Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 7. Capitel.
Von der Gnade Gottes zur Bekehrung.
Belehre du mich Herr, so werde ich bekehret. Jerem. 31,18.
1. Welch' eine Sorgfalt und Bekümmerniß muß nicht der heilige Geist in den Herzen erwecken und unterhalten, die er einmal nach dem wahren Heil hat begierig gemacht, daß sie die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen mögen haben. 2 Cor. 6,1. Und wie vielmehr sollen sie nicht Unbekehrte zu ihrer Besserung annehmen.
2. Gnade ist an ihr selbst schon ein solch' kräftiges, geschäftiges und lebendiges Wesen, das alles Gute mit sich bringet, und ist also in sich selbst nicht leer noch unfruchtbar, weil sie mit Wahrheit und Treue verbunden ist. Denn sie begreift den ganzen Schatz der Seligkeit, da wir in Christo die Gerechtigkeit Gottes und eine neue Creatur werden können, so wir wollen. 2 Cor. 5, 17. 21. Aber je köstlicher ein Schatz ist, je leichter kann man ihn verlieren, und ohne Frucht empfangen haben.
3. Nun hatte Paulus in und nach seiner Bekehrung überschwängliche Gnade empfangen, welche auch unendlichen Segen mitgebracht. Aber eben deßwegen, weil es so ein hohes Gut ist, war er immer besorgt, daß er sie nicht auch an seiner eigenen Seele verscherzen möchte, und vergebens oder aufs Leere und Ungewisse liefe. Gal. 2,2. Er hütete sich, daß er die Gnade Gottes nicht wegwürfe oder hintansetzte, v. 21. Phil. 2,16.
4. Es hatte ihn auch der Herr bis hieher bewahret, daß seine Gnade an ihm nicht vergeblich oder ohne Frucht gewesen war, sowohl was seine Person, als was sein Amt betraf. 1 Cor. 15,10. Damit war er nun auch noch nicht zufrieden, sondern rang und trieb auch immer für Andere dahin, daß sie eben dieselbe theure Gnade nicht etwa möchten unrecht brauchen. Und das ist noch stets des Geistes Treiben, daß ein Jeder in der empfangenen Gnade und Gabe zu seinem Heil treu erfunden werden möge: Darum weil so gar hohe Verantwortung und ein unersetzlicher Schade daran hänget.
5. Es wird aber die Gnade vergeblich empfangen, wenn sie nicht dazu angewendet wird, wozu sie gegeben war, sondern entweder gar nicht zu Gottes und des Nächsten Gefallen, oder auch unrecht gebraucht wird, oder auch nicht zu rechter Zeit, so daß man die Gnade Gottes versäumet. Ebr. 12,15. Am allermeisten aber, wenn man die Gnade auf Muthwillen ziehet, oder auf Frechheit und Leichtfertigkeit verdrehet und verkehret, so daß man eben deßwegen noch mehr zu sündigen frei achtet, weil Gott doch gnädig sey. Ep. Judä v. 4. Sirach 5,4. f.
6. Bei solchem Sinn und Verhalten kann die Gnade unmöglich in ihrer Kraft und Fülle bleiben am Menschen, sondern sie weichet sodann, und ist hernach eben so viel, als ob der Mensch gar keine Gnade empfangen hätte. Da fällt man also aus der Gnade, wenn man auch darin gestanden wäre, und kommt in den vorigen elenden Naturstand, dabei der Seele nicht wohl seyn kam. Gal. 5,4. Denn da ist Glaube und gut Gewissen verstoßen, und der Geist gedämpfet. 1 Tim. 1.19. 1 Thess. 5, 19.
7. Dieses kann nun erstlich auf recht grobe Art mit Wissen und Vorsatz geschehen, daß ein Bekehrter, der wirklich Gerechtigkeit empfangen hatte, sich dennoch davon wieder abwendet und Böses thut. Ezech. 33,18. Oder es mag auch ohne solchen Vorsatz aus Uebereilung geschehen, daß man aus seiner eigenen Festung fällt, 2 Petri 2,17. durch Betrug der Sünde.
8. Beiderlei aber ist gleichwohl gefährlich und verderblich. Und darum warnet Paulus so treulich davor die bekehrten Corinther, und uns mit ihnen, wir sollten bedenken, was wir empfangen haben, und unsere Seligkeit mit Furcht und Zittern wirken: daß wir ja nicht auf Gnade es wagen, und mit Ungnade abgelohnet werden mögen.
9. Es gehet aber hiernächst auch Unbekehrte mit an, so ferne, diese gleichwohl Gnade genug vor sich haben, die ihnen angeboten wird. Sintemal ja aller Zug der Gnade, alle Zeugnisse und andere Wohlthaten Gnade sind. Diese haben auch die rohesten Sünder nicht vergeblich anzusehen, sondern zu brauchen, weil es heute heißet.
10. Denn es soll ein Jeder gewiß wissen und glauben, daß alle die Gnade, die Gott jemals in- und äußerlich beweiset, auf nichts anders ziele, als auf der Menschen Bekehrung und Besserung. Darum ist es der ewigen Liebe allein zu thun, daß sie uns wieder zu und in sich bekomme. Hiezu läßt sie sichs so sauer gleichsam werden, uns alle zu gewinnen.
11. Und dieses soll unsere nöthige Betrachtung dießmal werden, nemlich die Gnade Gottes zur Bekehrung. Da denn 1) die Gnade als die Ursache, und 2) die Bekehrung als die Frucht zu erkennen ist.
12. Bei Erwägung der Gnade fragt es sich erstlich nach den Personen, welchen sie angeboten werde. Da uns denn der heil. Geist antwortet und vorstellet alle und jede verlorne Seelen. So viel Menschen verloren worden sind, oder von Gott abgeschieden, so vielen stehet die Gnade ohne Ausnahme offen. Denn so weit sich der Fall erstrecket, so weit gehet auch die Herwiederbringung oder das Suchen und Seligmachen dessen, was verloren war.
13. Nun sind in dem ersten Menschen alle Nachkommen verloren und abgewichen; denn von solchen allen ist es wahr wegen der Erbsünde: Sie haben alle gesündiget und mangeln der Herrlichkeit Gottes. Daher auch der Tod zu allen Menschen hindurch gedrungen ist, weil sie alle gesündiget haben. Röm. 3,23. 5,12. Sie sind alle unter dem Ungehorsam beschlossen. Cap. 11,32.
14. Daraus ist denn der Schluß unbeweglich feste, den der Geist daraus macht: Röm. 5,15.17. So an eines Sünde viel gestorben sind, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen Jesu Christi. Und so um des Einigen Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den Einen, vielmehr werden, die da empfahen die Fülle der Gnade und Gabe zur Gerechtigkeit, herrschen.
15. Erkenne hier alsobald ein Jeder seinen natürlichen Zustand, und sehe wohl zu, ob und wie weit er noch als ein verlorner Mensch in Gottes Augen etwa aussehe, ob er noch in Sünden verloren, oder, schon durch Gnade herwiedergebracht sey. Christus bildet dazu die Sünder ab mit dem Bild der verlornen Schafe. Luc. 15,3. f. Und Petrus erinnert deßwegen die Seinen ihres vorigen Elendes, daß sie weiland gewesen wären wie irrende Schafe. 1 Petri 2,25.
16. Irre gehen ja alle die, denen ihr Herz nicht diesen Augenblick Zeugniß gibt, daß sie mit Gott eins sind. Solche schweifen umher mit ihren Gedanken und Begierden in der Wüste dieser Welk, und finden doch bei allen ihren vermeinten Vortheilen keine wahre Seelenruhe. Ach wie viel hundert tausend arme Seelen sind nun anjetzo zerstreuet, wie Schafe, die keinen Hirten haben, und allen wilden Thieren und bösen Geistern zur Speise werden, Ezech. 34,5. theils aus Mangel wahrer Hirten, theils aus eigener Blindheit oder Bosheit!
17. So viel und so weit nun ein jeder Mensch noch von Gott und dem wahren Weg abirret, so viel hat er Gnade nöthig. Und o wie gut ist es, seine Irrwege nur in Zeiten zu erkennen! Denn der Verlust ist gar zu unersetzlich: Und was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele? Matth. 16,26.
18. Ob nun schon in Ansehung der Erbsünde kein Unterschied ist, daß die Gnade nicht allen angeboten würde, so entstehet doch hernach ein Unterschied, nachdem die Menschen solche an sich lassen kräftig werden oder nicht. Sie sind alle verloren gewesen, aber nicht alle bleiben solche verlorne Sünder, sondern lassen sich finden.
19. Da gibt es nun 1) offenbare Sünder, die da ihr wissentlich Unrecht nicht wohl läugnen können oder auch wollen. Aber auch diesen wird die Gnade zur Buße angeboten. Das sehen wir an den Zöllnern und Sündern, die der Herr annahm. Luc. 15,1. f. Welches solche öffentlich berüchtigte Leute waren, daß Niemand mit ihnen umgehen wollte; wie sie denn zu den Heiden gerechnet wurden. Matth. 18,17.
