Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - XVIII. Gethsemane - Bedeutung und Frucht.

Ein tiefes Wort begegnet uns Hebr. 5, 7-8. Der Apostel handelt von dem Priesterthume Jesu Christi, und sagt von dem Herrn: „Da er in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thronen geopfert hat zu dem, der ihn aus dem Tode erretten konnte, und ist erhöret worden von dem Grauen, hat er, wiewol er der Sohn war, an dem, das er litt, Gehorsam gelernt.“ Unverkennbar steht der Apostel hier auf den Oelbergskampf zurück, und bezeichnet das ausdrücklich, was Jesus dort erduldete und vollzog, als Opferwerk. Nach des Apostels Anschauung rang der Herr am Oelberge in Todesnoth, wie er denn auch die Errettung „vom Tode“ als das Ziel seines Flehens darstellt. Es konnte aber der Tod, mit welchem dort der göttliche Dulder kämpfte, nicht derjenige sein, der mit erlösender Hand die Seele aus dem Kerker des Leibes frei macht, um sie als willkommener Friedensbote in die selige Gemeinschaft Gottes einzuführen, sondern nur der, dessen Gewalt „der Teufel“ hat, und welcher, von der Gemeinschaft Gottes trennend, als Fluch und Sold der Sünde auf der Menschheit lastet. Der Apostel sagt, Christus sei erhört worden von der „Eulabeia“, d. i. von der Furcht und dem Grauen vor Gott. Es versteht sich mithin von selbst, daß diese „Eulabeia“ nicht als Devotion und kindliche Ehrfurcht, sondern als Schauder und Erschrecken vor der Majestät des Dreimalheiligen in der Höhe aufzufassen ist; denn von Erholung kann nur im Blick auf eben solche Angst die Rede sein. Die väterliche Erholung trat aber erst ein, nachdem Christus „an seinem Leiden Gehorsam gelernt,“ d. h. mit seinem: „Nicht wie ich, sondern wie du willst, Vater!“ auch zur Hinnahme dieses Kelches mit unbedingter Willigkeit sich verstanden hatte. Unter seinen Seufzern und Thränen opferte der Herr Sich selbst als das Lamm, das stellvertretend für die Sünder zur Schlachtbank des Gerichtes ging. - „Des Gerichtes?“ - Allerdings! - „Er ist aus der Angst und dem Gericht genommen,“ sprach weissagend von Ihm schon der Prophet Jesaias Kap. 53, 8.

Ich habe jenes apostolische Wort vorausgesendet, um mit demselben die Beleuchtung des heiligen Dunkels einzuleiten, in welches die heutige gottesdienstliche Stunde uns zum zweitenmal einführt. Es werden uns jedoch noch hellere Lichter scheinen, und zu der Ueberzeugung uns nöthigen, daß die evangelische Kirche, als Dollmetscherin der Schrift, auch bei der Entzifferung des Geheimnisses der Seelenleiden Jesu das Richtige getroffen hat. -

Matthäus 26, 36-46. Marcus 14, 32-42. Lucas 22, 39-46. Johannes 18, 1.

Ich gestehe, daß ich, so oft mir die Aufgabe wird, in das Heiligthum Gethsemane's euch einzuführen, eines gewissen Bangens und Zagens mich nicht erwehren kann. Mir ist's, als stände auch an dieses Gartens Pforte ein Cherub, der, wenn auch nicht mit flammendem Schwert, so doch mit abwehrender Hand und feierlich ernstem Blick uns den Zugang untersagen, und mit verstärktem Nachdruck die Worte des Herrn wiederholen wollte: „Sitzet ihr hier, und lasset Ihn hingehn, daß er bete!“ - Immer wandelt ein Gefühl mich an, als ob sich's nicht gezieme, den Sohn des lebendigen Gottes in seinen geheimsten Verhandlungen mit seinem himmlischen Vater zu belauschen. Immer raunt eine innere Stimme mir zu, es wage ein sündiges Auge zu viel, indem es sich unterfange, in eine Scene hinein zu schauen, wo der Herr vom Himmel in einer Verlassenheit und Ohnmacht erscheint, die Ihn den elendesten unter den Elenden gleichstellt. Ueberdies weiß ich, daß ihr, so oft wir dieser Opferstätte nahen, zu euerm Prediger die Erwartung hegt, daß er in Tiefen euch einweihe, an deren Abhange ihn selber schwindelt; daß er euch Räthsel löse, an deren völliger Entzifferung diesseits der Ewigkeit er von vornherein verzweifeln muß; daß er Geheimnisse euch deute, nach deren Entsiegelung seine eigene Seele vergebens schmachtet, und Schleier hebe, die sich ihm, je öfter er sie zu lüften versucht, nur um so mehr zu verdichten scheinen. Aber das Evangelium legte uns einmal die geheimnißvolle Geschichte zur Betrachtung vor, und so müssen wir in deren heiliges Dunkel hinein, und zu erfassen suchen, was in ihr menschlicher Erfassung sich bequemt. Und ist dessen auch nur äußerst wenig, so ist dieses Wenige doch Gottlob! gerade das Wesentlichere und der Kern der Geschichte. Dringen wir denn in Hoffnung auf das Geleit des Heiligen Geistes zu diesem Kerne durch, und reden mit einander zuerst von der Bedeutung und dann von der Frucht der Oelbergsleiden.

1.

Die Gethsemanesgeschichte ist uns mit ihren einzelnen Schauerscenen gegenwärtig. Sind wir nicht befugt, Stellung und Verrichtung, in der uns der Heiland dort begegnet, als eine ganz außergewöhnliche, übermenschliche und einzigartige uns zu denken, so schließe man doch die Pforte jenes verhängnißvollen Gartens zu, und entziehe den Heiligen Israels, wenn man seine und seines Vaters Ehre retten will, den Blicken der Welt. Haben wir's am Oelberge mit Jesu nur als mit einem Propheten zu thun, so erleidet sein Prophetenthum daselbst den vollständigsten Schiffbruch, indem dann der Annahme nicht mehr zu wehren ist, daß er selbst an seiner Lehre irre geworden sein, und für dieselbe zu sterben, den Muth verloren haben müsse. Will er in Gethsemane nur als Vorbild einer unbedingten Gottergebung betrachtet sein, so müssen wir sagen, daß er diesen Zweck kaum erreichte, da ein Stephanus, und wie mancher Blutzeuge sonst, in der letzten Noth unendlich größer erschienen, als der Zitternde dort mit dem Blutschweiß, und dem Angstgebete, daß der Kelch an ihm vorübergehe. Gilt es, dort Jesum nur für einen Mann zu nehmen, der mit seinem Beispiele uns die Wahrheit besiegeln wollte, daß Gott der Herr zur Stunde der Bedrängniß den Seinen mit seiner Hülfe und seinem Troste am allernächsten sei, so drängt sich uns wieder die Frage auf, wo solche beruhigende Thatsache dort zu Tage trete, da ja das grelle Gegentheil sich erzeige, und der heilige Dulder in Gottverlassenheit verschmachte? Wollte Er endlich in Gethsemane als ein Zeuge jenes die Welt überwindenden Friedens gelten, der von dem Gerechten nimmer weiche, sondern in alle Nothstände ihn hineinbegleite, so sehen wir uns selbst auch nach solchem Zeugniß dort vergebens um: denn statt Friede überfällt den Heiligen Gottes eine Angst, wie die Angst eines schuldbeladenen Missethäters, macht ihn unstät und flüchtig, und gibt ihm das Ansehn eines sogar von der Verzweiflung nicht mehr weit Entfernten.

So müssen wir es denn in Gethsemane noch mit etwas wesentlich Anderem zu thun haben, als mit alle dem, was ich eben nannte, oder Gethsemane ist das Grab der Herrlichkeit unsres Herrn. Kämpfte er am Oelberge ähnlichen Kampf nur, wie alle Blutzeugen des Himmelreichs vor und nach ihm ihn gekämpft, so sind die Schüler über dem Meister, und letzterer erscheint durch jene tief verdunkelt. Aller Glaube an das Walten eines heiligen und gerechten Gotteswillens in der Welt ist zu einem Wahn gestempelt, falls wir an das Leiden Jesu keinen andern Maßstab, als den eines gewöhnlichen Prüfungs- und Läuterungsleidens legen dürfen. Es stürzt der Himmel ein, die Ordnung göttlicher Weltregierung steht vernichtet, und um das Christenthum ist's für immer geschehn, wenn die heilige Schrift uns etwa nöthigt, Jesu Kelch dem Wesen nach dem Kelche eines Hiob, Jeremias, Paulus und Anderer gleich zu achten.

Aber wisset, daß der Oelbergs-Kämpfer in unsern Augen durch sein Zittern und Zagen nichts verliert. Bis zu welchem Grade er auch die Fassung verloren zu haben scheint, wir werden darum an ihm nicht irre. Uns stößt es nicht, daß wir ihn mit der Heftigkeit eines außer sich selbst Gesetzten von seinen Jüngern sich losreißen sehn, und dann zum Staube hingesunken ihn wimmern hören: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod!“ Selbst sein dreimal angstvoll hingeseufztes: „Vater, ist's möglich, so überhebe mich dieses Kelches;“ und seine Zufluchtnahme zu den schwachen Jüngern, sowie sein Gesuch an sie, daß sie nur eine Stunde zu seinem Troste mit ihm wachen möchten; ja sogar der blutige Angstschweiß, der aus seinen Adern quillt, und tropfenweise von seiner heiligen Stirn zum Staube niederthaut; - in welche Bestürzung dieses Alles uns auch versetzen mag, welche Trauer es über unsre Seele hereinführt, wie bis ins innerste Mark es uns erschüttert: zum Aergerniß gereicht es uns nicht, und läßt uns an unserm Glauben nicht Schiffbruch leiden. Laut aufschluchzen möchten wir beim Anblick solcher Erniedrigung des Schönsten der Menschenkinder; aber nicht schütteln wir bedenklich das Haupt, noch schreien wir, an jeder Lösung verzagend: „Hier ist ein Labyrinth; wer zeigt den Ausweg?!“ Wir lassen solche Sprache denen, die an einen Gottmenschen, an die Nothwendigkeit eines Mittlerthums, und an eine Stellvertretung des Bürgen für die Sünder nicht glauben mögen. Daß diese hier im Finstern tappen, und ihr Christenthum an den Klippen des Oelbergs-Evangeliums zerschellen sehn, ist begreiflich. Uns leuchten helle Steine über dem Dunkel Gethsemanes. Wir besitzen den Schlüssel zu den Geheimnissen und Tiefen seiner Schauer. „Und dieser Schlüssel wäre?“ - Das in den mannigfaltigsten Ausdrucksformen die ganze heilige Schrift durchtönende Offenbarungswort: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns (d. i. an unsrer Statt) zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm würden die Gerechtigkeit Gottes.“ So lange die Mittlerstellung Jesu verkannt wird, bleibt die Begebenheit Gethsemanes ein tiefversiegeltes Geheimniß. Alle Versuche, die Oelbergspassion anders, als durch den großen evangelischen Grundartikel von seiner hohenpriesterlichen Vertretung zu erklären, sind gescheitert, und werden ewig scheitern. Nur beim Scheine der heiligen Fackel, welche der Geist der Wahrheit in jenem Artikel uns angezündet, wird in jenem erschütternden Ereigniß Alles licht und klar. Die schreiendsten Gegensähe gleichen sich aus, und das Befremdlichste und scheinbar Unbegreiflichste löst sich und erscheint vollkommen in der Ordnung. Es will der göttliche Dulder in Gethsemane nicht als das, was er ist an und für sich, sondern in seinen geheimnißvollen Beziehungen zu dem Geschlechte der Sünder erfaßt und gewürdigt sein. Er tritt hier auf als „andrer Adam“, als der Vertreter der dem Fluch verfallenen Welt, als der Bürge, „auf welchen Gott“, nach des Propheten Ausdruck, „alle unsre Sünden warf.“ Vernehmet: drei Ursachen liegen dem Seelenleiden Jesu zu Grunde, und die eine ist schauriger, als, die andre.

Es ist jene Marter zuvörderst Sündengrauen, Entsetzen über den Greuel unsrer Missethat, Bußkampf. Die Uebertretungen, welche ihm göttlich „zugerechnet“ sind, auf daß er sie stellvertretend büße, drängen sich in grellster Beleuchtung in seinen Gesichtskreis. Er schaut sie; aber anders, als in seiner Verdüsterung ein Mensch sie sieht. In ihrer nackten, ungeschminkten Gestalt, in ihrer unsäglich verabscheuungswürdigen Natur, in ihrer bis in die Ewigkeit hinein verwüstenden Kraft treten sie vor sein heiliges Auge. Er sieht in der Sünde den Abfall von dem allmächtigen Gott, die freche Auflehnung gegen die ewige Majestät, die wüste Empörung gegen Gottes Willen und Gesetz, und überschaut zugleich in einem Blicke alle die entsetzlichen Früchte und Ausgeburten der Sünde im Fluch, im Tode und in der endlosen Verdammniß. Wie, daß die reine Jesusseele solchem Gesichte gegenüber nicht hätte erzittern, wie, daß nicht ein namenloser Abscheu und ein Schauder sie hätte ergreifen sollen, von welchem wir, die mit der Sünde so tief verwachsenen Menschenkinder, kaum eine Ahnung haben? Man denke nur: die persönliche Heiligkeit selbst mitten in den Pfuhl des Weltverderbens hineingestellt! Läßt sich's nicht denken, wie der vom Vater Ihm zugesendete sündenreine Himmelsbote nur schweigend in einen so grauenvollen Anschauungskreis herein zu treten brauchte, um den Herrn schon durch sein bloßes Erscheinen hoch zu erlaben und zu erquicken? - Doch verhehlen wir's uns nicht, daß Jesu Zittern und Zagen am Oelberg immer noch ein unauflösbares Räthsel bliebe, wenn wir Ihn uns nicht in einem noch nähern Verhältniß zu unsern Sünden, als dasjenige einer bloßen Anschauung und Vergegenwärtigung ist, vorstellen dürften. Aber wir dürfen dies nicht nur, sondern werden sogar durch die Schrift dazu genöthigt. Mit Recht zwar behauptet man, daß der Erlöser stellvertretend die uns zuerkannte Strafe nur dann habe zu erleiden vermocht, wenn er auch ein Gewissen von unsern Sünden hätte haben können. Das persönliche Schuldbewußtsein, dieser Wurm im Mark des Lebens, macht allerdings erst die Strafe zur Strafe, und bildet deren eigentliches Wesen und innersten brennenden Kernpunkt. Glaubt man nun aber, die Lehre von der Genugthuung Christi aus dem Grunde bestreiten zu können, weil Christus ein Heiliger gewesen, und es somit widersprechend und unmöglich sei, daß er in seinem Innern gleich einem Uebertreter das Verdammungsurtheil des Gesetzes habe empfinden können, so macht man sich mindestens eines sehr voreiligen und vermessenen Verfahrens schuldig. Man läßt dabei die übernatürliche und geheimnißvolle Einigung außer Acht, in welche der Gottmensch als der andre Adam und unser Haupt mit uns einging, und vermöge deren er zwar nicht unsere Sündigkeit, - er blieb der Makellose nach wie vor, - wohl aber unser Schuldgefühl sammt dessen Schrecken in sich aufnahm. Ihr fragt befremdet, wie dies thunlich gewesen sei? Es findet sich, allerdings nur entfernt, Entsprechendes selbst in unsern eignen menschlichen Verhältnissen und Zuständen. Schon natürliche Liebe und Verbrüderung sind im Stande, Sympathieen zu begründen, vermöge deren, frei von allem egoistischen Beweggrund, ein Vater seines Sohnes, ein Freund seines Freundes Vergehungen und Fehle dergestalt sich „zu Gemüthe ziehen“ kann, daß er darunter wie unter eigenen trauern, seufzen, ja zerknirschten Herzens sich beugen, und mit Gott um Gnade ringen muß. Vergegenwärtigt euch nun, wenn ihr's vermögt, absehend noch von seiner mystischen Vergliederung mit dem Geschlecht der Sünder, die Energie der Liebe und des Mitgefühls, womit Christus in uns und unsre Zustände sich versenkte; und es wird euerm Begriff schon näher treten, wie Er, obwol der Heilige in sich, unsre Schulden als die seinigen fühlen konnte. Nehmt alsdann jene übernatürliche, in ihren geheimnißvollen Tiefen keinem menschlichen Gedanken zugängliche Vergliederung hinzu, in welcher Er nicht allein als ein göttliches Senkreis dem Stamme der Menschheit einverleibt wurde, sondern mit letzterer zugleich wie zu Einem Gesammtmenschen zusammenwuchs; und es wird euch die Lehre schon nicht mehr so widersprechend erscheinen, nach welcher der Herr auch noch auf einem andern und intimeren Wege, als auf dem einer blos gegenständlichen Vergegenwärtigung, unser Schuldbewußtsein sich aneignete. Ihr werdet es nun fassen, wie er schon in den messianischen Psalmen ausrufen konnte: „Meine Sünden haben mich ergriffen; meine Missethaten gehen mir über mein Haupt. Ich versinke in tiefen Schlamm, da kein Grund ist. Errette mich aus dem Koth, daß ich nicht versinke.“ Ist es uns aber gestattet, wie es dies wirklich ist, der Vorstellung Raum zu geben, daß der heilige, nur in der Liebe Gottes athmende Jesus nicht etwa in einem düstern Traume nur, in welchem auch wir zu Zeiten unter einer fremden Schuld, wie unter einer eignen bis zu einem Angstschweiß erschaudern können, sondern real mit unsern Sünden in eine so nahe Verbindung eingegangen sei; wie kann uns dann sein Verhalten am Oelberge noch irgend Wunder nehmen? Das Räthsel seines Grauens, Zitterns und Zagens ist gelöst. Die Gethsemanesnoth ist nichts Anderes, als Sündennoth, Bußschmerz, Erschrecken vor der richterlichen Majestät des heiligen Gottes, in unserm Namen erduldet, an unsrer Statt geschmeckt und ausgekostet. Reue ist es, und zwar die Reue, die der Größe unsrer Sünde vollkommen entspricht, und die Er priesterlich dem ewigen Vater für uns darbringt.

