Ahlfeld, Johann Friedrich - Die Festreise der heiligen Familie nach Jerusalem.
1. Sonntag nach Epiphanias
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.
Text: Lukas 2. 41-52
Und seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest, Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem, nach Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren, und sie wieder zu Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern wussten es nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise, und suchten ihn unter den Gefreundten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem, und suchten ihn. Und es begab sich nach dreien Tagen, fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, dass er ihnen zuhörte und sie fragte, Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antwort. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Was ist es, dass ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. Und er ging mit ihnen hinab, und kam gen Nazareth, und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen, Und Jesus nahm zu an Weisheit. Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Vorüber ist, in dem Herrn geliebte Gemeinde, die heilige Christzeit. Der Engelsgesang und die Weihnachtsmelodien sind verklungen. Das „Vom Himmel hoch da komm ich her,“ und „Gelobet seist Du, Jesus Christ,“ haben nun wieder eine gute Weile Ruhe, es sei denn, dass sich ein Christ gar nicht von dem Fest trennen könnte und seinem Herrn seine Geburtslieder noch einmal nachsänge, wenn auch der Geburtstag längst vorüber ist. Wir sind eingetreten in den zweiten Abschnitt des Kirchenjahres, in die heilige Epiphanienzeit. Epiphania heißt Erscheinung. Was bedeutet die Epiphanienzeit oder die Zeit der Erscheinung Jesu Christi? Habt Acht.
In Niedrigkeit war das Kindlein geboren. Ein Stall war sein erstes Haus, eine Krippe seine Wiege. Vor der Geburt und bei der Geburt hatte sich Gott bezeugt zu dem Kind durch Weissagung, Verkündigung und durch die Nachtfeier der Engel auf dem Feld. Aber auch in seinem weiteren Leben musste sich Gott zu ihm bekennen als zu seinem Sohne. Auch Christus selber musste sich ausweisen mit Wort und Tat, dass er sei das Ebenbild des Wesens Gottes. Diese Bezeugungen des Vaters, diese Ausweise des Sohnes umfasst die Epiphanienzeit. Da erscheint er als der liebe Sohn, an dem der Vater Wohlgefallen hat. -
Darum fängt dieser Abschnitt des Kirchenjahres an mit dem Kommen der Weisen aus dem Morgenlande. Gott hat ihnen durch einen Stern den geborenen Christ gezeigt. Dann folgt unser Evangelium, wo Christus in der Erklärung: „Muss ich nicht sein in dem, das meines Vaters ist?“ seine göttliche Herkunft und seinen göttlichen Beruf ausspricht. Dann folgt die Hochzeit zu Cana, wo der Herr sein erstes Wunder tut, und weitere Taten Gottes an ihm oder aus ihm. Die Epiphanienzeit geht vom 6. Januar bis zu den Sonntagen vor der Fasten, wo wir anfangen unsere Augen hinzurichten nach dem Osterfeste. Wenn Ostern so spät fällt wie in diesem Jahre, haben wir sechs Sonntage nach dem Epiphanienfeste. - Heute, geliebte Gemeinde, liegt uns das einzige Stück vor, das uns aus dem Kindheits- und Jugendleben des Herrn von den Evangelisten aufbewahrt ist. Die Zeit von Christi Geburt bis zu seinem 30. Jahre liegt vor uns wie ein verschlossener Garten. Nur die eine kleine Öffnung haben uns die Evangelisten gebrochen. Da sehen wir aber auch eine so liebliche Blume, dass uns keiner den Glauben nehmen soll: Wo die eine gediehen ist, da sind ihrer auch mehr gediehen. Wie viele mögen eingeschlossen liegen in dem Worte: „Und das Kind nahm zu an Weisheit, an Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ - Gelobt sei Gott, wir haben in dem heutigen Evangelio keinen Herodes, keinen Kindermord, keine Szene, die uns das Herz zerschnitte. Ein heiliges Kindesleben haben wir darin. Wir können fröhlich mit hinaufziehen nach Jerusalem. Und das wollen wir auch. Keine Kälte, kein Frost soll uns stören. Das Herz wird ja warm werden an der lieblichen Geschichte. - Soll dies aber sein, so musst du, o Herr, uns deinen heiligen Geist geben. Wenn deine Sonne scheint, geht das Eis von den Fensterscheiben, Wenn deine Gnadensonne scheint, geht der Reif und das Eis von den Herzenswänden, O so lass sie scheinen! Mache unser Evangelium trotz alles Winters zu einem Frühlingsstück, Hilf, dass es trotz des Bebens des armen Leibes in unsern Herzen lenze und maie. Amen.
Wir stellen als unsern Hauptgedanken hin:
Die Festreise der heiligen Familie nach Jerusalem,
und zerteilen uns denselben nach dem Evangelio in folgender Ordnung:
Sie gehen nach Zion zur Osterzeit;
Das Kind geht mit, ob der Weg auch weit.
Sie verlieren das Kind, sie kehren um,
Sie finden es wieder im Heiligtum.
Sie treten den Weg zur Heimat an,
Das Kind wächst still herauf zum Mann.
I. Sie gehen nach Zion zur Osterzeit; Das Kind geht mit. ob der Weg auch weit.
Ostern, geliebte Christen, war vor der Tür. Es war Israels herrlichstes Fest. Die heiligsten Erinnerungen an die großen Taten Gottes hingen an demselben. Es erinnerte ja an die Zeit, da Gott das Volk aus den Völkern erlesen und zu seinem Volke gemacht hatte, Nun hatte Gott durch Moses geboten: „Dreimal im Jahre sollen alle Mannesnamen erscheinen vor dem Herrscher,“ am Feste der süßen Brote oder am Osterfeste, am Feste der Wochen oder zu Pfingsten und am Laubhüttenfeste. Dem Joseph lag demnach die Pflicht ob, nach Jerusalem hinauf zu wandern. -
Für die Maria, für die Weiber überhaupt, stand kein Gebot zur Festreise im Gesetze. Aber der Maria stand es im Herzen. Wusste sie doch, dass jener Auszug aus Ägypten auch für sie den Auszug aus dem Dienste des Fleisches und vergänglichen Wesens vorbedeute. Ging sie doch das Osterlamm näher an, als sie dachte. Sie sollte ja einst das Teuerste zum rechten Osteropfer hergeben. -
Für die Kinder war auch kein Gebot da. Aber Jesus wollte mit. Israel hatte nur die eine heilige Stadt, nur den einen Tempel. An ihnen hing der Glanz und die Ehre des Volkes. An ihnen hingen die Erinnerungen aus der alten großen Zeit. Von Jugend auf wurde den Kindern, und vor allen diesem Kinde, erzählt von der heiligen Stätte. Da hatte Jesu Ahnherr, David, das Szepter geführt; da hatten die meisten Propheten geweissagt; da war Jesus selbst als Kind im Tempel dargebracht; da hatten Simeon und Hanna segnend ihre Hände auf sein Haupt gelegt. Oft mag die Bitte der Kinder gelautet haben: „O dass ich doch erst mit hinauf ziehen, dass ich den Tempel und die schönen Gottesdienste des Herrn sehen könnte!“ Oft mögen die Väter Gegenrede geführt haben um der Jugend, um der Schwachheit willen. Dem zwölfjährigen Kinde Jesus ward es gestattet mit zu ziehen. -
Es mag ein fröhlich Wandern gewesen sein. Ganze Scharen, ganze Orte zogen mit einander. Und wie man weiter ging, schlossen sich neue Pilgerzüge an. Ihr Gespräch unterwegs war die alte Gnadenzeit Gottes. Fast jeder Ort war eine Gedenkstätte an Gottes Erbarmung und an die frommen Väter. Hier hatte Abraham sein Zelt aufgeschlagen, und die Engel hatten mit ihm geredet; dort hatte Jakob seine Herden geweidet; dort hatte der Herr dem Josua oder einem andern Kämpfer Sieg gegeben über die Feinde, die vordem das Land inne hatten; dort hatte ein anderer Kämpfer Gottes die Feinde geschlagen, die seinem Volk das Land wieder entreißen wollten. Vor Allem aber war der Auszug aus Ägypten das Wandergespräch der Pilger. An den Auszug knüpfte sich ja das Fest, das Fest der süßen Brote, an. Sie mögen ihren Weg zerteilet haben nach den Stationen des ausziehenden Volkes. Alle Hilfe, alle Strafe Gottes fand ihren Platz in diesen Stationen. War man dann fertig mit einem Stück aus der heiligen Geschichte, war man hingekommen an einen Abschnitt, wo die Barmherzigkeit Gottes einen Denkstein ihrer Hilfe, ein Eben-Ezer hingesetzt hatte, dann sang man wieder dazwischen ein Lied, einen Psalm im höheren Chor, Die höchste Blüte des ganzen Wanderlebens war aber die Hoffnung auf den Messias, in dem Jerusalem zur vollen Herrlichkeit und Ehre gelangen sollte. „Wie wird es sich dann wandern, wenn der erschienen ist, auf den die Väter gehofft haben!