Brenz, Johannes - Auslegung des Vaterunser - Die vierte Bitte.

Unser täglich Brot gib uns heute!

In diesem vierten Stück vom Gebete des Herrn erbitten wir alles das, was uns zur Erhaltung dieses leiblichen Lebens nötig ist. Allein bevor wir das auslegen, müssen wir uns an die Ordnung der [einzelnen] Bitten erinnern lassen. Denn diese Bitte, darin wir leibliche Güter erbitten, steht weder an der ersten, noch an der letzten Stelle, sondern in der Mitte der anderen Bitten, und zu beiden Seiten werden Bitten um geistliche Güter vorgetragen. In den drei ersten nämlich erbitten wir, dass Gottes Ehre in uns verherrlicht werde, dass Gott in uns durch seinen Heiligen Geist regiere, und dass wir dem Willen und Berufe Gottes gehorchen. In den drei letzten erbitten wir Vergebung unserer Sünden, Bewahrung in Versuchungen und Erlösung vom Übel; das sind geistliche Güter. Inmitten dieser Bitten aber bitten wir um das tägliche Brot, d. h. um das zur Erhaltung dieses leiblichen Lebens Notwendige. Diese Ordnung gemahnt uns, dass wir auf Erden nicht um des irdischen Lebens und leiblicher Güter willen erschaffen und bestimmt sind, sondern allermeist um der geistlichen, ewigen Güter willen; denn diese müssen A und O, Anfang und Ende sein. Darum ist auch nur Eine Bitte um leibliche Güter vorgeschrieben, während der Bitten um die geistlichen Güter sechs sind. Deshalb erbitten wir die leiblichen Güter nicht als Haupt, sondern als Nebensachen, um eine Zeit lang hienieden erhalten zu bleiben, bis wir die geistlichen erlangen, bis wir nämlich durch den Glauben Jesum Christum, Gottes Sohn, erkennen, welcher der Schatz aller geistlichen and himmlischen Güter ist. Denn wer Christum gelernt und erkannt hat, und in ihm die himmlischen Güter besitzt, der hat übergenug auf Erden gelebt, und seinen Dienst getan, ob er schon gar nichts an irdischen Schätzen gesammelt hätte. Da es aber, um die Erkenntnis Christi zu erlangen, der Predigt des Evangeliums bedarf, und zur Predigt des Evangeliums eines Zeitraums und des leiblichen Lebens bedarf, heißt uns Christus auch das erbitten, was zur Erhaltung des leiblichen Lebens nötig ist. Das Alles nämlich wird in dieser vierten Bitte unter dem Namen des Brotes zusammengefasst.

Es ist aber Vieles nötig zur Erhaltung dieses Lebens, nämlich: bürgerliche Obrigkeit und äußerlicher Frieden, auf dass wir ein ruhiges Leben führen und mit Arbeiten unseren Unterhalt erwerben dürfen; leibliche Gesundheit, dass wir zu handeln im Stande sind; gesunde Luft, heiteres Wetter und Regen, dass die Erde ihre Frucht gibt zu seiner Zeit; Eltern und Vormünder, dass durch ihre Bemühung die Kinder auferzogen werden; Mann und Weib, damit das Hauswesen bestehe; Knechte, Mägde und Tagelöhner, durch deren Fleiß wir bei unseren Arbeiten unterstützt werden; Zugtiere zur Hilfe der Menschen bei ihrer Arbeit.

Erbitten wir also unser täglich Brot, so bitten wir: Gott wolle unsere Obrigkeit beschirmen, und uns öffentlichen Frieden geben; wir bitten, Gott wolle uns geben fruchtbare Zeiten, uns treue Knechte und Tagelöhner geben, und unsere Zugtiere schützen. Die Kinder bitten, Gott wolle ihre Eltern und Vormünder unversehrt erhalten; der Mann bittet, Gott wolle sein Weib behüten, und das Weib ihrerseits, Gott wolle den Mann behüten. Denn so weit geht die Bedeutung des Wortes Brot und dieser Bitte im Gebet des Herrn.

Doch was ist's - wird man sagen - dass uns Christus das Brot oder den leiblichen Unterhalt erbitten heißt, während er uns doch sonst die Sorge um unsere Nahrung verbietet? „Ihr sollt (spricht er) nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?“ Denn wer kann ohne Sorge und Kummer eifrig beten? Denn so Jemand nicht von Kummer bewegt wird, scheint er nur kalt zu beten, wie das Gebet der Kinder zu sein pflegt, welche, da sie sicher und ohne Kummer sind, das Gebet des Herrn wörtlich hersagen ohne eine ernstliche Gemütsbewegung. Hier beachte mir nun, dass es eine zweifache Sorge gibt; die eine ist gottlos, die andere fromm. Gottlos ist die Sorge, welche so auf den Erwerb der Nahrung gerichtet ist, dass sie Gottes Beruf hinwirft und, mit welchem Recht oder Unrecht es sein mag, Nahrung sucht. Das ist mit Beispielen zu beweisen. Gott gebot den Israeliten, aus Ägypten zu ziehen durch die Wüste, darin es kein Brot gab. Wären nun die Israeliten so um das Brot besorgt gewesen, dass sie Gottes Gebot verachtet hätten, und in Ägypten geblieben wären, so würde ihre Sorge gottlos, d. h. von der Art gewesen sein, sie zur Sünde wider Gottes Wort aufzufordern. So hat Christus den Aposteln geboten, ihre Netze zu verlassen und das Evangelium in aller Welt zu predigen. Hätte nun irgend Einer der Apostel den Dienst des Evangeliums verlassen und wäre aus Nahrungssorge seinen Netzen nachgegangen, so würde er auf gottlose Weise besorgt gewesen sein. So ist einem Künstler geboten, mit den Werken seiner Kunst rechtlich zu handeln; so aber ein Künstler, von Nahrungssorge getrieben, Betrug übt, ist er auf gottlose Weise besorgt, weil er Gottes Beruf im Stiche lässt. Und solche Sorge, die nämlich zu Sünden wider Gottes Gebot und Beruf führt, ist verboten. Eine andere ist die fromme Sorge, wenn Jemand mit höchstem Fleiß dafür sorgt, recht, aufmerksam und fromm seinen Dienst zu tun und nach Gottes Beruf denen Nahrung zu schaffen, denen sie zukommt: ein Vater nämlich seinen Kindern und dem Gesinde, ein Herr seinem Knechte, und ein Jeglicher sich selber. Diese Sorge nennt man eigentlich Fleiß oder Sorgfalt, wie solche der Dienst fordert, und welche die Frommen antreibt, je mehr Kinder oder andere Hausgenossen ihrer Sorge anbefohlen sind, desto inbrünstiger Gott den Vater anzurufen, um von ihm das tägliche Brot zu empfangen.

Doch so viel über die Sorge; wir wollen wieder zur Sache kommen. Wir haben gezeigt, was wir unter dem Namen [oder Begriff] des Brots erbitten, nämlich alles das, was uns zur Erhaltung des leiblichen Lebens nützlich und nötig ist. Lasst uns nun auch die übrigen Worte dieser Bitte durchnehmen; denn in derselben wird Nichts überflüssig ausgesprochen.