Neben der Verabscheuungswürdigkeit der Sünde empfindet der Herr der Sünde Fluch; und hierin erblickt ihr den zweiten Erklärungsgrund für seine Oelbergs-Schrecken. Er fühlt sich als einen Gerichteten vor Gott. Was es heiße: von Gott geschieden, seiner Huld verlustig, aus seiner Liebe entlassen, und ein Kind des Zornes sein, das schmeckte er so tief, so innerlich, so lebendig, als ob er selber in jenen Lagen sich befände. Auf den Stufen solcher Empfindungen steigt er hinunter in der Verdammten Noth, und in jene Höllenschauer, wo die Messiasklage des 22. Psalms Hie wirkliche Erfüllung findet: „Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe, und es ist hier kein Helfer. - Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scheibe, und meine Zunge klebet an meinem Gaumen: und du legest mich in des Todes Staub.“

- Zu dem Bewußtsein, daß Gott nach wie vor sein Vater sei, - wie Er dies denn auch wirklich war, und selbstredend auch nicht einen Augenblick dem Sohne seines Wohlgefallens in der That gezürnt hat, - vermag er durch die Fluth der gegentheiligen Eindrücke und Empfindungen nur mit dem nackten Glauben sich hindurchzuringen. Seine Seele wird von der Gnadennähe Gottes nichts gewahr, sondern schmeckt nur Angst und Pein der Verlassenheit. Ach, der Anblick des freundlichen Vaterangesichtes war sein Himmel, das Innewerden der väterlichen Huld seine ganze Seligkeit. Aber nun sieht er jenes in dunkle Wolken verhüllt, und statt trauter Annäherung erfährt er nur ein fremdes Zurücktreten seines Gottes. Es sollte indeß auch dieser bitterste Tropfen des Fluchkelchs ihm nicht erlassen sein, damit das „Er lud auf sich unsre Schmerzen“ in weitestem Umfange zur Erfüllung käme. Auch der Himmelsfriede seines Herzens gehörte mit zu den Dingen, die er als Lösegeld für unsre Seelen priesterlich opfern mußte. Wundert's euch drum noch, daß, als sein Leiden selbst bis zu dieser innern Beraubung sich steigern sollte, die Frage nach der Möglichkeit des Vorübergangs des Kelches mit verstärkter Lebendigkeit sich aus ihm losrang?

