Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 16. Sonntag nach Trinitatis.
Luk. 7,11-17.
Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seiner Jünger gingen viele mit ihm, und viel Volks. Und als er nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der ein einiger Sohn war seiner Mutter; und sie war eine Witwe, und viel Volks aus der Stadt ging mit ihr. Und da sie der Herr sah, jammerte ihn derselben, und sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu, und rührte den Sarg an; und die Träger standen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, stehe auf! Und der Tote richtete sich auf, und fing an zu reden. Und er gab ihn seiner Mutter. Und es kam sie alle eine Furcht an, und priesen Gott, und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und Gott hat sein Volk heimgesucht. Und diese Rede von ihm erscholl in das ganze jüdische Land, und in alle umliegende Länder.
Unter den vielen Wundern, die Christus hienieden getan hat, erscheint als das allergrößte die Auferweckung von Toten, und es gibt sowohl Propheten als Apostel, welche gleichfalls Tote auferweckt haben. Elias hat den gestorbenen Sohn der Witwe zu Sarepta ins Leben zurückgerufen (1. Kön. 17,17-24); Elisa hat (2. Kön. 4,32-37) den Sohn der Sunamitin auferweckt, ja sogar tot (2. Kön. 13,21) einen Toten erweckt. Desgleichen haben Petrus und Paulus Tote erweckt, wie uns die Apostelgeschichte bezeugt; allein ihre Auferweckung und ihre Wunder muss man ganz anders ansehen und beurteilen, als das Wunder der durch Christum vollbrachten Auferweckung. Denn seine Wunder und vornehmlich die Auferweckung von Toten sind Zeugnisse und Siegel für seine Lehre. Keiner von den Propheten aber, noch von den Aposteln hat gelehrt, er sei der Heiland und Befreier der Welt. Christus allein hat gelehrt: „Ich bin die Wahrheit, die Auferstehung und das Leben und, wer an mich glaubt, der wird nicht sterben, sondern hat das ewige Leben.“ Deshalb muss man von der Auferweckung Toter also urteilen, dass, obgleich auch Andere, nämlich Propheten und Apostel, Tote erweckt haben, Jene doch nicht für Heilande zu halten sind. Christus aber muss allein als Heiland gelten, welchem sowohl Propheten als Apostel das Zeugnis ausgestellt haben, dass er seine eigene Lehre durch Auferweckung Toter bestätigt hat. So lasst uns denn Christum ansehen als den wahren Heiland bei diesem Wunder, das Lukas über den auferweckten Jüngling berichtet; und wir werden daraus die größten Vorteile in allen Anfechtungen erlangen und besonders in der Todesnot, welche die allergrößte Trübsal in dieser Welt ist.
Um aber das, was uns in diesem Evangelio gelehrt wird, desto richtiger zu verstehen, werden wir die Personen unterscheiden müssen, deren hier Erwähnung geschieht. Zuerst nämlich handelt sich's hier um die Menge, welche den Leichenzug begleitet; sodann um die Witwe, die um ihren einzigen Sohn weint, den sie durch den Tod verloren hat; zuletzt um den Jüngling, welcher durch Christum ins Leben zurückgerufen ist. In Bezug auf eine jegliche dieser drei Personen werden wir über das belehrt, was zu unserem Heile gehört.