20. Nun auch solchen, sie mögen so gar arg seyn, als sie wollen, gehet Christus mit seiner Gnade beständig nach, und hat keinen solchen Eckel vor ihnen, daß er sie nicht sollte zu bekehren suchen. Denn er erzeiget noch immer alle Geduld, weil er kommen ist die Sünder selig zu machen, auch die vornehmsten, wenn sie nur wollen. 1 Tim. 1,15. f. Dieß Wort ist gewißlich wahr, und aller Annehmung werth.
21. Es wird auch die Gnade noch immer angeboten 2) den gefallenen Sündern, die zwar einst bekehrt waren, aber wiederum zurück gefallen sind. Dieses ist klar aus den Lockungen und Zusprüchen Gottes, die er in Gnaden an solche Gefallene thut. Dort ruft er dem abgewichenen Israel also zu: Jerem. 3,12. f. Kehre wieder, du abtrünniges Israel, so will ich mein Antlitz nicht gegen euch verstellen. Allein erkenne deine Missethat, daß du wider den Herrn, deinen Gott gesündiget hast.
22. Also wird freilich nicht geläugnet, daß ein Mensch nicht öfters als einmal könne zu Gnaden kommen, so daß man wollte sagen, als setze Gott gewisse Zahl, wie oft er einem vergeben wolle. Denn er befiehlt ja, unsern Feinden unzähligemal zu vergeben, wie sollte er es nicht selbst thun? Indessen aber beraubete sich ein solcher, der auf solche Gnade sündigen wollte, selbst der Gnade, und verhärtet sein Herz durch Unglauben, indem er sie nicht zu seiner beständigen gründlichen Besserung brauchte. Daher wäre ein solcher in der Gefahr, die Ebr. 6,6. und 10,26. beschrieben wird, deßgleichen 2 Petri 2,20. Luc. 11,26. Denn er versuchte Gott muthwillig, und machte die Gnade zum Sündenknecht, und folglich an sich und kräftig durch seine eigene Schuld.
23. Nicht weniger rufet die Gnade einem Lehrer, der da war von seiner ersten Liebe gewichen, so gar treulich zu: Gedenke, wovon du gefallen bist, und thue die ersten Werke. Offenb. 2.5.
Und so hat die Gnade auch wirklich Manche herumgeholt, und aus dem Fall errettet, wie sie es nicht nur an David, Manasse und Andern, sondern auch noch immerhin an vielen beweiset, sie haben es aber nie wieder mißbraucht.
24. Wie nun dieses eine unschätzbare Wahrheit ist, daß du Gnade gerne Alle bekehren will: also sollte sie auch von Jedermann, sonderlich aber von denen, die sich eines Falles bewußt sind, theuer geachtet, und nie auf Muthwillen gezogen werden. Aber hier kann vor dem Mißbrauch nicht genug gewarnt werden, indem die arge Vernunft so leichtfertig daraus schließen will, als ob man eben deßwegen wohl sündigen, ja auch in Sünden beharren dürfe, nur damit diese Gnade desto mächtiger werde.
25. Es stehet zwar einem jeden Sünder die Gnade noch offen zu seiner Bekehrung, aber es ist doch gefährlich auf diese Gnade los zu sündigen, und sie auf Muthwillen zu ziehen, so daß man meinte, man könne und dürfe noch so oft muthwillig sündigen, und doch sich oft wieder bekehren. Denn wer einmal wahrhaftig umgekehrt hat von seinen Sündenwegen, der wird eben hiedurch Gnade und Ernst empfangen, nicht mehr zu sündigen, damit ihm nicht etwas Aergeres widerfahre. Joh. 5,38. Fällt er wiederum muthwillig aus der Gnade, so wird es ihm hernach desto schwerer werden wieder aufzustehen. 2 Petri 2,20. Er kommt alsdann in Gefahr, daß er wohl endlich gar möchte liegen bleiben, wo er meinte immer wieder zu fallen und immer wieder aufzustehen; gleichwie eine oft wiederkommende Krankheit endlich den Tod bringen kann. Solche Leute aber, die dergleichen öftere Fälle und Bekehrung ohne Gefahr halten, die glauben nicht, daß Beständigkeit im Guten möglich sey.
26. Es fragt sich aber weiter von den Personen, welche die Gnade gern bekehren will, ob denn auch die schon Bekehrten darunter gehören? Der Heiland selbst antwortet uns hierauf, daß es Gerechte gebe, die der Buße, nemlich der großen, wie man sie zum Unterschied nennt, oder der ersten Bekehrung von dem Stande der Sünden nicht bedürfen, Luc. 15,7. ob sie schon tägliche Reue und Buße nöthig haben.
27. Zwar möchte man dieß mit Einigen wohl von den Heuchlern verstehen können, welche sich einbilden, als sey ihnen keine Besserung nöthig. Die Schrift aber redet gleichwohl auch anderweit von gewissen Leuten, die bereits Buße gethan haben von den todten Werken, und also dieser nicht, so seine und so lange sie in der Gnade stehen bleiben, bedürfen. Denn Manasse in seinem Bußgebet macht den Unterschied eben also u.s.w. Weil du bist ein Gott der Gerechten, hast du die Buße (nemlich diese erste Buße der Gefallenen) nicht gesetzt den Gerechten, Abraham, Isaac und Jacob, welche nicht wider dich gesündigt haben, nämlich auf solche Art des Abfalls, wie Manasse und seines Gleichen grobe muthwillige Sünder.
28. So ist es demnach gewiß, daß es, Gott Lob, noch Seelen gebe, die bereits Buße gethan haben, und in denen also keine Verdammung ist, darum weil sie in Christo Jesu sind, und nicht mehr nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. Röm. 8,1. So lange sie nun also stehen bleiben in der Gnade, dürfen sie nicht unter die wissentlich unbekehrten Sünder gerechnet werden; anders als die arge Natur so gerne thut, und alle ohne Unterschied will zur Beichte und dergleichen zwingen, nur damit sie nicht dürfen allein so böse erscheinen, gleich den Huren, die ihren Trost darin suchen, daß sie es nicht alleine sind.
29. Gehet aber die Gnade insgemein solchen Bekehrten gar nichts an? Allerdings, denn sie wird nicht nur gegeben zur ersten Bekehrung, sondern auch zur täglichen Reue und Buße, dazu sie eben sowohl unentbehrlich bleiben. Denn auch die Christum schon angehören, und also bekehrt sind, die müssen dennoch ihr Fleisch kreuzigen samt den Lüsten und Begierden. Gal. 5,24. Wer vermag aber solches ohne Gnade?
Von dieser Lehre, als dem Hauptgrund des Christenthums, hat Luther billig den Anfang seiner Bekenntnis; wider das Pabstthum gemacht, da er diesen ersten Satz vorlegte in seinen Thesibus: Unser Herr Jesus Christus will, daß das ganze Leben seiner Gläubigen eine stete und unaufhörliche Buße seyn soll.
Die Buße währe bei den Christen bis in den Tod; denn sie beiße sich mit den übrigen Sünden im Fleisch durchs ganze Leben, Röm. 7. und das nicht durch eigene Kräfte, sondern durch die Gabe des heiligen Geistes, welche folget auf die Vergebung der Sünden. Dieselbige Gabe reinige und fege täglich die übrigen Sünden aus, nu, arbeite, den Menschen recht rein und heilig zu machen. Hievon aber wisse Papst, Theologen, Juristen noch kein Mensch nichts, sondern es sey eine Lehre vom Himmel, durch das Evangelium geoffenbart, und müsse Ketzerei heißen bei den gottlosen Heiligen. Luther hat dieses auch hernach sonderlich getrieben, wider den päpstlichen Irrthum, da man meinet, die Taufe nehme alle Sünden so weg, daß nur ein kleiner Zunder, d. i. eine natürliche Schwachheit im Menschen bleibe, und also nichts lehret von der Sünde, wie sie müsse geläutert und ausgefegt werden. Wider welche Verführung er eben die Nothwendigkeit der täglichen Buße treibet. Wie er denn auch die tägliche Reue und Buße also beschreibt, und Melanchthon eine wahre Tödtung des Fleisches mit seinen Lüsten und mit aller seiner Herrlichkeit. Er hat auch das Leben eines Christen nicht anders als so vorgestellt: Dieß Leben soll nichts anders sehn, denn ein Haß über den alten Menschen, und ein Suchen und Verlangen des Lebens im neuen Menschen.
Hievon aber ist bei der Materie von der Erneuerung im 51. und 52. Capitel mehr zu finden.
30. Aus diesen allen bleibt der Schluß unbeweglich, daß alle, alle Menschen der Gnade zur Buße bedürfen. Die Hauptursache ist klar, weil sie alle von Natur in Sünden todt, ohnmächtig und zum Guten unvermögend sind, denen also allein die Gnade helfen muß. Denn die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken; ich bin gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten, sagt Christus selbst, dem wir es ja glauben werden. Matth. 9,12.
