Frommel, Max - Am Sonntage nach Neujahr.

Frommel, Max - Am Sonntage nach Neujahr.

Wir standen an der Grenze des alten und des neuen Jahres, und es durchzog unser Gemüt, ähnlich wie am Geburtstage, ein starkes Gefühl, dass wieder ein Abschnitt unsers Lebens sich vollzogen hat. Wie drängte sich da so hart an einander Rückblick und Ausblick, Erinnerung der vergangenen Tage und Ahnung der kommenden: wehmütige Betrachtung und dankbares Händefalten, sorgenvolle Fragezeichen und verheißungsvolle Zielpunkte - wir stehen am Strome der Zeit und sehen, wie Welle auf Welle daherrauscht, aber wir blicken ihnen auch nach, wie sie dahineilen unwiederbringlich. Freilich war's nur eine kurze Stunde, wo wir hier gleichsam vor Anker gelegt haben. Denn wir müssen wieder ins Schiff, auf den Wellen der Zeit müssen wir fahren und steuern dem Meer der Ewigkeit entgegen. So lasst uns denn auch heute Kraft für unsere Seele schöpfen, damit wir wieder ans Steuerruder treten und die feste Richtung einhalten können. uns das Wort der Schrift:

Psalm 31,6.
Du bist mein Gott, meine Zeit steht in deinen Händen.

Wir lernen daraus:

Die Weihe des Lebens,

Dazu diene und zwar im Blick auf unsere Vergangenheit, unsere Zukunft, und unsere Gegenwart.

Herr, hilf, Herr, lass wohlgelingen. Amen.

I.

Das nenne ich die Weihe des Lebens, wenn man den lebendigen Gott in seinem Leben findet, wenn man im Blick nach rückwärts und vorwärts sagen kann von Herzensgrund: „Du bist mein Gott!“ Es ist so schön, dass am ersten Tage des neu angebrochenen Jahres das Evangelium handelt in einem einzigen Verse: vom Namen Jesu. Denn dieser Name strahlt über jedem Gnadenjahr, er leuchtet auch am Morgen eines jeden Tages. Auch über dem vergangenen Jahre hat er gestrahlt. Gott hat uns unser täglich Brot finden lassen, ob wir's wohl nicht verdient haben; Er hat uns das Brot der Seele gebrochen, sein teures Wort, ob wir's wohl nicht allezeit hochgehalten und befolgt haben. Lauter gute und vollkommene Gabe ist von oben herabgekommen vom Vater des Lichts. „Wo kam dies her, warum geschieht's? Erbarmung ist's und weiter nichts.“ Darum wollen wir vor Allem loben und preisen unsern Gott. Denn danken können über dem, was Gott an uns getan, von Herzen danken können, das macht fröhlich, das gehört in erster Linie zu der Weihe des Lebens. Denn wenn ein dankbares Gemüt zurückschaut auf die Vergangenheit, so hebt es sein Auge empor zu dem Gotte seines Lebens und sieht, wie Tag um Tag golden herniederstieg aus der Hand des Vaters droben, jeder gekrönt mit einem Segen, jeder gesandt als Bote aus der Heimat zu den Fremdlingen und Pilgrimen, jeder als ein Engel die Hand aufhebend nach dem Vaterhaus. O, welch ein langer, ununterbrochener Zug der Tage, Monde und Jahre, die aus den Händen Gottes herabkommend uns grüßten mit göttlichem Willkomm und von uns schieden mit ewigem Fahrwohl! Denn auch die dunkeln Tage waren umsäumt von dem lichten Glanz der Liebe. Gottes, und auch die düstern wolkenverhängten Zeiten kamen aus den Händen Dessen, bei welchem kein Wechsel des Lichts noch der Finsternis.

Das ist die friedvolle Weihe des Lebens: auch im vergangenen Jahre die Fußtapfen unsers Gottes erkennen, der segnend durch unser Leben schritt, und die Spuren seiner Nähe entdecken auch da, wo es nicht nach unserm Wunsche ging. „Du bist mein Gott“

O, du bist es auch im vergangenen Jahre gewesen o, das ist ein anderer Jahresschluss, als wenn man mit Zweifel, mit Unzufriedenheit oder Murren sein Jahr abschließt. Es kam Alles von Gott, und es war Alles gut für mich sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Gutes das sei auch heute unser Bekenntnis beim Nachklang der Jahreswende; denn meine Zeiten stehen in Gottes Händen.

