Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Fünfter Vortrag. - Kampf und Sieg gegen den Widersacher.
Ob wir die Taufe Jesu als die heilige Weihe für sein Amt richtig gefaßt haben, wird sich sofort aus dem, was unmittelbar auf die Taufe in der evangelischen Erzählung folgt, ergeben müssen. Nicht bloß schließt sich der Bericht über die Versuchung Jesu in der Wüste eng an die Erzählung von der Taufe, sondern es wird auch ausdrücklich angemerkt, daß eben derselbe Geist, den er bei der Taufe empfangen hat, ihn in die Wüste geführt hat, um versucht zu werden. Also nicht bloß zeitlich, sondern auch ursächlich stehen Taufe und Versuchung in Verbindung. Ist nun die Taufe Jesu Weihe, so erwarten wir in der Versuchung das erste amtliche Werk Jesu zu sehen. Der erste Anschein ist freilich ganz entgegengesetzt. Da wir in, dem Amte, zu welchem Jesus berufen ist, die wirkende Beziehung zu dem ganzen Volke als etwas Wesentliches erkannt, so scheint es zu einem amtlichen Werke wenig zu stimmen, daß wir Jesum hier in einer tiefen Zurückgezogenheit finden, in einer tieferen noch, als in Nazaret, denn in denjenigen Theilen der Wüste weilt er, wo aller Menschenverkehr aufhörte, er war, wie Marcus sagt, bei den Thieren. Ferner setzt ja die Versuchung offenbar einen Stand der Unbewährtheit voraus, welcher das gerade Gegentheil von der eben empfangenen Kraft und Weihe zu sein scheint. Endlich wird der ganze Zustand Jesu in der Wüste als ein Fasten beschrieben. Dies scheint aber mehr auf die Vorstellung eines Leidens, als auf die Anschauung eines Wirkens zu führen. Indessen wir haben schon einmal bemerkt, daß man auf keinem Geschichtsgebiet sich leichter durch Schein verführen läßt, als auf dem, dessen Betrachtung wir uns hier unterziehen. In der That ist es nur nöthig, jenen Schein scharfer anzusehen, dann löst er sich in das Gegentheil aus. Was zunächst die Absonderung Jesu anlangt, so ist diese nicht eine Wiederholung seiner früheren Verborgenheit, sie ist eben die Verinnerlichung derjenigen Aufgabe, die ihm jetzt übergeben ist. Seine privatliche Existenz schließt damit ab, daß seine individuelle Empfänglichkeit sich in der Auffassung des gesammten nationalen Zustandes vollendet. Durch die Verleihung der amtlichen Geistesfülle ist seine individuelle Empfänglichkeit für das Volk in eine wirkende, das Ganze umfassende Kraft umgesetzt. Je tiefer und umfassender aber eine Kraft nach außen wirken will, desto mehr muß sie sich verinnerlichen und sich in sich selber zusammenfassen. Der Mangel an dieser Verinnerlichung macht sich immer in dem mechanischen Charakter des Wirkens bemerklich, wie wir heut zu Tage auf dem Gebiete der kirchlichen und geistlichen Thätigkeit dies wahrzunehmen leider nur zu viele Gelegenheit haben. Da es nun hier auf die Alles durchdringende und Alles umspannende Wirkung angelangt ist, so werden wir den Anfang dieser Kraftwirkung sehr wohl als eine Verinnerlichung ohne Gleichen, hie eben in jener tiefen vierzigtägigen Einsamkeit ihre Stäte und ihre Darstellung hat, zu denken vermögen. Ja wir können erkennen, wie diese Einsamkeit Jesu in der Wüste genau mit seiner innerlichen Beziehung zu seinem Volke zusammenhängt. Er war durch die Taufe darauf angewiesen und dazu ausgerüstet, auf das ihn umgebende Volk, auf diese vorhandene Gegenwart Israels zu wirken. Diese ganze Gegenwart Israels war nun von Johannes als unrein und damit alle alttestamentliche Heiligung als vergeblich aufgewiesen. Diese Anschauung der Gegenwart drängt nothwendig die Frage auf: wo ruht die Wurzel dieser allgemeinen Verderbtheit? Und diese Frage weist in den Anfang der israelitischen Volksgeschichte zurück. Dieser Anfang ist folgender: Israel ward von Jehova in die Wüste geführt, um dort versucht zu werden, damit Jehova erfahre, was in seinem Herzen sei (s. 5 M. 8,2). Die Wüste ist der Ort, wo der Bann, der seit der Sünde des Menschen auf der Erde lastet, augenscheinlich und handgreiflich zum Vorschein kommt. In der Wüste war daher Israel von den durch die Welt vermittelten Segnungen Gottes abgeschnitten und an Jehovas Macht, Treue und Gnade allein gewiesen. Indem so Gott und Welt für Israel streng geschieden waren, mußte der Zustand der Unklarheit, bei dem es unentschieden bleibt, ob der Mensch sich auf Gott in der Welt oder auf die Welt ohne Gott verläßt, aufhören, und es mußte sich entscheiden, ob das Herz des israelitischen Volkes seinen letzten Ruhepunkt in Gott oder in der Welt hatte. Israel bestand nicht in dieser scharfen Prüfung. Und seitdem ist Nichts geschehen, was diesen ersten großen Riß hätte wieder ausheilen können, im Gegentheil muß der Zustand der allgemeinen Verderbtheit, den Johannes straft, als die Auswirkung jenes ersten Abfalles angesehen werden. Wer also diesen Zustand gründlich und vollständig bessern will, der