31. O wie gut und nöthig ist es demnach, daß ein Jeglicher seine Ohnmacht und Elend wohl einsehe und gestehe, auch von Herzen glaube, daß er nicht aus eigener Vernunft noch Kraft zu Christo kommen kann! Diese Ueberzeugung des äußersten Verderbens und Zorns, darunter alle Unbekehrte liegen, muß billig alle rufen und bitten lehren: Bekehre du mich, Herr, so werde ich bekehret. Jerem. 31,18.
32. Wir forschen nun weiter, was denn die Gnade sey, und worin sie bestehe? Gnade ist (nach Lutheri Beschreibung in der Vorrede über die Ep. an die Römer §. 6.) Gottes Huld und Gunst, die er zu uns trägt bei sich selbst, aus welcher er geneigt wird, Christum und den Geist mit seinen Gaben in uns zu gießen. Sie nimmt uns ganz und gar auf in die Huld um Christus Willen u.s.w.
33. So ist es nun alle diejenige Barmherzigkeit, die einem armen Sünder widerfährt, und wirklich von ihm erfahren und genossen wird, sowohl zur Aussöhnung, als zur Heiligung. Denn es ist gar eine heilsame oder heilmachende, heilbringende Gnade, die da allen Menschen erscheinet, 1 Tim. 1,15. Tit. 2,11. sonderlich aber in den Bußfertigen sich kräftig erweiset.
34. Hier schauet aber recht durch den heil: Geist in den Grund solcher Gnade hinein, warum sie zur Bekehrung allen Menschen immerdar noch dastehe. Die Creaturen sind zwar von Gott abgefallen, und haben den Bund mit ihm gebrochen und zerrissen. Gott aber bleibet in seiner Gnade dennoch immerzu unbewegt und ungeändert. Der Menschen Unglaube und Untreue hebet Gottes Treue nicht auf, das sey ferne. Röm. 3,3.
35. Darum bezeuget er auch gegen die, so an ihm untreu worden, wie er an seiner Seite den Bund gleichwohl fest und unverbrüchlich halte. Jes. 50,1. u. f.
36. Nun dieß ist der Grund, ja der Abgrund göttlicher Erbarmung, dessen Tiefe unaussprechlich ist. Wen diese Gnade nicht züchtigen und bewegen kann, der wird wohl sonst durch nichts gerührt können werden. Denn sie ist ein solcher Reichthum, daß, wenn sie einem bekümmerten Gewissen aufgeschlossen wird, sie ihn nothwendig umkehren und ändern muß. Darum fragt der Geist recht mit Verwunderung solche, die sich dadurch nicht lassen gewinnen, ob es möglich sey, daß sie so gar hart bleiben könnten? Verachtest du, heißt es, Röm. 2,4. f. den Reichthum seiner Güte, Geduld und Langmüthigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?
37. Lasset uns dies höchste Wunder der Gnade Gottes gegen die Sünder in ihren unterschiedlichen Wirkungen näher besehen, doch, daß wir mit Mose die Schuhe des irdischen Sinnes ausziehen, damit uns dies göttliche Feuer nicht verzehre. Laßt uns erwägen, wie diese Gnade 1) sich zu den Menschen nahet und kommt. Sie erscheinet in ihrer heilenden, wiederbringenden Kraft allen Menschen, und züchtigt oder unterweiset sie zu verläugnen das vorige ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste. Tit. 2,11. Und wie sie in Christo ehemals sich geoffenbart hat, daß er kam die Sünder zur Buße zu rufen, Matth. 9,13. also kommt sie noch täglich in dem Licht, das alle Menschen erleuchtet. Joh. 1,9.
38. Es ist nicht unbekannt, daß die Gnade Gottes um der wahren Unterscheidung willen betrachtet wird, theils als zuvorkommend, theils als folgend. Wie denn sonderlich Augustinus die vorkommende Gnade beschreibet, als eine solche Mittheilung der göttlichen Liebe, da der heil. Geist in einem unbekehrten Menschen die angeborne Untüchtigkeit zum Guten wegnimmt, und dagegen den Glauben anzündet, auch neue übernatürliche Kräfte zur Bekehrung schenkt. Und mit dieser zuvorkommenden Gnade hängt Augustinus die vorbereitende und wirkende genau zusammen.
39. Wir müssen aber hierbei ja nicht auf den Irrthum fallen, als ob solche Gnade bloß im Aeußerlichen bestünde, oder wohl gar in der natürlichen Erkenntniß von Gott, in buchstäblicher Wissenschaft, in der bloß äußerlichen Lehre und dergleichen. Welche zwar gute Anleitungen zu etwas Besserem, mit Nichten aber die Gnade selbst sind, weil jenes auch Unbekehrte haben, ehe sie Rührung von der Gnade empfangen.
40. So muß auch Niemand bei der bloßen Rührung der Gnade stehen bleiben, und an einigen guten Bewegungen sich genügen lassen, sondern nicht ruhen, bis eine wahre innerliche Veränderung mit ihm vorgegangen.
Hier ist nicht nur eine äußerliche Ueberredung, sondern auch eine Veränderung. Erneuerung und innerlicher Zug des Willens nöthig, nicht ein bloß äußerliches Anklopfen oder Heulen.
Bernhardus beschreibt dieses Zuvorkommen der Gnade, daß es geschehe durch Eingebung guter Gedanken. Gott kommt uns zuvor, indem er gute Gedanken eingibt, er verbindet mit sich den bösen Willen, indem er ihn verändert und umkehrt, und mit sich einstimmig macht, auch die Kraft mit ihm einzustimmen gibt. Denn wir selbst können uns nicht zuvorkommen. Joh. Arndt hat dieses alles sehr schön beschrieben, sonderlich an dem Exempel des verlornen Sohnes.
Luther gleichfalls, da er vor der Lehre vom freien Willen warnet, als ob einer sich selbst bereiten könne: Hüte dich vor diesem Gift, es sind eitel Teufelslehren, dadurch alle Welt verführt ist. Ehe denn du Gott anrufest oder suchest, muß Gott zuvor gekommen seyn, und dich gefunden haben. Röm. 10,14. Gott muß den ersten Stein legen, und anfangen in dir, daß du ihn suchest und bittest, er ist schon da, wenn du anfähest und suchest. Es ist kein anderer Anfang fromm zu werden, denn daß dein König zu dir komme, und fahe in dir an.
41. So geht es denn hernach stufenweise mit der Gnade in dem Menschen. Denn 1) kommt die Gnade zuvor durch ihre Anbietungen, Vorstellungen und Darlegung des Guten durch Reizen, Locken, Ziehen und Erwecken, nicht zwar mit Zwang, dem die Creatur nicht widerstehen könnte, sondern durch Ueberreden und Ermahnen zur Annehmung der dargebotenen Gnade.
42. Wenn nun der Mensch nicht widersteht, sondern folget dem Zug, und läßt sich Gott über, so wirket die Gnade in und mit ihm: Und sodann vereiniget sich diese mit ihm in ihrem Licht und Leben, vermehret das geschenkte Gute, und bestätigt den Menschen darin, bis er darin ganz fertig und völlig wird zur Wiederbringung des göttlichen Ebenbildes.
43. Kommt nun gedachtermaßen die Gnade Jedem so treulich entgegen, ey! so ist es wahrlich etwas Entsetzliches, daß nicht alle Menschen ihr entgegen kommen, und sich zu ihr wieder nahen, wie sie zu ihnen. Ist das Wort der Gnade so nahe im Mund und Herzen: so sollen es auch Alle lassen an sich kommen, ja mit großem Ernst suchen.
44. Der Heiland hat uns dazu aufmuntern wollen, da er von dem verlornen Sohn sagt, wie er endlich in sich geschlagen und den Vorsatz gefaßt: Ich will mich aufmachen, und zu meinem Vater gehen. Luc. 15,17. Und so naheten sich zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, daß sie ihn hörten, V. 1. Ja sie folgten ihm recht nach, um seiner zu genießen. Marc. 2,15.
45. Nun eben also nahet euch zu Gott, ihr Sünder, so nahet er sich zu euch, sagt der Geist: Reiniget die Hände, machet eure Herzen keusch, ihr Wankelmüthigen: Seid elend, und traget Leid. Jac. 4,8.
46. Entschuldiget euch nicht mehr, daß ihr nicht könntet zu Gott kommen. Es ist wahr, aber er kommt ja zu euch, er kommt euch zuvor durch seinen geheimen Zug und Trieb zum Sohn, wie er sagt: Joh. 6,37.44.65. Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir. Es kann Niemand zu mir kommen, es sey denn, daß ihn ziehe der Vater; es werde ihm denn vom Vater gegeben.
47. Siehe, was euch selbst also unmöglich war, das will er durch seine ziehende Gnade möglich machen. Ja er rufet beständig in eure Herzen hinein: Kommt nur her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken. Matth. II, 28. Wer nun nicht Jesum und sein Zeugniß will an's Herz kommen lassen, der beschwert sich vergeblich über Unmöglichkeit, denn er hat die Gnade näher, als er ihm selbst ist, das ist gewißlich wahr.
