Ahlfeld, Friedrich - Weckstimmen - VIII. Bekehre dich zu deinem Gott. (Bußtag.)

Ahlfeld, Friedrich - Weckstimmen - VIII. Bekehre dich zu deinem Gott. (Bußtag.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Hosea, Kap. 12. V. 6 u. 7:
Aber der Herr ist der Gott Zebaoth; Herr ist sein Name. So bekehre dich nun zu deinem Gott, halte Barmherzigkeit und Recht, und hoffe stets auf deinen Gott.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Im vierten Jahrhundert vor Christo herrschte in der Stadt Syrakus und über den größeren Teil der Insel Sizilien der Tyrann Dionysius, und wir denken hier an den Älteren dieses Namens. Geld und Gut und Macht und Pracht und Lust und Luxus hatte er genug. Er führte ein glänzendes Leben, und doch war es nur ein glänzendes Elend; er war vor seinen Feinden keinen Tag seines Lebens sicher. Einst pries einer seiner Freunde und Schmeichler Namens Damokles mit vollem Munde seine Herrlichkeit. Dionysius, welcher seine eigene gefährliche Stellung sehr gut kannte, wollte dem Freunde ein Bild von derselben geben. Er fragte ihn, ob er wohl für einen Tag in seine Stellung eintreten wollte. Der unkluge Mann ergriff diesen Vorschlag mit beiden Händen. Am nächsten Tage ward er angetan mit königlichem Schmuck, alle Diener des Königs standen seinem Wink zu Befehl, die Tafel ward besetzt mit den köstlichsten Speisen in goldenen Gefäßen, die schönste Musik umrauschte seine Ohren, und der Saal duftete von den feinsten Wohlgerüchen. Und damit er ja das Gefühl der königlichen Herrlichkeit in vollem Maße hätte, musste sich Damokles mit der Krone auf dem Haupte auf den königlichen Thron setzen. Da saß er denn eine Weile in dem Vollgefühle der höchsten irdischen Herrlichkeit. Aber die Freude nahm plötzlich ein Ende, als er über sich emporblickend bemerkte, wie ein Schwert, nur an ein Pferdehaar gebunden, von der Decke herniederhing und mit der Spitze auf sein Haupt zielte. So schnell er nur konnte, stieg er vom Throne herunter; er hatte dieser königlichen Herrlichkeit genug. Solcher hängenden Schwerter gibt es noch die Fülle. Sie können über ganzen Völkern, über einzelnen Städten, Familien und Personen hangen. Unser Text ist entnommen aus dem Buche des Propheten Hosea. Dieser Mann Gottes lebte im Königreiche Israel in den Tagen Jerobeams II. und seiner nächsten Nachfolger. Anfangs, namentlich unter diesem Jerobeam, ging es dem Volke noch wohl. Aber anstatt sich an den lebendigen Gott zu halten, diente es den Götzen. Der Prophet klagt: „Sie haben so viele Altäre, als Mandeln auf dem Felde stehen.“ Anstatt an den Bund zu denken, den Gott mit ihren Vätern gemacht hatte, schlossen sie Bündnisse bald mit den Ägyptern, bald mit den Assyrern. Von dem Bündnisse mit den Assyrern sagt der Prophet: „Das Volk weidet sich am Winde, es läuft dem Ostwinde nach.“ Und so schwebte über diesem Volke, über den zehn Stämmen, das Schwert Gottes. Dasselbe versank in immer tieferes Elend, bis endlich der Faden riss; bis Salmanassar, der König von Assyrien, das Reich zerstörte und den letzten König Israels, der auch Hosea hieß, samt seinem Volke in die assyrische Gefangenschaft führte. Der Prophet hatte umsonst zur Buße gerufen.