Als der Jüngling, der einzige Sohn einer Witwe, gestorben war, begleitet den Leichenzug eine große Menge, und Christus findet sich zu dem Leichenzuge ein. Was sollen wir nun von der Menge und dem Leichenzuge sagen? Begleitet sie den Zug, um dadurch dem Toten einen Vorteil zu bringen und ihn im Fegefeuer zu trösten? Keineswegs, denn sie bezeugen durch ihr Tun sowohl ihre Liebe, als ihren Glauben. Denn indem sie zugleich mit der Witwe trauern und leidtragen, so ist das ein Werk der Liebe, weil sie leidtragen mit den Leidtragenden und trauern mit den Trauernden. Dass sie aber den Leichnam des Jünglings nicht wegwerfen wie das Aas eines Esels, sondern ehrenvoll bestatten, damit beweisen sie ihren Glauben, dass nämlich ein Mensch nicht sterbe wie ein Esel, sondern sterbe und begraben werde, als Einer, der hinwiederum zu seiner Zeit vom Tode auferstehen soll. Denn indem Christus gestorben und begraben und wieder von den Toten auferstanden ist, hat er das Begräbnis geheiligt und die Schmach von dem selben hinweggenommen, aus dem Grunde, weil das Begräbnis in dem üblen Rufe stand, als wäre es also beschaffen, dass es keinen Toten mehr frei gäbe. Christus aber ist dem Grabe entronnen und auferstanden; und zwar ist er demselben nicht bloß um seinetwillen entronnen, sondern um Alle, die an ihn glauben, mit sich aus dem Grabe hervor zu führen. Darum hat er die Schmach vom Grabe hinweggenommen. Und Jes. 11,10 sagt von Christo: „Sein Grab1) wird herrlich sein,“ nicht wegen der Pilgerfahrt zu demselben, sondern wegen der Auferstehung. Dazu ist das Grab gleichsam ein Bett oder ein Schlafzimmer der Christen. Nun würde Niemand so unmenschlich oder unhöflich gegen sich selbst oder gegen seinen Blutsverwandten sein, dass er ihm auch nur für Eine Nacht ein Bett in einem Schweinstall aufschlüge. Wie viel mehr ist es eine Unmenschlichkeit, wenn das allgemeine Bett der Christen, in dem wir ruhen, nicht um zu diesem leiblichen Leben, sondern um zur ewigen Seligkeit aufzuerstehen, schmachvoll behandelt wird. Indem also die Bürger von Nain das Begräbnis des gestorbenen Jünglings in großer Anzahl feiern, tun sie Gott einen sehr wohlgefälligen Dienst, der auch Christo selbst so sehr gefällt, dass er diesen Leichenzug erstlich durch seine persönliche Gegenwart ehrt. Denn als er den Zug aus dem Tore herauskommen sah, schlägt er keinen anderen Weg ein, sondern tritt in den Zug ein. Zweitens ehrt er denselben durch die Tröstung der Witwe; denn wie wir diejenigen, welche um Verstorbene trauern, nach hergebrachter Sitte bei einem Leichenbegängnisse trösten, so tritt auch Christus zu der Witwe, und tröstet sie mit den Worten: „Weine nicht!“ denn deine Sache steht gut. Endlich ehrt er den Leichenzug durch ein erstaunliches Wunder, denn er erweckt den toten Jüngling, und gibt ihn seiner Mutter wieder. Durch dieses Wunder wird sowohl vieles Andere, wovon nachher die Rede sein wird, als auch das bestätigt, dass die Begräbnisse der Christen in Ehren zu halten sind.
Diese Witwe ist bei Weitem die allerelendeste, zuvörderst, weil sie ein Weib ist, das von Natur schwächer ist, als das männliche Geschlecht. Deshalb gebietet Petrus dem Manne, „dem weiblichen, als dem schwächsten Werkzeuge, seine Ehre zu geben“ (1. Petri 3,7). Zweitens, weil sie eine Witwe ist. Diese Art von Frauen ist so elend, dass sie zu dem Sprichworte Veranlassung gegeben hat: Er hat mich mit so großer Schmach behandelt, wie man nicht einmal einer Witwe antun würde. Endlich war sie nicht nur ihres Mannes beraubt, sondern jetzt auch ihres noch dazu einzigen Sohnes. Also hätte für dieses Weib zu ihrem Elende Nichts hinzukommen können. Darum erbarmt sich Christus derselbigen, tritt hinzu, tröstet sie, erweckt ihren Sohn und gibt ihr diesen wieder. Und diese Witwe hätte selbst das römische Reich für nichts Größeres gehalten als diese Wohltat; Christus hat aber der Witwe diese Wohltat erwiesen nicht nur um ihrer selbst, sondern um aller Witwen willen. Denn weil die Witwen vor der Welt verlassen und verachtet sind, werden sie angesehen, als wären sie auch vor Gottes Augen verworfen. Denn die verkehrte Vernunft der Menschen pflegt so zu urteilen, dass, wer in dieser Welt bettelt, auch in der anderen Welt Almosen erbitten müsse. Allein Gott urteilt ganz anders. Denn welche die Welt verachtet, die nimmt er unter seine Obhut; darum kennt er auch die Witwen, und gibt für sie die ehrenvollsten Gebote. 2. Mose 22,21-23.