43. Für's 2) suchet auch die Gnade den Sünder darum, weil er Gott so nahe verwandt, und der Schöpfung nach göttlichen Geschlechts ist; Ap. Gesch. 17, 28. 29. darum kann sie ihn nicht lassen verderben. Dieß Suchen stellt der Herr Jesus vor unter dem Gleichniß eines Hirten, bei) die Schafe eigen sind, welcher dem Verlornen nachgehet, und zwar so lange, bis daß er es findet. Angleichen eines Weibes, welches den verlornen Groschen mit Fleiß suchet, das Haus kehret, ein Licht anzündet u.s.w.
49. So suchet denn die Gnade Gottes den Sünder auf mancherlei, ja auf alle nur ersinnliche Weise, sowohl innerlich als äußerlich, sowohl in der Jugend als im Alter, sowohl mit Liebe als mit Ernst. Ja ihre Wege sind unzählbar, dadurch sie die Seelen suchet.
50. Inwendig suchet die Gnade im Gewissen durch dessen Erregung und Beunruhigung, indem sie auch die natürliche Erkenntniß Gottes dazu gerne anwendet, wo der Mensch folgen will, daß es eine Anleitung sey, Gott zu fühlen und zu finden. Ap. Gesch. 17,27. Denn sie brauchet auch bei den blindesten Leuten die verklagenden Gedanken und die Bezeugungen des Gewissens dazu, daß der Mensch aus seiner Sicherheit soll aufwachen und um sich sehen, ob er so werde auskommen am Tage, da Gott das Verborgene der Herzen richten wird. Röm. 2,15.
51. Gott suchet aber vornehmlich und eigentlich durch das übernatürliche Licht der Gnaden, das sie im Herzen anzündet, und durch Bestrafung des heil. Geistes. Indem bei den Menschen in und nach der Sünde immer eine Borstellung des Unrechts im Herzen entsteht, dadurch Gott sie zur Buße leiten will. Da kehret die Weisheit das Haus des Gemüths durch und durch, suchet in allen Winkeln was verborgen ist, und machet alles rege im Herzen. Dergleichen findet man zum Exempel an David, wie so bald nach der Zählung des Volks ihm das Herz geschlagen hat. 2 Sam. 24,10. Daher er auch nach dem Ehebruch bekannte, wie Gottes Hand Tag und Nacht schwer auf ihm gewesen: Seine Sünde sey immer vor ihm, Gottes Drohen lasse ihm keinen Frieden, u.s.w.
52. Wenn dieß in einem Menschen vorgehet, so ist es eine gewisse Frucht der Gnade. Denn die Natur macht ihr lieber die Sünde leicht, und scherzt damit: aber Gnade bringt recht zur Erkenntniß und Reue darüber. Der heil. Geist, wenn er kommt, bestraft die Welt in uns über allem Unrecht. Das ist lauter Gnade. Joh. 16,8.
Je mehr die Sünde erkannt wird, je näher ist die Gnade, sagt Luther.
Und Joh. Arndt beweiset sehr wohl, man müsse durch wahre Reue und Leid seinen Willen aufopfern, so komme denn die Gnade Gottes und Vergebung der Sünden durch das Evangelium. Wie er auch ausführet, es sey des heiligen Geistes Art, daß er den Menschen zu allen Zeiten ermahne, treibe, locke und ziehe in ein geordnetes Leben bei allen, die sein warten, und ihm Statt gebe; daraus entstehe ein inwendiges Herzeleid, Traurigkeit, Angst und Pein der Seele, ja ist höllische Pein, das sey das wahreste Zeichen der Gegenwart des heiligen Geistes.
Und abermal spricht Luther: Wenn der heilige Geist die Flammen des göttlichen Gerichts durch das Wort in unser Herzen senket: so folgen alsdann nicht heuchlerische, sondern wahrhaftige und ernstliche Bewegungen von wegen der begangenen Sünde, Erkenntniß der Sünde und guter Vorsatz, die Sünde hinfort zu meiden und zu fliehen.
53. Dabei aber läßt es die Gnade nicht bewenden, sondern sie suchet auch durch so manche gute Lockungen und Wohlthaten. Denn sie wirft nicht mit Prügeln und Steinen gleichsam drein, wenn sie die Seelen sahen will, sondern sammelt gerne, wie eine Henne ihre Küchlein, die aufs allerfreundlichst rufet. Matth. 23.37. Der Hirte sammelt und trägt gerne die Lämmer in seinem Busen, d. i. er bringt sie mit Güte treulich zurecht. Jes. 40,11. Und wenn man es glauben will, so zielen alle Gutthaten Gottes dahin, daß wir zu ihm kommen sollen und besser werden.
54. Es suchet auch die Gnade vornehmlich durch das Zeugniß der Wahrheit, und zwar nicht nur durch das allgemeine Wort, da Gott gebeut allen Menschen an allen Orten Buße zu thun, Ap. Gesch. 17,30. sondern auch durch die besondere Zufügung desselben auf diese und jene Seele insonderheit. Indem er solch Zeugniß an die Gewissen bringt, sie von der Nothwendigkeit der Besserung überführt, und also in die Enge treibt, daß wo sie sich nicht völlig bequemen, dennoch ihre Gewissen fühlen, es müsse einmal anders mit ihnen werden, ihr böses Wesen thue nicht gut, dadurch sie denn wenigstens unentschuldbar werden.
55. Gnade ist es demnach auch sogar, wenn schon aus dem Gesetz die schärfsten Rügungen der Sünden, die Vorstellungen des göttlichen Zorns und Gerichts samt der Warnung vor der Verdammniß geschehen. Denn obschon das Gesetz nicht kann lebendig machen, noch den heiligen Geist zur Besserung geben, sondern nur die Verdammniß predigt: so kann es doch ein Zuchtmeister auf Christum und also zur wahren Aenderung werden, wo es in Weisheit gehandelt, und das Wort recht getheilt wird. Wie also den David die Erinnerung seiner Sünde zur Buße leitete durch Gnade. 2 Sam. 12,7.
56. Gnade aber ist vornehmlich die lautere Verkündigung des unverfälschten Evangeliums, wo dieses selbst von den Boten erst recht durch Gnade genossen worden. Denn diese Botschaft von der Gnade in Christo ist es, die da eine Kraft beweiset selig zu machen alle, die daran glauben. Röm. 1,16. Wo dieses Geheimniß der Seele kund und lebendig wird, da ändert sie Muth und Sinn, und wird des ganzen Menschen mächtig, und zwar freiwillig und ohne Zwang.
57. Hier öffnet sich der unendliche Reichthum und Schatz der Liebe Gottes in Christo, und wenn ihn eine arme unterm Gesetz gedrückte Seele erblicket, so läßt sie sich willig versöhnen mit Gott, und gibt sich gerne in seine Ordnung, wie er sie will selig haben. Also wirket die Gnade den Glauben durch das Evangelium. Da werden erst ihr die Augen aufgethan, daß sie sich bekehre von der Finsterniß zum Licht, und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfahen Vergebung der Sünden und das Erbe. Ap. Gesch. 26,18.
58. Dieses sollte zuförderst Lehrer dahin treiben, daß sie sein selbst erst suchten, des Evangeliums theilhaftig zu werden, und den Anfang in sich und Andern mit wahrer Buße der todten Werke legten, als dem Grund und Anfang des christlichen Lebens. Ebr. 6,1. Und daß sie es also nie für überflüssig hielten, Buße zu predigen, nachdem es Christus so hoch befohlen hat.
Sarcerius klaget kurz nach Luther im Buch von Mitteln der Religion: Etliche Prediger, gute Paschaler und wollüstige Männer, die zum Saufen und Fressen geneigt, sind der Meinung, man solle die Gnade mehr treiben, denn die Buße. Wahrlich man findet Etliche, welche die Gnade von Vergebung der Sünden sehr heftig treiben in allen Predigten, aber der Buße sehr wenig gedenken. Diese wollen bei Jedermann Dank verdienen, und Undank und Unwillen vermeiden. Denn die Predigt der Gnade ist sehr angenehm. Wiederum die von der Buße hört Niemand gern.
Nun führt der Teufel viel Prediger allein auf die Predigt der Gnaden von Vergebung der Sünden. Mit diesen will er sie sicher machen. Hingegen beweist er im Buch von der Disciplin, wie unentbehrlich es sey, Buße zu predigen.
Wie denn auch Luther selbst behauptet: Die Predigt von der Buße solle immerdar und ohne Aufhören gehen und wahren in der Christenheit, so lange das Reich Christi wahret. Und in der Vorrede über die Epistel an die Römer §. 11. setzet er das erste Amtswerk eines Predigers darein: Am ersten durch Offenbarung des Gesetzes und der Sünden alles zu strafen, und zu Sünden zu machen, das nicht aus dem Geist und Glauben an Christum gelebt wird.
59. Nachdem aber manche und wohl die meisten Menschen zu solchen gelinden Wegen Gottes so gar unempfindlich sind, daß Worte und Regungen bei ihnen nicht anschlagen: so suchet auch die Gnade oft durch Leiden und Trübsal, als in welchem sie auch Gott wieder suchen lernen, und ängstlich rufen. Jes. 14,23. Oft muß Gott einen scharfen Besen harter Heimsuchungen brauchen, womit er gleichsam alles wegräumet und ausfeget, worunter als einem Auskehricht oder unnützen Stoppeln Gottes Bild verrosten würde.
60. Es stehet dieser Prozeß der Gnade sehr wohl beschrieben. Hiob 33,16. f. Gott schrecket und züchtiget, daß er den Menschen von seinem Vornehmen wende, beschirme ihn vor Hoffart, und verschonet seiner Seele vor dem Verderben; er straft ihn mit Schmerzen - er wird vor den Leuten bekennen und sagen: Ich wollte gesündigt und das Recht verkehrt haben; aber es hätte mir nichts genutzt. Er hat meine Seele erlöst. - Siehe das alles thut Gott zwei oder dreimal mit einem Jeden, daß er seine Seele herumhole aus dem Verderben, und erleuchte ihn mit dem Licht der Lebendigen.
61. Wer nun den scharfen Zügen der Gnade will entgehen, der folge fein dem Wort, und lasse sich durch des heiligen Geistes Kraft erweichen. Niemand sehe die Bußpredigten für etwas Verdrießliches oder Unnöthiges an; Niemand beschwere sich, daß immer von Bekehrung gesagt werde. Sondern heute, da man Gottes Stimme hört, so verstocke man sein Herz nicht. Morgen oder in Kurzem möchte man sonst nur ein Wort davon zu hören wünschen, da es etwa zu spät seyn möchte.
62. Denn höret, wie die Gnade 3) auch selbst die Buße wirke und gebe. Jesus nimmt das Schaf wirklich auf seine Achseln, und bringet es in's Haus, das ist, seine Gnade leitet und gängelt den Sünder in die Sinnes-Aenderung hinein, wie eine Mutter ihr schwaches Kind. Röm. 2,4. Denn von selbst aus eigenen Kräften kommt Keiner zu Gott, wie oben angezeigt: darum greift die Liebesbegierde des Herrn zu, und trägt selbst, führet und treibet dazu, damit wir uns ja nicht mit der Unmöglichkeit entschuldigen dürfen.
63. Ja es ist kein einziger Sünder von Anfang der Welt bis Hieher bekehrt worden, da nicht die Gnade alles gethan hätte. Und wird man allezeit bei solchen recht geänderten Herzen etwas Uebernatürliches und Göttliches merken, das sie bewegt und zurecht gebracht hat. Geschweige denn, was Gott manchmal außerordentlich nach seinem heiligen und freien Willen bei Manchen thut, wie an Paulus und Andern zu sehen.
Daß nicht allein zur Bekehrung ordentlich die Gnade erfordert werde, sondern auch oft etwas Göttliches in solchen Umkehrungen sey, nemlich ans einer verborgenen ziehenden Kraft Gottes, bemerken die Theologen selbst.
64. So ist es denn nun allein Gottes und seiner Gnade Werk, wenn Jemand bekehrt wird; wie es des Hirten Werk ist, wenn ein Schaf aus der Irre kommt. Und dieß schlägt alle Vermessenheit der Natur, alle selbst gemachte Bußarten und allen menschlichen Ruhm darnieder. Denn wo der Herr bekehrt, so wird man bekehrt, sonst nimmermehr. Jerem. 31,18.
65. Es ist sonderlich merkwürdig und tröstlich, daß wir finden, wie Gott die Buße nicht nur befehle, sondern auch wirklich selbst gebe und schenke. Gott gibt auch wohl Widersprechern Buße, die Wahrheit zu erkennen, daß sie wieder nüchtern werden aus Satans Stricken. 2 Tim. 2,25. Und wenn es so oft heißt: Thut Buße, ihr sollt und müßt Buße thun, als Matth. 3,2. 4,17. 11,29. 13,21. 21,32. So ist es nicht zu verstehen, als ob es Gott von uns fordere, daß wir uns aus eigenen Kräften sollten bekehren, oder eine Buße machen, wie wir wollten. Solche selbst errichtete Bekehrungen haben keinen Bestand noch Grund.
66. Sondern der Sinn Gottes ist dabei, Gott wolle uns selbst bessern, wir sollten ihn nur nicht hindern. Die Gnade sey nahe und kräftig genug, der sollten wir stille halten, und uns bekehren lassen. Und so heißt es Ap. Gesch. 11,18. Gott habe den Heiden Buße gegeben. Und insonderheit stehet von dem Sohne Gottes nach seiner Erhöhung: Cap. 5,31. Er gebe Israel Buße und Vergebung der Sünden.
67. Dieser theure Heiland gibt nun und wirket durch seine Gnade Buße, so wohl, daß er als ein Hoherpriester uns solche erwirbt und erbittet bei dem Vater, als auch, indem er uns dazu treibt und bewegt, auch anweiset und zurecht führt. Wie er denn auch sein Amt mit Bußlehren anfing und fortführte. Marc. 1,15.
68. So wirket auch noch seine Gnade die Buße, da er läßt verkündigen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Luc. 24,47. Also daß wir gewiß glauben können, es sey eine Kraft und Gnade zur Besserung für unsere Herzen, wo in der Wahrheit Buße gepredigt, und mit Ernst und Nachdruck bezeugt wird, samt dem Glauben an den Herrn Jesum; welches auch die Hauptsumme unsrer Lehre seyn soll nach dem Exempel der Apostel. Ap. Gesch. 20,21.
69. Hier mag etwa Jemand denken: Ist das gewiß, daß die Gnade lauter Besserung wirke, so werden sie auch alle bekehret werden. Warum geschieht aber solches nicht? Allein es bleibt dennoch die Kraft der Gnade zur Buße unwidersprechlich, ob sie schon nicht alle annehmen. Es liegt die Schuld an denen, die ihr widerstehen und hinderlich fallen.
70. Zwar wird auch nicht von allen, so da Prediger heißen, das Wort recht getheilt, und die Buße göttlich getrieben, weil sie selbst noch nie bekehrt gewesen, noch den rechten Bußkampf erfahren. Allein Zuhörer haben sich doch auch zu prüfen, ob sie der Gnade in allen jetzt erzählten Wirkungen Platz gelassen, oder aber hinderlich gewesen. Denn wenn das Amt der Versöhnung in seiner Kraft und Ordnung geht, und man bezeugt: Lasset euch versöhnen mit Gott: so muß man sich auch wirklich versöhnen lassen, oder dieselbe Gnade leiten und walten lassen. 2 Cor. 5,20. Denn sonst hilft es ja nimmermehr, daß Gott die Welt mit sich versöhnet hat, wo du und ich nicht uns wirklich versöhnen lassen. Auf das Lassen oder Leiten und stille halten kommt es nun an, oder auf die Gelassenheit des Glaubens mit allen rechten Christen.
71. Es ist ganz möglich, geschieht auch täglich von so Vielen, daß Halsstarrige dem heiligen Geist widerstreben. Ap. Gesch. 7,50. Was kann denn die Gnade davor, daß solche unbekehrt bleiben? Will doch der Herr die Seelen gerne sammeln und bessern, wenn sie nun nicht wollen, so ist es ja ihre Schuld. Am Wollen oder nicht Wollen liegt es: das Wollen wirkt die Gnade gerne, wenn sie keinen Widerstand findet. Matth. 23,20.
72. So sehet nun zu, daß keiner die Gnade Gottes auf Muthwillen ziehe; denn dazu ist sie nicht Gnade, daß sie aller Sünden und Schanden Deckel seyn solle, sondern daß sie die Sünden soll wegnehmen, und Gerechtigkeit und Wahrheit geben. Denn nicht nur Gnade, sondern auch Wahrheit ist durch Christum geworden. Joh. 1,17. Wer diese von jener trennt, dem wird sie zum schweren Gericht und Zeugniß endlich gereichen.
Wider diesen Mißbrauch der Gnade zur Bosheit eifert Luther oft, als da er in der Kirchen-Postill am 7. Trinit. sagt: Das ist der Welt Unart, wenn man von Vergebung der Sünden ohne unser Verdienst aus lauter Gnade gegeben predigt, daß sie entweder sagt, man verbiete gute Werke, oder will daraus schließen, daß man möge fort in Sünden leben und thun, was man wolle. So doch hier billig soll das Widerspiel folgen, daß durch diese Lehre die Leute willig würden Gutes zu thun. Dieß erläutert er mit einem Gleichniß von einem Diebe, dem Gnade widerfahren, und doch immerfort stehlen wollte und sagen: Ich bin nun unter der Gnade, und mag nun thun, was ich will, denn ich habe nun kein Recht, davor ich mich fürchten müsse.
73. Diesem nach wisset nun gewiß, daß keine Buße recht sey ohne die Gnade, und daß keine Gnade recht sey ohne diejenige, welche Buße wirket. Bleibt der Mensch ungeändert stehen, so hat er keine Gnade, ob sie ihm auch tausendmal angeboten wäre, sondern hat falsche Buße und selbsterdichtete Gnade für die rechte erwählt zu seiner eigenen Verdammung.
74. Aus diesem Grunde, nemlich daß Gnade zur Buße gehöre, fließet von selbst der Unterschied unter der wahren und falschen Buße. Denn die falsche oder Heuchel-Buße ist ohne Gnade aus eigener Kraft. Diese geschieht, wie Luther redet, in's Teufels oder in eigenem Namen. Da er zugleich zeiget, wie es solche Leute hernach nur ärger machen. Und anderswo beschreibt er sie also: Wenn einer sich äußerlich des Bösen enthalte ohne Lust und Liebe zu Gerechtigkeit, allein aus Furcht der Pein und der Hölle, da man sich des Schadens mehr scheuet, als der Sünde, und den Sünden nicht feind ist. Diese nennet er eine Gesetz Buße oder Galgen-Reue, eine Reue ohne Glauben, wie Cains, Sauls und Judä.
75. Es gibt auch eine andere Art der falschen Buße, da Manche sich nur mit Worten oder Geberden für arme Sünder bekennen, aber im Grund Schälke bleiben, welche Luther lebendig beschreibet in der Kirchen Postill 11. Trinit. und klaget, daß sich so viele unter den Evangelischen dergleichen finden.
76. Weiter gestehen Manche, daß sie sich innerlich bekehren müssen. Daher geben sie zwar vor, sie wollten sich gerne bekehren, aber schützen ihr Unvermögen vor, meinend, Gott werde den Willen für die That nehmen, welche aber sich schrecklich betrügen, und einst erfahren werden, wie sie mit einem Gott zu thun haben, der Willen und That zusammen fordert.
77. Andere bekehren sich auf eine Zeitlang, und laufen fein, aber bei allem Wind der Lehre oder Anfechtung halten sie wie ein loser Bogen. Diese zeigen mit ihrem Rückfall, daß sie auf Sand gebauet.
78. Wiederum bekehren sich Etliche nur von dieser oder jener Sünde, die ihnen gar zu schimpflich oder schädlich vorkommt; nicht aber von allen Sünden. Sie wollen etwas verläugnen und fahren lassen, aber nicht alles: Da doch der Heiland alles und jedes haben will. Luc. 14,26.
79. Noch gibt es Andere, die etwa durch einiger Lehrer Verleitung oder Exempel die Buße für eine gar leichte Sache halten, daß sie in ihrem Willen und Vermögen stehe, wenn und wie sie sich bessern wollen, setzen sie meist in Aeußerlichen, oder daß sie einmal Beten, Lesen, Beichten, Communicieren u.s.w. Solche wiederholen denn auch dergleichen leichtsinnige Buße alle Vierteljahre, und sündigen darauf immer wieder aufs Neue los, kommen also nie zu wahrer Herzens-Buße.
80. Noch Andere treibet etwa die Noth zu einiger Demüthigung, Zerknirschung und Gebet. Jes. 26,16. Aber wenn jene vorbei ist, so ist es auch mit diesem aus. Gleichwie man insgemein bei einbrechenden Landplagen sieht, daß mit denselben auch die vermeinte Buße der Leute vorbei geht. Ein solcher war Ahab. 1 B. Kön. 21,17.19.
81. Denen sind Diejenigen nahe, die endlich aus Unvermögen, Armuth, Alter und dergleichen nicht mehr Saufen, Huren, Spielen u.s.w. können: da sie doch die Sünden hätten sollen lassen, ehe die Sünden sie verließen; weil sie solchergestalt keine wahre Proben der Besserung an sich haben, und Gott ihnen also nicht trauen kann.
82. Nicht aber allein bekehren sich Manche fälschlich um des erlittenen oder doch gefürchteten Schadens willen, sondern auch ihres Vortheils wegen. Da sie hoffen, Gott werde ihnen dies und das nicht eben wegnehmen, sondern desto mehr Gutes thun, wenn sie einige Sünden ließen, ihre Nahrung werde besser gerathen, und was der falschen Absichten mehr sind.
83. Andere meinen mit dem äußerlichen Beten alles auszurichten, oder mit einigen Almosen, oder daß sie den Predigern etwas zu Gute thun, damit ihre gestohlene Güter und dergleichen zu ersetzen, im Herzen aber bleiben sie nach wie vor voller Bosheit.
34. So wird es auch sehr gemein, daß Viele die gehörte Wahrheit billigen, gut heißen und loben, auch wohl gegen Andere wiederholen und behaupten, die Bekenner derselben vertheidigen, davon disputieren, als ob es ihnen Ernst sey: zum wenigsten getrauen sie sich nichts dawider zu sagen; aber der Grund ist damit noch lange nicht zur Besserung gelegt.
85. Diese und dergleichen Leute alle bekehren sich, aber nicht recht, sondern halten wie ein loser Bogen. Hos. 7,16. Daher ein Jeder sich genau zu forschen hat, damit er sich nicht mit einer selbstgemachten Buße betrüge, die ihm gereuen möchte. Denn Gott wird eines Jeglichen Bußwerk an das Licht bringen und prüfen, und was nicht im Feuer seiner Läuterung bestehet, das wird nur Schaden bringen, und zu Schanden werden: Wovor Gott einen Jeden bewahre.
86. Es fließet aber weiter aus der bußwirkenden Gnade, daß es denn nicht stehe in unserer Wahl oder Macht, wenn und wie wir wollen Buße thun. Sondern eben deßwegen, weil wir Gnade dazu bedürfen, müssen wir auch dieselbe brauchen, wenn sie sich anbietet. Zumal sie sonst, wo sie verachtet und versäumt würde, gar bald zurück weichen, und uns in unserm Elend lassen könnte.
87. Hier möchten doch Diejenigen sich besser vorsehen, die gleichwohl ihre Buße immer aufschieben, auch wohl bis in den Tod; ob sie nicht vom Feind schändlich betrogen werden, indem er ihnen weis macht, sie könnten sich bessern, wenn sie wollten. Damit hält er sie von einer Zeit zur andern auf, bis endlich weder Luft noch Kraft zur Besserung da ist, wie die traurigen Exempel überall zeigen.
Wer nicht aufstehet in der Stunde und Augenblick, wenn ihn der heilige Geist ruft, der wird ihn nimmermehr ergreifen. Denn wo er einmal hinweg zieht, kommt er nimmermehr wieder. Also sind ihrer heutigen Tages Viele, die der Lehre des Evangeliums schändlich mißbrauchen, und können unterdessen ihnen selbst sein liebkosen und sagen: Wiewohl ich jetzt in Sünden liege, und gottlos bin, so will ich doch dermaleinst Buße thun und mich bessern. Aber diese alle werden zuletzt das betrübte Urtheil hören: Ebr. 12,17. Er fand keinen Raum zur Buße.
88. Bei diesem Ort ist zwar zu merken, daß der Apostel nicht eigentlich nach des Geistes Sinn sage, als ob Esau bei Gott habe keinen Raum zur Buße gefunden, ob er sie schon mit Thränen gesucht, denn das wäre der überall gepriesenen Gnade Gottes zuwider, daß er einen armen Sünder vergeblich Buße suchen ließe: sondern es heißt nur, Esau habe bei dem Vater Isaac die Reue und den Widerruf seines Segens über Jacob umsonst verlangt, ob er schon aus Eigennutz darüber geweinet. Daher Luther aus seiner Uebersetzung nur redet, und Andere diesen Ort unrecht deuten auf eine unbedingte Verwerfung gewisser Menschen, als ob solche gerne Buße thun wollten, und doch nicht von Gott erlangten, welches seiner Gnade allzu verkleinerlich ist.
89. Dem allen aber ungeachtet, so schließt doch der Apostel aus Isaacs Vorbild richtig, und bleibt dabei, daß unumgänglich Gnade zur Bekehrung gehöre, und daß diese also nothwendig anzunehmen sey, weil man sie hat, damit nicht ihre Verachtung durch gerechte Entziehung gerochen werden dürfe, welches hernach der göttlichen Gnade nicht zu verargen ist, sondern vielmehr zu fürchten, und wohl zuzusehen, daß sie als ein allezeit verspotteter Schatz schwerlich ob einem Solchen schwebe.
90. Wir müssen aber nun die Bekehrung selbst auch betrachten, so ferne sie als wahrhaftig aus der Gnade kommt, und nicht bloß geheuchelt oder verstellt ist. Denn weil sie ein Werk Gottes und seiner Gnade seyn soll, so muß sie nothwendig etwas Göttliches, Gründliches, Beständiges und Wahrhaftiges seyn. Und so ist es auch in der That nach Gottes Sinn und Willen.