Meine liebe Gemeinde, Götzen gibt es bei uns auch genug. Sie stehen auch wie Mandeln auf dem Felde. Geld und Gut, andere Menschen, das eigene liebe Ich in seiner Selbstsucht, Eitelkeit, Trägheit und Genusssucht, in seinem Wissensstolze und seiner Rechthaberei, haben unzählige Tempel; und auf ihren Altären werden alle Tage Opfer angebrannt, während es auf den Altären Gottes kaum glimmt oder raucht. Bündnisse mit den Mächten und Kräften und Gütern der Welt werden immerfort geschlossen, während der Bund, den Gott schon in unserer Jugend in der heiligen Taufe mit uns gemacht hat, vergessen wird. Die Weide, die grüne Aue seines teuren Wortes, auf die wir als Kinder Gottes gewiesen sind, hat der größere Teil unseres Volkes verlassen, es weidet sich auch mit Wind; es ist ihm ziemlich einerlei, ob mit Ost- oder West- oder Südwind. Es ist so sicher geworden wie jenes Israel in den Tagen des Hosea. Das Schwert hängt auch über seinem Haupte; nur hängt es nicht an einem Pferdehaar, sondern an dem lieben Bande der göttlichen Barmherzigkeit und Langmut. Gott will ja dies Band nicht gern durchschneiden; er will ja nicht den Tod des Sünders, sondern dass sich derselbe bekehre und lebe. Blickt doch zurück und seht, wie mächtig Gott in diesem Jahre die Bußglocken läutete. Auch ein Blinder kann erkennen, dass es keine Menschenhand war, welche die Glockenstränge zog. Es musste der alte Akkord, der alte gewaltige Dreiklang, der so mächtig auf die Herzen der Menschen wirkt: Krieg, Pestilenz und teure Zeit ja auch für Viele teure Zeit! - zusammenkommen. Was soll nun dies Läuten Gottes für dich bedeuten und werden? Es kann ein Grabgeläute werden, unter welchem man die Toten auf das Totenfeld hinausführt. Wenn alle diese Weckstimmen Gottes unbeachtet an dir vorübergehen, wenn du dich unter denselben nur tiefer verstockst, dann ist es dein Grabgeläute. Auch dem Untergange der Völker gehen große Gerichte Gottes voraus. Es kann aber auch ein Kirchenläuten werden. Du kannst dich durch dasselbe zurückrufen lassen zum Worte des Herrn und zur lebendigen Gemeinde. Es kann für dich ein Trauungsgeläute werden, wenn du dich durch alle diese Trübsale hinrufen lässt zum lebendigen kindlichen Glauben und in die rechte Gemeinschaft mit deinem Heilande. Nun, was ist dir lieber, Grabgeläute oder Kirchengeläute und Trauungsgeläute? Du sagst: „Das Letztere.“- Wohlan denn, so höre aus dem Geläute die Stimme unseres Propheten heraus:

Bekehre dich zu deinem Gott.

Wir hören

  1. Zu wem wir uns bekehren sollen;
  2. Wie das geschehen soll;
  3. Wann das geschehen soll.

Herr, unser Gott, bekehre du uns, so werden wir bekehrt. Ach Herr, mache du uns doch recht klar, wie du allein ein Recht an uns hast, wie du allein unser Herr und Gott bist. Zeige uns doch recht, welche Liebe du an uns gewandt hast und immerfort wendest, um uns in deine lebendige Kindschaft, in deine Seligkeit und in den Wandel in dir hineinzuziehen. Zeige uns doch recht, wie gut du es mit uns vorhast, und was für ein unvergängliches und unverwelkliches Erbe du denen aufgehoben hast, welche sich von dir ziehen lassen. Ach Herr, unser Gott, zerstreue doch durch dein teures klares Wort und deine Züchtigungen den Nebel, in welchem Tausende hinlaufen, in welchem sie ihr Elend und den Abgrund nicht sehen, welcher sich vor ihnen auftut. Mache doch diesen Bußtag zu einer letzten großen Weckstimme in diesem Jahre. Vereinige alle deine Weckrufe aus den durchlebten Monaten noch einmal in denselben. O Herr Herr, erhöre uns und gib uns Gnade, dass wir klar sehen lernen, unsere Knie vor dir beugen, unsere Sünden mit Tränen vor dir bekennen und aus zerbrochenen Herzen nach deiner Barmherzigkeit schreien. Hilf, dass wir erwachen nach deinem Bilde, dass ein heiliger Bußernst durch die Stadt gehe. Könnte es denn nicht bei uns auch geschehen, dass dein Geist einmal greifend und raffend durch die Gemeinde zöge, dass die Totengebeine lebendig würden, und ein Aufstehen geschähe, wie es zu andern Zeiten und an andern Orten manchmal dagewesen ist! O arbeite du an uns, arbeite auch heute an uns, damit du das Schwert über unsern Häuptern wegnehmen könnest. Amen.