“ Sie fragten nach dem wann. Wann wird kommen zu seinem Tempel der Herr, und der Engel des Bundes, nach dem wir uns sehnen? -
Und er war in ihrer Mitte. Er zog mit ihnen. Sie sahen ihn, und sahen ihn nicht. Die Zeichen vor zwölf Jahren waren teils nur von Wenigen gesehen. Etliche von diesen Wenigen waren gestorben. Es waren alte, bejahrte Hoffer gewesen. Teils hatte Gott die ganzen 12 Jahre hindurch kein Wort von diesem Kinde geredet. Diese Zeit lag wie ein Schleier über dem großen Anfange. Das Licht des Sternes und die Klarheit der Engel war blass geworden, das Hosianna klang nur noch in wenigen Herzen nach.
Teure Freunde, wir ziehen auch hinauf nach Jerusalem. Unser ganzes Leben soll eine Pilgerfahrt sein nach dem Jerusalem, das droben ist. Das ist unser Aller Mutter, und uns verlanget nach ihm. Hast du dich denn schon auf den Weg gemacht? Bist du schon über die Schwelle auf deinem Hause der toten Ruhe? Du machst dich auf, wenn du anfängst, dich von der Welt loszureißen. Du machst dich auf, wenn du zum ersten Mal bekennest: „Die Welt ist eine Betrügerin, ihr Angesicht ist überdeckt mit Schminke, die die Zeit bald abstreift und abspült.“ Du machst dich auf, wenn du zum ersten Mal fragst: „Was muss ich tun, dass ich selig werde? Wo ist mein Heil und wer ist mein Heiland?“ Du schließt dein altes Haus zu, wenn du dich auf den Herrn wirfst, wenn du es nicht mehr ersorgen willst, sondern ihm dein Wohl und Weh in die Hände legst. -
Lieber Bruder, wenn du ausgegangen bist, kehre nicht wieder um, Etwas aus dem alten Haus zu holen und mitzunehmen. Es hilft dir Nichts, es hält dich nur auf. Gedenke an Lots Weib! Wenn du ausgegangen bist, lass dir den Weg nicht leid werden. Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes. Siehe doch das Christkind an und die andern Kinder, die mitzogen. Es waren Kinder. Jerusalem war an 40 Meilen von Nazareth entfernt. Der Weg ging durch Berg und Tal und durstige Ebenen. Aber kein Wort steht da: „Vater und Mutter, es ist mir leid geworden. Der Weg ist mir zu sauer. Ich bin noch zu jung. In Nazareth war es besser. Wäre ich doch daheim geblieben!“ Er zieht mit, er zieht mit hinauf bis zur heiligen Gottesstadt. -
Wie Viele aber von uns sind halben Wegs oder Viertelwegs liegen geblieben, und sind dann unvermerkt wieder in das alte Haus der alten toten Ruhe zurückgekehrt! -
Sauer, Geliebte, ist allerdings auch unser Weg. Aber du hast dieselben Mittel, ihn dir zu erleichtern, die Jene hatten. Gedenke doch fleißig der großen Taten, die Gott an dir, an deinen Vätern, an der ganzen Kirche getan hat. Ist denn nicht die ganze Geschichte der Kirche ein Kanaan, beschrieben und bezeichnet mit tausend Siegen, die der Herr über seine Feinde errungen hat? Ist sie nicht ein Buch, von dem jede Seite Vermerke seiner Treue hat? Ist nicht selbst dein Leben ein Blättlein in diesem Buche? Kommst du dann in deinen Gedanken in dir und in der Kirche an ein rotes Meer, durch das Gott Bahn schlug, an einen Felsen, der Wasser geben musste, an einen Gideonskampf mit dreihundert Mann gegen ungezählte Feinde: dann singe eins von den alten Siegesliedern unserer Kirche. Wir haben Lieder genug im höheren Chor. O das hilft trefflich wandern. Da kommt man weg über die harten Stellen, man weiß nicht wie. -