91. Nemlich es ist die Buße nicht etwas bloß Aeußerliches, das mit gewissen auswendigen Uebungen und Werken, Geberden und Zeremonien ausgerichtet wäre: wie man im Pabstthum Geld-Buße und dergleichen nennet, dabei das Herz nichts erfährt. Auch ist sie nicht mit der sogenannten Beicht und ein wenig Lesen und Singen gethan, wie man unter uns leider meistentheils sich einbildet, wie schon gedacht.
92. Sondern es ist eigentlich auch nach dem griechischen Ausdruck eine Herzens-, Sinnes- und Willens-Aenderung, eine Umkehrung und Umwendung des ganzen Menschen von Innen und Außen, nemlich von der Finsterniß zum Licht, von der Gewalt des Satans zu Gott, von dem Irrweg zu dem Hirten und Bischof der Seelen. Ap. Gesch. 26,18. 1 Petri 2,25.
Daß diese Sinnes-Aenderung und Verwandlung vornehmlich inwendig in uns vorgehen müsse, bekennt Luther. Buße thun heißt eigentlich anders gesinnet werden, einen andern Sinn und Gemüth bekommen, und einen Durchgang des Geistes halten, und nun geistlich und himmlisch gesinnet seyn, da man vorher irdisch gesinnt gewesen. Ja er sagt: Die innere Buße müsse größer seyn als die äußere. Der Wille inwendig ist das Gewicht aller äußern Werke und Leben, und sollte der Leichnam Folge thun in einer Seele, die gründliche Reue hat, und entzündet ist In der Wahrheit, er müßte in einer Stunde zerfließen wie der Schnee und vergehen.
93. Um deßwillen nennt es der heilige Geist sehr oft die Besserung, da man nemlich das Böse läßt und das Gute thut. Wie denn Gott selbst diese zwei Stücke fordert: Jes. 1,16. Lasset ab vom Bösen, lernet Gutes thun. Und Cap. 6,15. 25,7. Der Gottlose lasse von seinem Wege, und der Uebelthäter seine Gedanken, und bekehre sich zum Herrn. Ingleichen: Ezech. 18,21. Wo sich der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er gethan hat, und hält alle meine Rechte, so soll er leben.
Buße beschreibt Luther als eine Aenderung und Besserung des ganzen Lebens, wenn der Mensch sich erkennet, daß er ein Sünder sey, und fühlet, daß sein Leben unrecht ist, daß er denn von dem abstehe, und trete in ein besseres Wesen, mit allem seinen Leben in Worten und Werken, und dasselbige auch von Herzen. Was heißet Buße anders, denn den alten Menschen mit Ernst angreifen, und in ein neues Leben treten.
Buße ist nichts anders, denn ein Mißfallen über sich selbst und über sein sündliches Leben, und eine Erneuerung des Menschen. In solcher Erneuerung folget denn Gottes Lob und Danksagung für die empfangene Gnade, da führt denn der Mensch zu, und erzeigt sich gegen seinen Nächsten freundlich, und thut, was ihm gefällt.
Das ist einmal wahr, daß in wahrhaftiger Bekehrung müsse eine Aenderung, neue Regung und Bewegung im Verstande, Willen und Herzen geschehen, daß nemlich das Herz die Sünde erkenne, vor Gottes Zorn sich fürchte, von der Sünde sich abwende, die Verheißung der Gnade in Christo erkenne und annehme, gute geistliche Bedanken, christlichen Vorsatz und Fleiß habe, und wider das Fleisch streite. Denn wo deren keines geschieht oder ist, da ist auch keine wahre Bekehrung.
Aus diesem Grunde lassen auch die Vorfahren gerne zu, daß die Besserung des Lebens ein Stück der Buße mit sey. Wir sagen, die Buße und Bekehrung habe zwei Stück, Reue und Glauben. So nun Jemand will das dritte Stück dazu setzen, nemlich die Früchte der Buße und Bekehrung, welche sind gute Werke, so folgen sollen und müssen, mit dem will ich nicht groß fechten. Ob nun Jemand wollte sagen, Christus begreift auch die Früchte der Buße, das ganze neue Lebens das fechten wir nicht groß an.
94. Soll aber eine solche wichtige Hauptveränderung in dem Menschen vorgehen, so muß freilich vor allen Dingen große Erkenntniß, Schrecken und Zagen über die vorigen Sünden im Gewissen entstehen. Denn was einem nicht reuet, schmerzt und verdrießt, daß es geschehen ist, dasselbe wird man auch nicht leicht lassen. Daher kommt es, daß dieses bisweilen Buße heißet, oder eine Nachreue nach den Sünden, die in der Bekehrung entstehet, so ferne sie mit dem Glauben zusammengesetzt wird. Matth. 4,17. Marc. 1,15. Ap. Gesch. 20,21.
95. Wenn diese Reue von der Gnade erweckt wird, und eine Traurigkeit nach Gott und seinem Sinn bei sich hat, so gereuet sie Niemanden. Sie ist aber daran nach 2 Cor. 7,9. f. zu erkennen, wenn sie wirket in der Seele Fleiß, Verantwortung, Zorn (wider das Böse,) Furcht, Verlangen, Eifer, Rache, das ist starke Bewegungen und Kämpfe der Sünde los zu werden.
96. Wo aber der Ernst sich nicht in solchen Kennzeichen hervorthut, sondern ein laulich heuchlerisch Bezeigen und Verstellen in dem gewöhnlichen Beichten oder sonst, oder auch, wo man gar noch seine Sünden entschuldigt, die Bestrafungen verachtet oder spottet u.s.w. Da kann weder Reue noch Glaube richtig seyn. Denn die göttliche Reue wirket rechte Geburtsarbeit und Angst über dem Elend, schreckt, beschämt und demüthigt.
97. Ist nun das Herz recht tief geängstet und bekümmert, so läßt es sich auch durch Gnade zur Gnade in Christo treiben, und kehret mit dem verlornen Sohn um zum Vater. Das ist daran zu erkennen, wenn der Mensch sich im wahren Gebet des Geistes übet, und einen Zugang im Glauben suchet zu der Gnade, die in Christo eröffnet ist. Denn in solchem Gebet, wenn es ernstlich ist, wird der heilige Geist den Glauben entzünden, und Christum in einem solchen Sünder verklären. Wie es denn von Paulo stracks in seiner Bekehrung heißt: Ap. Gesch. 9,11. Siehe, er betet.
98. Sodann, wenn es in diesem rechtschaffen zugeht, werden die Früchte der Buße, und zwar rechtschaffene, nicht ausbleiben können noch dürfen. Matth. 3,8. Ja es kann die Buße so wenig ohne erfolgende wahre Liebe zu Gott und dem Nächsten seyn, so wenig der Glaube ohne Liebe thätig seyn mag.
99. Und eben dies thut abermal die lautere Gnade, wie Luther über Joh. 1,16. fein andeutet: Daß wir durch Christum das Gesetz erfüllen, und den Vater erkennen, damit Heuchelei aufhöre, und wir wahre rechtschaffene Menschen werden.
100. Solches hat uns nicht ein Mensch gelehrt, sondern Gottes Sohn selbst, da er eben dieß zum Kennzeichen der wahren Buße und der darauf erfolgten Versöhnung setzte: Luc. 7,47. Ihr (der Sünderin) sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebet, welchem aber wenig vergeben ist, der liebet wenig. Also gar ist alle vermeinte Buße unrichtig, die nicht die süße Frucht der christlichen Liebe nach sich ziehet. Von diesen Stücken allen aber soll weiter besonders gehandelt werden.
101. Und hiernach mögen wir uns alle zusammen genau prüfen, ob es mit der Buße rechter Ernst sey, oder nicht. So viel Liebe und Treue da ist, so viel ist auch Veränderung des Herzens da: und so viel uns daran mangelt, so viel ist die tägliche Buße und Erneuerung uns nöthig.
102. Wir müssen demnach gewiß glauben, daß unsere ganze Herwiederbringung auf der Buße an unserer Seite beruhet. Der ganze Mensch muß ja aus seinem Verderben herumgeholt, und zu seinem vorigen Stand gebracht werden, dazu ist nun der erste Weg in der Bekehrung offen, welche eben eine solche Umkehrung und Umschmelzung des Sinnes ist, die uns ganz anders und neu vor Gott darstellen kann.
103. Ein Schaf, wenn es aus der Irre wieder geholt wird, gelangt durch solche Herumholung zu seinem ehemaligen guten Zustand, darin es vor dem Verlust war. Der verlorne Sohn ward völlig wieder in des Vaters Haus, in die erste Liebe und deren Kindesrechte eingesetzt, die er zuvor verlassen hatte. Dadurch zeigt der Herr Jesus an, daß uns eben eine vollkommene Ersetzung oder Wiedereinsetzung offen stehe in der Buße, wenn wir nur wollen.