Es folgt nun: gib, d. h. du, himmlischer Vater! Durch dieses Wort „geben“, womit wir bitten, dass uns das tägliche Brot vom himmlischen Vater gegeben werde, werden wir offenbar gemahnt, nur nicht zu meinen, dass uns die Nahrung und andere für das leibliche Leben notwendige Dinge durch Zufall oder durch unsere Arbeit und Fleiß zu Teil werden, sondern uns immer von Gott unserem Vater gegeben aus lauter Gnade und freier Barmherzigkeit, mögen sie uns nun zufallen durch Erbschaft oder Schenkung, oder durch Arbeit oder Betriebsamkeit im Handel. Psalm 145,15: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit; du tust deine Hand auf, und erfüllst Alles, was lebt, mit Wohlgefallen.“ Hosea 2,21: „Zu derselbigen Zeit, spricht der Herr, will ich erhören: ich will den Himmel erhören, und der Himmel soll die Erde erhören, und die Erde soll Korn, Most und Öl erhören.“ Ap.-Gesch. 14,17: „Er hat sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat uns viel Gutes getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, und unsere Herzen erfüllt mit Speise und Freude.“ Darum war auch in der Staatsverfassung des Mose der heilige Brauch eingeführt, die Erstlinge zu opfern. Denn 5. Mose 26 wird den Israeliten geboten, die Erstlinge der Früchte in einem Korbe darzubringen und zu bekennen, dass sie dieselben durch des Herrn Wohltat und Gnade empfangen haben. Wenn wir denn in dieser Bitte sprechen: gib! so lasst uns unsere Augen und unser Herz gen Himmel erheben, und bedenken, dass wir dasjenige, was wir als zur Erhaltung unseres leiblichen Lebens notwendig empfangen, nicht dem Glück oder unserem Fleiß verdanken sollen, sondern nur der göttlichen Gnade und Freigebigkeit. Und weil uns geheißen wird, Solches von Gott zu erbitten, so ist offenbar, dass Alle, mögen sie Könige oder Fürsten oder die reichsten Bürger sein, vor Gott Bettler sind, weil Alle, wollen sie wenigstens dem Sohne Gottes, der ihnen mit seinem Gebete vorangeht, nachfolgen, von Gott das tägliche Brot erbetteln müssen. Daran müssen wir deshalb gemahnt werden, um, da wir wissen, dass unsere Nahrung von Gott uns gegeben wird, zur Nüchternheit ermuntert zu werden, auf dass wir sie nicht zur Üppigkeit, zu Schwelgerei, zu Gottlosigkeit missbrauchen, sondern ihrer brauchen nach Gottes Willen, der sie zur Ehre seines Namens gegeben hat, und nicht nur zu unserer, sondern auch zu des Nächsten Notdurft. Denn die Nahrung ist ein Almosen Gottes. Ich bitte dich aber, wie würdest du dich entrüsten, so du dir selbst abgedarbtes Brot einem Bettler gäbst, das er sofort den Schweinen vorwürfe, oder in den Kot schleuderte und mit Füßen träte? Viel ungerechter gewiss und abscheulicher handeln diejenigen, welche von Gott ehrliches Vermögen empfangen haben, und dasselbe schändlich vergeuden in Schwelgerei, Hurerei und anderen Freveln. Durch solche Sitten wird Gott nämlich herausgefordert, dass er entweder Hunger oder Krieg oder Krankheit oder andere Arten von Fluch schickt. Sodann werden wir durch dies Wort „geben“ daran erinnert, nicht nach Erwerb unserer Nahrung durch Verfälschungen, Betrügereien, Meineide und andere Frevel zu trachten, sondern in allen Geschäften der Gerechtigkeit und dem Berufe Gottes gemäß zu wandeln und zu wissen: „Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser, denn das große Gut vieler Gottlosen“ (Psalm 37,16).