Du hast sogar noch einen Genossen, einen Helfer der Wanderung, den Jene zwar auch hatten, aber nicht sahen. Und du siehst ihn, du müsstest blind sein mit sehenden Augen, wenn du nicht erkennen wolltest, wie Christus mit dir geht. Dem bangen Knaben des Elisa öffnete der Herr mitten im Syrerheer (2. Könige 6) die Augen, dass er sah das Heer des Herrn, das mächtiger ist, denn jedes Feindesheer. Dir wolle er sich auch öffnen auf deiner Wallfahrt, dass du überall den siehst, der mit Recht heißt - „Wagen Israels und seine Reiter.“ -
Wenn du nach Zion hinaufziehest, ziehe nicht allein. Joseph nahm die Maria mit. Mann und Weib sollen zusammen nach der heiligen Stadt pilgern. Du Mann, dem der Herr die Augen aufgetan, dem er die alte Decke herunter gezogen hat, der du das rechte Ziel vor dir hast, sprich zu deinem Weib: „Komm, wir wollen zusammen gehen!“ Du Weib, dem der Herr ein neues Herz gegeben hat, bitte deinen Mann: „Komm, wir wollen zusammen gehen!“ Was ist denn der heilige Ehestand? Ist er bloß ein Bund, zwanzig oder dreißig Jahre zusammen zu arbeiten, zwanzig oder dreißig Jahre zusammen sich zu freuen und zu trauern um Brot, Gesundheit und Kinder? Da sähe Keiner, dass dieser Stand aus dem Paradiese herstammt. Sein Hauptzweck ist der, dass Einer den Andern mitnehme und fördere auf dem Heilswege, auf dem Wege nach dem Jerusalem, das droben ist. Viele Männer haben auch ihre Weiber erweckt zum heiligen Glauben. Viele Weiber haben mit Gebet, Liebe und Geduld ihre Männer herumgebracht von dem Dienst des eitlen Wesens zur lebendigen Nachfolge Jesu Christi. Es kann Euch auch gelingen. Ihr Jünglinge, ihr Jungfrauen, denen der Herr die Wahl noch gelassen hat, wählet euch keine Braut, keinen Bräutigam, von denen ihr einst sagen müsst: „Ich habe ein Weib, einen Mann genommen, darum kann ich nicht kommen.“ Wer sucht sich denn, wenn er einen weiten Weg vor hat, einen lahmen und gichtbrüchigen Gefährten? Und hier ist die Reise wahrhaftig weit, sie ist auch sauer, und sie hat doch Eile. -
Ihr Eltern, die ihr hinauf pilgert nach Jerusalem, geht nicht allein. Nehmet eure Kinder mit. Joseph und Maria nahmen das Kind Jesus mit. Wie gern nehmt ihr eure Kleinen mit auf euren kleinen Reisen! - Wollt ihr sie auf der heiligsten Reise zurücklassen? Präget ihnen frühe ein: „Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem! Wenn wir auch arm hinkommen, der Herr macht uns reich. Wenn wir zerschlagen hinkommen, er heilet uns. Wenn wir mit Tränen hinkommen, er wischet die Tränen ab von unsern Augen.“ -