muß wiederum in diesen ersten verfehlten Zustand zurückgehen, er muß das Werk Israels da wieder aufnehmen, wo es fallen gelassen ist. Darum wird Jesus von dem Geiste, der in der Taufe über ihn gekommen ist, in die Wüste geführt und zwar, um versucht zu werden, wie Israel versucht wurde, damit er in der Versuchung bestehe, um das, was durch den Abfall Israels verloren war, durch seine Bewährung wiederzubringen. Innerhalb der Individualität Jesu, so lange sie für sich bleibt, giebt es natürlich keinen Anhalt für eine versuchende Macht, ganz anders ist es aber, sobald diese Individualität die Aufgabe hat, die Nationalität da, wo sie liegt, zu erfassen und zu verstehen, um dieselbe demnächst aus der Tiefe ihrer Corruption zu der Heiligkeit ihrer göttlichen Bestimmung emporzuheben, welches Alles wir eben als den Sinn des Amtes Jesu Christi erkannt haben. In dieser Lage ist die Versuchung für Jesum nicht bloß möglich, sondern sogar nothwendig, er muß versucht werden in allen Stücken, um die nöthige Hülfe gewähren zu können (s. Hebr. 2,18. 4,15). Nur indem er an sich selbst die Macht erfährt, der Israel dereinst unterlegen ist, kennt er sie und kann von derselben Erlösung gewähren. Es muß demnach die versuchende Macht in sein Bewußtsein eintreten als die Möglichkeit zu sündigen, denn nur so erfährt er diese Macht selber, nur so wird er wirklich und nicht zum Schein versucht. Tritt nun aber die Versuchung mit solcher Macht an ihn heran, so muß es in ihm auch zum Kampfe kommen und nur in dem Kampfe liegt für Jesum die Möglichkeit des Bestehens der Versuchung, die Abwehr und Ueberwindung der Möglichkeit, zu sündigen. Wer also den Kampf leugnet, der kann die Versuchung nicht mehr ernstlich meinen; was gegen Schleiermacher gesagt werden muß, der, obwohl er es mit der Menschlichkeit und Geschichtlichkeit Jesu weit strenger nimmt, als Andere, doch den Gedanken des Kampfes nicht zulassen will, weil er fürchtet, mit einer solchen Annahme die strahlende Krone der Heiligkeit des Sinnes Jesu zu verdunkeln. Diese Furcht ist unverständig, denn der ewige Diamant dieser Krone ist eben der vollkommene Sieg Jesu über die Sünde, welche immerdar und überall von der Schwelle der Möglichkeit in das Reich der Unmöglichkeit zurückgewiesen wird.
Daß er ohne Sünde versucht ist, wird uns eben darum so tröstlich und lehrreich, weil er der Grenze der Sünde so nahe gerückt wurde, daß nur der Kampf die Scheidelinie zeigen konnte. Allerdings ist dieser Kampf eben deshalb ohne Sünde und das gerade Gegentheil der Sünde, wie er sich denn auch in zwei Merkmalen von unserem Kampfe deutlich unterscheidet. Erstlich endet kein Kampf, den Jesus ringt, anders, als mit entschiedenem Siege, und zweitens, so wie er anders endet, als unser Kampf, so ist auch sein Anfang ein anderer. Wir können gar nicht in die Nähe der Sünde kommen, ohne daß es erfahren wird, was Jakobus schreibt: „ein Jeder wird versucht, indem er von seiner eigenen Lust gelocket und gereizet wird“; dieser innere Bundesgenosse der Sünde ist es meistens, was bei uns die Versuchung einleitet, weshalb denn nicht zu verwundern ist, daß der Kampf, der so verrätherisch eingeleitet wird, meistens einen schlechten Ausgang hat. Daß Jesus in die Versuchung und in den Kampf hineingezogen wird, entsteht ihm so wenig von einer inneren Lust, daß es vielmehr eben sein heiliger Wille selber ist, der sein Selbstbewußtsein bis zu dem Grade erweitert, daß er sein Volk, welches er retten will, in seiner Schwachheit und Sündennoth versteht.
Endlich wird in diesem Zusammenhange auch das Fasten in einem anderen Lichte erscheinen, als ein bloß leidentlicher Zustand. Israel ist während der vierzig Jahre, die es in der Wüste zubrachte, nicht von dem Brode der Erde ernährt, sondern empfing dafür Manna vom Himmel. Israel sollte daraus lernen von allem Anfang her, daß der Mensch nicht vom Brode allein lebt. Aber Israels Herz hing zu sehr an der Erde und ihrem dunklen Schatten, um an der himmlischen Speise dauernde Freude zu haben. Wenn Jesus den Anfang Israels wiederherstellen will und zwar zunächst in sich selber, so wird er in dieselbe Versuchung eingehen müssen, um da zu bestehen, wo Israel gefallen ist. Wie Israel vierzig Jahre dem Brode der Erde hat entsagen müssen, so aß Jesus in den vierzig Tagen, die er in der Wüste zubrachte, wie Lukas sagt, Nichts, also nicht einmal die Speise der Wüste, wie Johannes. Dieses Fasten müssen wir uns aber nicht denken als ein leidentliches Verhalten oder als ein? Uebung, die um eines Anderen willen geschieht, vielmehr ist das eben das Bestehen Jesu in der Versuchung, daß dieses Fasten seinen Inhalt in sich selber hat. Auch Mose und Elia haben vierzig Tage und Nächte Nichts genossen, weil sie durch die Nähe der göttlichen Gegenwart über das irdische Bedürfniß hinausgehoben wurden.
So werden wir es uns hier auch zu denken haben, nur beruht hier nicht, wie bei jenen, die stärkende Wunderkraft Gottes in einer gnädigen Herablassung Gottes, sondern diese auch den Leib erhaltende Gemeinschaft Gottes wird eben in jedem Augenblick von dem Menschen Jesus errungen, jedes Entsagen der Welt und der Erde wird ihm zu einer Steigerung des Genießens der göttlichen Gegenwart im Himmel. Und zwar können wir uns auf der sicheren geschichtlichen Grundlage, in welche Jesus hier ohne Vorbehalt eingeht und sich versenkt, von diesem Geheimniß sogar eine bestimmte Vorstellung machen. Israel lebte während der vierzig Jahre von Manna, dieser Verkörperung und Verbildlichung der himmlischen Speise. Die wahre Himmelsspeise, von welcher der Mensch wahrhaft sich nährt, ist, wie die Schrift sagt, das Wort, das aus dem Munde Gottes hervorgeht (s. 5 M. 8, 3). Und weil Israel in dem Manna diese eigentliche Substanz der Gottesspeise nicht erkannte, so murrte es über das Manna und siel in Versuchung. Indem Jesus dem Brode der Erde entsagt, ist seine Speise das Wort Gottes, und wir dürfen nicht zweifeln, daß das Wort Gottes, welches ihn wunderbar erhält, eben das Wort gewesen ist, welches in der Schrift die Geschichte Israels während jener vierzig Jahre erzählt. Dazu ist er ja nämlich in die Wüste geführt, daß er diesen verfehlten und verlorenen Anfang seines Volkes in sich selber wiederherstellen soll. Jenes göttliche Wort der heiligen Schrift sagt nun, worauf es mit der Wüstenführung Israels von Gott abgesehen war, und zugleich, worin sich Israel verfehlt hat, indem es, anstatt an Jehova allein sich zu halten, jedesmal in die Welt ohne Gott sich verstrickte. Die reine und volle Aufnahme dieses göttlichen Wortes in den Grund der Seele ist also die Wiederherstellung jenes Anfanges und eben dies müssen wir uns in Jesu denken und eben dies ist die Speise seines Lebens gewesen, während er allem Genuß der Erde entsagte. Wie wir uns dieses nach der ganzen inneren Sachlage denken müssen, so werden wir auch im weiteren Verlauf unserer Betrachtung den bestimmten Beweis dafür finden.
Wir haben nämlich in dem Bisherigen weder die ganze Tiefe, noch die volle Bestimmtheit der Versuchung Jesu erfaßt. Die Summe der Geschichte der Wüstenführung Israels ist, daß das Volk Gottes, anstatt sich in jeder Versuchung zu Jehova zu erheben und an ihn allein zu halten, oftmals in die Welt zurücksinkt und an der Welt ohne Gott sein Genügen sucht. Dieser Fall Israels weist über sich selbst hinaus und weist uns in den Anfang der Menschengeschichte zurück. Der Fall Israels in der Wüste hat den Fall des Menschen in dem Garten Gottes zur Voraussetzung und muß um so mehr in diesem Lichte des ersten Anfanges erschaut werden, da die Führung Israels, welches sowohl der Knecht als der Sohn Jehovas ist (s. 2 M. 4, 22), darauf angelegt ist, den ersten Fehltritt des Menschen wieder gut zu machen, weshalb auch die Versuchung Israels eben dahin verlegt wird, wohin der Mensch verstoßen wurde, nachdem er die Versuchung im Paradiese nicht bestanden hatte, nämlich an den Ort der Erde, der vorzugsweise unter dem Fluche Gottes liegt. Ist nun aber die Geschichte Israels in der Wüste nicht die Wiederherstellung des gefallenen Menschen, sondern vielmehr ihrem wesentlichen Inhalte nach eine Wiederholung und Folge jenes ersten Falles, so kann auch dieser Abfall Israels nicht wieder gutgemacht werden, ohne daß auf den ersten Fall zurückgegangen wird. In dem Paradiese nun geht die Versuchung und Verführung aus von der Schlange, welche Lügen redet, indem sie Wahrheit und Unwahrheit in einander mischt. Dieses Wort der Lüge aus dem Munde der Schlange wird das Gift, welches den Menschen mordet, und ist somit das gerade Gegentheil von dem Worte, das aus Gottes Munde gehet. Seitdem hat der Vater der Lüge die Gewalt des Todes (s. Hebr. 2,14) und besitzt eine Herrschaft in der Welt, welcher die Menschheit durch Macht der Sünde und Furcht des Todes verknechtet ist; seitdem ist der Widersacher der Fürst der Welt. Demnach kann die Wiederherstellung Israels und seines Falles nicht anders erfolgen, als durch den Sieg über den Fürsten dieser Welt, der durch seine Lüge das Menschengeschlecht vergiftet hat. Deshalb dürfen wir uns auch nicht wundern, daß die Versuchung Jesu in der Wüste von Anfang an als eine Versuchung des Teufels dargestellt wird. Indem Jesus sich in den Anfang der israelitischen Verderbtheit zurückversetzt, ist ihm der Zusammenhang des Abfalles seines Volkes mit dem Anfang aller menschlichen Verderbtheit völlig aufgeschlossen und er weiß sich hier von vornherein dem Widersacher gegenübergestellt. Ebensowenig werden wir uns dann darüber zu verwundern haben, daß die Steigerung und der Schluß der Versuchung darin zum Vorschein kommt, daß der Satan persönlich auf den Kampfplatz tritt und in solcher Correctheit auftritt, wie er niemals vorher sich gezeigt hat und auch niemals später sich zeigen wird. So unzweideutig die heilige Schrift die Existenz eines persönlichen Teufels lehrt und so entschiedenes Gewicht sie auf diese Lehre legt, so unterscheidet sie sich in diesem Punkte wesentlich von der jetzt beliebten Art, die Teufelslehre zu behandeln, welche, indem sie die Existenz des Teufels als ein isoliertes Dogma auffaßt und dasselbe, soweit immer thunlich, allenthalben in den Vordergrund rückt, nur dazu dient, den Einen das Evangelium anstößig zu machen und den Anderen für ihren heidnischen Aberglauben Nahrung zu gewähren. Die heilige Schrift enthüllt das tiefste Geheimniß des Bösen immer nur da und immer nur soweit, wo und wieweit sie die Kraft offenbart, das Böse zu überwinden. Die alte Regel, den Teufel nirgends an die Wand zu malen, welche unsere modernen Diabolologen in ihrem Unverstand immer übertreten, ist aus der heiligen Schrift entnommen. Mit dieser allgemeinen Weise der Schrift steht es nun in vollem Einklang, daß hier, wo es sich um den entscheidenden Kampf und Sieg über den Widersacher von Anfang handelt, das Geheimniß der Bosheit und Lüge in seiner persönlichen Gestalt und Art ohne Rückhalt enthüllt wird, denn in dieser Enthüllung ist eben die Gewähr, daß der Sieg ein völlig entscheidender ist und keine Möglichkeit des Widerstandes hinterläßt.
Gegen das Ende der vierzig Tage empfindet Jesus Hunger. Das natürlich menschliche Gefühl ist nämlich in Jesu nicht erloschen; je mehr das Gefühl der Weltbedürftigkeit durch die Kraft der Gottesgemeinschaft, zu welcher er sich immerdar aus der Welt erhoben hat, zurückgedrängt worden ist, desto stärker kehrt es nun wieder und wir müssen uns das Gefühl des Hungers zu einem hohen Grade gesteigert denken. An dieses augenblickliche, starke, rein natürliche Bedürfniß knüpft der Satan an, indem er Jesu jetzt persönlich gegenübertritt. Wie er dem ersten Menschen den Genuß vorhielt und ihn damit in seine Netze verstrickte, so versuchte er es auch hier. Indessen nicht sowohl eine Wiederholung der ersten Versuchung ist es, sondern, wie es auch das Verhältniß mit sich bringt, eine Steigerung. Bei dem ersten Menschen liegt kein Bedürfniß vor und außerdem besteht das Hemmniß eines ausdrücklichen Verbotes Gottes. Hier ist ein reines Bedürfniß vorhanden und da kein Verbot im Wege ist, so scheint das Bedürfniß zugleich die volle Berechtigung zur Befriedigung zu sein. Genau in diesen Punkt setzt das Versucherwort ein: „bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brod werden.“ Gewiß schließt die Gottessohnschaft, welche Jesu bei der Taufe feierlich zugesprochen ist und deren Bewußtsein ihn auch jetzt durchdringt, die Möglichkeit dieses Wunders ein, und je mehr er sich als Gottes Sohn weiss, desto größer scheint auch das Recht zu sein, das Bedürfniß seines Hungers, in welchem, wie gesagt, Nichts als ein natürliches Gefühl enthalten ist, zu befriedigen. Was ist also im Wege, diesen Rath zu befolgen? Etwa der Umstand, daß er vom Teufel kommt? Aber enthielte dieser Rath an sich nichts Arges und Bedenkliches, so wäre es eine reine Zufälligkeit, ob er von einem Engel oder von einem Teufel kommt. Denken wir Jesum als Individuum für sich, so ist eben gar nichts Verfängliches in jener Zumuthung, aber so dürfen wir Jesum nie denken, wenn wir ihn richtig denken wollen. Auch vor der Taufe hat seine Individualität keinen anderen Sinn und Willen, als zu der Stufe hinanzureifen, auf welcher sie das heilige Organ zur Wiederherstellung Israels und der Menschheit sein soll, und durch die Taufe ist sie eben zu diesem heiligen Organ gemacht und gesetzt und kann und will sich von diesem ihrem allgemeinen Berufe keinen Augenblick mehr lösen. Das ist ja auch der einzige Sinn der Versuchung, in welche Jesus durch den heiligen Geist hineingeführt worden ist und so lange er in dieser Versuchung steht, weiß er, daß es sich für ihn um die volle Wiederherstellung des ersten Anfanges handelt. Er weiß nun ganz deutlich, daß dieser Versuchungsstand für ihn so wenig zu Ende ist, daß es vielmehr in diesem Augenblick recht eigentlich auf die Gutmachung des ersten menschlichen Fehltrittes, des verbotenen Genusses ankommt. In diesem Sinne begegnet er dem Verführungswort des Satans mit einem geschriebenen Gotteswort: „der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern von Allem, was aus dem Munde Gottes kommt.“ Nur dadurch kann das Murren Israels über das himmlische Manna und das Genießen Adams von der verbotenen Frucht wieder gut gemacht werden, daß der Mensch im klaren und bewußten Gegensatz zu der seither eingetretenen Verwirrung, in welcher das Weltliche immer zur Verdunkelung und Verdrängung des Göttlichen für den Menschen ausschlägt, mit Verleugnung und Zurückweisung der weltlichen Vermittelung sich ganz und gar in den überweltlichen göttlichen Grund der Welt, in das Wort des Mundes Gottes wiederzurückstellt und von diesem belebenden Hauch, dem er seine Existenz verdankt, auch die Fristung seiner Existenz in der Welt erwartet. Darum will Jesus von keiner anderen Gottessohnschaft wissen, als welche in seiner Menschheit beschlossen ist, und diese seine Menschheit stellt er auf den allgemeinen Boden des Menschengeschlechtes, welches, nachdem es durch das Wort der Schlange von dem Worte Gottes abgefallen und in die Welt versunken ist, nur dadurch wieder zum Leben gelangt, daß es wiederum aus dem Munde Gottes alles Gute erwartet und empfängt.