104. Denn so bestimmt es Gott selbst, daß die Bekehrung soll bringen das Licht und das Erbe samt denen, die geheiligt werden durch den Glauben an Jesum. Ap. Gesch. 20,31. Und Paulus sagt: Bekehrt werden, hinübergesetzt, in das Reich des Sohnes seiner Liebe. Col. 1,13. Was kann Herrlicheres seyn? Sollte es doch fast Niemand glauben, wo es nicht so deutlich versichert würde. Und wer es nicht glaubt, der mag zusehen, ob er jemals sey verändert worden durch Erneuerung seines Sinnes. Denn es sind lauter Dinge, die in der That müssen eintreffen, wo es recht mit der Buße zugeht.
105. So ist es auch mit Vergebung der Sünden, die muß in der Buße so gewiß geschenkt und erfahren werden, als sie vom heiligen Geist unzertrennlich zusammen gehängt wird. Denn es muß verkündiget werden Buße und Vergebung der Sünden, keines aber ohne das andere. Luc. 24,47. Ap. Gesch. 5,31. So kann denn auch kein wahrer Bußfertiger ohne Versöhnung bleiben, sondern er glaubt und hat sie unfehlbar: Kein Versöhnter aber ist ohne Bekehrung. Welches sowohl Sicheren, als Verzagten zum Besten dient.
106. Sicheren kann es zur Warnung beförderlich seyn, daß sie sich doch nicht so liederlich, wie meist geschieht, eine Absolution einbilden, ehe sie Früchte der Buße an sich sehen. Auch daß Niemand Andern Vergebung spreche oder zusage, er sey denn ihrer Buße gewiß. Zagenden aber soll es dienen, daß sie wahrhaftig eine Tilgung und ewige Abthuung ihrer Sünden glauben, so lange sie in redlicher Umkehrung davon stehen.
Siehe davon allhier das 17., 20. und 23. Capitel.
107. Nun wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch wirklich Leben und Seligkeit. Diese Seligkeit thut sich hervor in Friede und Freude des heiligen Geistes, welche mit der Gerechtigkeit genau verbunden sind. Röm. 14,17. Zwar gönnt Satan, und die seines Theils sind, Niemanden eine so große Errettung, sondern Gottlose und Heuchler sehen alle gerne, daß Jedermann in seinen Sünden liegen bleibe, und sie nicht beschämt werden. Sie sind auch neidisch gegen umkehrende Sünder, und es befremdet sie, daß Andere nicht mehr laufen in das wüste unordentliche Wesen, und lästern daher wider solche. 1 Petri 4,4. Daher die Pharisäer über Jesum selbst murreten, und der ältere Sohn murrete wider den Vater, daß er den jüngsten annahm. Luc. 15,2.28.
108. Allein dieses Murren, Neiden, Widersprechen, ja alles Lästern, Verketzern und Verdammen der Gottlosen vermindert die Seligkeit der Kinder Gottes nicht, sondern vermehrt sie vielmehr. Denn Gott selbst freuet sich über sie, der Heiland nimmt sie auf seine Achseln mit Freuden, und der heilige Geist, der zuvor betrübt war, erfüllet sie mit Freudigkeit nach dem Leid der Buße.
109. Gottes Freude über einen Sünder, der Buße thut, entsteht über dem verlornen und nun wiedergefundenen Kinde, das wieder lebendig geworden oder bekehret ist. Luc. 15,35. Diese Freude aber gründet sich auf die Verwandtschaft des Kindes mit dem Vater, weil es seines Geschlechts ist. Daher freuet er sich so sehr, wie ein Bräutigam über seine Braut sich freuet, welches sonst in der Natur die höchste Freude seyn soll. Jes. 62,5.
110. An dieser Freude haben denn nothwendig die Engel Theil, wie sie sich über den Ungehorsam der Bösen betrüben und bekümmern. Denn die Seelen, so sich recht ernstlich bekehren, kommen schon im Geist, noch ehe sie abscheiden, zu der Menge vieler Tausend Engel, sie treten in die herrliche Gemeinschaft mit Gott, mit seinen Engeln und Heiligen. Ebr. 12.22. Und hernach werden sie auch den Engeln gleich werden, und nicht mehr sterben können. Luc. 20,36. Wie sollten sich denn diese heiligen Geister nicht über solcher Gesellschaft hoch freuen?
Siehe von diesem Geheimniß, wie wir nemlich im Geist schon hier auf Erden in Gottes Himmel und unter den Engeln seyn können, ein Mehrers allhie im 32. Cap..
111. Allein es fragt sich hier: Ob denn ein bekehrter Sünder gar nichts von dieser Freude Gottes und seiner Engel merke, empfinde oder genieße? Da kann nun aus der Schrift und Erfahrung allerdings in gewissem Maße mit Ja geantwortet werden. Denn wenn das wahr ist, daß solche in das Reich des Sohns der Liebe hinüber gesetzt sind, wenn sie schmecken das gütige Wort Gottes, ja himmlische Gaben und wohl gar Kräfte der zukünftigen Welt: Ebr. 6,4. So müssen sie ja auch von englischer Freude etwas genießen.
112. Wiewohl es nun nicht allezeit bei allen durchgehend geschehen mag, nachdem etwa ihr Zustand ist: So erfolgt doch wenigstens auf rechtschaffene Buße und Reue endlich auch größer Trost und Freude, den ein solcher Mensch nicht um die ganze Welt gäbe. Und empfindet freilich eine zuvor recht zerknirschte Seele von der himmlischen Freude, die über ihr im Himmel entsteht, auch in ihrem Herzens-Himmel etwas, das man aber gemeiniglich zu solcher Zeit selbst nicht wohl entscheiden oder erkennen mag, weil man ungeübt ist.
113. Also freuete sich jener Kerkermeister mit seinem ganzen Hause, daß er an Gott gläubig geworden war. Ap. Gesch. 16,3. Der bekehrte Cämmerer zog seine Straße fröhlich, sobald er getauft war. Cap. 8,39. Das ist ja eine selige Veränderung, wenn man sich darüber freuet, worüber man zuvor betrübt war, nemlich über der Buße, über der Wahrheit, über Gottes Ehre, über der Liebe zu Gott und dem Nächsten u.s.w.
114. Es würdiget auch wohl der Herr einen umgekehrten Sünder, den er in sein Haus gebracht, seines Tisches, d. i. er erquicket ihn mit dem Brod des Lebens, Jesu Christo, und hält das Abendmahl mit ihm in ihm. Er spricht wie der Vater von dem verlornen Sohn: Lasset uns freuen und fröhlich seyn. Luc. 15,31. Ja auch alle wahren Kinder Gottes freuen sich darüber, und machen eine große Freude auch Andern, wenn sie eine Seele gewonnen sehen, wie dort geschah in der ersten Kirche. Ap. Gesch. 15, 2.
115. Und wenn nun hier schon solche Wonne entstehen kann auf wahre Buße, ey! Was wird nicht im Himmel werden, da die Bußthränen werden wieder abgewischet werden von solchen Augen, die hier Leid getragen haben? Diese sollen getröstet und nach vollendetem Kampf wohl gelabet werden. Denn wahre Buße hat noch Niemanden gereuet, sondern alle endlich erfreuet.
Gebet.
Herr Jesu, du Zöllner- und Sünder-Freund, der du gekommen bist und noch kommst, solche zu suchen und selig zu machen, die verloren sind. O so suche doch deine verirrte und verlorne Schafe alle zusammen, die du kennest, daß sie in der Wüste dieser Welt hin und her irren, dürre und verschmachtet, und keine Ruhe finden für ihre Seelen. Ach wie unzählige essen noch mit dem verlornen Sohn die Trabern der Eitelkeit und irdischen Lüste, und denken noch nicht nach des Vaters Haus! Andere behelfen sich mit Heucheln, meinen alle Vierteljahr einmal zurück zu kommen, und bei dir zu essen: aber laufen gleichwohl wieder in das vorige wilde und wüste Wesen, und wie Manche bekehren sich, aber nicht recht. Ach das macht alles, weil sie deine Gnade nicht kennen noch brauchen. Darum erbarme dich des Brennens und Reißens auf Erden unter deinen Seelen, die du selbst erkauft hast, und züchtige durch deine heilsame Gnade alle verlaufene Kinder so lange, bis sie in sich schlagen und zu dir kehren. Komme uns allen in unserer Ohnmacht zuvor, lasse es uns nie auf unsere Kräfte wagen, sondern dir unterthan werden, daß du uns ganz und vollkommen bekehren, und zurecht bringen könnest. Dazu mache uns dir gelassen ganz und gar, und zerschmelze unsern Sinn durch dein heiliges Feuer deiner Liebe, daß wir deine Wirkung nie verhindern, noch den Geist der Gnade schmähen. Ach bekehre uns selbst recht, so sind wir bekehret; treibe die, so sich zu dir haben ziehen lassen, in die tägliche Buße und stete Erneuerung des Geistes, uns selbst und allen Dingen ernstlich abzusterben, damit wir dir leben können in deines Vaters Hause, und da im Geist deine Freude schmecken, nach dir stets zu dürsten, bis wir endlich mit allen Engeln und Auserwählten bei der Hochzeit des Lammes essen, und fröhlich seyn können ewiglich! Amen.