfältig Glauben schenken, wenn sie nicht durch großes Ansehen bekräftigt würde? Damit nun eine so erhabene Lehre wegen der Niedrigkeit Christi nicht verachtet würde, hat Christus den Leuten seiner Zeit das Kleinod angeboten, dass, wer da wolle, zu ihm kommen und durch ihn Heilung jeglicher Krankheit erlangen könne. Denn er spricht Matth. 11,28 also: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Dieses Wort geht seinem eigentlichen Sinne nach auf diejenigen, welche mit äußerlichen Krankheiten behaftet sind. Er hat aber dieses Kleinod nicht darum angeboten, damit es zu jeder Zeit und in jedem Jahrhundert auf dieser Welt fortdaure, sondern damit zu seiner Zeit die Bedeutung seines Evangeliums mit solchen Wundern als mit himmlischen Siegeln bestätigt würde. Ein Jeglicher also, der zu Christo kam, und durch Bitte oder Berührung kund tat, dass er bei ihm Gesundheit suche, erlangte Gesundheit; nicht als ob menschliche Worte, oder Berührung des Saumes an sich von so großem Gewichte gewesen wären, um durch ihr Verdienst Gesundheit erlangen zu können, auch nicht, als ob sein Rock oder sein Speichel, wodurch dem Blinden sein Gesicht wiedergegeben ward, an sich von so großer Kraft gewesen wäre, um die Wohltat der Gesundheit zu spenden, sondern weil dieses Kleinod zu der Zeit den Leuten dargeboten war, und das öffentliche Wort der Verheißung verkündigt, nämlich: „Kommt her zu mir alle“ rc.

So hatte Mose eine Rute oder einen Stab, der durch den Namen des Herrn also beschaffen war, dass Mose dadurch Wunder tat, bis das Ansehen des Gesetzes bestätigt wurde. Mose nun teilte mit seinem Stabe das rote Meer, und schlug Wasser aus dem Felsen hervor, und tat viel andere Wunder mit seinem Stabe. Und hätte ihn irgend ein Anderer, viel heiliger noch als Mose, in die Hände genommen, zu einer anderen Zeit, ohne Gottes Berufung: so hätte er nicht einmal ein Bächlein dadurch teilen können, geschweige denn das Meer.

4. Mose 21,6 werden feurige Schlangen unter das Volk Israel geschickt, die das Volk so vergiften, dass Viele sterben. Da befiehlt der Herr, eine eherne Schlange als Zeichen aufzurichten, und fügt das Wort der Verheißung hinzu: „Wer gebissen ist, und sieht sie an, der soll leben.“ Und wenn die Gebissenen sie ansahen, wurden sie geheilt. Obwohl nun diese Schlange von den Israeliten aufbewahrt worden ist, hat sie nachher doch Niemanden, der von einer Schlange gebissen wurde, gesund gemacht, weil ihr Dienst in der Wüste aufgehört hat, und sie von Gott nicht dazu bestimmt gewesen ist, Gebissene immer zu heilen.

Apostelg. 5,15 heilt der Schatten des Petrus, Apostelg. 19,12 heilen die Schweißtüchlein und Koller des Paulus Kranke. Und so irgend ein noch Heiligerer dieselben zu dieser Zeit hätte, er würde Niemanden damit heilen, weil er nicht den Beruf der Apostel hätte, zu denen gesagt war: Heilt die Kranken! Mark. 16,17.18: „Die Zeichen, die da folgen werden denen, die da glauben, sind die: In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, mit neuen Zungen reden, Schlangen vertreiben, und so sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird es besser mit ihnen werden.“ Das ist von den Aposteln und den apostolischen Zeiten geredet. Wäre also auch der Rock Christi zu dieser Zeit ganz und unversehrt vorhanden, so würde er doch Niemanden durch seine Berührung von äußerlicher Krankheit heilen, weil er zu dieser Zeit kein Wort der Verheißung [für sich] hat. Es wird auch nicht der Glaube von uns gefordert, dass wir durch Berührung desselben zu genesen glauben, weil uns der Rock zu solchem Zwecke in dieser Zeit nicht von Gott dargeboten ist.