I. Zu wem sollen wir uns bekehren?

Nicht zu uns selbst. Kann sich denn ein Mensch auch zu sich selbst bekehren? O ja! - Es trägt, in dem Herrn geliebte Gemeinde, ein Jeder, der nicht völlig sittlich verwahrlost ist, ein Bild in sich, wie er sich gern haben möchte. Hat er nun plötzlich durch Verlockung des Fleisches, der Welt und des Teufels einen tiefen Fall getan, oder ist er durch schlechte Genossen und verlockende Verhältnisse Schritt für Schritt in ein arges Sündenleben heruntergekommen, so stellt sich ein Unbehagen, eine Verstimmung über sich selbst in der Seele ein. Sie kommt teils aus dem Gewissen, teils aus jenem Bilde, das er sich von sich selbst entworfen und von dem er nun in der Wirklichkeit so ferne steht. Es liegt auf ihm wie eine schwüle Luft im engen, tiefen Tale; er schämt sich vor sich selbst. Da will er denn zurück, er will wieder eine Strecke hinauf in die Höhe, in die reinere Luft steigen. Er will mit sich selbst wieder zufrieden werden. Da arbeitet sich Mancher auch mit seinen natürlichen Kräften aus gewissen Übertretungen heraus, bis er mit sich wieder zufriedener ist. Liebe Christen, mit solcher Bekehrung ist Wenig geschehen. Wenn das eure Buße ist, habt ihr euch den Maßstab und die Höhe der Gerechtigkeit selbst gemacht. Der ganze Handel wird bloß in eurem Herzen vollzogen. Der eine Teil lässt Etwas nach von dem alten Bilde, und der andere gibt Etwas dran von seinen Gelüsten. Sie sind fertig mit einander, es ist stille drinnen, das Unbehagen ist weg, Stolz und Zufriedenheit mit sich selbst ist an die Stelle getreten. Aber nach Gott hat der Sünder nicht gefragt und in sein heiliges Angesicht hat er nicht gesehen, den ewigen Maßstab hat er nicht an sich gelegt. Und doch halten Tausende und aber Tausende von Christen solche notdürftige Ausbesserung für Buße und Bekehrung. Wie du dich aber nicht zu dir bekehren sollst, so sollst du dich auch nicht bekehren zu andern Menschen. Der Kreis, in welchem wir leben, ja eine ganze Stadt, ein ganzes Volk hat nach dem höheren oder niedrigeren Maße der Heilserkenntnis und der göttlichen Zucht, die in ihm waltet, einen gewissen Maßstab für das, was ein anständiger, bürgerlich ehrbarer Mensch tun und lassen dürfe. Auch durch einzelne Familien geht nach dem von den Vätern überkommenen Erbe oder nach der Stellung, welche sie selbst vor dem Herrn eingenommen, ein solches Maß. Dasselbe kann nun wieder zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Völkern, ja in verschiedenen Orten und Familien sehr verschieden sein. Wer nun mit seinem Wandel tief unter jenes Maß heruntergesunken ist, wen die übrige Gemeinde oder Familie nicht mehr als Ihresgleichen ansieht und achtet, den überfällt zu Zeiten auch ein solches Unbehagen. Er will heraus aus seiner Tiefe, will wieder ein ebenbürtiges Glied der Gemeinde oder Familie werden. Wenn ihm diese dann die Hand wieder gereicht hat und mit ihm zufrieden ist, dann ist er es mit sich auch. Er hat sich zu Menschen bekehrt. Nach Gott hat er nicht gefragt, in sein heiliges Angesicht hat er nicht gesehen, den ewigen Maßstab hat er nicht an sich gelegt. Und doch halten Unzählige solche Rückkehr zu einer gewissen bürgerlichen Gerechtigkeit und zur Anerkennung von Ihres gleichen für Bekehrung. Sie sind damit zufrieden und wohl gar sehr stolz darauf. Einer sagt vom Andern: „Er ist der Menschheit wiedergegeben.“ Ob er aber Gotte wiedergegeben ist, daran wird wenig gedacht. Nun versteht ihr, geliebte Gemeinde, warum alle Propheten, und auch Hosea in unserem Texte, beständig ermahnen: „Bekehre dich zu deinem Gotte!“ Ja zu deinem Gotte. Er ist dein Gott, er hat dich erschaffen und erlöst, auf dass du sein eigen seist, und in seinem Reiche unter ihm lebst und ihm dienst in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.

