Ahlfeld, Johann Friedrich - Die Langmut des Herrn mit der streitenden Kirche.

Ahlfeld, Johann Friedrich - Die Langmut des Herrn mit der streitenden Kirche.

(V. Sonntag post Epiphanias)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Matth. 13, 24-30.
Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein! auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit auslauset, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides mit einander wachsen, bis zu der Ernte; und um der Ernte Zeit will ich den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, dass man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuern.

Die da arbeiten in den Metallen der Erde, in Christo geliebte Freunde, haben eine doppelte Arbeit. Die erste besteht darin, dass sie Gold und Silber, und wie die Metalle weiter heißen, herausgraben und heraushauen aus den Tiefen der Erde und der Felsen und sie dann läutern im Schmelzofen. Die andere besteht darin, dass sie die Metalle verprägen in Goldstücke oder in Taler, Groschen und Pfennige, dass sie sie verarbeiten in allerlei Geräte, wie sie der Reiche und Arme, wie sie der Sandmann, der Bürger oder der Schiffer braucht. - Die da arbeiten am täglichen Brote der Menschen haben gleichfalls eine doppelte Arbeit. Ein Teil mühet sich, unter Gottes Hilfe der Erde ihre Früchte abzugewinnen. Der andere Teil verarbeitet diese gewonnenen Früchte, dass sie Brot und Nahrung werden für Starke und Schwache, für Gesunde und Kranke. - Eine solche doppelte Arbeit haben auch die, welche an dem Worte Gottes arbeiten. Einmal liegt vor ihnen der unergründliche Schacht göttlicher Wahrheit und Weisheit. Sie werden nie fertig, denselben auszuforschen und auszureuten. Wenn sie denken - „Nun habe ich alle Goldkörner heraus, die in diesem Kapitel oder in diesem Verse ruhten,“ dann irren sie sich. Wenn sie über's Jahr, wo sie an Erkenntnis und innerer Erfahrung reicher geworden sind, wieder daran kommen, sehen sie neue Goldadern, an die sie vorm Jahre gar nicht gedacht hatten. Die zweite Arbeit ist die, dass sie das Errungene, das Gewonnene zum Eigentum der Gemeinde machen, dass sie es Jedem reichen und teilen wie es ihm gerade not tut. Genug, der eine Teil geistlicher Arbeit ist die Auslegung des Wortes, und der zweite Teil ist die Anlegung an die Herzen der Gemeinde, Der erste Teil, die Auslegung, wird uns bei unserm heutigen Evangelio nicht schwer. Der Herr hat uns die Mühe erspart. Er hat den Jüngern Stück für Stück die Bedeutung des Gleichnisses in demselben Kapitel erklärt. Wolle er uns Gnade und seinen heiligen Geist geben, dass wir auch in der Anlegung an die Herzen den rechten Sinn und für Jeden das rechte Wort treffen! Ach Herr, das gib um deiner großen Treue willen. Lass uns vor diesem deinem reichen Gleichnisse nicht dastehen als solche, die Augen haben und nicht sehen, Ohren und nicht hören, die verstehen und doch nicht verstehen! Amen.

Wir entnehmen unserm Evangelio den Hauptgedankens

Die Langmut des Herrn mit der streitenden Kirche.

Wir zerteilen uns denselben nach dem Texte in folgender Ordnung:

Als guten Samen sät der Herr sein Wort;
Der Feind streut Unkraut drunter fort und fort.
Die Eifrer schreien: „Reiß das Unkraut aus!“
Der Herr spricht: „Nein, ihr reißt den Weizen mit heraus,
Den letzten Tag, das Ende dieser Welt,
Hab' ich zum Sichtungstage festgestellt.“

l.

Als guten Samen sät der Herr sein Wort;
Der Feind streut Unkraut drunter fort und fort,

„Der Acker ist die Welt,“ spricht der Herr. Der Acker ist auch dein Herz, eine kleine Welt. Als Gott den Menschen schuf nach seinem Bilde, da säte er den ersten guten Samen auf seinen Acker. Gott sah an Alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Als Jesus Christus in unser Fleisch geboren ward, da ward der neue gute Same auf den Acker gesät. Der Same ist das Wort, und Christus ist das Wort, das im Anfang war, das bei Gott war. Christus wird vorherrschend im alten Bunde der Same genannt. Er ist auch besonders gemeint, wenn Gott zu Abraham spricht: „In deinem Samen sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden.“ Christus ist aber auch der Säemann. Er sagt ja selbst: „Des Menschensohn ist es, der da guten Samen säet.“ O wie treu, wie fleißig hat er gesät! Ganzer drei Jahre ist er das Land aus - und abgegangen und hat ausgestreut. Er ist nicht müde geworden. Für ihn gab es keine besondere Saatzeit. Sommer und Winter war seine Saatzeit. Und zuletzt hat er noch vom Kreuze herab die letzten guten Samenkörner ausgestreut. Seine letzten sieben Worte, sein vergossen Blut sind die heiligsten Samenkörner für die Kirche gewesen. Sein Vorrat, aus dem er säte, war die durch das Gesetz und die Propheten geoffenbarte ewige Gotteswahrheit. Aber er griff auch frei hinein in den Reichtum der Weisheit Gottes, die noch nicht geoffenbart war. Alles, was des Vaters ist, war sein. Aus des Vaters Schatz hat er es genommen und uns verkündigt. Jedes Wort von ihm ist ein Samenkorn. Und obwohl es nun mehr denn 1800 Jahre her ist, dass dieser teure Säemann über die Erde ging, hat doch kein Wort seine Keimkraft verloren. Wenn es hie und da nicht ausgehet, liegt es nicht an dem Samen, sondern der Boden ist schuld. Der Same reicht auch hin, dass die ganze Welt damit besäet werde. Immerfort gehen seine Säeleute aus, unter Christen, Juden und Heiden den guten Samen auszustreuen. - Lieber Christ, auch dein Herz, diese kleine Welt, hat der Herr besäet mit seinem guten Samen. Als du noch nichts von dir selber wusstest, als du getauft wurdest mit dem Wort: „Ich taufe dich im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes,“ da wurden die ersten heiligen Körner in das neue Land gestreut. Als deine Mutter dich die ersten Gebete lehrte, setzte sie dies Werk fort. Deine ganze Jugendzeit hindurch ist der Herr über seinen Acker weggegangen und hat alle Tage ausgestreut aus seinem reichen Vorrate. Und noch hört er nicht auf, noch wird er nicht müde. Jeder Sonntag, und ob er mitten im Winter läge, ist sein Saattag. Jede Stunde, die du mit Gebet in Betrachtung des göttlichen Wortes verbringst, ist eine Saatzeit. Der Altar, wo du den Leib und das Blut des Herrn empfängst, ist eine Stätte himmlischer Aussaat. - Ja, der Herr säet oft, ohne dass er sich seiner gewöhnlichen Arbeiter dabei bedient. Mancher Same draußen in der Natur wird fortgeführt durch die Fluten, durch die Winde und durch die Vögel des Himmels. Es bricht ein gut Gewächs hervor, wo man es gar nicht vermutet. So säet er Herr häufig an dürren, wüsten Stätten durch die Fluten der Geschichte, wie er sie strömen lässt. Er hat öfters unter Heidenvölkern gesät durch arme Kriegsgefangen. In unsern Tagen säet er oft durch ein verlorenes oder verstreutes Blatt aus dem Worte Gottes. Ein Prediger des Evangeliums reiste im nördlichen Indien. Er wurde, wie es im dortigen Lande Sitte ist, in einem Palankin oder einer Sänfte getragen. Der Tag war glühend heiß. Einer der armen Sänftenträger stürzte mitten auf dem Weg nieder. Der Prediger stieg aus und hatte seine herzliche Sorge, mit welcher Hoffnung dieser arme Heide vor seinen Herrn und Gott treten sollte. Da raffte sich dieser noch einmal auf, befahl in brünstigem Gebet seine Seele Christo und verschied dann. Der Prediger wollte gern wissen, wie doch dieser arme Mann zu der seligen Erkenntnis gekommen sei. Als er genau nachsah, hatte er in seinen erstarrten Händen ein zerknicktes Blatt von den Briefen des Johannes. Dies Blatt, vielleicht von einem stolzen Europäer als nutzlos weggeworfen, war für ihn ein Samenkorn Gottes, war für ihn ein Führer zu Christo geworden. -