Als der Fürst dieser Welt führt der Satan Jesum sodann auf des Tempels Zinne und fordert ihn auf, sich hinabzulassen, indem er ihn auf eine Verheißung der Schrift verweist. Der Teufel versetzt sich in den Gedankenkreis Jesu, mit der Schrift ist er so eben geschlagen, diese seine Waffe will er nun gegen ihn selbst gebrauchen, was sich diejenigen Alle merken mögen, die da meinen, wenn sie einen Bibelspruch für sich anführen können, so sei ihre Sache vollkommen geschützt, denn hier zeigt sich, wie der Kaufmann von Venedig sagt, daß auch der Teufel sich auf die Schrift berufen kann. Freilich meinen nun Andere, wenn die Schrift so gemißbraucht werden könne, so müsse sie in sich wohl dunkel und unzuverlässig sein und man müsse sich deswegen nach einem anderen Halt umsehen, etwa nach der Tradition der Kirche, dem Symbol, den Autoritäten der Vergangenheit und Gegenwart. Und gewöhnlich stehen die, welche die Schrift gebrauchen wie der Teufel, d. h. bruchstücksweise, gar nicht sehr ferne von denen, welche die Schrift für dunkel und unbrauchbar halten, und gar nicht selten sind beide Meinungen in denselben vereint, nur daß die eine bei dieser Gelegenheit zu Tage kommt, die andere bei einer anderen Gelegenheit. Das ausreichende Mittel, beiden Irrthümern zugleich zu entgehen, ist das ganz einfache und. im Grunde selbstverständliche, nämlich der Geist des Verständnisses der Schrift. Dieser Geist des Verständnisses muß vorhanden sein, sonst kann selbstverständlich kein Stück der Schrift gebraucht, noch über ihre Beschaffenheit, ob sie nämlich dunkel oder klar ist, geurtheilt werden. Der Geist des Verständnisses ist aber kein anderer als derselbe, in welchem die Schrift in allen ihren Theilen verfaßt worden ist; dieser Geist faßt jeden Spruch und jedes Stück in seinem Zusammenhange und läßt keine Losreißung eines Theiles aus dem Ganzen zu, und dieser Geist beweist zugleich, daß die Schrift in sich selber klar und licht ist, nämlich in ihrem Zusammenhang. Der Geist des Verständnisses der Schrift erkennt sofort, wenn ein Spruch gemißbraucht wirb, und zwar eben daran erkennt er es, daß er einsieht, derselbe müsse zuvor aus seinem Zusammenhange gerissen werden, ehe er eine solche Anwendung zulasse. Derselbe Geist wird aber auch sofort erkennen, welches derjenige Ort der Schrift sei, welcher sich auf jenen Fall, der unter den gemißbrauchten Spruch gestellt worden war, bezieht. Diesen Geist des Verständnisses finden wir hier bei Jesu. Jesus läßt sich durch den Mißbrauch der Schrift im Munde des Widersachers aus seiner Stellung nicht verdrängen, sondern antwortet ihm abermals mit der Schrift. Es ist aber wohl klar, daß er die eine Schrift der anderen nur entgegensetzen kann, wenn er erkannt hat, daß die, welche er zurückweist, nach ihrem wahren Sinne hier keine Anwendung leide, die andere dagegen in ihrem richtigen Verstande dem gegenwärtigen Falle genau entsprechend sei. Dabei müssen wir nun zuvörderst eingehen auf den Sinn dieser zweiten Zumuthung des Teufels. „Bist du Gottes Sohn,“ spricht er, „so laß dich hinab“; darin ist zwar kein theologischer, wohl aber ein logischer Zusammenhang. Wer Gottes Sohn ist in vollem Sinne des Wortes, wie Jesus ihn in Anspruch nimmt, der muß vom Himmel gekommen sein, wie Jesus auch wirklich von sich oft genug gesagt hat. Diesen himmlischen Ursprung sieht man ihm aber nicht an, denn er ist in allen Aeußerlichkeiten den übrigen Menschen gleich (s. Phil. 2, 8), wie es denn auch lange genug währte, daß Einige an seinen himmlischen Ursprung glaubten, während die Menge hinter der irdischen Hülle nichts Himmlisches zu entdecken vermochte, was auch heute noch gar nicht anders ist. Nun ist aber der Glaube an seinen himmlischen Ursprung die nothwendige Grundlage für Alles, was er in der Welt wirken kann und will, und so lange dieser Glaube nicht da ist, kann auch sein eigentliches Werk gar nicht beginnen. Wenn nun Jesus sich auf dem heiligen Tempelberge von oben herab plötzlich niederläßt, so ist das keineswegs ein täuschender Schein, sondern ein augenscheinlicher, handgreiflicher Beweis seiner göttlichen Sohnschaft, seiner himmlischen Abkunft, und es wäre dies, so scheint es, die allerwirksamste Einleitung seiner göttlichen Thätigkeit. In der That hat es Irrlehrer gegeben, welche sich den Anfang der Thätigkeit Christi als ein solches plötzliches Herabkommen des Sohnes Gottes auf den Menschen Jesus gedacht haben. Und was soll man von den Theologen sagen, die nicht eher irgend Etwas von Jesu lehren können, bevor sie nicht jedesmal ein solches Gerüst von transcendenten Gedanken, welches sie die Construction der Christologie nennen, gebaut haben, und sich sodann von diesem himmlischen Gerüste herniederlassen, um die arme Menschheit und niedrige Geschichte Jesu gehörig verherrlichen zu können? Der Teufel sucht nun seinen Rath, der also, wie wir sehen, einen heiligen Schein für sich hat, durch Berufung auf die göttliche Verheißung des 91. Psalms zu empfehlen. In dieser Verheißung findet sich aber in Beziehung auf den zugesagten wunderbaren Schutz eine Beschränkung: „sie werden dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Diese Beschränkung schließt ein, daß derjenige, welcher sich auf diese Behütung verlassen will, gewiß sein muß, daß die Wege, für welche er dieses Vertrauens bedarf, wirklich auch seine Wege, nämlich die ihm zugewiesenen und befohlenen sind, daß es nicht andere Wege sind, die ihm untersagt sind. Diese Beschränkung läßt der Teufel aus und macht durch diese Verstümmelung den Spruch zu einer Verführung. Die Hauptfrage für Jesum, ob der Weg, den der Versucher ihm zeigt, der rechte ist, entscheidet diese Stelle nicht, daher läßt er sie an ihrem Orte. Er weiß aber aus einer anderen Schrift, daß jener Weg nicht der ihm zugewiesene, nicht der seinige ist, mithin jene Verheißung hier keine Anwendung leidet. Jesus hält dem Versucher entgegen das Wort: „Du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen“ (s. 5 