Der dritte Grund der bittern Seelennoth des Herrn am Oelberg ist in der gefallenen Geisterwelt zu suchen. Daß der Satan bei den Schrecken Gethsemane's sich wesentlich mitwirkend erzeigte, steht außer Zweifel. Der Heiland selbst deutet darauf hin sowol mit den ängstlichen Worten: „Jetzt kommt der Fürst dieser Welt;“ als mit der Eröffnung: „Jetzt ist die Macht der Finsterniß;“ und sein wiederholter Aufruf an die von unheimlicher Schlaftrunkenheit befallenen Jünger: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet;“ läßt uns vollends darüber keinen Zweifel, in was für einer Umgebung und Atmosphäre dieselben in jenen Momenten sich befanden. Die Mächte der Hölle sind gegen den Herrn der Herrlichkeit losgelassen. Es ist ihnen gestattet, alle ihre List, Gewalt und Kunst wider ihn in's Feld zu stellen. Keine Schranke ist ihnen mehr gezogen; kein „Bis hieher und nicht weiter!“ aus der Höhe steckt ihnen Grenze mehr und Ziel. Sie haben offne, freie Bahn. Können sie die gerechte Seele des Heiligen Israels bis zur Verzweiflung treiben, so mögen sie es thun. Vermögen sie bis zum Tode ihn zu ängstigen und zu foltern, Niemand wehrt es ihnen; hier steht Er. Sie mögen an ihm erproben, was sie können. Kein Helfer steht ihm mitkämpfend zur Seite. Er muß selber zusehn, wie er sich behaupte. Entsetzlich klingt, was ich sage; aber der unsere Strafen tragen wollte, durfte auch dem Geschicke nicht entgehn, den Gewalten des Abgrunds sich preisgegeben zu sehn. Was diese mit ihm vorgenommen haben, wird uns nicht ausdrücklich gemeldet; aber gewiß ist, daß sie ihm auf's fürchterlichste zugesetzt, und bald mit Grausen erregenden Visionen, die sie ihm vorgezaubert, bald mit empörenden Lästerungen, in denen sie sich vor ihm ergossen, bald mit lügenhaften Zuflüsterungen, durch die sie ihm das Verhalten seines Vaters gegen ihn zu verdächtigen sich bemühten, bald mit verfänglichen Abmahnungen von dem Weile der Sünder-Erlösung, dem er sich unterzogen, oder womit sonst es war, ihn gefoltert haben. Genug, wenn je der Glaube unsres Herrn, sowie seine Geduld, seine Treue und seine Beharrlichkeit in dem übernommenen Werke auf glühende Proben kamen, dann unter den Feuer-Pfeilen des Bösewichts, die in Gethsemane auf ihn eindrangen. Hier wurde die Messiasklage des 18ten Psalms eine Wahrheit: „Es umfingen mich des Todes Bande, und die Bäche Belials erschreckten mich. Der Hölle Bande umfingen mich, und Todesschrecken haben mich überwältigt.“

So hat sich denn die Nacht Gethsemane's, wenn auch dämmernd nur, vor uns gelichtet. Die Beziehung des Oelbergsgartens zum Garten Eden, welcher letztere hier sein grauses Gegenbild findet, ist unverkennbar. Während im Paradiese der erste Adam schuldlos im Schooße der göttlichen Liebe ruhte, und friedsam, als „Kind vom Hause“ mit Jehova und seinen heiligen Engeln verkehrte, sehen wir im Garten Gethsemane den andern Adam unter erdrückender Schuldenlast zagend zu Boden sinken, in Gottverlassenheit verschmachten, und in der Gesellschaft finsterer Abgrundsgeister zusammenschaudern. Wie deutlich stellt sich's in diesem Gegensatz heraus, daß, was dort verbrochen, hier gebüßt, was dort verschuldet, hier bezahlt wird; und wie laut zeugt somit die Geschichte selbst schon für die Wahrheit, daß Christus in der Eigenschaft eines genugthuenden Bürgen und versöhnenden Stellvertreters gelitten habe.

2.

Nachdem sich uns das Geheimniß der Ursachen wie der Natur der Oelbergsleiden Jesu, soweit es hienieden möglich ist, erschlossen hat, gilt es jetzt, nach der Segensfrucht zu fragen, welche uns daraus erwachsen ist. Freilich ist der Kampf in Gethsemane nicht in seiner Vereinzelung, sondern nur in seiner unzertrennlichen Verbindung mit dem Ganzen der Passion und des Priesterwertes Jesu als Heil wirkend aufzufassen. Nichtsdestoweniger sehen wir auf jeder einzelnen Stufe der Marter Jesu irgend eine besondere Seite des erwirkten Heils in vorzugsweise helles Licht gestellt; und je nachdem wir in der einen oder andern Lage uns befinden, und dieses oder jenes Trostes bedürftig sind, ladet uns bald die eine, bald die andre Station seiner Kreuzesstraße mit besonderen Winken in ihre Friedensschatten.

