Brenz, Johannes - Evangelienpredigten – 19. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten – 19. Sonntag nach Trinitatis.

1537.

Matth. 9,1-8.
Da trat er in das Schiff, und fuhr wieder herüber, und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, Etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denket ihr so Arges in euren Herzen? Welches ist leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben; oder zu sagen: Stehe auf und wandele? Auf dass ihr aber wisset, dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, hebe dein Bette auf, und gehe heim! Und er stand auf, und ging heim. Da das Volk das sah, verwunderte es sich, und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.

In diesem evangelischen Abschnitt über den Gichtbrüchigen sind viel herrliche Dinge beschlossen, welche sehr beachtenswert sind, nämlich über die Natur des Glaubens an Christum und der Liebe gegen den Nächsten. Vier Männer lassen mit großer Mühe und Gefahr den Gichtbrüchigen durch das abgedeckte Dach zu Christo hinab.

Daran beweist sich der größte Glaube und die größte Liebe. Gleicherweise wird uns bei dem Gichtbrüchigen an denen, die ihn tragen, ein Beispiel vorgehalten, wodurch wir belehrt werden, mit wie großer Glaubenssehnsucht wir unsere Kinder zu ihrem Heile Christo darbringen sollen. Wie nämlich der Gichtbrüchige durch seine Krankheit sowohl jedes Vorteils, als auch gewissermaßen des Gefühls beraubt und mehr einem Toten, als einem Lebendigen ähnlich ist, aber wie er auch sein mag, durch die, welche ihn zu Christo bringen, dennoch Heil erlangt: so machen auch unsere Kinder von keinem Vorteil Gebrauch, können auch Niemandes Hilfe durch bestimmte gewisse Bitten anflehen; und muss das, was ihnen gebricht, von uns ergänzt, doch müssen sie von uns in großem Glauben zur Taufe gebracht werden, die das Sakrament Christi ist, auf dass sie das Heil erlangen. Dazu kommt, dass auch bei diesem evangelischen Abschnitt von fremdem Glauben und Fürbitte die Rede zu sein pflegt; denn diese nützt dem Nächsten, jedoch unter der Bedingung, nicht etwa, dass der Nächste ohne Glauben das Heil erlangt, schlechthin durch fremden Glauben. Einem Jeglichen ist zu seinem Heil der eigene Glaube notwendig. Der Gerechte (heißt es) wird seines Glaubens leben, nicht eines fremden; dieser frommt aber, so dass auch für den Nächsten Glaube erreicht werden kann, durch welchen er gleichfalls das Heil erlangen mag. Wie nämlich diesem Gichtbrüchigen die Gesundheit seiner Träger nicht dazu verhalf, dass er ebenfalls umhergehen konnte und Gesundheit besaß, sondern ihm von Nutzen war, dass er konnte zu Christo gebracht werden und daselbst das Heil erlangen: so erlangt Niemand das Heil ohne Glauben, weil der Nächste glaubt und bittet, sondern kann selber durch fremden Glauben eigenen erlangen und also das Heil erlangen.

Solches und viel Anderes noch ist in diesem Evangelio beschlossen, was wir jetzt der Zeit wegen nicht weiter ausführen dürfen. Aber das Hauptstück und der Kern dieses Evangeliums muss behandelt werden. Es lehrt uns nämlich den wahren Grund, dessentwegen Christus in diese Welt gekommen ist; es lehrt uns ferner das wahre Wesen der Wunder, die Christus getan hat; es lehrt uns kürzlich, wie wir die zwei höchsten Güter erlangen können. Das eine derselben ist unter den leiblichen Gütern das höchste, nämlich die Gesundheit des Leibes; das andere ist das höchste unter den geistlichen und himmlischen Dingen, nämlich die Gesundheit der Seele, oder die Vergebung der Sünden; denn das ist die wahre Gesundheit der Seele. Haben wir Solches gelernt, so leuchtet ein, dass wir etwas Großes, das der Mühe wert ist, vollbracht haben.