M. 6, 16). Man kann nun freilich nicht sagen, daß dieser Spruch klar und der andere dunkel ist, oder daß dieser Spruch unter allen Umständen anwendbar sei, die Anwendung jenes Spruches besonderen Bedingungen unterworfen sei. Denn nicht bloß der gottlose König Ahas hat dieses Verbot des Gottesversuchens heuchlerisch gemißbraucht (s. Jes. 7, 12), sondern er wird noch alle Tage von der Glaubensträgheit mit und ohne Wissen gemißbraucht. Also nicht auf äußerliche mechanische Weise ist Jesus der Anwendung dieses Schriftwortes auf den gegenwärtigen Fall sicher, sondern lediglich in dem Geiste des Verständnisses, der ihm zeigt, daß der ursprüngliche Sinn und Zusammenhang dieser Worte auf eben den Fall gehen, der hier vorliegt. Wie das verbotene Versuchen Gottes zu verstehen ist, wird in den angeführten Stellen selbst durch die Hinweisung auf das Gottversuchen Israels erklärt. Wie hat nun Israel seinen Gott versucht? Dadurch, daß es fragte: „ist Jehova in unserer Mitte oder nicht?“ (s. 2 M. 17, 7). Von diesem Zweifel geht das Gottversuchen aus und es selbst besteht in einem willkürlichen und eigenmächtigen Mittel, dieses Zweifels erledigt zu werden. In demselben Lichte erscheint Jesu die vom Teufel ihm gestellte Zumuthung. Zwar brauchte die angerathene Handlungsweise nicht auf einem Zweifel daran zu beruhen, ob er sich selber für Gottes Sohn halte oder nicht, wohl aber würde der andere Zweifel darin liegen, ob ihm Gott die Anerkennung seiner göttlichen Sohnschaft unter dem Volk, auf welches er wirken sollte und wollte, auf dem gewöhnlichen und geraden Wege, der über den Erdboden hinführt, verschaffen werde; und in diesem Betracht mußte ihm der angerathene Weg als ein willkürlicher und eigenmächtiger erscheinen. Zwar dürfen wir es uns nicht verhehlen, daß es Jesu klar genug vor Augen stand, wie schwer es ihm fallen würde, und wie weitaussichtig der Weg sein werde, wenn er die Anerkennung seiner göttlichen Würde, welche doch, was wir nicht vergessen dürfen, die nothwendige Voraussetzung aller seiner Thätigkeit bilden mußte, auf der Bahn der sich streng an das Natürliche und Irdische anschließenden Entwickelung erringen sollte. Aber eben darin lag das Versuchliche der Zumuthung und daß er es strenge abweist, ist der Beweis, daß er sich mit aller Bestimmtheit und Klarheit für den langsamen und mühseligen Weg entscheidet, auf welchem er seine göttliche Ehre nicht wie einen Raub an sich hält, sondern sich derselben so weit entäußert, daß sie in die höchste denkbare Schmach versenkt wird, damit er sie darnach um so sicherer und heilbringender besitzen möchte, indem er sie jetzt nur denen aufschließt, die dieselbe zu schauen würdig sind, allen Uebrigen aber, deren Herz nicht rein ist, beharrlich und ewig ihr seliges Anschauen vorenthält.
Aehnlich wie die zweite Versuchung ist die dritte; hier handelt es sich nicht um die Ehre, sondern um die Macht und Herrschaft. Es ist damit das Höchste und Letzte eingesetzt, was es für den Menschen giebt, und daraus erklärt sich auch die Bedingung, welche für die Erwerbung dieses Höchsten gefordert wird. Die Bedingung ist nichts Geringeres, als die Anbetung des Satans. Unsere Schwachmüthigkeit pflegt bei dem bloßen Gedanken sich so zu erschrecken und entsetzen, daß sie die Versuchlichkeit dieses dritten Actes sich gar nicht mehr vorstellen kann, aber Jeder, der schwach genug ist, vor diesem Entsetzen gar nicht mehr verstehen zu können, was hier vorgeht, der mag sich nur sagen, daß dieses sein blindes Entsetzen nicht die Kraft ist, in welcher er die Versuchung, wenn sie an ihn herantritt, zu bestehen vermögen wird. Das ist nämlich die Sache, daß das, was alle Tage im Kleinen tausendmal in der Welt geschieht, unter beschönigenden, aber allgemein gültigen Formen, hier in seiner unverhüllten Macht und Wucht auftritt.
Satan führt Jesum auf einen hohen Berg und zeigt ihm, wie Lukas schreibt, in einem Augenblick alle Königreiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Darauf spricht er: „dir will ich geben diese ganze Macht und ihre Herrlichkeit, denn mir ist es übergeben und ich, wem ich will, gebe ich sie.“ Man muß nun nicht etwa meinen, diese Worte seien eine bloße renommistische Lüge, der es an allem Halt in der Wirklichkeit fehle. Dies kann schon darum nicht sein, weil mit dieser Annahme die versuchende Kraft dieser Worte ganz hinfallen würde. Die Schrift stimmt auch ganz mit der Aussage des Teufels über sein Reich zusammen, indem sie immer festhält, daß der Widersacher aus dem ihm einmal übergebenen Reiche nicht mit Gewalt hinausgesetzt werde, sondern über dasselbe, freilich in bestimmten Grenzen, so lange frei verfüge, bis er auf dem Wege der sittlichen Entscheidung überwunden sein werde. Jesus wird also, was er über sein Reich sagt, willig zugeben, wie er ihn denn auch nicht ohne Grund so oft den Fürsten dieser Welt genannt hat, ja noch mehr, die Weise, wie er die ganze Weltherrlichkeit zeigt, ist der unmittelbare Selbstbeweis, daß er über seine Macht nicht zu viel sagt. Wir müssen uns demnach vorhalten, daß Jesus von der Weltmacht des Satans in diesem Augenblick einen so überwältigenden Eindruck haben mußte, wie wohl sonst nicht wieder, ebenso aber auch, daß er selber in Ansehung der äußeren Dinge in der Welt unter diese Macht des Weltfürsten gestellt sei. Erst dann, wenn man sich dieses völlig klar macht, wird man gewahr, daß hier die Versuchung ihre höchste Spitze erreicht. Man muß nur noch hinzunehmen, daß das Uebergeben der Welt, welches Jesu zugesagt wird, so verstanden werden muß, daß Jesus sie sodann nach seinem Willen behandeln kann, denn das liegt eben in der geschehenen Uebergabe. Es wird also das Ziel als ganz dasselbe bezeichnet, welches Jesus sich als das seinige gesetzt hat. Und was die Anbetung anlangt, so will nicht übersehen werden, daß der Teufel eine Anerkennung verlangt, welche, auf das bloße Machtverhältniß zwischen ihm und Jesus gesehen, nicht übertrieben zu sein scheint, insofern