Drittens muss man auch die Worte unser und uns betrachten. Wir haben oben gezeigt, dass dieses Gebet des Herrn der ganzen Kirche gemeinsam ist, und, so irgend ein Frommer dieses Gebet spricht, derselbe nicht erbittet, dass Gottes Wohltaten ihm allein, sondern der ganzen Kirche verliehen werden. Denn so hat uns Gottes Sohn das Gebet anfangen heißen: Vater unser; so heißt er uns auch hier sagen: unser Brot, und: gib uns. So wird auch in den übrigen Bitten, welche folgen, gesagt: unsere Schulden und: führe uns nicht und: erlöse uns. Und dennoch darf jeder Fromme in seinen besonderen Versuchungen und Trübsalen sich insonderheit dieses Gebet des Herrn annehmen und aneignen und sprechen: Mein Brot gib mir! und: vergib mir die Schulden! und erlöse mich von dem Übel! So betete auch Jakob, da er in die Fremde ging: „So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen, und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen: so soll der Herr mein Gott sein“ (1. Mose 28,20.21). Gottes Sohn jedoch wollte uns in seinem Gebete zu Einem Leibe verbinden, auf dass wir uns dadurch erinnern ließen, dass, wie Gott die ganze Kirche mit seiner Liebe gleichmäßig umfasst, und ihr seine Wohltaten ohne Unterschied darbietet, also auch wir einander als Brüder gegenseitig umfassen und uns wechselseitig so viel Wohltaten, als wir können, mit höchstem Fleiße mitteilen sollen. Da nun dieses Gebet des Herrn gemeinsam und allgemein ist, müssen wir wissen, dass, so Jemand sagt: Unser täglich Brot gib uns heute! ein Jeglicher in der Kirche für seinen Nächsten von Gott Nahrung erbittet, der Reiche nämlich für den Armen, der Arme für den Reichen; der Herr für den Knecht, der Knecht für den Herrn; der Fürst für den Untertanen, der Untertan für den Fürsten; kurz ein Jeder für seinen Nächsten, in welchem Stand oder Verhältnis sie sein mögen. Diese Sache muss mit Fleiß bedacht werden, auf dass wir uns zur Furcht Gottes ermuntern lassen, und Reiche und Arme unter einander ein gottseliges und ehrbares Leben führen. Hört ein Reicher, dass ein Armer seine Hilfe anfleht oder, hat er Knechte und Tagelöhner, so denke er bei sich: du hast zwar etliche Güter, allein du besitzt sie durch göttliche Gnade, nicht durch dein Verdienst; und du besitzt sie nicht sowohl durch deine [eigenen] als durch jener Armen und Tagelöhner Bitten, denn sie beten gleichfalls das Gebet des Herrn. Darum sollst du sie freigebig unterstützen und ihren Lohn reichlich auszahlen. Der Arme aber und der Tagelöhner mögen bedenken: Das Wenige, das du besitzt, oder die Kräfte, die du zur Arbeit hast, die hast du nicht durch dein Verdienst, sondern durch Gottes freie Barmherzigkeit, und hast sie nicht sowohl durch deine [eigenen] als durch des Reichen Bitten; denn er betet gleichfalls das Gebet des Herrn. Deshalb wird es an dir sein, dem Reichen deine Dienste treulich zu leisten. Danach ist offenbar, dass das Gebet des Herrn nicht nur ein Gebet, sondern eine tägliche Predigt für uns ist, dadurch wir unterwiesen werden, gegenseitig einander Dienste zu leisten.

Viertens heißt es: täglich, was richtiger heißen würde: notdürftige Nahrung; denn Gottes Sohn lehrt uns nicht um unermesslichen Reichtum bitten, sondern um Brot, oder um die zum Unterhalt und zur Erhaltung des leiblichen Lebens nötige Nahrung. Denn diejenigen, so große Güter besitzen, mögen für Andere ein köstlicheres Leben zu führen scheinen, werden dennoch von der Last der Sorgen und der Geschäfte so gedrückt, dass sie weder ihrer Güter genießen, noch auch mehr als das zum Leben Notwendige, davon haben. 2. Mose 16,17.18: „Die Kinder Israel sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber da man's mit dem Gomor maß, fand der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte; sondern ein Jeglicher hatte gesammelt, so viel er für sich essen mochte.“ Das ist die Beschreibung, nicht allein, wie es den Israeliten beim Sammeln des Mannas erging, sondern auch, wie es in der ganzen Welt unter den Menschen zu ergehen pflegt. Einer nämlich sammelt vielen Reichtum; ein Anderer wird von so großer Armut gedrückt, dass er am Morgen, wann er vom Schlafe aufsteht, nicht weiß, woher er selbst das Kleienbrot, welches er verzehrt, nehmen soll; und dennoch geschieht es durch Gottes Walten, dass der Arme mit nicht geringerer Lust sein Brot genießt, das er entweder erbettelt oder durch seine Arbeit erworben hat, als der Reiche sein köstlichstes Mahl. Ich will hier nicht zufügen, wie großen Gefahren sich diejenigen aussehen, die da reich werden wollen. Diese Gefahren zählt Paulus 1. Tim. 6,9.10 auf. Darum lehrt uns Gottes Sohn nicht vielen Reichtum erbitten, sondern nur die zur Erhaltung dieses Lebens notwendige Nahrung. Paulus spricht 1. Tim. 6,6-8: „Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist, und lässt ihm genügen. Denn wir haben Nichts in die Welt gebracht; darum offenbar ist, wir werden auch Nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasst uns begnügen.“ Spr. 30,8.9: „Armut und Reichtum gib mir nicht, lass mich aber mein bescheiden Teil Speise dahin nehmen, ich möchte sonst, wo ich zu satt würde, verleugnen und sagen: Wer ist der Herr? Oder, wo ich zu arm würde, möchte ich stehlen und mich an dem Namen meines Gottes vergreifen.“ Darum, als Elias vor Isebel floh, und in der Wüste hungerte, schickte ihm Gott durch einen Engel geröstetes Brot und eine Kanne mit Wasser. Er hätte ihm eben so gut die auserlesenste Speise und Trank schicken können, wollte ihm aber gewöhnliches Brot und Wasser schicken, um die Seinen daran zu gewöhnen, in leiblichen Dingen nichts Überflüssiges und Maßloses zu erbitten, sondern nur das zu ihrem Leben Notwendige.