Zuvörderst, als der Gichtbrüchige vor Christum gelegt ward, sprach er nicht sofort: Stehe auf und wandele! sondern: Dir sind deine Sünden vergeben. Durch dieses Wort bezeichnet er nicht undeutlich, dass er aus einem ganz anderen Grunde in diese Welt gekommen sei, als man gewöhnlich vermeinte. Denn es gibt Leute, die da glauben, er sei gekommen, um in dieser Welt mit äußerlicher Majestät zu herrschen, äußerliches Glück zu stiften, den Armen reich, den Kranken gesund, den Unterdrückten frei zu machen rc. Er sagt aber anderswo: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Hinwiederum gibt es Leute, die da meinen, er sei gekommen als Gesetzgeber, um ein vorzüglicheres und heiligeres Gesetz zu geben, als Mose; allein auch das ist eitel, denn das Gesetz ist zuvor durch Mosen vollkommen gegeben worden. Und ob Christus schon bisweilen das Gesetz lehrt, so lehrt er's doch nicht als Einer, der ein neues Gesetz gäbe, sondern als ein Ausleger des alten Gesetzes, das durch menschliche Überlieferungen verdunkelt war. Was er nämlich Matth. 5 und Luk. 6 lehrt, das ist kein neues Gesetz, sondern das alte, wie es zuvor sowohl von Mose als von den Propheten ausgelegt war. Es gibt auch Leute, welche denken, Christus sei nur gekommen, um uns ein vollkommenes Muster gottseligen Lebens vorzustellen. Nun hat er uns zwar ein Beispiel rechten Lebens vorgestellt, allein wäre er nur aus diesem Grunde gekommen, so würde uns das nichts nützen. Denn was nützt es Einem, der seiner Kräfte beraubt ist, dass ihm ein Wegweiser den Weg zeigt? Was hilft es dem Kranken, dass ihm ein Gesunder ein Beispiel des Gehens gibt? So würde uns, da wir von Natur krank und für gottselige Dinge beinahe erstorben sind, ein fremdes Beispiel nichts nützen, sollte außerdem nichts Anderes hinzukommen.

Aus welchem Grunde ist also Christus in diese Welt gekommen? Diesen Grund bezeichnet er offenbar in diesem Evangelio; denn er spricht zu dem Gichtbrüchigen: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Christus ist nämlich zur Vergebung der Sünden gekommen. Das ist der allerwichtigste Grund, weshalb Christus gekommen ist. Da sagt nun wohl Einer, wenn er Solches gehört hat: So ist er denn nicht gekommen, um ein genusssüchtiges Leben einzuführen, dass, weil er die Sünden vergibt, ein Jeglicher tun darf, was ihm beliebt? Ein Anderer aber spricht: Was ist daran so Großes, dass Christus nur gekommen ist, um die Sünden zu vergeben? Wenn ich hungrig wäre, möchte ich lieber geröstete Eier haben, als Vergebung meiner Sünden. So hätten auch die, welche den Gichtbrüchigen trugen, denken können: Was? Wir fragen nicht hauptsächlich danach, dass ihm die Sünden vergeben werden, sondern dass er Gesundheit erlange. Hier aber müssen wir darauf achten, wie die Vergebung der Sünden keine so geringe und wirkungslose Sache ist, dass sie entweder einem Jeden gestattet, zu tun, was ihm dem Fleische nach beliebt, oder leiblichen Gütern nachgesetzt werden darf. Denn nachdem Christus das Gebot von seinem Vater angenommen hatte, die Menschen zu erretten und ihnen die wahre, ewige Seligkeit zu bringen, fand er keine bessere und geeignetere Weise, das zu vollenden, als die Vergebung der Sünden.

Zuerst nämlich ist zum Heile und zur wahren Seligkeit notwendig, dass wir vor Gott gerecht sind. Wir können aber nicht gerecht sein durch unsere eigene Gerechtigkeit und unsere Werke, weil alle unsere Werke entweder nur Sünden wider Gottes Gesetz sind, oder unvollkommen sind und dem Gesetze nicht genugtun. Christus hat also diesen Weg gefunden, der die Vergebung der Sünden ist, dass wir solche erlangen und vor Gott gerechtfertigt werden. Gott erachtet nämlich diejenigen für Gerechte, welchen Christus ihre Sünden vergeben und seine Gerechtigkeit geschenkt hat. Das heißt: wer an Christum glaubt, der hat Vergebung der Sünden; wo aber Vergebung der Sünden ist, da ist Gerechtigkeit; wo Gerechtigkeit ist, da ist Erfüllung des Gesetzes. Wer also Vergebung der Sünden hat, der wird ebenso beurteilt, als ob er das Gesetz erfüllt hätte.