II.

Aber dasselbe Wort, das uns Licht gibt auf das vergangene Jahr, leuchtet uns auch wie eine helle Fackel in das Dunkel der Zukunft, wenn wir mit David von Herzensgrund sagen können: „Du bist mein Gott.“ Denn das ist die Weihe des Lebens, Gott zu kennen als seinen Gott, mit ihm in persönlicher Gemeinschaft zu stehen, von Herz zu Herz mit ihm zu reden, zu wissen: Gott schämet sich nicht, zu heißen mein Gott, ob ich wohl Staub und Asche, ob ich wohl ein Sünder bin. Das ist Davids Saitenspiel im Tempel und in seiner Kammer, das ist sein glühendes Verlangen auf der Flucht, dass ich hineingehe zum Altare Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.“ Aber dies Bekenntnis des Glaubens: „Du bist mein Gott“ ist ja nur der Widerhall des Bundeswortes: „Ich bin der Herr, dein Gott;“ wie denn aller echte Glaube nur ein Amen auf die Zusage des großen Gottes ist, der sich in seiner Erbarmung und Herablassung zu unserm Gott gemacht hat, und alle echte Zuversicht nur das Ja des tiefsten Herzens ist, das, wenn Gott spricht: „Ich will mit dir sein und will dir wohltun,“ antwortet: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Wo der Herr zusagt: „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott,“ da antwortet der Glaube: Ja, du bist mein Gott, das ist gewiss wahr und du bist gewiss mein. Halleluja.

Es gibt viele Menschen, welche das Schicksal zu ihrem Gott haben. Das sind getaufte Christen, die wieder zu Türken geworden sind, welche an das Fatum glauben: es muss Alles so kommen, wie es kommt mit unerbittlicher Notwendigkeit. Dies blinde Schicksal soll die Welt regieren ohne Auge und Ohr, ohne Mund und Hand, ohne Herz. Das sind die Menschen, die da wähnen, Gott tue keine Wunder, sondern bei den ewigen Naturgesehen habe es sein Bewenden, Gott erhöre kein Gebet, weil Gott viel zu großartig und zu hoch sei, als dass er sich um das Gebet seiner Kinder kümmerte. Das Gebet sei höchstens dazu da, um die verstimmten Saiten des unruhigen Herzens wieder in Harmonie zu bringen.

Die Kehrseite dieses Schicksalsglaubens ist aber die andere Auffassung, als ob Alles nur Zufall sei auf Erden, ein blindes Spiel ohne tieferen Sinn, bei dem es schließlich hieße: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“

Nein, unser Gott ist ein anderer Gott. Gott ist ein Geist, Gott hat ein Herz, das mit uns fühlt, ein Auge, das über uns wacht, ein Ohr, das unser Seufzen hört, eine Hand, die uns hilft und Wunder tut, indem sie eingreift in die Geschicke der Menschen. Unser Gott ist nicht der unbekannte Athenergott, sondern es ist erschienen die Freundlichkeit und Leutseligkeit unsers Gottes in Christo Jesu, der uns verkündigt hat, was er in des Vaters Schoße vernommen, der uns geliebt hat und sich selbst für uns dargegeben. Das ist unser Gott, von dem wir allsonntäglich bekennen: „Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden,“ den wir wissen als den Herrn unsers Lebens, ohne welchen kein Sperling vom Dache und kein Haar von unserm Haupte fällt. Unser Gott ist im Himmel und kann schaffen was er will, und dieser lebendige persönliche Gott ist unsere Zuflucht für und für. Dieser unser Gott ist das Allergewisseste in der ganzen Welt. Alles Andere weicht und wankt, dieser Gott bleibt. Alles Andere ist dunkel und unsicher dieser Gott ist Sonne und Schild; wohl Allen, die auf ihn trauen. Er ist unsere Leuchte für vergangene und zukünftige Tage. Du bist mein Gott, meine Zeit steht in deinen Händen.“ Nicht Schicksal, nicht Zufall, sondern die allmächtigen Hände des lebendigen Gottes, der die Geschichte und alle ihre Fäden webt, sind es, in denen ein Christ sein Leben, seine Vergangenheit und seine Zukunft liegen sieht.

