Bogatzky, Carl Heinrich von - Nacherinnerung.
Es könnte ja wohl von dem heiligen Vater Unser, oder Gebet des Herrn, noch viel Mehreres gesagt werden, wenn nicht diese Schrift, schon über Vermuthen, viel stärker geworden wäre, als ich zuerst gedacht, da ich, nach der gegebenen Anzeige, nur einen kurzen Anhang zu schreiben mir vorgenommen. Die Materie aber ist so reich, auch so erquicklich, daß ich nicht so bald abbrechen konnte. Und vielleicht kann es manchen Gläubigen dazu dienen, daß sie das heilige Vater Unser noch besser bedenken, und wie auch den Worten nach, noch öfters, so auch mit mehreren: Aufschluß, mit größerem kindlichen Vertrauen und Glauben, und mit immer neuer Kraft zu beten trachten, daß es bei ihnen nicht veralte, sondern je länger, je lieber werde, daß sie es immer besser beten lernen, und die darin liegende Kraft immer mehr ihr Herz belebe und stärke. Denn, wie ein hiesiger, theurer, seliger Lehrer, als er nach seiner langwierigen Krankheit gefragt wurde, was er in der Krankheit gelernt habe, zur Antwort gab: er habe das Vater Unser besser beten lernen; so haben wir Alle wohl nöthig, dieß Gebet aller Gebete noch besser verstehen und beten zu lernen. Und wir haben daher billig die Worte Lutheri zu erwägen, dadurch er uns die Vortrefflichkeit des heiligen Vater Unsers anpreiset, da er unter Anderm im 1. Altenburgischen Theile, S. 77, sagt: „Dieweil dieß Gebet von unserem Herrn seinen Ursprung hat, wird es ohne Zweifel das höchste, edelste und beste Gebet sein. Denn hätte er ein besseres gewußt, der fromme, treue Schulmeister, er würde es uns auch gelehrt haben.
Das soll man also verstehen, nicht daß alle andere Gebete böse sind, die diese Worte nicht haben, denn vor Christi Geburt viel Heilige gebetet haben, die diese Worte nicht gehört haben, sondern daß alle andere Gebete verdächtig sein sollen, die nicht dieses Gebetes Inhalt und Meinung zuvor haben oder begreifen.“
Und im V. Theil heißt es, S. 870: „Es ist aber (das Vater Unser), wie oft gesagt, freilich das allerbeste Gebet, das da auf Erden kommen ist, oder von Jemand erdacht werden mag, weil es Gott der Vater durch seinen Sohn gestellt, und ihm in den Mund gelegt hat, daß wir nicht dürfen zweifeln, daß es ihm aus der Maaßen wohl gefalle. Er vermahnet (erinnert) uns aber bald im Anfang auch beides, seines Gebotes und Verheißung, mit dem Wort, Vater Unser rc., als der von uns solche Ehre fordert, daß wir von ihm sollen bitten, als ein Kind von seinem Vater, und die Zuversicht von uns haben will, daß er uns gerne will geben, was uns Noth ist. So ist auch darin eingeschlossen, daß wir uns rühmen, daß wir seine Kinder sind durch Christum, und also in seinem Gebot und Verheißung, und in des Herrn Christi Namen kommen, und mit aller Zuversicht vor ihn treten“.
Ingleichen sagt er im VI. Theil, S. 472.: „Das ist kurz vom Vater Unser oder Gebet gesagt, wie ich selbst zu beten Pflege, denn ich noch heutiges Tages an dem Pater noster sauge, wie ein Kind, trinke und esse, wie ein alter Mensch, kann sein nicht satt werden, und ist mir auch über den Psalter (den ich doch sehr lieb habe) das allerbeste Gebet. Fürwahr, es findet sich, daß es der rechte Meister gestellt und gelehrt hat, und ist Jammer über Jammer, daß solch' Gebet solches Meisters soll also ohne alle Andacht erplappert und zerklappert werden in aller Welt. Viele beten des Jahres vielleicht etliche Tausend Pater noster, und wenn sie tausend Jahr also sollen beten, so hätten sie doch nicht einen Buchstaben oder Titel davon geschmeckt, noch gebetet. Summa, das Pater noster ist der größeste Märtyrer (sowohl als der Name und Wort Gottes) auf Erden, denn Jedermann plagt's und mißbraucht's; Wenige trösten's und machen's fröhlich in rechtem Brauch.“
Und, wie wir das Amen recht gläubig sprechen, und der Erhörung gewiß sein sollen, schreibt Lutherus im 1. Theil, S. 100.: „Wo dieß Ende (nämlich ein recht gläubiges Amen) nicht ist, da ist weder Anfang noch Mittel des Gebets nütze.“
Also sollte ein Mensch, der da beten will, sich prüfen und erforschen, ob er es auch glaube oder zweifle, daß er erhört werde. Findet er sich, daß er daran zweifelt, oder setzt es in ungewissen Wahn, und wagt es auf Abentheuer, so ist das Gebet nichts, denn er hält sein Herz nicht still, sondern wappelt und schluttert hin und her. Darum kann Gott nichts Gewisses drein geben, gleich als wenig du kannst einem Menschen etwas geben, wenn er die Hand nicht still hält. Und denke doch, wie wollte dir's gefallen, wenn dich Jemand hätte fleißig gebeten, und am Ende spreche er zu dir: Ich glaube aber nicht, daß du mir's gebest, und du hättest es ihm gewiß versprochen; du würdest das Gebet für einen Spott annehmen, und widerrufen Alles, was du versprochen hättest, und vielleicht dazu ihn strafen. Wie soll es denn Gott gefallen, der uns gewiß zusagt, wenn wir bitten, daß wir es haben sollen, und durch unsern Zweifel ihn Lügen strafen, und im Gebet eben wider das Gebet handeln, seine Wahrheit beleidigen, die wir mit dem Gebet anrufen?