Ihr sollt keine Witwen und Waisen beleidigen. „Wirst du sie beleidigen, so werden sie zu mir schreien, und ich werde ihr Schreien erhören. So wird mein Zorn ergrimmen, dass ich euch mit dem Schwert töte, und eure Weiber Witwen und eure Kinder Waisen werden.“ Psalm 68,6 wird Gott ein Richter der Witwen genannt. Jes. 1,17 empfiehlt die Witwen der Obrigkeit: „Schaffet den Waisen Recht, und helfet der Witwen Sache.“ Matth. 23,14: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr der Witwen Häuser fresst, und wendet lange Gebete vor; darum werdet ihr desto mehr Verdammnis empfahen.“ Durch diese Vorschriften und Ermahnungen hat Gott erklärt, dass er für die Witwen Sorge trägt, und hat Solches auch durch Wunder bekräftigt. 1. Kön. 17,9-24 wird Elias zu einer Witwe geschickt, und erweckt auch ihren Sohn. 2. Kön. 4,2-7 erhält eine Witwe Gefäße voll Öl, um ihre Gläubiger bezahlen zu können. Und hier erweckt Christus den Sohn einer Witwe, um durch dieses Beispiel alle Witwen in der guten Hoffnung auf ihr Heil zu bestärken. Mögen daher die Witwen auch vor der Welt verachtet sein, so nimmt Gott sie dennoch unter seine Obhut, und die Witwen werden des Segens Gottes genießen, so sie an ihrem Teile ihre Pflicht getan, d. h. erstlich an Christum geglaubt haben, dass sie um seinetwillen Gott lieb und wert sein, sodann Gott im Glauben gehorcht haben, und nicht geschwätzig sind, nicht umlaufen durch die Häuser, wie sie Paulus 1. Tim. 5, 11-13 beschreibt.
Der vom Tode erweckte Jüngling. Diesen erweckt Christus nicht nur um seiner selbst willen, sondern vielmehr aller Menschen wegen, die dem Tode unterworfen sind. Denn es gibt kein gräulicheres noch schrecklicheres Bild, als das des Todes, und Alles, was lebt, entsetzt sich vor dem Tode. Wie geht das aber zu? Erstens, weil die Leute der Ansicht sind, der Tod bringe ihnen Schmerz in dieser Welt; zweitens, weil sie meinen, der Tod sei entweder die letzte Grenzlinie, oder bringe ihnen Verderben und gänzlichen Untergang in der anderen Welt. Christus aber hat die Arbeit auf sich genommen, hat dem Tode seine furchtbare Maske abgezogen und ihn mit einem schöneren, lieblicheren Anblick geziert. Und zwar hat er erstlich von sich selber gepredigt durch die Propheten, vornehmlich aber durch Hosea 13,14: „Tod, ich will dir ein Gift (Tod) sein; Hölle, ich will dir eine Pestilenz (Biss) sein.“ Zweitens hat er in eigener Person gepredigt, indem er sprach: „Ich bin das Leben und die Auferstehung; wer an mich glaubt, der wird den Tod nicht sehen, sondern das ewige Leben haben.“ Und er hat diese Predigt durch ausgezeichnete, erstaunliche Wunder bekräftigt, unter denen jenes hauptsächlich ist, das wir heute in Bezug auf den vom Tode erweckten Jüngling besprechen, desgleichen das, welches anderswo über den auferweckten Lazarus geschrieben steht. Endlich hat er selbst die Schmerzen des Todes auf sich genommen und sie geheiligt, dass dieselben, wie sie ihm keinen Schaden, sondern mehr ein Wachstum des Heils gebracht haben, so keinem Menschen, der an ihn glaubt, Nachteil brächten; er hat auch den Tod selbst auf sich genommen. und an sich selbst erwiesen, dass derselbe nicht die letzte Grenzlinie sei, und dass in der anderen Welt kein gänzlicher Untergang, sondern das ewige Heil für diejenigen vorhanden sei, welche seine Glieder geworden sind.
Wollen wir nun bewirken, dass das Bild des Todes für uns lieblicher sei, und der Tod uns zum Heil gereiche, so müssen wir zuvörderst an Christum glauben, sodann im Glauben an Christum Gott gehorchen und ein ehrbares Leben führen. Denn ehrbar leben heißt, wohlverstanden, auch recht sterben; denn es bleibt nicht viel Hoffnung eines seligen Todes für denjenigen übrig, der stets das schändlichste Leben geführt hat. Der Schächer am Kreuze zwar ist selig gestorben, allein das ist ein Beispiel für unsere Hoffnung in Anfechtungen, ist jedoch keine Veranlassung, ein schändliches Leben zu führen. So lasst uns denn Fleiß tun, wenn wir in Christo selig sterben und auferstehen wollen, auch in Christo ehrbar zu leben; denn so werden wir das wahre Heil erlangen durch Christum, unseren Herrn. Amen.