Wenn Christus nun also säet, wenn er alle Gelegenheit benutzt, so muss ja wohl unter dieser guten Aussaat, die Welt ein Paradies, jedes Herz ein Garten Gottes geworden sein. Ja, wenn die Leute nicht geschlafen hätten! „ Da aber die Leute schliefen, kam der Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen.“ Der Feind ist, wie ihn Christus in der Auslegung selbst erklärt, der Teufel. Da Eva schlief, da ihre Augen sich Gotte zugeschlossen hatten und nur der Welt und ihrem Gelüste offen waren, säte der Feind Ungehorsam gegen Gottes Wort in ihr Herz. Und der böse Same ging schnell auf und wucherte weiter, wucherte hinüber in das Herz ihres Mannes und des ganzen Geschlechtes. Und wir haben Alle geschlafen. Wer hat denn da gestanden als treuer Wächter an den Grenzen seines Ackers, dass der Feind nie herübergetreten wäre, dass der Feind nie aus seinem bösen Vorrat Unglauben und Ungehorsam und Lüge und Lieblosigkeit und allerlei böses Gelüst auf sein Herzensfeld gestreut hätte? Er tut es Christo noch. Er nutzt auch alle Zeit. Zu dem alten Hange der Sünde, der uns angeerbet ist, bringt er bei jeder Gelegenheit besondere Anfechtung. Er säet schon in der Kindheit Ungehorsam, Eigensinn, Lüge. Er säet im Jünglingsalter Wollust, Leichtsinn und Trägheit. Er säet im Mannesalter Hochmut, Vertrauen auf eigene Kraft und Gottvergessenheit. Er säet im Greisenalter Kleinmut, Unzufriedenheit mit Gott und Verzweiflung. Er säet in den Ruhestunden, in on Arbeit, in der Freude, im Kreuz, er säet noch auf dem Totenbett seinen bösen Samen. Er säet ihn selbst in der Kirche. Ihr wisst ja, wie euch mitten in den heiligsten Stunden verkehrte und gottlose Gedanken am liebsten durchs Herz fahren. Wenn die Bäume in der Blüte stehen, fällt der häufigste Mehltau. Also fällt auch in die Blütezeiten des menschlichen Herzens am häufigsten der Mehltau weltlicher Gedanken und verdirbt die Blüte. - Sehen wir demnach den Acker, die Welt, an, so ist er ein Gemisch von Kraut und Unkraut, von Glauben und Unglauben, von Gehorsam und Ungehorsam, von Gottseligkeit und Gottlosigkeit. Der gute Same sind die Kinder des Lichts, das Unkraut die Kinder der Bosheit. Es ist kein Kreis so heilig, es können Abtrünnige von Gott darinnen sein. Unter den beiden ersten Söhnen der ersten Menschen war ein Kam, in der Arche war ein Ham, unter Davids Söhnen war ein Absalom, unter Christi zwölf Aposteln war ein Judas. Die Erde sieht aus wie das Feld eines schlechten Landwirts. Disteln und Dornen, Lolch und Raden stehen in Menge unter dem Weizen! Ist Gott ein schlechter Landwirt? Was soll er tun?

II.