Der Herr ist der Gott Zebaoth, Herr ist sein Name, er ist dein Herr. Nur wenn du zu ihm kommst, ist es eine wahre Bekehrung. Er allein ist das wahrhaftige Leben, er ist Liebe, Heiligkeit und Gerechtigkeit. Bei ihm allein ist das gerade Maß dessen, was recht ist und ewig fest steht. Von ihm allein geht die Kraft aus zu einer wahren Bekehrung, er allein ist in dem Schwachen mächtig. Wenn er in dir die erste Sehnsucht nach neuer Gemeinschaft mit sich hat wecken können, dann stärkt er dich auch von einer Stufe zur andern. Er gibt dir die Kraft, deren du bedarfst. In ihm allein findest du das rechte Bild deiner selbst wieder, welches du in den besten Stunden deines Lebens suchst. Auf der Erde war das rechte Menschenbild verloren gegangen, nur im Himmel hatte. es Gott aufgehoben. Da die Zeit erfüllt war, hat er es uns in seinem lieben Sohne aus Erbarmen herniedergesandt. Bekehrst du dich zu Gott, so findest du in Christo dein wahres Ich und Selbst wieder. Bekehrst du dich zu Gott, so bekehrst du dich auch zu deiner rechten Gemeinde und Familie. Das ist ja die Gemeinde Jesu Christi, die nicht hat einen Flecken oder Runzel oder des Etwas, deren Name im Himmel hell angeschrieben steht, die Gott nicht dient nach abgeschwächtem und verbogenem Menschenmaß, sondern in Einfältigkeit und Lauterkeit nach seinem Herzen und Worte. Und noch einmal: „Bekehre dich zu deinem Gotte!“ um des Endes willen. Wer wird dich denn einst richten? Etwa du selbst? Wird das Gericht auch nur ein Handel zwischen der Linken und Rechten in deinem Herzen sein? - Christus richtet die Lebendigen und die Toten. Der Herr ist der Gott Zebaoth, Herr ist sein Name, er ist der Richter. Er fragt dich nicht, ob du mit dir zufrieden gewesen bist, ob du dir gefallen hast. Er fragt dich: „Simon Johanna, hast du mich lieb?“ Und das ist ja die rechte Bekehrung, ihn von ganzem Herzen lieb haben. Eben so wenig richtet er nach dem Urteil der großen Menge, welches jetzt keine Sünden mehr kennt, außer den gröbsten Gräueln in Mord, Unzucht, Diebstahl und Meineid; er richtet nach der heiligen Wahrheit Gottes. Von allen den Götzen und Göttern, welchen du hier gedient hast, redet in jenem Gerichte keiner mit. Sie sind dann eben so gut Nichts geworden wie die Götzen, welche die Ephraimiten stehen hatten wie Mandeln auf dem Felde. Dein Gott aber bleibt in Ewigkeit, und du möchtest auch ewig bei ihm bleiben. Darum bekehre dich zu deinem Gotte.