Ihr Kinder, wollet ihr denn auch mitgehen? Ihr fraget sonst so gern: „Vater, wo gehst du hin?“ Ihr hängt euch sonst so gern an seinen Arm und bittet: „Vater, nimm mich mit!“ Wenn er euch nun antwortet: „Mein Kind, ich geh durch Dornen und Hecken, durch Berg und Tal, durch Frost und Hitze hinauf nach der lieben Gottesstadt;“ wollt ihr dann mit, mit nach der Stadt, wo der Herr die frommen Kinder segnen wird mit ewig aufgelegten Gnadenhänden, wo ihr nicht mehr bittet: „Dein Reich komme!“ weil es schon gekommen ist? „Ja,“ sagt ihr, „wir gehen mit!“ Nun, dann erbittet euch vom Herrn ein recht ausdauerndes Wanderherz, dem die Dornen den Weg nicht verleiden, das dahinten lässt, was hienieden ist, und vor Augen hat, was droben ist. Lernet recht früh die Sprache Kanaans. Das ist nicht: Griechisch, oder Hebräisch, oder Chaldäisch, sondern die Sprache der Kinder Gottes, die ihre Schwachheit bekennen und allein den Herrn hochheben. Sie ist schwer, wenn sie recht frisch aus dem Herzen quellen soll, wenn sie auch deutsch ist. Arbeitet euch früh hinein in die Geschichte der Erbarmung Gottes, wie sie uns die Schrift und die Geschichte der Kirche vorlegt. Lernet frühe die heiligen Wanderlieder, etwa das:
Jerusalem, du hochgebaute Stadt,
Wollt Gott, ich wär in dir!
Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat
Und ist nicht mehr bei mir.
Weit über Berg und Tale,
Weit über braches Feld
Schwingt es sich über alle
Und eilt aus dieser Welt rc.
Schließt Alle zusammen einen Bund, machet eine Familie aus, stellet euch ein Ziel, redet die eine Sprache, und tretet getrost die gemeinsame Wanderung an. Vergesset aber ja die Hauptsache nicht, in der alles Andere ruhet: Habet einen Führer! Hütet euch ja, dass ihr nicht wie Joseph und Maria Christum verlieret!
II. Sie verlieren das Kind, sie kehren um, Sie finden es wieder im Heiligtum.
Joseph und Maria waren die sieben Tage des Festes in Jerusalem gewesen. Sie hatten ihre Festfeier vollendet. Sie traten die Rückreise an. Das Kind war in Jerusalem zurückgeblieben. Seine Eltern meinten, es sei unter den Gefährten. Sie suchten es unter den Gefährten. -
Mein Christ, auch in dir ist Christus eine gute Zeit ein Kindlein. Wenn du deinen Herrn mit der ersten Liebe umfasst hast; wenn du ihn wohl im Gemüte, aber noch nicht in entwickelter und geordneter Erkenntnis hast; wenn du die Trauer- und Nachtstunden des Christen noch nicht kennst, wo du meinest, der Herr habe dich verlassen, wenn du seine Freundlichkeit nicht schmeckest - dann ist Christus auch in dir noch ein Kind. Dann kann er dir auch gar leicht verloren gehen. Oft kommt gerade nach den seligsten Osterfesten, nach der heiligsten Erhebung, solche böse Zeit. Du glaubst ihn recht zu haben, und hast deinen alten erhobenen Menschen für ihn. Wenn dich in den ersten evangelischen Pilgertagen Kreuz trifft, stößt du ihn in Kleinmut heraus aus dem Herzen. Wenn du Leute, die Christen sein wollen, wandeln siehst als die Feinde des Kreuzes Christi, wirst du wohl irre an ihm. Jene verloren ihn auf eine andere Weise. Sie meinten, er sei unter den Gefährten. Auch diese Weise des Verlustes ist noch da. Wir meinen wohl: „Christus ist in der Kirche, in dem großen Bruderbunde der Wandergefährten. Ich bin ja unter ihnen, ich stehe mit meinem Glauben in der Kirche, also kann es mir nicht fehlen, ich habe ihn auch.“ Irre dich nicht. Ja, es ist wahr, dass Christus in der Kirche ist. Wo sein Wort im Schwange geht, wo die Sakramente nach seiner Einsetzung verwaltet werden, da ist er. Die Kirche hält Wache, dass er nicht verloren geht. Aber jeder Einzelne muss dieselbe Wache für sich halten. Es kann Lebensodem in einem Leibe sein, aber ein Glied kann darum doch tot sein. Es hängt nur zusammen mit dem großen Ganzen durch Haut und Flächsen1) und Adern. Aber der Nerv, das rechte Band des gemeinsamen Lebens, kann tot sein. Also hüte dich. -