Die Eifrer schreien: „Reiß das Unkraut aus!“
Der Herr spricht: „Nein, ihr reißt den Weizen mit heraus.“

Davids oben erwähnter Sohn Absalom war erst mit seinem Herzen an dem dürren Zacken des Hochmuts hangen geblieben, war ein Empörer gegen seinen Vater geworden. Er wäre auch ein Vatermörder geworden, wenn Gott es zugelassen hätte. Als nun Joab mit den beiden andern Feldherrn Abisai und Ithai zur Schlacht auszog, bat der Vater für sein aufrührerisches Kind: „Fahret mir säuberlich mit dem Knaben Absalom!“ Da aber Joab dennoch nicht säuberlich gefahren war, sondern dem am Eichenzacken Hangenden drei Spieße durchs Herz gestoßen hatte, da klaget David diesen Sohn, wie man ein liebes Kind klaget: „O Absalom, mein Sohn! Wollte Gott, ich müsste für dich sterben, o Absalom, mein Sohn!“ Wenn nun arme menschliche Vaterliebe, die nur ein Schatten ist von der himmlischen Vaterliebe, mit dem Rebellen, der dem Vater nach Krone und Leben gestanden hat, noch Erbarmen fühlt, wie dann die Liebe Gottes, dieser Brunn, der nie vertrocknet! Die Liebe macht ja so recht das Wesen Gottes aus. Es heißt: „Gott ist die Liebe.“ Von keiner andern göttlichen Eigenschaft wird dies gesagt. Nein, er will das Unkraut unter dem Weizen wachsen lassen bis zur Erntezeit. So lange will er Geduld haben. Er will die Bösen unter seinen gläubigen Kindern leben lassen bis zum Tage des Gerichts. So lange will er Geduld haben. Ja noch mehr. Er lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse, er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Er lässt auch die Bösen Zeit ihres Lebens noch die Predigt von der Buße und seiner Gnade hören. Warum denn das? Wozu soll denn diese große Geduld nützen? Es ist ja doch einmal Unkraut.