II. Wie soll das geschehen?

Liebe Gemeinde, wenn unsere Erdhälfte ihr Angesicht der Sonne wieder zukehrt, dann wird es Frühling. Ohne diese Zukehr und ohne hellen, warmen Sonnenschein gibt es keinen Frühling. Gott drehet aber diesen alten Ball, diesen alten Planeten mit großer Treue so, dass auch unser Teil alle Frühjahr in dies helle warme Licht kommt. Also gibt es auch in dir keinen Frühling, kein neues Leben, wenn sich dein Herz nicht wieder der Gnadensonne zukehrt. Ach da liegt tiefer fester Schnee und ungeschmolzenes Eis und darunter ein erstarrter. Boden oft seit langen, langen Jahren. An Gott fehlt es nicht. Der der armen toten Erde den Frühling gönnt, der gönnt ihn viel lieber den nach seinem Ebenbilde geschaffenen Menschen, und noch lieber seinen Kindern. Er drehet auch fort und fort an dir, um dein Herz, diese kleine Welt und Erde, in den Schein seiner Gnadensonne zu bringen. Aber hier ist es doch anders als mit der Erde. Die Erde hat keinen Willen, sie muss ihren Weg gehen. Aber weil dich Gott frei geschaffen hat, muss dein Wille in seinen gnädigen und guten Willen einstimmen und zu demselben Ja und Amen sagen lernen. Schaffen konnte dich dein Gott ohne dich, aber neuschaffen kann er dich nicht ohne dich. Darum gilt zwar auf einer Seite das Wort: „Bekehre du mich, so werde ich bekehrt.“ Und Gott arbeitet genug an deiner Bekehrung. Aber es muss unter solcher Arbeit Gottes auch der Wunsch und Wille in dir wach werden: „Ich will mich bekehren zu dem Herrn, meinem Gotte.“ Und wie geht es dabei zu? Alle Bekehrung fängt an mit dem Hören und Achten auf Gottes Wort und Stimme. Liebe Christen, wie stehen unsere Ohren offen für die Stimme und den Ruf der Menschen! Wenn Jemand deinen Namen ruft, so wendet sich dein Angesicht fast mit Gewalt der Gegend zu. Du musst wissen, wer es ist, und was er dir sagen will. Und deinen Gott wolltest du nicht hören? Wenn du ihn nur erst wieder mit dir reden und dir von ihm sagen lässt, was du bist, und wie gut er es mit dir vorhat, dann bist du auch nicht ferne von der Bekehrung. Und zu diesem Hören sind die Bußtage, diese stillen Tage im Leben, angeordnet. Wenn Jemand einen steilen Berg heruntergleitet und in großer Gefahr schwebt, wie freuet er sich dann, wenn eine ebene Stelle kommt, mag sie auch nur etliche Fuß lang und breit sein. Da kann er anhalten und sich besinnen. Solche kleinen ebenen Stellen im Leben mit seinem Jagen, Stürzen und Überstürzen sind die Bußtage. O so steh doch stille! Siehe hinein in deine Sünde und hinein in Gottes Herz. Fange an mit deinem Gotte zu ringen. Lerne dies von dem Erzvater Jakob, dessen Hosea in dem Verse vor unserm Texte gedenkt. Der hatte auch viel Schuld auf seinem Gewissen, Schuld gegen Gott, gegen seinen Vater, gegen seinen Bruder und noch Andere. Wenn nicht er, so führten doch die Seinen auch eine Menge syrischer Götzen mit sich. Er kämpfte mit dem Engel und siegte, denn er weinte und bat ihn. Da möchtest du wohl sagen: das ist eine eigene Schlussfolge, dass er siegte, weil er weinte und bat. Von Menschen werden allerdings die Weinenden und Bittenden oft mit Füßen getreten; aber vor Gott haben Bußtränen und demütige Bitten um Gnade eine siegende Macht. Sein Herz bricht ihm diesen Waffen gegenüber. Weinen und Bitten sind zwei Hauptstücke in der Buße. Hast du schon geweint über alle deine alte Untreue? Tue es heute und bitte Gott dazu um Vergebung deiner Sünden. Bitte ihn, dass er dich bekehre, dass er dir seinen heiligen Geist gebe, und dass dieser in dir die Macht der Welt und des Fleisches besiege. Begrabe deine Götzen, wie Jakob die Götzen seiner Familie unter der Eiche bei Sichem begrub. Und dann geh einmal an der Hand unseres Textes gleich mit hin in drei Gebiete, in welchen Buße und Erneuerung auch in unsern Tagen besonders nötig ist. Es heißt da: „Halte Barmherzigkeit und Recht, und hoffe stets auf deinen Gott.“ Zur Barmherzigkeit gegen die Brüder, gegen Witwen und Waisen, Alte und Kranke seid ihr jetzt oft ermahnt worden. Heute rufe ich dir zu: Sei barmherzig gegen dich selbst! Es liegt in dir ein edler Gefangener, dein besserer Teil, dein aus Gott geborener Mensch, in harten Ketten. Er rüttelt heute in deiner Sündentrauer, in den Bußtränen an den Ketten. Ja der Herr Jesus ist selbst gefangen in dir. Deine irdischen Lüste, welche die Oberhand in dir haben, und deine alte Trägheit sind seine Kerkermeister. Jage sie weg, kehre die Sache um, mache ihn frei, mache ihn zum Herrn in dir, und lege sie unter seine Hand ins Gefängnis. Eben so erbarme dich über die Seelen deiner Brüder. O wenn es doch in unserer Stadt einmal einen Bußtag gäbe, wo uns die Last der Schuld, welche wir uns nach dieser Seite hin aufladen, recht ins Gewissen käme! Was tun wir denn für die Erweckung der Schlafenden? Was tun wir für die großen Scharen derer, die in völliger Verachtung des Heilsweges in Unglauben, Sünde, Schande, Wollust, Völlerei und Trug dahinlaufen? Es muss dich ihrer erbarmen! Die ganze Arbeit der seelenrettenden Liebe muss hier anders angegriffen werden! Sie darf nicht auf wenigen Schultern liegen. Hier handelt es sich um eine Schuld der ganzen Stadt.