Zweitens ist zur wahren und ewigen Seligkeit notwendig, dass uns weder Krankheit, noch Armut, noch Tod, noch Hölle, noch irgend ein anderes Unheil drückend sind. Das ist aber unmöglich, so uns die Sünden nicht vergeben sind; denn aus den Sünden ist wie aus einer Wurzel alle Unseligkeit dieser Welt erwachsen. Hätte Adam nicht gesündigt, so hätten auch wir nicht in Adam gesündigt, und dann wären uns weder Armut, noch Krankheit, noch Tod, noch Hölle feind gewesen. Nun aber sind, weil die Sünde in die Welt getreten ist, zugleich mit der Sünde alle Trübsale und Schäden eingetreten. Und dass sich die Sache also verhält, bezeugt Gottes Wort selbst, das zu Adam gesagt ist: Welches Tages du davon isst, wirst du des Todes sterben.“ 5. Mose 28,15 ff.: „Wenn du nicht gehorchen wirst der Stimme des Herrn, deines Gottes, wirst du verflucht sein in deinem Hause“ rc. Und Röm. 6,23: „Der Tod ist der Sünden Sold.“ Da nun Christus die Trübsale, Tod und Hölle vertilgen wollte, hob er ihre Ursache auf, nämlich die Sünde, und vergab sie, auf dass mit der Aufhebung der Ursache auch die Wirkung aufgehoben werde. Denn wie ein Kohlgärtner seinen Garten nicht wohl säubert, wenn er nur die Blätter des Unkrauts abreißt, und die Wurzel in der Erde haften lässt, so wird nämlich das Unkraut immer wieder hervordringen, seinen Garten aber säubern würde, wenn er die Wurzel ausraufte, ob auch die Blätter des Unkrauts im Garten grün zurückblieben: so hatte auch Christus, der beste Gärtner, da er das Unkraut der Trübsale aus der Welt ausjäten wollte, nicht viel Sorge um die äußerlichen Blätter der Trübsale, sondern gab sich Mühe, die Wurzel auszuraufen, d. h. die Sünde zu sühnen. Und er ließ zwar äußerliche Trübsal und den Tod zurück, sie können aber in den Frommen nicht mehr grünen, weil die Wurzel, d. i. die Sünde, hinweggenommen und abgehauen ist. Darum sorgt Christus weitaus am Allerbesten damit für unser Heil, dass er das Eine tat, nämlich die Sünden sühnte und sie uns vergab.

Und dass er Solches getan, das hat er mit seinen Wundern bewiesen. Deshalb fügt er in diesem Evangelio hinzu: „Auf dass ihr aber wisset, dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden, die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, hebe dein Bette auf, und gehe heim!“ Hier muss man das wahre Wesen der Wunder Christi lernen. Christus tut nämlich seine Wunder nicht, um die Volksgunst zu gewinnen, nicht um die Heiligkeit Derer zu bezeugen, denen Genesung zu Teil wird, sondern allein um die Lehre seines Evangeliums zu bestätigen, d. h. dass die Menschen nicht wegen ihrer menschlichen Gerechtigkeit, sondern in ihm Vergebung der Sünden haben. Joh. 5,36: „Die Werke, die mir der Vater gegeben hat, dass ich sie vollende, dieselbigen Werke, die ich tue, zeugen von mir, dass mich der Vater gesandt habe.“

So oft wir also von einem Wunder Christi hören, so oft lasst uns bedenken, dass wir ein himmlisches Zeichen sehen, wodurch uns bestätigt wird, dass wir durch Christum Gerechtigkeit vor Gott haben, und dass alle Trübsale und Schmähungen, Tod und Hölle aufgehoben sind. Und da wir so große Wohltat von Christo empfangen haben, ist es not, uns dankbar zu erzeigen durch Gehorsam in Christo Jesu, unserem Herrn, der da Gott ist, hochgelobt in Ewigkeit. Amen.

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autoren/b/brenz/evangelien_predigten/brenz_evangelienpredigten_19_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von aj
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