Seine Antwort lautet: „Damit ihr nicht den Weizen zugleich ausrauft.“ Was bedeutet dies Wort? Sein Sinn in der Ackerwirtschaft ist klar. Was da Disteln und Raden sind, das bleiben Disteln und Raden. Wer aber solch Unkraut ausrauft, zieht gar leicht einen Weizenhalm mit heraus. Hier ist aber der Sinn ein anderer. Wenn Gott mit seinen Strafgerichten über die Erde geht, ist er weise genug, dass kein Frommer im Getümmel mit hinweggerafft wird. Er hat eine Arche für Noah, er hat Engel für den Loth. Ein Versehen kann hier nicht stattfinden. Aber was hier Unkraut ist, braucht kein Unkraut zu bleiben. Wer dasteht als ein unfruchtbarer Dorn, der braucht keiner zu bleiben. Wer dasteht als eine lieblose Distel, der braucht keine zu bleiben. Der Ungläubige kann wiedergeboren werden zum Glauben. Der Spötter kann loben und danken lernen. Der Säufer kann nüchtern, der Lügner kann wahrhaftig werden. Das Unkraut kann hier verwandelt werden in Weizen. Aus den wilden Stamm kann das edle Reis aus der Wurzel Jesse gepfropft werden. Und wenn wir weggerafft würden mitten in unserer Sünde, wer könnte dann sagen, dass er zu aller Zeit eine Weizenähre gewesen sei? Darum erkenne hier in dieser Langmut die große Güte deines Herrn. - Wer sind denn aber die Knechte, die den Herrn fragen, ob sie hingehen sollen und das Unkraut mit ausraufen? Es sind Eiferer, die die streitende Kirche schon zu einer triumphierenden machen wollen, wenn dies auch geschehen müsste mit dem Verlust von Tausend und Millionen Seelen. Wenn ein Jonas vor der gottlosen Stadt Ninive auf dem Berg liegt und lauert, ob sie nicht untergehen werde, so ist er ein solcher Knecht. Wenn Johannes und Jakobus, die Donnerkinder, den Herrn bitten, er solle Feuer und Schwefel auf die Stadt regnen lassen, die sie nicht ausgenommen hat, dann sind sie solche Knechte. Die christliche Kirche hat in alter und neuer Zeit ähnliche Eiferer gehabt. Sie wollten die Kirche so darstellen, dass nur eitel lautere Kinder Gottes darin wären. Und wer sollte darüber urteilen? Sie selbst. Sie selbst wollten Herzenskündiger werden. Und welche sollten die ersten darinnen sein? Sie selbst. So ich mich aber selber ehre, so ist meine Ehre Nichts. Der Ausgang solcher Gemeinschaften war gewöhnlich der, dass sie in den grässlichsten Hochmut verfielen, dass sie blind wurden und das Evangelium nicht erkannten, wo es war, dass sie die Liebe verleugneten und ihr Reich Gottes mit Gewalt, ja wohl mit dem Schwert verbreiten wollten. - Lasset sie beide mit einander wachsen, spricht der Herr. Nur da ist die Möglichkeit, dass sich das Unkraut verwandle in eine Weizenähre. Ehe du dich aber so viel um Andere bekümmerst, siehe nur selbst zu, dass du ein gut Gewächs auf deines Herrn Acker seist. Und wenn dir der heilige Geist das Zeugnis gibt, dass du Gottes Kind bist, dann sei fleißig zu bitten, nicht dass Andere ausgerottet werden, sondern dass sie lebendig werden in dem Fürsten des Lebens. Es ist genug, ja genug, wenn du einmal in der triumphierenden Kirche unter lauter Heiligen Gottes bist. Hier hast du es noch nicht ergriffen, du jagest auch nur noch darnach, dass du es ergreifest. - Du sollst keinem Menschen, so lange noch ein Odem in ihm ist, seine Seligkeit absprechen. Es gibt im deutschen Volke eine alte wunderschöne Sage, in der uns dieses Lehrstück recht klar vor Augen gestellt wird. Es war einst ein deutscher Ritter, er hieß Tannhäuser. Der führte ein lustiges, weltliches Leben, und alle Sünde war ihm recht. So stahl ihm die Sünde seine Jugend. Als er aber in sein Mannesalter kam, da ward ihm bange. Er sing an sich zu fragen, ob denn für ihn auch wohl noch Gnade bei Gott zu finden sei. Er selbst konnte sich keine Antwort geben. Da dachte er nach dem Glauben seiner Zeit - „Du sollst nach Rom gehen und den Pabst fragen.“ So legte er denn einen schlechten Kittel an und nahm einen dürren weißen Stab in seine Hand und zog unter viel Gebet und Tränen über die Alpen weg. Er langte in Rom an und ward beim Papste vorgelassen. Diesem erzählte er alle seine Sünden groß und klein ohne Hehl, wie sie ein Bußfertiger erzählet. Dann knüpfte er die Frage an, ob denn für ihn auch noch Gnade zu erwarten sei. Als er ausgeredet hatte, nahm ihm der Papst seinen dürren Stab aus der Hand und stellte diesen an die Wand mit den Worten: „Wenn dieser dürre Stab anfängt zu grünen, dann wird Gnade für dich da sein.“ In tiefer Betrübnis zog der Ritter von dannen. Als aber am dritten Tage der Papst wieder in das Gemach trat, hatte der dürre Stab Blätter und Blüten getrieben, zum Zeugnis, dass kein Mensch dem andern die Gnade Gottes absprechen soll. - Dem Herrn allein gehört das Gericht. - Der du nun noch kein Weizenhalm Gottes geworden bist, der du fühlest, wie der Hauptteil deines Herzens erfüllet ist von der Welt: eile, bitte um Erneuerung im Geist deines Gemütes. Lass dich die Langmut Gottes nicht träge machen, lass dich durch dieselbe zur Buße führen. Denn der Herr verziehet wohl; aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

III.

Den letzten Tag, das Ende dieser Welt,
Hat er zum Sichtungstage festgestellt.