Sodann ruft der Prophet: „Haltet Recht!“ Auch Buße im Recht ist ein nötig Ding. Ich will unsern Gerichten und Behörden nicht vorwerfen, dass sie dem Unrecht dienen. Ich halte dafür, dass ein redlicher Ernst des Rechtes in ihnen ist. Ist aber nicht aller Lug und Trug auch Unrecht? Wird dabei nicht gewogen mit falscher Waage? Und dann denkt daran, wie der Parteigeist durch unsere Stadt geht! Gewisse Leute mögen tun, was sie wollen; sie mögen an ihrem Platze so treu sein, wie sie wollen und können: sie sind doch verfemt, sie müssen doch Sünder sein, sie müssen doch Unrecht haben, ihnen müssen doch überall Hindernisse in den Weg gelegt werden, weil sie nicht einstimmen in die Meinungen oder Anschauungen gewisser Parteiführer. Wo bleibt da das Recht bei allem Reden vom Recht? Endlich fragen wir uns: „Gibt es denn auch eine Buße im Hoffen?“ Gewiss, im Hoffen auf den Herrn. Da haben wir uns Alle genug versündigt, wir sind Alle kleinmütig gewesen. Wo unsere gewöhnlichen Stützen brechen, wo wir nicht sehen, da sind wir zumeist auch mit dem Glauben zu Ende. Wo uns Gott im Zorn oder zur Bewährung unsers Glaubens sein Angesicht eine kleine Zeit verbirgt, da liegen wir gleich darnieder wie weiche vom Frost geknickte Pflanzen. Schämen müssen wir uns dieser Kleinmütigkeit. Gottes Kinder sind wir und wollen wir sein, aber Vertrauen zu unserm Vater wollen wir nicht haben. An ein ewiges Leben glauben wir und wollen wir glauben, aber wenn der Tod nur einen Finger nach uns ausstreckt, dann zittern wir wie Espenlaub. Ja in der Barmherzigkeit, im Recht und im Hoffen und dazu in allen andern Stücken ist eine ernste Bekehrung gar nötig. Kehre dich ab von dir selbst und von der Welt, geh hin im Glauben an Gottes Herz; da findest du Barmherzigkeit, Recht und Hoffnung; Hoffnung in der Vaterliebe, die das reuige und gläubige Kind nicht von sich stößt, die es gern halten, tragen und versorgen will. - Und wann willst du dahin gehen?

III. Wann willst du zur Buße kommen?

Komm heute, komm gleich! Siehe doch, da steht in unserm Texte ein Wörtlein, das heißt nun. So bekehre dich nun zu deinem Gotte. Das Wort ist so klein und doch so groß. Nun, das heißt nicht morgen oder übermorgen. Heute, so ihr seine Stimme höret, so verstockt eure Herzen nicht. Jetzt ist der Tag des Heils.

Heut lebst du, heut bekehre dich,
Eh's morgen wird, kann's ändern sich.
Wer heut ist frisch, gesund und rot,
Ist morgen krank, vielleicht schon tot.
Und wenn du stirbest ohne Buß,
Dein Leib und Seel' dort brennen muss.