Hast du ihn aber verloren, so helfe dir der Herr, dass du ihn so bald vermissest, wie Joseph und Maria. Schon nach einer Tagereise vermissten sie ihn. Ach, wir sind flugs ganze Monate, ganze Jahre, ein ganzes Jünglings- und Mannesalter gewandert und haben nicht bemerkt, dass wir unsern teuersten Begleiter verloren hatten! Frage dich doch jetzt, ob du ihn wirklich hast, ob er dir zugesellet, ob er an dich gebunden ist mit den festen Banden des Glaubens. Und wenn du ihn nicht hast, was dann tun? Arm und ohne Heiland weiter ziehen? Nein, Joseph und Maria konnten keinen Schritt weiter gehen. Du sollst auch keinen Schritt weiter gehen. Du hast ja dein Licht, deinen Führer, deinen Weg, deine Wahrheit, dein Leben verloren. Sie kehrten um. Kehre du auch um. Der selige Friede, der etwa deine Jugend und etliche geweihte Stunden deines Lebens beschienen hat, kehrt sonst nicht wieder. Jener Herr sucht sein verlorenes Schaf, jenes Weib sucht seinen verlorenen Groschen. Hier ist der Hirt verloren. Hier ist mehr denn ein verlorener Groschen. Du hast das höchste, einzige Kleinod deines Lebens verloren. Drei Tage suchen ihn Maria und Joseph. Die Zeit mag ihnen lang gedauert haben. Geh, suche! Wenn du auch länger suchen musst als drei Tage, wenn er auch auf dein Bitten und Anklopfen so schnell kein Ja antwortet, suche nur, er ist des Suchens wert. Die Zeit des Suchens war betrübte Zeit. Joseph und Maria mussten sich sagen: „Uns war er anvertraut. Gott hatte uns zu Hütern gesetzt über den teuersten Edelstein seiner Krone, und wir haben ihn verloren.“ Auch dich hatte Gott zum Hüter dieses Edelsteins, dein Herz hatte er zu seiner Schatzkammer gemacht. Der Schatz ist hin. Wenn du suchest, suche den Schatz nicht am unrechten Orte. Maria und Joseph suchten das Kind erst bei den Gefährten. Nun ja, da hätte es sein können. Du suchest zuerst bei den Gliedern der Kirche. Da kann Christus auch sein, da soll er sein. Aber du suchest doch oft vergebens. Es geht Vielen wie dir selbst, sie haben ihn verloren. Wo mögen jene nun gesucht haben? Hie und da in Jerusalem. Oben um die Burg, wo die römischen Fahnen wehten, und wo man wohl andere Kinder suchen konnte. In den Herbergen, wo die Fremdlinge aus verschiedenen Ländern wohnten, und wo man wohl andere Kinder finden konnte. -
Du fängst dann an zu suchen bei der Welt. Wenn du den Frieden in dir und in deinen Freunden nicht finden kannst, fragst du bei ihren Gütern und bei ihren Freuden an: „Seid ihr Christus? ist Christus bei euch?“ Wenn sie dir dann nur gleich antworten: „Nein, du suchst hier vergebens. Du bist an die Unrechten gekommen.“ Aber die Welt ist eine Lügnerin gewesen, seit der Vater der Lüge sie zu seiner Braut gewählt hat. Sie macht es wie ein loser Kaufmann, bei dem man nach einer guten Ware fragt. Er tut erst, als ob er sie hätte, zeigt dies und das vor, und nach viel verlorener Zeit erfährt man erst, dass man an den Unrechten gekommen ist. Bei dieser Gelegenheit will er uns seine schlechten Waren aufschwatzen. Sie tut, wie wenn sie uns trösten könnte von unserer Mühe und Arbeit, und stürzt uns nur tiefer hinein. -
Endlich kommen Joseph und Maria an die rechte Stätte. Wenn sie im rechten Glauben an das Kind gestanden hätten, wären sie nicht drei Tage vergebens umhergezogen. Sie hätten das Kind gleich am rechten Ort gesucht. Der vom Vater ausgegangen war, musste auch sein in dem, was seines Vaters war. Doch wir haben nun, nachdem alle Weissagung erfüllet ist, kluges Reden. Zuletzt finden sie ihn im Tempel mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhört und auf ihre Fragen antwortet. Da finden sie aber nicht allein den Menschensohn, Er offenbart sich ihnen auch zum ersten Male selbst als der wahrhaftige Sohn Gottes. Als ihn seine Mutter fragt: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht!“ da antwortet er ihnen: „Was ist es, dass ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“ Dies Wort, Geliebte, ist der Mittelpunkt in unserm ganzen Evangelio. Das ist das eigentliche Epiphanienstück. Hier spricht sich das Kind selbst aus über seine himmlische Herkunft. Verhüllet war in ihm die Gottheit, in das arme Gewand unseres Fleisches. Hier leuchtet sie hindurch wie ein Stern durch die Wolke. Die dabei waren, verstanden zwar das Wort nicht. Aber der Maria war es eine Anknüpfung an die Wunder der Verkündigung und Geburt. Sie behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. - Nun, mein Christ, der du deinen Herrn suchst, der du nach Frieden verlangst, geh, suche ihn in dem, was seines Vaters ist. Hast ihn in manchem Kreise gesucht; suche ihn in der Gemeinde der Gläubigen, die ist seines Vaters. Hast ihn in manchem Hause gesucht; suche ihn im heiligen Tempel Gottes, wo die Predigt der Apostel und Propheten Worte auslegt. Dieser Tempel ist seines Vaters, Hast ihn in manchem Buche gesucht; suche ihn in Gottes Wort, das ist seines Vaters. An einer Stätte wirst du ihn finden. Ja in allen dreien wirst du ihn endlich erkennen als den eingebornen Sohn vom Vater. Es wird auch dir nach langer Trauer ein Epiphanienlicht ausgehen. Freude wird dann in dir sein, wie du sie noch nie gehabt hast. Jakob freute sich über seinen wiedergefundenen Sohn Joseph. Hier ist mehr denn Joseph. Du wirst den Wiedergefundenen festhalten und bewahren, wie man seinen Augapfel bewahrt. Du wirst mit ihm, wie Joseph und Maria, weiter pilgern.
III. Sie treten den Weg zur Heimat an, Das Kind wächst still heran zum Mann.
Das Kind ist den Eltern nicht wieder verloren gegangen. Die Mutter mag es wohl eine gute Strecke an der Hand geleitet haben. Sie dachte, es könnte ihr unter den Augen abhanden kommen. - Du Christ, wenn du deinen Herrn einmal verloren und wiedergefunden hast, dann hältst du ihn fest. „Ich bin einmal elend gewesen, ich mag's nicht wieder sein. Ich bin einmal in der Irre gegangen, ich habe genug daran. Die Welt hat mich einmal in ihre Stricke gefangen, mich verlangt nicht weiter darnach. Ich trage die Striemen, wo ihre Bande gesessen haben, noch an mir.“ Seinen Stab, den der Pilger in der Dunkelheit verloren hatte, hält er fest mit aller Kraft. Seine Leuchte, die ihm im Sturme erlosch, schützt und birgt er wie er kann, wenn sie ihm ein anderer Wanderer, der ihm entgegen kam, aufs Neue anzündete. O wie wohl ist uns, wenn wir jetzt hinaus gemusst haben in die Wind- und Schneewirbel, und wir kehren wieder in das warme Zimmer zurück! Da kannst du dir ein Bild machen von der Freude, die der empfindet, der, umhergetrieben von den kalten Wirbeln der Welt, zu seinem Herrn zurückkehrt und ihn wiederfindet. Er mag nie wieder hinaus, er mag ihn nie wieder verlieren. -