Nach Gethsemane zunächst, geliebte Brüder, wenn es uns beklommen werden will in einer Welt, in der der Egoismus herrscht, und, was noch von Liebe übrig ist, bis auf den letzten Funken in selbstischem Gesuch und Wesen auch noch zu verglimmen droht! Der Liebende, den wir dort am Oelberg für uns ringen sehen, bleibt uns; und wie ist Er uns so treu, so innig und lauter zugethan! Welch' ein Preis, den er sich's hat kosten lassen, um uns Unwürdige unserm Elende zu entheben, und uns für alle Ewigkeit zu bergen! - O Liebe des Blutbräutigams! Wie geht uns beim bloßen Anblick deiner Schöne schon das Herz auf. Wie ist's beglückend schon, anschauend und betrachtend nur aus der liebearmen Welt zu deinem Bilde flüchten! - Und nun gar in deinem Licht sich sonnen, in deinem Schooße sich gebettet wissen: o diese stille Seligkeit im Thal der Wallfahrt, dieser Himmel auf Erden! - Liebe, stärker denn der Tod, und fester, denn die Hölle, entweiche nimmer aus unserm Gesichtskreis! Sei du das Gestirn, das Tag und Nacht uns leuchte; und je schärfer in der Fremdlingsschaft hienieden die Luft der Eigensucht uns anweht, um desto Heller entfalte du vor unserm Geistesauge die holdseligen Strahlen deiner Himmelsschöne! -

Nach Gethsemane, Freunde, wenn sich's uns in Frage stellen will, wessen die Welt sei: ob Christi, daß Er sie zum Tempel Gottes weihe, oder ob kraft der Sünde und des Verhängnisses göttlicher Gerechtigkeit der finstern Gewalten, durch deren List, Betrug und Macht sie mählig, einem gänzlichen und ewigen Verderben entgegenreife? Es sind Zeiten über die Erde hingegangen, deren Thatsachen auch den Gläubigen eine freudige Bejahung der erst ein jener Fragen sehr erschwerten. Und ob nicht auch heute wieder das Zepter der Weltherrschaft mehr einem Andern, als dem Könige der Wahrheit, sich zuzuneigen scheine, überlasse ich eurer Entscheidung. Gewiß ist, daß unter dem Lärm der augenblicklich vorherrschenden gesellschaftlichen und religiösen Tageslosungen nicht Wenigen wirklich wieder der Muth entfallen, der Glaube wanken will. Seid etwa auch ihr von denen, die sich der ängstlichen Frage nicht mehr erwehren können, ob nicht Christus wirklich seiner schließlichen Entthronung, Christi Evangelium und Reich dem Verschwinden von der Erde nahe seien? In diesem Falle kommt nach Gethsemane, und lernet hier wieder euer Haupt erheben! Hier seht ihr den entscheidenden Kampf um den Besitz der Welt entbrannt. - Christus soll sie haben; aber es hat und behält sie ewig ein Andrer, wenn der Herr vom Himmel die Probe nicht besteht, sondern weich und wankend wird in der Versuchungshitze. Doch schaut, wie er sieggekrönt aus der Oelbergschlacht hervorging, der Gottesheld! Nicht einen Augenblick wich sein heiliger Wille von der geraden Richtung auf das von Gott Gewollte ab; und hätte ihn der Rathschluß Gottes zur Welterlösung in zehn Höllen statt in eine hinabgewiesen, er hätte sich, sobald er es als Gottes Rath erkannte, unweigerlich auch in sie hinabgestürzt. So errang er sich kraft seines untadelig vollbrachten Vertreterwerks den gegründetsten und ausschließlichen Anspruch auf die Welt. Ihm gehört sie; Ihm that der Vater laut der Schrift alle Dinge unter seine Füße. Und ist dies, wie der Apostel bemerkt, auch noch nicht offenbar, so ist es doch eine Thatsache, die sich vor keinem Widerspruch zu fürchten braucht. Das Regiment des widerchristischen Geistes, wie keck er seine Fahne auch entfalte, ist nur Zwischenherrschaft. Still und geräuschlos, aber unglaublich sicher, verfolgt der rechtmäßige Erbe seinen Welteroberungsplan. Wie manche Höhen, die sich wider ihn erhoben, warf er bereits darnieder! Wie manche Befestigungen, scheinbar unbezwinglich wider Ihn aufgethürmt, schlug Er in Trümmer! Er wird's auch ferner thun, und auch die letzten Schanzen, die wider ihn aufgeworfen wurden, aus dem Wege zu räumen wissen. Vor Seiner weltbeglückenden Standarte werden heut oder morgen alle andern, welche Farben und Embleme sie tragen mögen, sich neigen müssen, und für seinen letzten Sieg liegt das Jubellied schon fertig im Archive Gottes, und es lautet: „Nun sind die Reiche dieser Welt unsres Gottes und seines Christus worden!“

