Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 52
Daß der Mensch sich nicht des Trostes würdig, sondern vielmehr der Schläge schuldig achten soll.
1. Herr! ich bin nicht würdig deines Trostes, noch irgend einer geistlichen Heimsuchung; und darum handelst du gerecht mit mir, wenn du mich auch ohne Hilfe und Trost lässest.
Denn wenn ich auch so viel Thränen als Tropfen im Meer vergießen könnte: so wäre ich doch deines Trostes noch nicht würdig.
Darum verdiene ich nichts, als Züchtigung und Strafe, weil ich dich schwer und oft beleidigt und Vieles verschuldet habe.
Wenn ich daher alles recht überlege, so bin ich nicht des geringsten Trostes würdig.
Aber du, gnädiger und barmherziger Gott, der du deine Werke nicht willst verderben lassen, um den Gefäßen deiner Erbarmung den Reichthum deiner Güte zu zeigen, du würdigest deinen Knecht, daß er auch ohne all sein Verdienst über alle menschliche Weise getröstet wird.
Denn deine Tröstungen sind nicht wie Menschengerede.
2. Was habe ich gethan, Herr, daß du mir einigen himmlischen Trost brachtest?
Ich erinnere mich nichts Guten, das ich gethan, sondern daß ich immer zu Sünde geneigt und zur Besserung träge gewesen bin.
So ist’s, und ich kann es nicht läugnen. Wenn ich anders redete, so trätest du gegen mich auf und es wäre Niemand, der mich vertheidigte.
Was habe ich verdient für meine Sünden, als die Hölle und das ewige Feuer? Ich bekenne es in Wahrheit, daß ich werth bin aller Schmach und Verachtung und daß es mir nicht gebührt, unter deinen Frommen zu verweilen. Und obgleich ich dieß ungern hören mag: so will ich doch wider mich selbst, der Wahrheit gemäß, meine Sünden bekennen, damit ich um so leichter deine Barmherzigkeit erlangen möge.
3. Was soll ich, schuldig und aller Schmach voll, sagen?
Nichts, als das Einzige: Ich habe gesündigt, Herr! ich habe gesündigt! Erbarme dich meiner, vergib mir!
Laß mich noch ein wenig, daß ich ausweine meinen Schmerz, ehe ich hinabgehe in das finstere Land, das mit Todesschatten bedeckt ist.
Was forderst du mehr von dem schuldigen und elenden Sünder, denn daß er zerknirscht sei und sich demüthige um seiner Vergehungen willen?
In wahrer Zerknirschung und Demüthigung des Herzens wird die Hoffnung der Vergebung geboren, das beunruhigte Gewissen wird versöhnt, die verlorne Gnade wieder gefunden, der Mensch vor dem zukünftigen Zorne geschützt und es begegnen einander im heiligen Kuß Gott und die reuige Seele.
4. Demüthige Zerknirschung der Sünder ist dir, Herr, ein angenehmes Opfer, das vor deinem Angesicht weit lieblicher duftet, als angezündeter Weihrauch.
Das ist auch die angenehme Salbe, die du auf deine heiligen Füße gießen lassen wolltest, weil du ein zerknirschtes und gedemüthigtes Herz nie verschmäht hast.
Da ist die Stätte der Zuflucht vor dem Angesicht des zornigen Feindes. Da wird verbessert und abgewaschen, was sonstwo verdorben und befleckt worden ist.