Fünftens heißt es: heute. Mit diesem Worte bezweckt Gottes Sohn, unseren Herzen die gottlose Sorge um Nahrung in einer fernen, zukünftigen Zeit zu benehmen. Es gibt nämlich Menschen, zumal Greise, die um ihre Nahrung so besorgt sind, dass sie nicht mit der Speise für die Gegenwart sich begnügen, sondern Tag und Nacht abmühen, sowohl für sich als für ihre Nachkommen auf viele Jahre Reichtum zurückzulegen. Und darauf legen sie sich mit solchem Eifer, dass sie dem Anschein nach meinen, sie müssten sogar für diejenigen Nahrungsmittel Sorge tragen, deren ihre Nachkommen nach dem jüngsten Tage dieser Welt genießen könnten. Und es ist nicht ihre Absicht, sich mit Gerechtigkeit und Frömmigkeit Güter zu erwerben, sondern mit Ungerechtigkeit, mit Täuschungen, mit schlechten Künsten und wie sie es nur können, mit Recht oder Unrecht.

Wenn aber Gottes Sohn uns bitten heißt, der himmlische Vater möge uns Brot zum Lebensunterhalt heute geben, so verdammt er offenbar solche gottlose Sorge und ermahnt uns, mit der heutigen Nahrung zufrieden zu sein. Und hier müssen wir fürwahr Gottes bewundernswürdige Schöpfung und Regierung aller Dinge mit Fleiß betrachten. Gott hätte ja eine solche Speise schaffen und uns geben können, welche einmal genommen immer oder wenigstens viele Tage hindurch unser leibliches Leben erhielte. So hat er auch diese seine Macht gewissermaßen an Elias offenbart, welcher das vom Engel ihm gebrachte Brot aß und das Wasser trank, und in Kraft dieser Speise 40 Tage und 40 Nächte ging. Er könnte auch ohne irgend eine Speise oder Trank unser Leben in dieser Welt erhalten; allein nach seiner höchsten Weisheit gefiel es ihm, uns solche Speise darzubieten, die genommen und zugleich verdaut würde und uns hungrig ließe, damit, wenn wir an jedem Tage hungrig würden, wir auch, an jedem Tage Gott, unseren himmlischen Vater anriefen, und von ihm Speise zu seiner Zeit erwarteten. Damit wir aber an seiner Freigebigkeit nicht zweifeln möchten, hat uns sein Sohn diese Gebetsformel vorgeschrieben: unser täglich Brot gib uns heute! Mit dieser Formel hat er nicht undeutlich zu verstehen gegeben, also auch verheißen, sein himmlischer Vater sei gegen uns von so großer Freigebigkeit, dass er uns nicht bloß für Einen Tag, sondern für jeden Tag die Nahrung darbietet, die wir von ihm empfangen sollen. Und ob uns der Acker das Getreide versagte und die Bäume das Obst, könnte er uns dennoch vom Himmel herab Manna geben, und wollte es auch geben, so wir nur seinem Berufe nachwandeln, wie er Solches an den Israeliten bezeugt hat und an vielen anderen Beispielen. Haben wir also auch nicht viel Getreide auf viele Jahre aufgespeichert, so haben wir doch das Gebet des Herrn, darin nicht nur himmlische Schätze, sondern auch alle Notdurft zur Erhaltung dieses leiblichen Lebens für uns beschlossen sind. Darum sagt auch Christus anderswo Matth. 6,31-34: „Ihr sollt nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Nach solchem Allen trachten die Heiden; denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr des Alles bedürft. Trachtet am Ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen. Darum sorgt nicht für den anderen Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“