Nach Gethsemane, Geliebte, wenn ihr am Scheidewege steht, nicht wissend, ob ihr euch Gott, oder der Sünde zu Dienst ergeben sollt! Gethsemane wird's euch wieder zu klarem Bewußtsein bringen, was Sünde sei. Seht Jesum an. Er that nicht Sünde, sondern übernahm nur fremde. Wie ergeht es ihm? „Jetzt ist die Macht der Finsterniß,“ sprach er. Er ist den Abgrundsmächten überwiesen. Wie fallen sie über ihn her! Wie foltern sie seine heilige Seele! - Gräßliche Umgebung! - Namenlose Schauer! - Aber wisset, was Ihn für eine Weile nur gepeinigt, das droht euch ewig. - Denkt, ewig in die Gesellschaft, in die Gewalt und unter die Geißeln der Höllenmächte gebannt sein! Gibt es einen gräßlicheren Gedanken, als diesen? - Jesus betet: „Laß diesen Kelch an mir vorübergehn!“ Keine Antwort wird ihm zu Theil! - Er ringt die Hände: „Ist's denn nicht möglich, Vater?“ - Kein Bescheid tönt Ihm entgegen. - Gott achtet auf die Stimme dieses Beters nicht; und Jesus ist doch ein Schuldner nur für Andere. Ihr seid's, ein Jeglicher, für die eigene Person, und werdet einst um eurer selbst willen dem Fluche verfallen. Und ob ihr mit dem reichen Manne im Evangelio wimmern werdet um einen kühlenden Tropfen für die brennende Zunge; Gott wird für euch kein Ohr, kein Herz mehr haben. Der Himmel ist über euch ehern; die Kluft zwischen euch und den Seligen unübersteiglich. - Seht Jesum zagen. Er fühlt den Stachel der Uebertretungen, die auf ihm lasten. Nur zugerechnete Missethaten sind es, und nicht eigne; und dennoch pressen sie ihm den Blutschweiß aus den Adern, und entzünden ein verzehrend Feuer in seiner Brust. Schließt aus Seinen Martern, was einst euch die Sünde ausgebären wird, wenn sie, nur zu spät, in ihrem wahren Wesen vor euerm Bewußtsein sich entschleiert, und dann jener Wurm in eurer Seele sein Geschäft beginnt, der jetzt noch in euch schlummert, oder nur je und dann in leiserem Nagen sein Dasein kundgibt; ich meine den Wurm der Reue, die keine Seligkeit mehr wirkt; den Wurm der hoffnungslosen Gewissensangst und der vollendeten Verzweiflung. Ach, wenn ihr dann heulen werdet: „Hätte ich doch dies und das gethan!“ wird's nicht mehr frommen, weil die kurze Gnadenfrist vergeudet ward. Wenn ihr nun selbst voll peinigenden Erstaunens über euern Irrgang bei Leibes Leben die Hände zusammenschlagt, wird's umsonst sein; denn das Heilsjahr ist verflossen. - Dem ringenden Heiland erschien ein Engel, ihn zu stärken. Ihr werdet nur das Hohngelächter der Teufel hören. Jesus ging aus dem Grauen siegreich und gekrönt hervor. Ihr werdet darin stecken bleiben, und nur mit Dornen eines stechenden Höllenspottes euch gekrönt erblicken. - Den Dulder Gethsemane's hielt der Glaube aufrecht, daß ihn trotz dem und jenem der Vater dennoch liebe. Ihr werdet wissen, daß Gott euch hasse, und Ihn wieder hassen, obwol ihr durch solchen Haß euern Jammer nur vollenden werdet. Ihr werdet Blut darob schwitzen, daß Gott euch von Seinem Angesicht verstoßen habe, und doch dem Ewigen nur fluchen können, statt euch vor Ihm zu beugen. - Seht, dies trägt die Sünde aus. Wohlan, ihr Missethäter, grobe oder feine, Spötter, Lästerer, Lügner, Fleischesknechte, Ehebrecher, Geizige, Egoisten, Verächter Gottes, Verleugner Jesu, Verschmähet seines Heils: Schaut's an dem, der ein Fluch geworden für sein Volk, wie Gott der Herr die Sünde ansieht, und was für die Sünder die Ewigkeit in ihrem Schooße trägt! Wenn Solches irgendwo zur Erscheinung kommt, dann in Gethsemane. Hieher denn, wer noch am Scheidewege schwankt! Hier, denke ich, wird die Wahl nicht schwer. Links gähnt der Abgrund; rechts winkt die Krone! Die Sünde gebiert den Tod; der Gerechtigkeit Frucht ist Friede und Leben! -