Also geht uns (wird man sagen) dieses Wunder an dem Weibe nichts an? Gewiss gehört es sich in der Art nicht für uns, dass wir nach dem äußerlichen Rocke Christi fragen, und durch ihn äußerliche Genesung erwarten. Allein das geht uns sehr viel an, was durch dieses Wunder bestätigt worden ist; denn wir haben gesagt, Christus habe Wunder getan, um die Lehre seines Evangeliums zu bestätigen. Er hat aber gelehrt, Gott sehe die Personen nicht an, und er habe nicht nur die Männer, sondern auch die Weiber mit Gott versöhnt.

Er hat gelehrt, er sei der wahre Heiland aller Menschen, hat gelehrt, er vergebe die Sünden, errette von Tod und Hölle und gebe die Seligkeit Allen, die an ihn glauben und seinem Rufe folgen. So lasst uns denn von diesem Wunder lernen und unseren Glauben an Christum stärken, damit wir ihm gehorchen. Nachdem Christus übrigens gefühlt hatte, das Weib sei durch die Berührung geheilt, fragt er, wer ihn angerührt habe. Und als seine Jünger es dem Volke schuldgaben, wie Markus sagt, ist Christus nicht damit zufrieden, bis er das Weib hervorzieht und öffentlich beschämt. Das Weib kam nämlich zitternd und bekannte, was ihr geschehen war. Was bezweckt nun Christus damit, dass er das Weib öffentlich beschämt, während er doch am Besten wusste, was geschehen war? Gefällt es ihm, die Leute so zu beschämen? Keineswegs, sondern er legt mit dieser Tatsache seine und Gottes, seines Vaters Gewohnheit bei der Verherrlichung der Menschen dar, und mahnt uns, die Schmach, die Verachtung und Verwerfung, die uns in dieser Welt treffen, gleichmütig im Glauben zu ertragen. Denn es ist Gottes Gewohnheit, dass er Niemanden verherrlicht, es sei denn, dass er ihn zuvor demütige, und sein Wille bei der Demütigung ist, nicht zu verderben, sondern zu erretten und zu verherrlichen. Denn Gott ist seinem Wesen nach eitel Güte und Herrlichkeit, und weiß seinem Wesen nach nichts Anderes zu wirken, als wohlzutun und zu verherrlichen; und er möchte nichts Anderes lieber, als dass er einfach den Menschen wohltun könnte und sie verherrlichen. Allein die Menschen sind zu töricht, zu anmaßend, als dass sie Gottes Wohltaten verstünden. Sie glauben nämlich, von Natur herrlich und ehrbar genug zu sein, während sie doch von Natur ganz in Unehrbarkeit, d. h. in Sünden versunken sind. Damit sie nun Gottes Ehre verstehen lernen und, wie unehrbar sie von Natur sind, wirft sie Gott in Schmach und Verachtung, ehe er sie verherrlicht, und wirft sie nicht in Schmach, um sie zu verderben, sondern nur, um sie zur Herrlichkeit vorzubereiten. So versteht nämlich der beste Zimmermann, was sein Handwerk betrifft, nur zu bauen; und dennoch muss er zuvor die Bäume im Walde fällen und mit der Art behauen. Dies Fällen der Bäume geschieht nicht aus Unwissenheit des Handwerkers, sondern des noch unbearbeiteten Stoffes wegen. Und er fällt die Bäume nicht, dass sie gefällt liegen bleiben, sondern in das Haus hineingebaut werden sollen, so dass dieses Fällen der Bäume nichts Anderes ist, als die Vorbereitung des Stoffes zu einem herrlichen Hausbau. Ebenso findet Gott den Menschen vor als einen zur Herrlichkeit ganz rohen Stoff, ehe er ihn in Schmach wirft, nicht um ihn zu verderben, sondern um den Menschen zur Herrlichkeit vorzubereiten. So ward Joseph in öffentliche Schmach geworfen, weil er als Ehebrecher angeklagt und in den Kerker eingeschlossen ward. Diese Schmach aber war nichts als eine Vorbereitung zu fürstlicher Herrlichkeit. So ward David in die Verbannung getrieben, d. h. in öffentliche Schmach, inzwischen jedoch bereitete Gott ihm das Königtum vor. So ward auch Christus selber in die tiefste Schmach _geworfen; denn obschon er viele Wunder getan und den Ruf des Messias hatte, ward er so verworfen, dass ihn die Kriegsknechte verspotteten, dass er an das Kreuz geheftet und als der Unwerteste daran verhöhnt ward. Allein dies Alles war eine Zurüstung zur höchsten Herrlichkeit. Phil. 2,8.9: „Er ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht.“ So beschämt Christus auch hier das Weiblein, nicht damit sie in der Schmach verbleibe, sondern damit sie verherrlicht werde. Erstlich wird sie Tochter genannt, danach gerühmt wegen ihres Glaubens, endlich als geheilt bezeichnet, und zwar von Christo, vor der ganzen Kirche, ja vor den himmlischen Heerscharen, eine Ehre, die alle Majestät der Könige übertrifft. Trifft also Jemanden in dieser Welt Verachtung, so sei er gutes Muts und verzweifle nicht, sondern lerne erkennen, dass die Verachtung eine Zurüstung zu großer Herrlichkeit ist.

Ferner enthält die Geschichte von dem auferweckten Mägdlein insonderheit viele sehr beachtenswerte Punkte, und es wäre zu weitläufig, diese alle jetzt durchzunehmen. Darum wollen wir nur Eins in aller Kürze behandeln, nämlich dass Christus den Tod mit einer neuen Bezeichnung einen Schlaf nennt. Das Mägdlein war wirklich gestorben; der Oberste hatte gesagt, seine Tochter sei dem Tode nah; seine Knechte verkünden ihm, sie sei tot; das Leichenbegängnis ist bestellt; die Pfeifer, die anstatt der Glocken dienten, waren zugegen. Kurz es ist gewiss, dass das Mägdlein wirklich gestorben ist. Und dennoch dringt Christus mitten durch das Getümmel hindurch, und versichert öffentlich: das Mägdlein sei nicht tot, sondern es schlafe. Also versichert er, der Tod sei ein Schlaf. Eine gar liebliche Bezeichnung, aber wer glaubt es? Die Menge lacht. Darum erweckt Christus die Tote, d. h. er bestätigt durch ein öffentliches Wunder die Wahrheit seines Wortes, dass nämlich der Tod ein Schlaf sei. Ebendasselbe bestätigt er danach durch seine eigene Auferstehung. Einem ehrenhaften Manne glauben wir, wenn er uns von den Sitten eines fernen. Landes erzählt, in welchem er eine Zeit lang geweilt hat. Wie viel mehr müssen wir Christo glauben, der Gottes Sohn ist, in dessen Munde kein Betrug erfunden ist, der selber bis zum dritten Tage im Lande des Todes geweilt und all' seine verborgenen Winkel durchforscht hat! Er also nennt den Tod einen Schlaf. Was ist aber der Schlaf? Gewiss ist er nichts als zuerst Ruhe von allen Mühen, danach Erquickung zum Genuss der zukünftigen Seligkeit. Wie aber Niemand den Schlaf fürchtet, es seien denn Kinder und Trunkene, jene, weil sie die Süßigkeit des Schlafes nicht verstehen, diese, weil sie wissen, morgen werde sie ihr Kopf schmerzen: so scheuet Niemand den Tod, als die Törichten und Unbußfertigen, welche die zukünftige Verdammnis fürchten.

So lasst uns denn lernen, was der Tod ist, und Buße tun, auf dass wir durch den Tod zum Leben kommen in Christo Jesu, unserem Herrn. Amen.

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