Darum heißt das Wörtlein, Amen, wahrlich, fürwahr, gewiß, und ist ein Wort des festen, herzlichen Glaubens, als sprächest du: O, Gott Vater! diese Dinge, die ich gebeten habe, zweifele ich nicht, sie sind gewiß wahr, und werden geschehen, nicht darum, daß ich sie gebeten habe, sondern, daß du sie hast heißen bitten, und gewißlich zugesagt, so bin ich gewiß, daß du, Gott, wahrhaftig bist, kannst nicht lügen. Und also nicht meines Gebetes Würdigkeit, sondern deiner Wahrheit Gewißheit macht mich, daß ich's festiglich glaube, und ist mir nicht Zweifel, es wird ein Amen daraus werden und ein Amen sein (und bleiben).
Hier irren über die Maßen Etliche, die ihr Gebet zunichte machen, und viel mit dem Munde, nimmer mit dem Herzen, beten, darum, daß sie nicht eher wollen glauben, sie seien erhöret, sie wissen oder dünken denn, sie haben würdiglich und wohl gebetet, und bauen also auf sich selbst, auf den Sand, die werden Alle verdammt. Denn ein solches Gebet ist nicht möglich, daß es von ihm selbst genugsam sei und würdig für Gott zu erhören, sondern es muß auf die Wahrheit und Versprechen Gottes sich verlassen. Denn so Gott nicht hätte heißen beten, und Erhörung versprochen, vermöchten alle Creaturen nicht ein Körnlein zu erbitten mit alle ihrem Gebet. Darum schaue darauf. Nicht ist das Gebet gut und recht, das viel ist, andächtig, süß, lang, um zeitlich oder ewig Gut, sondern das fest bauet und trauet, es wird erhöret (wie gering und unwürdig es sei in ihm selbst) um dieß wahrhaftige Gelübde und Versprechen Gottes. Gottes Wort und Verheißen macht dein Gebet gut, nicht deine Andacht. Denn derselbe Glaube, auf seine Worte gegründet, ist auch die rechte Andacht, ohne welche alle andere Andacht lauter Trügerei und Irrthum ist.“
Ingleichen sind auch die Worte eines auswärtigen Lehrers, des bekannten Jean D'Espagne merkwürdig, da er in seinen gesammten Schriften, S. 262, also schreibt: „Nun, zu weisen, warum es eigentlich zu thun sei, so sind wir Nicht eben so sehr an die Buchstaben gebunden, daß wir alle andere Gebete verdammen, oder gar keine andere Worte zulassen sollten, sondern man kann wohl andere Gebeter gebrauchen, aber doch auch dieses nicht unterlassen. Es ist gewiß eine kecke That, daß man das Gedächtniß dieses Gebetes wollte gar vertilgen und abthun; ein Gebet, welches in allen Kirchen und Versammlungen Gottes in der ganzen Welt vor Alters und noch heutiges Tages gebraucht wird; ein Gebet, welches durch die oberste Weisheit, den großen und ewigen Mittler, ist vorgebetet worden, der unser Gebet Gott dem Herrn vorträgt, und den Sinn seines himmlischen Vaters vollkommen erkennet; ein Gebet, so das allervollkommenste ist, das man machen kann, welches alle rechtmäßige Bitten, die man erdenken kann, in sich begreift; ein Gebet, welches ist ein kurzer Begriff, ein Spiegel und Richtschnur aller anderen Gebete; ein Gebet, welches in seiner wunderbaren Kürze so überaus viel und mancherlei Sachen in sich fasset, gleich als wenn ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen sollte; ein Gebet, welches mehr Geschichte und Geheimnisse als Worte in sich begreift; ein Gebet, mit Einem Wort zu sagen, so da ist das allergeordnetste und das allernachdrücklichste, und das allergöttlichste, so man immer machen könnte, denn alle Stücke dieses Gebetes hängen aneinander durch eine wundersame Gleichförmigkeit. Alles ist darin durch Maß und Gleichheit ordentlich abgetheilt; Alles ist darin voller Fackeln, da eine der anderen Licht und Schein gibt. Ein Artikel ruft den andern. Und diese Leute hier gestehen selbsten, daß weder alle Geister der Erde, noch alle Engel des Himmels jemals so geschickt gewesen, dergleichen Eines abzufassen.“
Das Vater Unser, oder Gebet des Herrn desto lieber zu beten, wird uns auch noch Folgendes bewegen können. Wir wissen, daß der vertraute Umgang mit Gott darin besteht, daß wir Gott in seinem Worte reden hören und im Gebet wieder mit ihm reden, und daß auch diese zwei Stücke zu solchem Umgang und zum ganzen Christenthum die besten Mittel sind. Wenn wir nun das heilige Vater Unser beten, so brauchen wir beide Stücke zugleich auf einmal. Denn das Vater Unser hält nicht unsere, sondern Gottes Worte in sich, es hält uns Gottes Befehl und Verheißung vor, und wenn wir es von Herzen beten, so machen wir doch diese Worte zu unseren eigenen Worten und reden mit Gott. Da verbinden wir Gottes Wort und Gebet zusammen, beten immer als auf's Wort, kommen immer mit dem Worte vor Gott, und beten nach seinem Worte, nach seinem Herzen, da Christus es selbst aus seinem Herzen hervorgebracht, und nach dem Herzen seines Vaters eingerichtet, daß es also auch das Herz des Vaters bewegen wird. Und so können wir desto zuversichtlicher beten, und bekommen durch diese Verbindung des Wortes und Gebetes eine kräftige Stärkung oder Förderung im Glauben und ganzen Christenthum.
