Christlieb, Theodor - Der Segen des Herrn - Vorwort

Christlieb, Theodor - Der Segen des Herrn - Vorwort

Diese Predigten hielt ich - wenigstens ihrem Hauptinhalt nach - als deutscher Pastor in Islington London im Herbst 1859 zu einer Zeit, da eben ein großer Teil der Kirchen Großbritanniens in Folge der merkwürdigen Erweckungen in Irland, Schottland und Wales von einem ungewöhnlichen Geist des Gebets und einem tiefen Verlangen nach reicherem Segen von oben erfüllt war, und auch viele Londoner Gemeinden wenigstens von den stilleren Ausläufern dieser Bewegung berührt wurden. Die Hörer sollten dadurch einige Fingerzeige erhalten, doch nur einmal das sich lebendiger und tiefer anzueignen, was im Schlusssiegel des Gottesdienstes, in der Auflegung des Namens Gottes auf die Gemeinde als endlos strömende Segensquelle sich ihnen auftut.

Auf Wunsch der Gemeinde 1860 gedruckt 1) und fast nur in England und Süddeutschland verbreitet, waren sie seit vielen Jahren vergriffen. Nicht so sehr die fortdauernde Nachfrage nach ihnen, sondern namentlich der Umstand, dass über diese so allgemein gebrauchten und doch in ihrer reichen Heilsfülle so selten tief genug gewürdigten Worte seit Luther2), so viel ich sehen kann, nirgends eingehendere erbauliche Erklärungen erschienen, ließ es wünschenswert erscheinen, das anspruchlose Büchlein in einer neuen, durchgesehenen, vielfach ergänzten und mehr dem allgemeinen Bedürfnis angepassten Auflage Erbauung suchenden Christen wieder zugänglich zu machen. Bei der Inhaltsfülle der Textverse an sich, die im Kraftstil göttlicher Lebensworte gehalten, gerade in ihrer knappen Kürze für erbauliche Behandlung unerschöpfliche Schätze bergen, sowie bei dem oft beträchtlich längeren englischen Zeitmaß einer Predigt wird der christliche Leser die große Länge der einzelnen Predigten sich freundlich zurechtlegen. Möchten Andere sich dadurch angetrieben fühlen, den Goldadern dieses uralten und doch nie ausgelernten Textes noch tiefer und allseitiger nachzuspüren! Denn er gehört zu jenen Kleinodien unter den Schriftworten, die bei tieferer Forschung nach dem Zusammenhang des göttlichen Offenbarungsplans den Stempel ihrer Unerfindbarkeit durch Menschen immer deutlicher zeigen, und um so stärker fesseln, je länger man sie betrachtet.

Vor hundert Jahren suchte die Aufklärungszeit wie so manches andere, so auch dieses kostbare liturgische Erbstück zunächst aus der Reformationszeit der christlichen Gemeinde zu verkümmern, und die schlichten erhabenen Worte des aaronischen Segens durch Phrasen zu ersetzen wie: „der gütigste Gott gebe uns stets Gelegenheit, Weises zu lernen und Gutes zu tun! Er flöße uns ein den Wahrheitssinn, keine dieser Gelegenheiten unbenutzt zu lassen! Er gebe uns stets erfreuliche Folgen unserer Lernbegierde und unseres Tugendeifers!“ 3)

Der Herr der Kirche hat gnädig auch dieses Wasser wieder in den alten Wein verwandelt, nachdem die Selbsthilfe und Selbstherrlichkeit jener Zeit innerlich und äußerlich zu Schanden geworden war.

Auch unsre Zeit mit ihrer abermaligen weitverbreiteten Segenserwartung von der Selbstvervollkommnung durch eigene Anstrengung nicht auf Grund, sondern anstatt des Heilsempfangs durch Licht und Gnade von oben wird vor ähnlichen bitteren Erfahrungen, auch vor dem endlichen Rückfall in ebenso unevangelische als geschmacklose Verunstaltungen liturgischer Schriftworte nur durch ein gläubiges Eindringen in deren göttliche Kraft und Tiefe bewahrt bleiben können.

Möge der Herr auch diese Predigten in ihrem bescheidenen Teil da und dort hierzu mitwirken lassen, und sie auch bei ihrem neuen Ausgang zu einem Röhrchen machen, dadurch ein oft verschüttetes altes Segensbrünnlein wieder reicher zu strömen beginnt in einer Christenheit, die, je tiefere Risse ihr inneres Leben zeigt, desto mehr göttlicher Behütung, Begnadigung und Befriedigung sich bedürftig zeigt! Bonn, im März 1878.

Der Verfasser.

1)
Ludwigsburg-Basel bei Ferd. Riehm, London bei Trübner & Comp.
2)
Sämmtl. Werke, Erl. Ausg. Bd. XXXVI S. 156-163
3)
S. Zeitschr. für Protest. u. Kirche 1876, S. 224.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/christlieb_t/christlieb_t-der_segen_des_herrn/christlieb_t-der_segen_des_herrn-vorwort.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain