Blumhardt, Johann Christoph - Über die Lehre von den Engeln - 8. Gestalt der Engel.
In welcher Art und Gestalt der Engel dem Zacharias sich dargestellt habe, ist nicht gesagt. Aber die äußere Erscheinung glich der eines Menschen. Wenn es von dem Engel am Grabe JEsu heißt (Matth. 28,3): „Seine Gestalt war wie der Blitz“, d. h. blitzartig funkelnd oder zuckend, „und Sein Kleid weiß als der Schnee“, so werden wir's bei andern Erscheinungen doch für gewöhnlich einfacher und dem Menschlichen ähnlicher denken müssen, wie bei den Engeln, die dem Abraham einfach als drei Männer erschienen, denen Gastfreundschaft zu erweisen wäre (1 Mos. 18,2 ff.). Die Bekleidung, wie sie den Augen sich darstellte, mag einer gewöhnlichen entsprechend, bei Zacharias wohl eine priesterliche gewesen sein; denn nicht in dem Äußern sollte das Auffallende liegen. Wenn man aber fragen will, woran ein Zacharias oder sonst jemand den Engel als solchen erkennen konnte, so lag es wohl meist in dem Unerwarteten und Plötzlichen, im scheinbaren Entstehen des Engels vor Augen oder im Herschweben von oben, im Tempel auch im Lichtvollen und Glänzenden, das in der sonstigen Dunkelheit des Orts stärker hervortrat. Zacharias konnte dessen ohnehin gewiss sein, dass es kein Mensch war, weil Niemand in den Tempel treten durfte, und zu treten wagte.
Wenn man etwa über Äußerlichkeiten, wie die der Bekleidung, die doch den Verhältnissen derer, welchen die Erscheinung wurde, angemessen sein musste, sich Gedanken machen wollte, so wird die Einfalt sich schon darein schicken können, wenn sie es auch nicht genügend begreifen kann. Denn dass die Engel nicht so erschienen, wie sie sich vor einander darstellen, ist leicht einzusehen, wiewohl wir andererseits auch das nicht vergessen dürfen, dass Gott bei der Schöpfung des Menschen sprach (1 Mos. 1,26): „Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“, woraus zu ersehen ist, dass ein gewisser Grundtypus besteht, den die Vernunftgeschöpfe Gottes alle gemein haben. Die Möglichkeit aber, sich äußerlich verschieden darzustellen, sollten wir uns bei den Engeln schon in etwas denken können, wenn wir nur der uns vorkommenden Traumgestalten gedenken, da es ist, als ob unser Geist selbst in denselben die so lebhaft vor uns stehenden Äußerlichkeiten bildete und schüfe. So, kann man sagen, bilden sich die Engel, die offenbar in der Kraft des Gottes, der „Alles schaffen kann, was Er will“ (Psalm 115,3), dastehen, nach dem Gedanken und Willen oder Auftrag, den sie haben, ihr Äußeres; oder ihr Gedanke, so oder so sich darstellen zu wollen, wird ein äußeres Bild, das sich für den Menschen, der auch in eine gehobene Stimmung versetzt wird, anschaubar macht. Je und je mag auch das Äußere der Engel gewissermaßen der Reflex des Menschen sein, dem sie erscheinen, so dass dieser sein eigenes Äußeres vor sich sieht, wie Zacharias gleichsam den Reflex seines Priestergewands am Engel sehen mochte. So lässt sich auch hierüber Manches anführen, das uns berechtigt, die Art, wie das Äußere der Engel wird, auf sich beruhen zu lassen, ohne daraus Bedenken gegen Engelerscheinungen überhaupt zu erheben, wie es Viele tun mögen. Bei Allem, was wir nach der Schrift zu glauben angewiesen sind, fehlt uns freilich der eigentliche Durchblick und Einblick; und wie kann das anders sein, wenn wir mit unsern Gedanken in eine übersinnliche Welt, von der wir sonst so sehr getrennt sind, versetzt werden?
Übrigens ist bezüglich der Gestalt der Engel in der Geschichte Stephani das Wort (Apostelg. 6,15) belehrend: „Und sie sahen Sein Angesicht, wie eines Engels Angesicht“. Im Angesichte des Engels lag das Hohe und Göttliche; vom Angesicht aus ging der Eindruck bis in das Tiefste der Seele des Menschen hinab. Im Angesichte strahlte etwas, das nicht gerade blendend war, was unmittelbar gewiss machte, dass man es mit einem Engel zu tun hatte. Es war da etwas von der Herrlichkeit, die auch im Angesichte JEsu strahlte, davon Johannes nachdrücklich sagt (Joh. 1,14): „Wir sahen Seine Herrlichkeit“. Solches aber lenkte von selbst Blicke und Gedanken ab von dem Äußeren, dem gerade das Auffallende fehlen sollte, wenn nicht zugleich auch etwas bildlich darzustellen war, wie öfters bei Hesekiel und Daniel, besonders in der Offenbarung durch Johannes, wo es aber mehr Visionen waren, als was wir Engelerscheinungen nennen.
Wenn den Zacharias ein Schrecken befiel, so war es nicht allein das unerwartete und Schreckhafte der Erscheinung, was erschütterte, sondern auch das Gefühl der Unwürdigkeit, vor solcher Erscheinung zu stehen. Wie ein Petrus erbebte, als ihm beim wunderbaren Fischzug ein Eindruck von der Herrlichkeit Christi wurde, dass er ausrief (Luk. 5,8): „Gehe hinaus von mir, ich bin ein sündiger Mensch“; und wie Manoah, Simsons Vater, nach der Erscheinung des Engels Angst hatte, nun sterben zu müssen, weil er Gott gesehen hätte (Richt. 13,22); so fiel zentnerschwer das Gefühl der Unwürdigkeit auch auf Zacharias. Ebenso sank ein Daniel, „da der Engel mit ihm redete, in eine Ohnmacht zur Erden auf sein Angesicht“ (Dan. 8,17.18); und selbst Johannes, da er die Erscheinung sah, „fiel zu deren Füßen als ein Toter“ (Off. 1,17). Wie kann es auch anders sein, wenn so schnell Göttliches und Menschliches sich berührt? Dieses muss zunächst von Jenem überwältigt werden. Aber nur um so gehobener und göttlicher musste die nachfolgende Stimmung des Menschen werden, welcher der Erscheinung gewürdigt wurde, wenn derselbe durch Gefühle der Angst hindurch zu der sicheren Empfindung einer annähernden Gottesgnade kam, was in der Regel schon durch den schnell folgenden Zuspruch des Engels: „Fürchte dich nicht!“ geschah. Ja, der HErr sei gepriesen, der mit Seiner Herrlichkeit uns schwachen, sündigen Menschen nahe gekommen ist, ohne uns zu zermalmen, und dem auch wir nahen dürfen, ohne uns fürchten zu müssen! Amen.