Nun wissen wir ja wohl, dass eine ernste durchgreifende Bekehrung nicht das Werk einer Stunde oder eines Tages ist. Es gehört Zeit, es gehört ein Leben, es gehört selbst die letzte große Tat des Herrn in der Todesstunde dazu, dass der Saft aus der Wurzel Jesse durch alle Zweige des Lebensbaumes dringt. Aber die Umkehr, die erste ernste Umkehr, der tiefe Einschnitt und Abschnitt kann Sache eines Tages, ja einer Stunde sein. Und wann soll diese Stunde bei dir kommen? Wie lange willst du warten? Hast du nicht schon Zeit genug verloren? Willst du noch länger mit der Langmut Gottes spielen? Menschlich ist es, Sünde zu treiben, aber teuflisch, in der Sünde zu bleiben. Wenn Jemand unter die Räuber gefallen ist und schon mehrere Wunden von ihnen empfangen hat, so nutzt er den ersten Augenblick, wo er, wenn auch blutend oder hinkend oder kriechend auf Händen und Füßen, ihrer Gewalt entrinnen kann. Könnte doch der nächste Hieb sein Todesstreich sein! Und wir Alle sind in unsern Sünden unter die Räuber gefallen. Der nächste Streich kann auch unser Todesstreich sein. Mit der nächsten Sünde können wir uns so verstocken, dass die Lust und Kraft zur Buße gänzlich erstirbt. Darum nutze die Gelegenheit, der Hand der Räuber zu entgehen. Du entgehst ihnen aber nur, wenn du dich in die Arme deines rechten Herrn wirfst. Und dein rechter Herr ist der Gott Zebaoth, Herr ist sein Name. Heute bietet er dir Gelegenheit, den Feinden zu entkommen und in sein Lager überzugehen. Heute fasst er dich bei der Hand, heute bittet er dich: „Lass dich versöhnen mit Gott.“ Komm wie du bist; und wenn du blutend und hinkend und kriechend kommst, du bist ihm doch willkommen. Stecke dich nicht mehr, wie du so lange getan hast, hinter die große Schar derer, die in gleicher Sicherheit mit dir dahinleben. Wenn du sagst: „Es gibt Unzählige, die in derselben Lauigkeit und Sorglosigkeit um ihr Heil mit mir dahinleben; und wo die bleiben, da bleibe ich auch,“ weißt du, was du dann sagst? Anders ausgedrückt heißen deine Worte: „Hier steht ein großes Feld von Dornen und Disteln beisammen; so lange sie grün sind, hackt und sticht eine die andere; und wenn sie dürre geworden sind, werden sie alle mit einander verbrannt. Es wandert ja eine ganze große Gesellschaft mit einander in die Hölle; warum soll ich denn nicht mitgehen?“ Oder willst du sagen: „Ich habe zur Bekehrung jetzt keine Zeit?“ Wenn dir Jemand Geld anbietet, das doch nur auf der Erde gilt, so hast du immer Zeit, dasselbe zu nehmen. Und für das Heil, das dir der Herr schenken will, das in Ewigkeit gilt, hast du keine? Willst du warten bis ins Alter? Willst du das „Nun“ unseres Textes hinauslegen in die letzte Abenddämmerung? Ein gewaltiger Prediger des Mittelalters, Berthold von Regensburg, redet einmal von der späten Buße. Er will und kann die Bekehrung des Schächers am Kreuze nicht wegleugnen. Er will und kann nicht in Abrede stellen, dass sich eine Seele auch in der Scheidestunde noch zu ihrem Gotte bekehren kann. Aber die Unsicherheit und Gefährlichkeit solchen Wartens malt er mit folgendem Bilde: „Denke dir, es sitzt ein einsamer Vogel auf dem Kirchdache. Du gibst einem Blinden einen Bogen in die Hand, legst ihm einen Pfeil auf die Sehne und sagst ihm: „Dort sitzt der Vogel, nun schieße den Pfeil ab.“ Wird er ihn treffen? Unter zehntausend Malen nicht einmal.“ - So ist es auch mit der späten Buße. Die Sünde wird immer älter und fester, und das innere Auge immer blinder. Von Zehntausenden, die die Bekehrung zum Herrn auf gelegene Zeit und ins Alter verschieben, findet ihn kaum Einer. Und wirst du gerade dieser Eine sein? O stelle dein Heil nicht so aufs Ungewisse! Heute hast du das „Nun“, bekehre dich nun zu deinem Gotte. Komm wieder, du verlorener Sohn. Sieh deinem Vater ins Angesicht, er wartet auf dich, in seinem Auge leuchtet noch die alte väterliche Liebe. Bekenne ihm deine Sünde, lass zu dem Worte die Tränen der Reue kommen. Die sprechen lauter als die ganze Rede jenes verlornen Sohnes, die ihn sein Vater nicht einmal ganz herausbringen ließ. Und dein Vater wird dich an sein Herz nehmen, dir das neue Kleid anlegen, dir den Ring an den Finger stecken und Schuhe zu einem neuen gottseligen Wandel an die Füße ziehen. Dann ist das Schwert weg über deinem Haupte.- Herr Herr, nimm es weg, geh mit uns nicht ins Gericht, sondern bringe uns durch deine Gnade, durch dein Wort, durch deine Freundlichkeit und durch deine Schläge zur aufrichtigen Bekehrung zu dir. Erhöre uns um Jesu Christi willen. Amen.

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