In unserm Texte wird geredet von der Erntezeit. Und Christus erklärt dies Wort: .Die Ernte ist das Ende der Welt.“ Die Schnitter werden erwähnt. Christus erklärt, wer sie sind: „Die Schnitter sind die Engel.“ Zur Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: „Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, dass man es verbrenne, aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuern.“ Da liegt die Scheidung vor uns. In der streitenden Kirche soll beides neben einander stehen. Dann aber soll jegliches getan werden an seinen Ort. Auch Gottes Langmut muss ein Ende nehmen. Es soll ja Jeglicher Empfangen, darnach er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse. Da wird Christus noch einmal seine Herrlichkeit offenbaren. Es wird ein Epiphanienfest gefeiert werden, den Frommen zur Freude, den Gottlosen zum Schrecken. Nun, du Menschenkind, hast du wohl Ursache sicher zu sein? Wenn heute Gott käme, wenn er heute seine Ernte begänne, wenn heute die Sichel seiner Schnitter durch das sündige Geschlecht hinrauschte, wenn wir heute vor ihm fallen müssten wie die Ähren vor dem Mäher: wer ist denn unter uns, der da sagen kann mit voller, felsenfester Gewissheit: „Ich bin eine Weizenähre, ich fürchte nichts, mich sammelt er zuversichtbar ein in seine Scheuer?“ Ja es kann solche Gewissheit des Glaubens geben, es kann solch Zeugnis des heiligen Geistes gegeben werden. Aber es ist ein so selten Ding, dass unter vielen Tausenden gläubiger Christen noch nicht einer mit solchem Stephanusglauben stirbt. Jener Ignatius, ein Schüler des Evangelisten Johannes, - wir haben ihn erst in einer unserer letzten Andachten erwähnt - sollte den wilden Tieren vorgeworfen werden. Kurz vorher schreibt er an eine befreundete Gemeinde: Gottes Korn bin ich; durch die Zähne der Tiere will ich gemahlen werden, damit ich als reines Brot Christi erfunden werde. Das ist einer von den Wenigen, die mit seliger Glaubensgewissheit in den Tod hineingingen. Wer unter uns rühmet sich eines Gleichen? - Und kann Gott nicht heute kommen? Bei dieser Ernte gilt es nicht: .Der hohe Sommer ist noch nicht da.“ Der Vater hat sich Zeit und Stunde allein vorbehalten. Oder: „Die Zeichen, die vorangehen sollen, sind noch nicht eingetroffen.“ Wir sind oft so blind, dass wir die Zeichen der Zeit selbst nicht sehen und verstehen. Oder: „Die Welt ist noch nicht reif zur Ernte.“ Wer hat darüber ein Urteil? Nur der, der ein Herr ist der Ernte, der die Ernte hält, der den Schnittern gebeut. - Darum raffe dich auf, ehe die Scheidung kommt. Vor Gott kann kein Unkraut bestehen. Vor dem Menschen ist es oft wohl so mächtig, dass es nicht überwältigt werden kann. Die Schlingpflanzen stehen so dicht, dass er nicht hindurch kann. Aber die göttliche Erntesichel bricht nicht. Er mäht Könige und Arme weg wie es ihm gefällt. Alle Menschen sind vor ihm wie das Gras auf dem Feld. Der Gottlose bleibt nicht im Gericht, noch der Sünder in der Gemeine der Gerechten. -

Vor Gott gilt auch keine Verstellung. Es gibt eine Art falschen Weizens, Afterweizen, der in Ähre und Korn dem echten ähnlich sieht. Ein menschlicher Ernter kann sich betrügen lassen, dass er ihn mit in seine Scheuern sammelt. Es gibt solchen falschen Weizen auch auf dem Acker Gottes. Viele haben den Schein eines gottseligen Wesens. Aber es ist nur eine christliche Hilfe, das Herz ist nicht erneuert in Demut und Hingabe an Christum Jesum. Gott lässt sich nicht betrügen. Er sieht das Herz, das Korn, den Kern an. Auch diese Scheinähren werden seine Schnitter in Bündlein binden zum Verbrennen. Darum eile, werde in der Gnade und Kraft des Herrn ein echter Weizenhalm. Schäme dich der Buße nicht. Eile! Je älter ein Baum wird, um so schwerer können neue edle Reiser darauf gesetzt werden. Und je älter ein Herz wird, um so schwerer kann es erneuert werden zu der Kindschaft Gottes. Denke, Gottes Gerichtstag komme morgen. Darum sollst du heute um dein Heil sorgen. Bist du in seine Gnade geborgen, und er will dir aus Erbarmung geben noch länger zu leben - nimmer wird es dich reuen, weil nur die des Lebens sich freuen, die ihr Leben in Christo erneuen. Amen.

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