Hört ferner! Nach Gethsemane, Brüder, wenn Feuerzeichen nahender Gerichte am Horizont der Erde leuchten! - Mich dünkt, an solchen Zeichen ist kein Mangel mehr. Jener Adler mit dem dreifachen Weheruf, den Johannes sah, kreist über unsern Häuptern. Dumpfes Bangen erfüllt Millionen Herzen, und der Freude stockt je länger je mehr der Athem. Wetter des Feuereifers Gottes brüten in der Luft. Und ist's ein Wunder, wenn endlich der Sonnenschein der Langmuth sich verfinstert? Eine lange, lange Gnadenfrist steht verklagend wider uns vor Gottes Thron, und nennt als die Früchte, welche unser Geschlecht unter dem , Stabe Sanft„ getragen habe, unser'n Undank für die empfangenen Segnungen, unsern Abfall vom Evangelium, unsre Gottvergessenheit, und unsern Leichtsinn, und was Alles sonst noch! - Ach Herr, gehe mit deinen Knechten und deinen Mägden nicht in's Gericht! - Doch, voll, so scheint's, ist die Missethat der Amoriter. Es suche sich zu bergen, wer kann; und wer könnte nicht, wenn er nur wollte. - „Aber wohin?“ - Nach Gethsemane, Brüder! Da erblickt ihr das Gotteslamm, das der Welt Sünde trägt. „Jerusalem“, sprach er einst, „wie oft habe ich dich versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein versammelt unter ihre Flügel; aber ihr wolltet nicht!“ - Er spricht Aehnliches heute auch zu uns. Ach, daß nur der Schluß jener Worte uns nicht treffe! Daß wir doch .wollten“ und bedächten, was zu unserm Frieden dient! Kommt zu Ihm! Wer an Ihn glaubt, wird nicht gerichtet. Was dir genommen würde, bist du Jesu eigen, so bleibt dir Gott. Ob du von der Erde verstoßen würdest, was wäre es? Der Himmel bleibt dir; ihn kann dir Niemand rauben. - Unter Jesu Flügeln ist die Freistatt, in welche keine verderbende Gewalt mehr eindringt. Hier umzuckt dich kein Blitz der göttlichen Gerechtigkeit; hier ist den Feuerpfeilen des Bösewichts ihr tödtlich Gift entzogen; hier verklärt sich, was die Welt als Strafe trifft, in heilsame und treu gemeinte Züchtigung; und wenn da draußen der Verzweiflungsruf erschallt: -Ihr Berge, fallet über uns, und ihr Hügel, bedecket uns;„ so beseligt hier das wohlbegründete friedsame Bewußtsein, daß Der, welcher auf des Himmels Wolken daherfährt, um einem Jeglichen zu geben nach seinen Werken, derselbe sei, der, nachdem er uns entsündigte, in den Schmuck seiner eignen Gerechtigkeit uns hüllte, und unser Freund und Bruder wurde.

Nach Gethsemane endlich, wenn der Sturm der Anfechtung uns umbraust, und der Satan umhergeht wie ein brüllender Löwe, und sucht, wen er verschlinge. Schon ist er auf dem Plan, der Bösewicht. Seine Geschosse umschwirren uns von allen Seiten. Gefährliche Tage, in denen wir stehn: diese Tage des großen Abfalls, des kräftigen Irrthums, und tausendfältiger Verlockung zur Verleugnung Gottes und seiner Ordnungen, Rechte und Gebote. Wie Wenige sind es, die von dem Strome des herrschenden Zeitgeistes nicht mit fortgerissen werden; und wie viel Glaubensschwäche, Geisteslahmheit, Friedensarmuth und Entmuthigung gibt sich selbst in den Kreisen der Gläubigen, der Frommen, kund! Wie vermehren sich hier die Klagen über innere Verdunkelung, in der man sich befinde, über Zweifel, von welchen man geängstigt werde, über lästerliche Gedanken und Phantasien, deren man sich nicht totschlagen könne! Lauter Zeichen, daß der alte böse Feind es jetzt gar ernstlich meint, und wie die Schrift sagt, „einen großen Zorn“ hat. Darum, wer sich geborgen sehn will, trage sein Zelt nach Gethsemane! Nicht allein begegnen wir hier einem Genossen unsrer Kämpfe, der uns den Weg zum Siege zeigt; nicht allein tönt hier ermunternd der Warnruf uns an: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet;“ hier erneuert sich uns zugleich, wie kaum irgend sonst wo, das Bewußtsein, daß „der Fürst dieser Welt gerichtet ist,“ daß jeder Rechtsanspruch der Hölle an uns erlosch, und, was der Arge wider unsern Willen noch Greuliches in Einfällen oder Bildern durch unsre Seele jagt, auf seinen Kopf kommt, und nicht auf den unsern mehr, indem es für die Bußfertigen längst in dem Blutschweiße Immanuels seine Sühne fand, und nach Gottes Willen für uns nur eine läuternde Wirkung haben darf. Dieser Glaube aber ist der Sieg, der den Abgrundsfürsten schon überwunden hat.

Seht denn, wie Gethsemane, im rechten Lichte angeschaut, für uns zum Elim, die Oelbergsschlucht mit ihren Schauern zum stillen Friedensgrunde sich verklärt. Innerhalb dieses Geheges ist wirklich Bergung vor dem richterlichen „Adam, wo bist du?“ In diesem Garten sprudelt die nie mehr versiegende Quelle der neuen Paradiesesströme. Wie viele Tausende geängsteter Seelen gingen hier aus dem Kampfgewühl der Welt schon in die Sabbathruhe Gottes ein! Auch uns stehn die Pforten dieser heiligen Freistatt offen. Kommt, treten wir ehrerbietig in dieselbe ein, und athmen wir ihre Friedenslüfte! O süßer Trank, womit der Kelch der Bitterkeiten, den Jesus leerte, jetzt für uns gefüllt ist! Wohlauf, trinken wir durch den Glauben seinen Himmelswein mit vollen Zügen, und lernen wir in seliger Erfahrung mit dem Sänger sprechen:

O Herr, Du hast auch meinen Frieden
Gesucht in jener finstern Nacht
Du hast, von Allen abgeschieden,
Für mich gebetet und gewacht.
Wie sollt ich nicht daran gedenken,
Und aller Orten, wo ich geh,
Die Blicke meiner Augen lenken
Hinüber nach Gethsemane? -

Amen.

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