Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Wer kommt?

Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Wer kommt?

(Am 4. Advent 1854.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Ev. St. Joh. Kap. 1, V. 15-18:
Johannes zeugt von ihm, ruft und spricht: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist, denn er war eher, denn ich. Und von seiner Fülle haben wir Alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mosen gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden. Niemand hat Gott je gesehen. Der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat es uns verkündigt.

Wenn wir, in dem Herrn geliebte Gemeinde, nach den einzelnen Evangelisten die Predigt Johannes des Täufers durchlesen, so finden wir darin einen köstlichen Adventsfortschritt. Erst beginnt er: „Tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ Dann kündigt er den letzten großen Advent an: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Welcher Baum nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ Endlich kommt sein vierter Advent. Er redet nicht mehr von dem, der kommen soll. Der Herr ist gekommen. Er ist auch hinausgegangen an den Jordan. Er steht unter den Scharen, welche sich um Johannes versammelt haben. Johannes kann mit dem Finger auf ihn hinzeigen. Nur noch über ein Kleines der Herr will sich nur noch von Johannes taufen lassen dann wird er hervortreten als der, auf

den die Väter gehofft haben, in dem das Heil der ganzen Welt ruhet. Auch wir feiern heute den vierten, den letzten Advent. Mit Recht heißt es in der alten Epistel dieses Tages: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich euch: „„Freuet euch.“„ Eure Lindigkeit lasst kund werden allen Menschen. Der Herr ist nahe.“ Die nächste Nacht ist die Gnadennacht, die Weihenacht. Wir können auch, so zu sagen, mit Fingern auf den Herrn hinweisen. Alle Herzen werden heute an ihn herangedrängt. Der Name Christi wird heute von allen Lippen gehört, denn die ganze Gemeinde redet vom heiligen Christ, und will einen heiligen Christ haben. Aber man denkt sich darunter gar Verschiedenes. Wenn man heute Abend bei den Christgeschenken Jeden, der sie mit Freuden nimmt, fragte: „Was glaubst du, was denkst du von Christo?“ Was für Antworten würden wir da hören! Einer würde, wenn er anders die Wahrheit bekennen wollte, sagen: „Ich denke an weiter gar Nichts, als an die Geschenke, die ich empfange. Über die Person, von der sie den Namen haben, zerbreche ich mir den Kopf nicht.“ Ein Zweiter würde sprechen: „Er ist ein frommer, treuer Mensch voll Opferkraft für seinen Nächsten, ein großer Wohltäter unseres Geschlechts gewesen. Seine Liebe zu demselben wird an seinem Geburtsabend durch Geschenke sinnbildlich dargestellt.“ Ein Dritter spricht: „Über seine Person bin ich nie ins Klare gekommen. Zu einem Menschen ist mir sein Wort zu hell, zu groß, zu wahr, zu klar, sind mir seine Taten zu groß und zu gewaltig. Aber mit der Lehre unserer Kirche zu gehen, habe ich nicht den Mut.“ Und endlich kommt die Kirche und spricht: „Er ist Gottes eingeborner Sohn, Gott von Wesen und von Art, Gott von Macht und Herrlichkeit. Gott ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.“ Teure Gemeinde, liegt es nun nicht besonders dem letzten Adventssonntage, oder, wie dieses Jahr, dem Tage vor der Geburt Christi ob, auf Grund des göttlichen Wortes jene Unklarheit und jene Zweifel zu erhellen, und der Gemeinde recht zu Herzen zu führen, wer der ist, der da kommen soll? O wir sind es dem Herrn schuldig. Er ist es wert, dass seine Gottheit und Herrlichkeit laut bekannt und gepriesen werde. Wir sind es dem teuren Worte Gottes schuldig. Wer wollte denn seinen Kern und Stern verschweigen? Wir sind es unserm Amte schuldig, dem Amte, welches die Versöhnung predigt. Es gibt aber keine Versöhnung, außer in dem eingebornen Sohne Gottes. Wir sind es auch euch schuldig, geliebte Gemeinde. Wir sind berufen, Mithelfer eurer Freude zu sein, auch Mithelfer eurer Christfreude. Das können wir nur sein, wenn wir allen Trug und allen Zweifel an der Person des Herrn wegzunehmen und euch das ganze große Gnadenbild vor die Seele zu führen suchen. Johannes schreibt vom Täufer: „Er zeugt von Christo, ruft und spricht.“ Laut verkündigt er die Majestät des Herrn, damit alles Volk sein Ohr auftue bei dem Worte. Die christliche Kirche ist noch viel mehr zu einem lauten Zeugnis verpflichtet. Mag es denn heute Fleisch, Welt, Handel, Wandel und Unglauben übertönen! Wir behalten uns für unsere heutige letzte Rüstandacht die Frage:

Wer kommt?

Wir antworten mit unserem Texte:

  1. Der vor Johannes gewesen ist, und doch nach ihm kommt;
  2. Der, von dessen Fülle wir haben Gnade um Gnade;
  3. Der, an dessen Heil und Wahrheit kein Zweifel ist.

Ach Herr, gnädig und barmherzig und von großer Treue, der du jede Seele auf deinem hohenpriesterlichen Herzen trägst, bitte für uns, arbeite an uns im heiligen Geist, dass Alles, was von falscher Meinung und trügerischer Erkenntnis dir in uns entgegensteht, durch das Zeugnis von dir überwunden werde. Bitte für uns und schaffe es selber im heiligen Geist, dass auch aller böse Wille in uns, der dir den Weg vertritt, durch das Wort gebrochen werde. Lass unser Herz ein offenes Gefäß werden, welches dich in deiner ganzen Wesenheit und Wahrheit aufnimmt. Sei du der Tau, und wir die dürre lockere Erde. Sei du das Licht, und wir die finstere Kammer, in der man aber die Laden geöffnet hat, dass die Morgenröte und die Sonne bald hereinscheinen möge. Sei du der Arzt, und wir der Kranke, der stündlich wartet, sich auf ihn verlässt, und ihn, wenn er kommt, mit dem herzlichen Willkommen begrüßt. Bereite uns also, dass wir zu deiner Aufnahme bereit seien. Segne uns dazu dein teures Wort. Amen.

Wer kommt?

I. Der vor Johannes gewesen ist, und doch nach ihm kommt.

In dem Herrn geliebte Gemeinde. Wenn ein König in eine seiner Städte einziehen will, dann rüstet man auch. Es regt sich im Volke. Es kann auch ein wahres, herzliches und fröhliches Regen sein; aber an die Rüstung in diesen Tagen kommt es nimmer und so tief geht es nimmer. Wir wollen hier der äußern Rüstung, die Tausende von Händen beschäftigt, ganz geschweigen. Seht in die Tiefen. Hier sitzt ein Kind und lernt seine Christlieder und sein Christevangelium. Dort betet ein betrübtes und zerschlagenes Herz: „Herr, gehe vor mir nicht vorüber. Ich will mich ja auch gern Gottes meines Heilandes freuen. Nimm doch von mir die alte Last der Schuld, deren Vergebung ich in mir noch nicht gefühlt habe.“ Dort bittet ein Hausvater oder eine Mutter: „Herr komm, baue unser Haus. Tritt du in die Mitte. Binde die Glieder unserer Familie mit deiner heiligen Liebe zusammen. Segne die Zucht der Kinder, dass das Wort wahr werde: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, dass Brüder einträchtig bei einander wohnen.“„ Gieß aus unter uns den Frieden, welcher dem köstlichen Balsam gleicht, der von Aarons Haupte herabfließt in seinen ganzen Bart, und herabfließt in sein ganzes Kleid; der wie der Tau ist, welcher vom Berge Hermon herabfällt auf die Berge Zion.“ Und ein Anderer bittet: „Herr und Arzt, wenn du kommst, bringe mir Genesung mit von meiner Krankheit.“ Und noch ein Anderer ruft: „Herr, wenn du kommst, nimm mich mit heim. Stärke mir den Glauben, dass ich mir wie jener Simeon selbst das Sterbelied singe: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Und wer ist es, von dem man das Alles bittet? Der vor Johannes gewesen ist, und doch nach ihm kommt. Christi Geburt ist nach Johannes Geburt verkündigt worden, Christus ist nach Johannes geboren, er ist auch nach ihm mit seinem Werke hervorgetreten, und doch ist er vor ihm gewesen. In Allem, was menschliches Leben und Tun heißt, ist er nach ihm gekommen, und doch ist er vor ihm gewesen. Um sich recht klar auszusprechen, fügt Johannes noch dazu: „Denn er war eher denn ich.“ Ja er ist eher gewesen, und zwar so viel eher, wie es nur ein „eher“ geben kann. Er ist nicht allein vor Johannes gewesen, sondern auch vor allen Menschen, vor aller Kreatur, vor aller Zeit. Wie der Vater von Ewigkeit ist, so ist es auch der Sohn. Im Anfang war das Wort. Als alle Dinge ihren Anfang nahmen, da war bereits das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfange bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist Nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Das Leben selbst, das ewig ist, welches bei dem Vater war, war in Christo erschienen (1. Joh. 1,2.). Noch liegt in den Worten, und Johannes spricht es auch zu einer andern Zeit aus, dass der, welcher nach ihm kommt, größer ist denn er. Er achtet sich nicht wert, dass er ihm seine Schuhriemen auflöse oder seine Schuhe trage. Im Wesen überragt Christus den Täufer so weit, dass wir sie gar nicht messen und vergleichen können. Der Eine ist der wesentliche, ewige Sohn Gottes; der Andere ein armer Mensch, wenn auch ein treuer Gottesknecht. Der Eine hat das Leben in ihm selber, er schenkt leibliches und geistliches Leben, er gibt die erste und die zweite Geburt; der Andere hat das eine Leben von ihm empfangen, und das andere hofft und bittet er von ihm. So bezeugt es denn Johannes der Evangelist im Anfange unseres Kapitels, und Johannes der Täufer im Verlauf desselben: „Der da vor uns steht, der Fleisch und Blut trägt wie wir, der nach meiner Taufe begehrt, der ist der ewige Sohn Gottes, dem Vater gleich an Wesen, Ewigkeit, Macht und Herrlichkeit.“ Und du, geliebte Gemeinde, sollst es wissen: „Der in der nächsten Nacht geboren ist, der, auf dessen Geburtsfest wir uns heute rüsten, ist der ewige Sohn Gottes, dem Vater gleich an Wesen, Ewigkeit, Macht und Herrlichkeit.“ Fasse diese Gnade, diesen Gedanken! Nimm gleich noch hinzu: Um unserer Sünde willen, aus Liebe zu uns armen Sündern hat er sich also erniedrigt. Um uns erlösen zu können, hat er, gleich wie unsere Kinder Fleisch und Blut haben, auch Fleisch und Blut angenommen. wenn wir doch für dies Wunder, für diese größte Tat der Gnade, nur einmal recht helle Augen bekämen! Wenn doch die Schuppen, die uns das Fleisch und der feine, wenn auch noch so verborgene und unbewusste Unglaube, über dieselben gezogen haben, nur einmal herunterfielen! Wir müssten das Wort, dass um unserer Sünde willen der ewige Sohn Gottes ein Menschenkind geworden ist, mit der größten Freude ergreifen. Aber die Sünde - und der Grund der Sünde ist der Unglaube will uns, um ihr eigenes Leben und Wesen zu retten, nie völlig zu dem Glauben kommen lassen. An dem Tage, wo wir in die ganze Tiefe der göttlichen Liebe hineinsehen, da stirbt die Sünde ganz. Sie wird verzehrt von diesem heiligen Feuer. Es heißt auch hier: „Wer Gott sieht, der stirbt.“ Wenn uns nun auch der natürliche Mensch, den wir Alle noch an uns tragen, nicht in die volle Tiefe eingehen lässt, so. müssen wir doch dahin kommen, dass wir mit unserer Kirche singen können:

„Wenn ich dies Wunder fassen will,
So steht mein Geist vor Ehrfurcht still;
Er betet an und er ermisst,
Dass Gottes Lieb' unendlich ist.“

Im Jahre 1820 saß in Amsterdam ein im alten Testamente und in den späteren jüdischen Büchern wohlbewanderter Jude, Isaak da Costa, mit einem Christen zusammen. Beide unterhielten sich ernstlich über Christentum und Judentum. Der Christ sagte dem Juden, dass auch im alten Testamente von mehreren Personen in der Gottheit die Rede sei. Durch die Geschichtsbücher, Psalmen und Propheten gingen die Fußtapfen des Sohnes Gottes hindurch. Wer nur sehen wolle, müsse seine Fußtapfen erkennen. Er fragte ihn, wer denn der Engel des Herrn oder der Engel des Bundes sei, von dem die Propheten so gern redeten; wer denn der Herr sei, zu dem der Vater gesprochen habe: „Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße.“ Da war es dem Juden, als ob die ersten Lichtstrahlen in sein Auge fielen. Er fing an das neue Testament zu lesen. Er kam an unser Kapitel. Über das konnte er nicht weg. Es ergriff ihn eine tiefe Demütigung, ein Staunen vor der göttlichen Gnade, wie er es noch nicht gekannt hatte. Ein ganz neuer Abscheu vor der Sünde, um welcher willen der Sohn Gottes am Kreuz sterben musste, durchdrang sein Herz. Er las weiter, betete, glaubte und ließ sich taufen. Wollt ihr noch ein Beispiel von der Macht dieser Worte auf ein offenes Gemüt haben, so hört! In den Tagen der Reformation kam einem in Unglauben gefallenen Juristen die Bibel in die Hände. Er schlug sie auf und las unser erstes Kapitel im Evangelio St. Johannis. Da überfiel vor dieser unbeschreiblichen göttlichen Herablassung seinen Körper ein Schauer, seine Einsicht erstaunte, und er war den ganzen Tag so gerührt, dass er sich selbst nicht recht kannte. Das Kapitel übte eine solche Macht über ihn aus, dass er bald beten konnte: „Herr mein Gott, du hast nach deiner unendlichen Barmherzigkeit an mich gedacht und dein verirrtes Schaf wieder zu deiner Herde geholt.“ Ach liebe Gemeinde, wenn uns doch auch das Wort mit seiner ganzen Neuheit und Fülle und Wahrheit ans Herz dränge! Lasset uns den Herrn bitten, dass er unsere Augen wasche mit Morgentau, und wir seine Wunder und Gnaden sehen, wie sie sind. Ja Herr, rücke uns heute noch einmal recht hinein in die Erkenntnis unserer Sünde und unseres Elendes. Gib unserem Herzen Trauer, unserem Verstande die Erkenntnis der Strafe, die wir verdient haben, und unseren Augen Tränen der Buße. Dann ist der Morgentau da. Mit diesem zerschlagenen Herzen und weinendem Auge lass uns dann zu dir aufblicken und fragen: „Herr, was tust du mit mir?“ Und er antwortet: „Ich habe mich deiner erbarmt und will mich deiner erbarmen. Ich will das glimmende Docht nicht auslöschen und das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen. Ich vergelte dir nicht nach deiner Missetat, ich töte dich nicht nach deinen Sünden, sondern ich gebe, ich gebe für dich in den Tod meinen eingebornen Sohn, mein eigenes Herz.“ Wer sollte bei solcher Antwort nicht erstarren vor der unbegreiflichen Tiefe der Gnade? Da kennt man sich selber nicht mehr recht, weil man seinen Gott ganz kennen gelernt hat. Um ihn aber ganz kennen zu lernen, müssen wir weitergehen in unserem Texte. Es kommt