Wer nun seinen Herrn so fest hält, bei dem wächst er auch und nimmt zu an Weisheit, an Alter, an Gnade bei Gott und den Menschen. Bei dem Ehrlichsten in dir, bei dem neuen Menschen in dir, kannst du recht erkennen, warum die Weisheit voransteht. Wer sich eine Weile verlaufen hatte, wer es einmal eine Weile in der Welt und mit der Welt versucht hatte, der ist in einer guten Schule gewesen. Hat ihn die Gnade noch einmal zu Christo gebracht, und er hat dann Nichts gelernt, dann lernt er in seinem leben Nichts, Nein, er muss weiser geworden sein. Wenn die Welt wiederkommt, muss er ihr sagen können: „Geh, ich kenne dich, ich kenne deine Weizenähren. Leimruten sind es. Ich kenne deine roten Beeren mit der Schlinge darunter.“ Recht fest und heimisch in uns wird ferner der liebe Herzensgenosse durch das Alter. Ja, es gibt auch ein Alter in Christo. Wer viele Jahre lang mit ihm und in ihm gelebt, wer in Hunderten von Fällen inwendig und auswendig seine Heilandstreue kennen gelernt hat, wer die Lustschlösser der Welt, die alle Jahre mit großem Lärm von neuem ausgezimmert werden, hundertmal hat zusammenfallen sehen, kann denn der weg von ihm? Er wird alt in Christo. Das heißt aber nicht: er wird schwach in Christo. Er nimmt immer mehr in ihm zu. Die Erfahrung bringt Bewährung und Treue, Im Jahre 167 sollte Polycarpus, der Bischof zu Smyrna in Kleinasien, des Evangeliums halber von den heidnischen Römern verbrannt werden. Der alte Mann dauerte den römischen Landpfleger. „Lästere Christum,“ rief dieser ihn an, „und ich lasse dich frei.“ Polycarpus aber antwortete: „86 Jahre habe ich ihm nun gedient, und nie hat er mir Übels getan; und wie könnte ich meinem Herrn und Heilande fluchen!“ Er ging getrost ins Feuer. Das war solche Bewährung durch Alter in dem Herrn. Zu dieser ganzen Geschichte stellt ein frommer deutscher Mann2) die Frage: „Was kann man daraus lernen?“ Und er antwortet sich selbst: „Das muss doch ein gütiger Herr sein, dem man 85 Jahre gedient hat, und für den man im 86sten noch durch's Feuer geht.“ Auf diesem Wege wirst du auch Wohlgefallen bei Gott finden. Das wundert dich nicht, denn es ist sein Weg. Aber auch bei Menschen. Ja, auch sie müssen endlich dem treuen Diener Christi sein Recht geben. „Ja,“ sagen sie, „es ist ein wunderlicher Mann, er hängt noch am alten Glauben; aber er ist ein guter Nachbar, ein rechter Freund in der Not und unverdrossen in der Liebe.“ - Schaffet, ihr Christen, dass Gott über euch ein gnädiges, und die Welt ein gutes Urteil fälle! Es wird geschehen, wenn der neue Mensch in euch wächst an Weisheit und Alter. Darum haltet den Erneuerer in euch fest, die ihr ihn nie verloren, die ihr ihn wiedergefunden habt. Du aber, der du Schiffbruch gelitten hast an deinem Glauben, hast du denn nicht noch ein Brett, oder eine Planke, oder einen Balken gerettet von der alten Arche? O wenn du nur noch etwa das vierte Gebot als Gottes heilige Einsetzung übrig hast, klammre dich daran an, steure damit hinein in das, was seines Vaters ist, in das Wort Gottes. Lerne dazu beten wie ein Schiffbrüchiger betet, und du kannst, du wirst den ganzen Christus wiederfinden. Der Herr gebe dem Meere der Sünde, denn auch dies ist in seiner Gewalt, eine günstige Strömung, Amen.