Dieser unser Gott ist unser A und O, in Ihm wurzelt unsere Geschichte, in Ihm gipfelt unsere Zukunft. Was wir gelebt, das ist dahin, dunkel und töricht, aber was unser Gott uns getan, das bleibt licht und schön! „An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd, was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert.“ Die Geschichte, die unser Gott mit uns angehoben hat in der heiligen Taufe und die Er an seinem heiligen Faden durchgeführt hat auch im vergangenen Jahre, der Blick seines leuchtenden Angesichts, das holdselige Wort aus seinem Mund, die stillen Wunder seiner Hand und all die triefenden Segen seiner Fußtapfen das ist's, was uns bleibt aus vergangenen Tagen und nur das, was mit ihm und seiner Führung zusammenhängt, retten. wir hindurch aus der Zeit in die Ewigkeit.

Und dieser Gott ist ganz und gar unsre Zukunft. Was noch kommen wird, ist uns Alles ganz ungewiss, aber dieser unser Gott, Er bleibt uns gewiss, und wenn Himmel und Erde vergehen, seine Worte vergehen nicht. Siehe, es ist Alles ganz eitel, aber dieser unser Gott ist ganz Licht und Leben, ganz Macht und Pracht, ganz Gnade und Barmherzigkeit. Dieser unser Gott ist unsers Herzens Sonne und darum auch die Helle unsrer Zukunft. Es kann uns kein böser Tag kommen, denn diesem Gotte gehen wir entgegen. Das ist eben die Weihe unserer Zukunft, wenn wir getrost und mit aller Zuversicht sagen können: „Du bist mein Gott, meine Zeit steht in deinen Händen.“

III.

Aus Vergangenheit und Zukunft webt sich die Gegenwart. Das ist ein Wort ernster und tiefer als es auf den ersten Blick erscheint. Es wächst der Baum aus der Wurzel zur Krone, so sind wir in der Gegenwart, im Heute nur die, die wir vom Gestern herkommen und zum Morgen hingehen. Oder nimm ein Gleichnis vom Wege. Wenn du einen Gang gehest, so ist dein Schreiten beherrscht von dem Punkte hinter dir, von dem du herkommst, und von dem Ziele vor dir, auf das du hin willst. So ist deine Gegenwart beherrscht von deiner Vergangenheit und von deiner Zukunft.

In allen entscheidenden Augenblicken unsres Lebens werden wir das so recht inne. In solchen Stunden greift sich die ganze Vergangenheit plötzlich zusammen und bestimmt überwältigend unser Handeln. Ob wir treu oder untreu gewesen, ob fleißig oder träge, ob wir Weisheit gelernt oder auf den alten Hefen liegen geblieben, das gibt dann den Ausschlag, und wir sind nicht im Stande, plötzlich nachzuholen, was wir Jahre lang versäumt. Bei der Wahl eines Berufs, bei der Wahl der Lebensgefährtin, bei irgend einem einschneidenden Entschluss, da handelt der Mensch als der, der er bis dahin geworden und gewachsen ist. Nimm zum Beispiel Johannes den Evangelisten. Er war dem Zuge zum Licht stille gefolgt, er hatte dem Täufer in der Wüste gelauscht; als dieser aber eines Tages ihm Jesum zeigte mit den Worten: siehe, das ist Gottes Lamm da brach mit einem Male Alles, was bisher in seiner Seele verborgen gewachsen war, hervor zu dem großen Wurf für Zeit und Ewigkeit, zu dem Entschluss ein Jünger Jesu zu werden. Oder nimm ein dunkles Beispiel an Pilatus. In seiner Entscheidungsstunde hieß es: Lässt du den Nazarener los, so bist du des Kaisers Freund nicht und seine ganze Vergangenheit kam herauf wie ein blutiges Gespenst, vor dem er erschrak, weil er versäumt hatte, früher der Stimme des Gewissens zu folgen und mit seiner dunklen Geschichte zu brechen. So webt sich unsere Gegenwart aus unserer Vergangenheit.

Aber eben so sehr ist sie auch von unserer Zukunft, nämlich von dem Ziel unseres Lebens bedingt. Denn das Ende beherrscht immer und überall die Entwickelung der Dinge, und das Ziel ist das Gesetz alles Werdens.