Jesus in die Ordnung der Welt, welche dem Satan untergeben ist, eingegangen ist und sich derselben ohne Vorbehalt unterworfen hat. Das Verhältniß zwischen dem, was der Teufel aufstellt, und dem, was Jesus ausführt, stellt sich demnach so, daß der Zweck des Seins Jesu in der Welt unangerührt bleibt, er empfängt auf beiden Wegen die Herrschaft über die Reiche der Welt, nur tritt er diese Herrschaft, wenn er die vom Satan gestellte Bedingung erfüllt, sogleich an, während sie ihm auf dem Wege, den Jesus erwählt hat, erst am Ende der ganzen Entwicklung zu Theil wird. Hinzunehmen muß man endlich noch, daß es eine allgemein menschliche Annahme ist, nicht bloß der Schlechten, sondern auch der Besseren, daß ins Große und Ganze Niemand wirken könne, dem nicht die Machtmittel der Welt zu Gebote stehen, daß zum Mindesten die nothwendige Voraussetzung einer solchen Wirksamkeit die sein müsse, daß die großen Machtmittel der Welt wenigstens nicht widerwärtig gegenüberstehen. Um nur an Eins zu erinnern, was nahe liegt, so ruht Anfang und Ende des Staatskirchenthums eben auf dieser und auf keiner anderen Grundlage und diejenigen, welche blindlings für. dieses Institut eifern, thäten gut, wenn sie ernstlich überlegten, wie billig ihnen die Zumuthung des Teufels an Jesum im Grunde erscheinen muß. Jesus selbst aber ist keinen Augenblick unentschieden, ihm ist es vollkommen klar, daß die besten Absichten und heiligsten Zwecke Nichts fördern, sondern vielmehr in ihrem Keim verdorben werden, sobald für das Reich des Geistes, welches er gründen will, Macht und Gewalt und die darauf ruhende Herrlichkeit als etwas Selbstständiges und Notwendiges, denn das eben ist der Sinn der verlangten Anbetung, anerkannt werden solle; er weiß es, daß sobald eine solche Beugung vor der Macht und Gewalt der Weltmächte vorhergegangen, selbst der heilige Geist den geschehenen Fehler nicht wieder gut machen kann, daß eben deshalb Alles, was Gutes und Schönes bis dahin in der Welt gewesen ist, wieder aufgelöst und vernichtet worden ist, weil es noch bisher keinem Menschen gegeben war, dieser Basis, welche ihm der Versucher zur Verfügung stellt, für sein Wirken in der Welt entbehren zu können. . Freilich kann es ihm ja nicht verhalten sein, daß,, sobald er die angebotene Bedingung von sich weist, er nicht bloß keine Förderung von Seiten der Weltmächte zu erwarten habe für fein Werk, sondern er auf den äußersten Widerstand von Seiten der Gewalt, welcher die gesammte Aeußerlichkeit der Welt dermalen übergeben ist, gefaßt sein müsse. Jesus kann die große Lockung des Weltfürsten nicht zurückweisen, ohne seiner ganzen drohenden Macht Trotz zu bieten und damit nicht bloß für sich den äußersten Kampf auf sich zu laden, sondern auch die Verantwortung für alle Noch, Versuchung und Gefahr, die den Seinigen aus dieser Entscheidung entstehen muß, auf sich zu nehmen. Nichtsdestoweniger besinnt sich Jesus keinen Augenblick, sondern hält dem Verführer das Schriftwort entgegen: „du sollst anbeten Gott deinen Herrn und ihm allein dienen“ (s. 5 M. 6, 19).
Es ist zum dritten Mal, daß Jesus dem Satan mit Schriftwort begegnet, und es mag uns wohl auffallen, daß er ihm außer dem Schriftwort so gut wie Nichts entgegensetzt. Die Versuchung soll ja nämlich recht eigentlich offenbar machen, was im tiefsten Herzen wohnt, weil dieses im gewöhnlichen Laufe der Dinge mit Sicherheit nicht zu erkennen ist. Wir sollten demnach erwarten, daß Jesus hier recht eigentlich aus seinem Eigenen reden würde, zumal wir oben vernommen, daß er mit der Fülle des heiligen Geistes ausgerüstet war. Es hat nun den Anschein, als ob er nicht sowohl aus seinem Eigenen heraus redet, sondern ein Fremdes, Aeußerliches, ein auswendig Gelerntes vorbringt. Indessen läßt sich die Sache auch umkehren oder vielmehr, wir müssen sie umgekehrt denken. Ein auswendig Gelerntes und bloß dem Gedächtniß Anvertrautes hält in der Versuchung und Anfechtung nirgends Stich, ein auswendig gelernter Spruch ist in der Stunde der Gefahr gar nicht zu finden und zu fassen, weil in solcher Stunde nur das Innerste des Gemüthes entscheidet. Da wir nun erkannt haben, daß hier Etwas vorgeht, was nicht bloß den Namen der Versuchung hat, sondern in der That und Wahrheit eine Versuchung ist, wie nie eine gewesen ist und wie nie eine sein wird, so sagen wir umgekehrt: daraus, daß Jesus in solcher Lage mit dem geschriebenen Wort redet und überall im strengsten Anschluß an das Schriftwort spricht, erkennen wir mit Sicherheit, daß das Schriftwort selber mit dem tiefsten Grund und Wesen seines Herzens Eins geworden ist, daß also an ihm erfüllt ist, was Jehova für die Zeit des neuen Bundes seinem Volke verheißt, daß dann die Gesetze, welche bisher auf Steine geschrieben waren, in dem Grunde der Herzen geschrieben sein werden (s. Jer. 31, 33). Die Sache wird uns noch faßlicher und bestimmter, wenn wir uns erinnern, daß alle drei Schriftstellen, welche Jesus anführt, aus eben dem Gebiete der Schrift entnommen sind, welches die Wüstenführung Israels berichtet. Wir erkannten schon oben die innere Nothwendigkeit, welche Jesum treibt, eben in diesem Zeitpunkt, da er mit dem Geiste des heiligen Amtes begabt ist, in diese Anfangszeit Israels zurückzugehen, in dieser Anfangszeit Israels sich heimisch zu machen, um den geschehenen Fehltritt wieder in die rechte Bahn zurückzubringen. Diese Zurechtstellung beruht aber vor Allem darauf, daß er die Anfangszeit Israels in dem Lichte des göttlichen Schriftwortes erkennt und versteht; und dieses Erkennen und Verstehen, zu welchem er sich jetzt inwendig getrieben fühlen muß, ist ein durchaus innerlicher Vorgang, denn der Geist, der über ihn gekommen ist, ist derselbe Geist, in welchem das Gesetzbuch geschrieben ist. Auf dieser Identität seines Geistes und des Geistes in dem Buchstaben der Schrift beruht es, daß diese Schrift mit dem Grund seines Herzens Eins wird, so daß, wenn er nun aus der Schrift redet, er aus seinem Eigensten redet.
Dieser Umstand gewährt uns auch noch ein neues Licht über den Zusammenhang der Versuchung Jesu mit dem Anfang der Menschheitsgeschichte. Die drei Güter, um welche es sich in der Versuchung Jesu handelt, sind dem Menschen von Anfang her durch das göttliche Wort zugesagt. Dem Menschen ist durch das göttliche Wort die Frucht der Erde zur Speisung angewiesen (s. 1 M. l, 29); eben so ist ihm die Herrschaft und Macht über die Erde verheißen, jedoch so, daß die Erwerbung dieser Herrschergewalt über das Ganze auf Zusammenwirkung der Gesammtglieder der Menschheit gegründet erscheint (s. l M. 1, 28). In dieser Bedingung der höchsten Macht und Herrschaft ist das Moment der gegenseitigen Anerkennung und Ehre eingeschlossen. Genuß, Ehre und Macht sind also ursprüngliche Güter der Menschheit, welche durch göttliche Zusage verheißen sind. Nun aber beginnt der Fehlgang des Menschengeschlechts damit, daß der Mensch genießt, nicht bloß ohne das Wort Gottes, sondern gegen dasselbe, und zwar indem er sich einem widergöttlichen Worte hingiebt. Diese Losreißung von dem göttlichen Worte ist, was auch immer noch Gutes und Schönes in der Menschheit gebildet worden ist, niemals wieder gut gemacht und somit steht die Menschheit seitdem unter dem Einfluß des widergöttlichen Wortes, dem sie sich in jenem Acte hingegeben. Daraus folgt aber, daß in allem Genuß, in aller Ehre und in aller Macht etwas Aeußerliches übrig bleibt, was nicht in göttliches Won gefaßt ist, sondern in dem widergöttlichen Worte gebunden bleibt. Jesus nun steht für sich betrachtet nicht unter dem Einfluß jenes ersten Actes der Menschheit, für ihn sind alle Güter der Erde, Genuß, Ehre und Macht nie ohne das Wort Gottes, ihm ist vielmehr die wahre Substanz dieser Güter das Wort Gottes selber, ihm ist das Aeußerliche und Weltliche in diesen Dingen ganz und gar von dem inneren überweltlichen Grunde getragen und durchleuchtet. Aber Jesus will in diesem Fürsichsein nicht bleiben, er ist überall in dieses Fürsichsein in der Welt nur eingegangen, um dasselbe zu einem Fürunssein in der Welt zu machen. Und in der Grundlegung dieser inneren Umwandlung seines Fürsich in sein Füruns innerhalb der Welt ist er in der Versuchung begriffen. Dann ist aber seine Aufgabe, nicht bloß im Unterschied zu den Sündern an der ursprünglichen Ordnung festzuhalten und so zu sagen den Gang seiner Heiligkeit neben dem Irrweg der sündigen Menschheit hinzuleiten, sondern in den Grund der allgemeinen Verkehrtheit muß er eingehen und diese Verkehrung selber in ihr eigenes Gegentheil verwandeln. Wie also die Menschheit sich zuerst vom Worte Gottes losgerissen und sich demnächst in Genuß, Ehre und Macht versenkt hat, als in bloße Aeußerlichkeiten, so beginnt Jesus damit, allen diesen Aeußerlichkeiten zu entsagen, obgleich sie für ihn im Worte Gottes ruhen, und so ohne Genuß, Ehre und Macht mit dem Worte Gottes Eins zu werden und sich in solcher Geschiedenheit von den Gütern der Welt und in solcher lauterer Einheit seines Herzens mit dem göttlichen Worte zu offenbaren, zunächst dem gegenüber und dem zum Trotze, der die ganze Verkehrung der Dinge in der Welt angestiftet hat.
Durch diese Entsagung den Gütern der Welt gegenüber und durch diese Zurückziehung auf das göttliche Wort, den überweltlichen Grund aller Dinge, ist innerhalb der Welt eine Macht gewonnen, über welche der Fürst der Welt keine Gewalt hat, die vielmehr befähigt und befugt ist, ihn selber als einen unberechtigten Eindringling fortzuweisen. In diesem Bewußtsein sagt Jesus schließlich zu dem Versucher, der ihn bisher geführt hat: „gehe hinter mich, Satan.“ Und dieses Wort Jesu ist .dem Fürsten der Welt ein Befehl und er läßt ab von Jesu, freilich fügt Lukas hinzu, „einstweilen“. Indessen das kann uns nicht wundem, denn daß er nunmehr alle Macht der Welt gegen Jesum aufbieten werde, mußten wir ohnehin voraussetzen. Allein so wie er hier erschienen ist, kann und wird er nicht wiederkommen. Wie der Widersacher nur einmal nöthig hatte, das Menschengeschlecht zu verführen und sodann alle weitere Verführung durch Selbstentwicklung dieses ersten Anfanges sich entwickelt, so ist auch ein Sieg über ihn entscheidend, um einen Grund zu legen, der sich durch seine innere Kraft vollenden und ausgestalten wird, um den Feind schließlich aus seinem Besitzthum hinauszuwerfen.
Daß nach diesem Kampf und Sieg Jesu über den Fürsten der Welt die Engel zu ihm treten und ihm dienen, ist so naturgemäß, daß wir es fast erwarten könnten. Nachdem Jesus sich so tief entäußert und sich selbst so sehr verleugnet hat, daß er auf alle ihm zustehenden Güter der Erde völlig und rein verzichtet hat, um die in den Stricken dieser Aeußerlichkeiten gefangenen Menschen zu erlösen, ist es wohl angemessen, daß seinem Hunger und seiner Erschöpfung ein übernatürlicher Dienst entgegenkommt.