Was wollen wir nun sagen? Soll man nichts aufspeichern auf künftige Tage oder Jahre? Das sei ferne! Wenn nämlich die Sorge auf den morgenden Tag verboten wird, muss man das nicht von frommer Sorge und von rechter, notwendiger Aufspeicherung von Nahrungsmitteln verstehen, sondern von gottloser Sorge, wobei man so begierig nach dem Erwerb und der Aufspeicherung der Nahrung trachtet, dass man Gottes Beruf im Stiche lässt. Es findet aber ein großer Unterschied bei Gottes Beruf statt. Da wird Einer zum Apostelamte berufen, dass er das Evangelium Christi auf dem Erdkreis verkündigen soll. So nun dieser sein Apostelamt aufgäbe und sich des Erwerbs der Nahrung befleißigte, so wäre er gottloserweise besorgt gewesen, und hätte wider Gott gesündigt. Ein Anderer wird zum Helferamte berufen, ein Beruf, wie er Ap.-Gesch. 6 vorkommt. Die Aufgabe dieses Berufs bestand darin, zu Tische zu dienen, d. h. Nahrung für die zu beschaffen, welche ihre Güter zum gemeinen Nutzen beigesteuert hatten. So nun Jemand von diesen Helfern nicht besorgt gewesen wäre, den Seinen Speise zu beschaffen und zu bereiten, und hätte lieber ruhig bis in den hohen Tag hinein schnarchen, als den Seinen ihre Nahrung zurichten wollen; der wäre gewiss ein Zauderer gewesen und ein Vernachlässiger seines Dienstes, und hätte gesündigt nicht wider Menschen allein, sondern auch wider Gott. Paulus schreibt 2. Kor. 12,14: „Es sollen nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern.“ Mit diesen Worten gibt er deutlich zu verstehen, es sei der Eltern Beruf und Pflicht, für ihre Kinder so viel an Lebensmitteln, wie Gott gefällt, zu beschaffen und aufzuspeichern. 1. Mose 41 wird Joseph belobt, weil er im Überfluss, als die übrigen Ägypter schwelgten oder schnarchten, Getreide aufgespeichert und für die künftige Teuerung aufbewahrt habe. Das war nämlich Josephs Beruf und, was er aufspeicherte, das speicherte er ohne Unrecht oder Raub, sondern von der Fülle und dem Überflusse auf. Obwohl 2. Mose 16 das, was man an anderen Tagen als am sechsten sammelte und aufhob, stinkend ward, so ward doch das, was man am sechsten Tage für den Sabbat aufhob, nicht stinkend. Jenes Aufheben nämlich war verboten, dieses aber geboten, damit es offenbar sei, dass nicht jede Aufspeicherung von Lebensmitteln oder anderen Dingen gottlos ist. Spr. 6,6.7 heißt es: „Gehe hin zur Ameise, du Fauler, siehe ihre Weise an und lerne! Ob sie wohl keinen Fürsten noch Hauptmann noch Herrn hat, bereitet sie doch ihr Brot im Sommer, und sammelt ihre Speise in der Ernte.“ Spr. 10,5: „Wer im Sommer sammelt, der ist klug; wer aber in der Ernte schläft, wird zu Schanden.“

So lasst uns denn denken, die Sorge um Nahrung und die Aufspeicherung von Lebensmitteln sei dann erst gottlos und Gott verhasst, wenn die Menschen Gottes Beruf im Stiche lassen und nur der Aufhäufung von Reichtum und der Erwerbung von Lebensmitteln sich befleißigen; denn wir müssen das Eine beabsichtigen, das Eine bezwecken, dass wir dem Berufe Gottes dienen.

Tun wir das, so wird Gott nicht zugeben, dass der, so in seinem Berufe wandelt, Hunger leide und Hungers sterbe. Matth. 4,4: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht;“ d. h.: dem Wort und Beruf Gottes müssen wir immer gehorchen. Obwohl nämlich Gott zuweilen dahin ruft, wo es scheint, als könne man kein Brot erwerben, lässt er doch die durch sein Wort Berufenen und dem Berufe Dienenden so wenig hungern und frieren, dass sich vielmehr die Natur der Dinge verkehren, dass der Himmel Manna regnen und der Fels Wasser ergießen und die Kleider nicht veralten müssen. Und Matth. 6,33: „Trachtet am Ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen.“

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