Je mehr wir also dieß so herrliche Gebet, nach der Vorschrift Christi, beten, je mehr werden wir auch Licht und Leben, und immer neue, frische Kraft erlangen und erfahren, daß es Wahrheit ist, was der selige Hr. Dr. Anton im neunten Theil seiner Harmonie hievon schreibt, da es S. 339 heißt: Es ist gewiß im Vater Unser was recht Unverwelkliches, was immer Frisches und Grünendes. Seelen, die auf sich Achtung geben, werden das auch in der That empfinden, daß sie allezeit was Sonderlich es darin finden, ohne sich dabei vor Aberglauben hüten zu dürfen. Allezeit finden sie Ursach, bei dem Vater Unser stille zu halten, es bei sich zu bedenken, und immer neu zu appliciren, daß sie die Worte des Vater Unsers auf ihre eigene Noth lenken, auf ihr Verlangen lenken. Ach ja! immer auf's Neue! Und das ist kein Aberglaube! ein Unglaube wird es werden, wenn sie es nicht so machen. Eine gewisse Person machte es nun so, sie folgte diesem Rath, betete das Vater Unser öfters als sonst, und mit rechtem Bedacht, und da erfuhr sie eben das, was der selige Mann geschrieben.
Soll man aber bei dem Vater Unser stille halten und Alles wohl bedenken, so wird man sich oft lange dabei aufhalten oder es doch langsam beten müssen, weil in den kurzen Worten so Vieles lieget, das sich auf alle unser Anliegen schicket. Unverständige Menschen aber, die noch nicht im Geist und in der Wahrheit beten, sagen es nur so geschwinde her, nehmen auch wohl gar daher ein Sprichwort und sprechen, wenn sie eine kurze Zeit beschreiben wollen: Es habe so lange gewähret, als man ein Vater Unser betet. Das sind wohl nicht die rechten Beter, die haben das heilige Vater Unser wohl noch nicht so recht bedacht und gebetet. Hiebei erinnere ich mich, daß auch wohl manche gute Gemüther einen Anstoß genommen, wenn sie gehöret, daß selbst auch Prediger das heilige Vater Unser allzu geschwinde gebetet. Wir wollen also Alle zusammen das Gebet des Herrn noch mehr bedenken und ^och besser beten lernen. Und vielleicht segnet dazu der Herr auch diese kurze Erklärung und Betrachtung des Vater Unsers, welches um so viel mehr geschehen könnte, wenn man, nachdem man die sämmtliche Erklärung ein und ander mal gelesen und wohl inne hätte, hernach nur das bei jeder Bitte zuletzt gesetzte Gebet mehrmals betete, da man zu manch“ Zeit, so man sich erwecket fände und Zeit hätte, die Gebete über alle sieben Bitten beten könnte, zu einer andern Zeit aber nur täglich das Gebet über eine Bitte vornähme, den Sonntag aber das Gebet über den Eingang, und den Sonnabend das Gebet über den Beschluß dazu nähme, und also zum wenigsten alle Wochen einmal das Vater Unser mit mehrerm Nachdenken und Anhalten betete. Doch muß freilich Alles in christlicher Freiheit bleiben, und nicht was Gesetzliches oder ein bloßes Formular-Wesen daraus gemacht werden, wie es viele mit den Gebeten auf jeden Tag in der Woche so machen. Der Herr lehre uns selbst überhaupt, und so auch insbesondere das Vater Unser recht beten, daß wir desselben auch nicht satt werden, sondern uns damit bis in den Himmel hinein beten! Das thue er um seines Namens willen, Amen!