Diese Wahrheit macht sich geltend in der ganzen Weltgeschichte, wie in jedem einzelnen Leben. Was nun dein Ziel ist, davon hängt deine Entwickelung ab. Wem Gott das Eine große Ziel seines Lebens ist, dessen Entwickelung ist vom Trachten nach Oben bedingt, dem gilt die Ewigkeit mehr als die Zeit, der Himmel mehr als die Erde. Nicht als ob uns dies gleichgültig machen dürfte gegen die Aufgaben unseres Erdenlebens, im Gegenteil, es soll zur Treue reizen. Denn die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“ Aber da nur ist Weihe der Gegenwart, wo der lebendige Gott das A und O des Lebens geworden ist, wo ein Christ seine wahre Vergangenheit und Geschichte in der Tat Gottes an ihm erkennt und wo er seine wahre Zukunft und höchste Entwickelung in der Verheißung Gottes für ihn erblickt. Nur dann kann er triumphieren: Mit dem Herrn will ich Kriegsvolk zerschmeißen und mit meinem Gott über die Mauern springen.“ Das ist die Weihe unserer Gegenwart, wenn wir von Herzensgrund sagen können: Du bist mein Gott, meine Zeit steht in deinen Händen.“

Siehe, Gott hat jedem Menschen seine Zeit zugeteilt; du kannst keine Stunde dir zusehen, aber bei jeder Zeit, die dein Gott dir schenkt, hat er auch seine bestimmte Absicht mit dir. Hier liegt der tiefste Sinn unseres Textes. Aus Gottes Händen kommt meine Zeit und zu Gottes Händen geht sie, in Gottes Händen. steht sie, Er ist's der sie zu meiner Zeit gemacht, der sie mir anvertraut, der sie in meine Hände gelegt als anvertrautes Pfund, der sie zu meiner Verfügung gestellt als ein großes wertvolles Kapital, von dem er einst sprechen wird: „Tue Rechnung von deinem Haushalten.“

Und nun, du Menschenkind, prüfe dich: wie viel Zeit hast du in deinem Leben verloren mit nichtigen, flüchtigen Dingen, mit törichten Gedanken, mit vergeblichen Tränen, mit Rennen und Jagen nach den Gütern dieser Erde? prüfe dich: was hat dir dein Christenleben ausgetragen für die Ewigkeit? Tue Rechnung von deiner Bibel und von deinen Sonntagen, tue Rechnung von deiner Jugend und vom verflossenen Jahr, tue Rechnung von deinem Umgang mit deinem Gott im Kämmerlein. Und wer ist unter uns, der im Blick nach rückwärts seine Augen nicht niederschlagen müsste und flehen: Kyrie eleison! Darum lasst uns fliehen zu dem Gott, der Gnade hat und mit seiner Vergebung allein im Stande ist, unsere Vergangenheit zu reinigen und zu weihen. Lasst uns aber auch fliehen zu dem Gott, der das Leben ist, und gibt Kraft genug den Müden und Stärke genug den Unvermögenden. Lasst uns die Zeit erkennen, darin wir heimgesucht sind und unsere Zeit nicht verträumen und versäumen, da wir zu so Großem berufen sind. Das ärmste Christenleben ist reich; denn es hat eine so große Vergangenheit und Geschichte, dass es auf ewig Stoff zum Lobsingen hat: „Der Herr hat Großes an mir getan, des bin ich fröhlich.“ Das schwerste Christenleben ist köstlich und schön; denn es hat eine so große Zukunft, dass es auf ewig frohlocken wird: „Dein Joch war sauft, und deine Last war leicht; denn du bist mein Gott.“

Meine Zeit steht in deinen Händen dort steht sie, dort wollen wir sie liegen sehen. Von dort kommt sie, dorthin geht sie, dorther wollen wir sie alle Tage herabnehmen im Gebet, dorthin wollen wir sie alle Tage hinauftragen im Dank, dorthin wollen wir werfen alle Sorgen. So lasst uns aus dem alten Jahre ins neue treten, und Gott gebe, dass es uns Allen ein neues Jahr werde. Es soll nicht Alles beim Alten bleiben. Es ist ein Neuwerden möglich. Nur Einer will bleiben, der Er ist, der Ewige, den die Schrift den Alten der Tage nennt, aber dieser Eine spricht von seinem Thron: „Siehe, ich mache Alles neu.“ Er will auch uns erneuern. Es soll zu einem Werden, zu einer Entwicklung, zu einer Veränderung, zu einem Wachstum, zu einer Verjüngung bei uns kommen. Das aber ist unser edelstes Werden, dass wir sollen verklärt werden in das Bild seines Sohnes von einer Klarheit zu der andern, und das ist die Weihe unseres Lebens, wenn wir in Wahrheit sprechen können: „Du bist „Du bist mein Gott, meine Zeit steht in deinen Händen.“ Amen.

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