II. Der, von dessen Fülle wir genommen haben Gnade um Gnade.

Die Fülle Christi ist die Fülle Gottes. Alles was des Vaters ist, das ist sein. In ihr ist Herrlichkeit, Macht und Kraft, Liebe und Gnade, Weisheit und Verstand. Diese Fülle ist reich genug, dass der Herr ewig aus sich selbst und in sich selbst Leben und die volle Genüge hatte. Sie ist auch reich genug, dass er uns armen Sündern aus derselben schenken kann, was nur der Glaube in der Zeit, und was das Schauen in Ewigkeit zu fassen vermag. Sie kann uns so reich machen, dass auch von unserm Leibe Ströme des lebendigen Wassers gehen. Und doch nimmt sie niemals ab, sie wird nimmer leer. Dieser Brunnen hat Wassers die Fülle. Je mehr geschöpft wird, um so mehr ist da. Von dieser seiner Fülle, sagt Johannes, haben wir genommen Gnade um Gnade. Wer denn? Wer hat denn genommen? Johannes steht hier auf der Scheidestätte zwischen dem alten und neuen Bunde. Der alte Bund hatte das Gesetz, und in den gesetzlichen Ordnungen den Schatten der zukünftigen Güter. Er hat in seiner Geschichte eine Menge von Vorbildern auf die Zeit der Gnade. Er hat in seinen Propheten die Morgenröte auf den Gnadentag. Aber Alles, was von Gnade durch den alten Bund hindurchleuchtet, das ist auch aus der Fülle Jesu Christi genommen. Ein Schatten wird nur geworfen von dem wirklichen wesenhaften Körper. Ein Umriss und Bild wird nur genommen von der wirklichen wesentlichen Sache und Person. Und wie endlich die Sonne sich ihre Morgenröte selbst macht, so hat sich auch Jesus Christus, die Sonne des Heils, seine Morgenröte selbst gemacht. Die Propheten haben nicht allein von ihm, sondern auch aus ihm geredet. Alles, was Gnade heißt im alten Bunde, stammt von ihm her. Im neuen ist uns dies noch viel klarer. Das neue Testament ist der Bund der Gnade, der Bund Jesu Christi, denn Gnade und Christus ist Eins. Leben und Gnade ist die ganze Art des neuen Bundes. Das Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden. Das Gesetz ist gegeben. Moses bringt nichts Eigenes. Er holt die Tafeln vom Berge. Es ist wiederum gegeben, denn durch Lernen und Wachen und Übung muss es zum Eigentum gemacht werden. Jesus Christus ist geboren. Jesus Christus ist geboren. In ihm ist die Gnade und Wahrheit geboren. Er ist die Gnade selbst, er ist auch die Wahrheit selbst. In ihm ist kein Vorbild und kein Schatten mehr. Er ist die Erfüllung. Die Sonne, angekündigt durch die Strahlen der Morgenröte, ist heraufgekommen. Indem er lebt, liebt und stirbt, pflanzt er Gnade und Wahrheit in unser Geschlecht ein. Gnade und Wahrheit ist geworden. So ist es auch in dir. Das neue Leben, der neue Mensch wird nicht durch Gesetz und Regeln geschaffen. Im heiligen Geist wird er in dir geboren. Wie das Kind sich regt unter dem Herzen seiner Mutter, so klopft das neue Leben auch in uns. Dasselbe ist aber lediglich ein Werk des Gottmenschen. Darum nennt auch Johannes hier den ganzen Namen Jesus Christus, den Immanuel, den Gott mit uns. Weil der Sohn Gottes in unser Geschlecht eingetreten ist, kann auch das neue Leben in unsere Herzen eintreten. Damit es aber in uns empfangen werde, hat er in seinen Gnadenmitteln gottmenschliche Ordnungen getroffen. Siehe das Wort an. Es ist göttliche Wahrheit in menschliche Gedanken und Worte verfasst. Siehe die Sakramente an. Sie sind lauter Leben in Wort und Wasser und Brot und Wein verfasst. In dieser Gnade nun ruhen die seligsten Güter: Vergebung der Sünden, Kindschaft Gottes, gottselige fröhliche Pilgerschaft, seliger Heimgang und ein ewiges Leben. Das Alles ist Wahrheit. Es wird uns nicht mehr im Vorbilde angedeutet, sondern in der Tat geschenkt. Das Alles bringt uns der, welcher nach Johannes kommt, aber vor ihm gewesen ist. Und was hat ihn bewogen zu diesem reichen Christgeschenke? Höre das Wort: „Von seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade.“ Gnade ist es, was wir empfangen, und Gnade ist der Beweggrund, aus dem es gegeben wird. Gnade ist der Labetrunk, und Gnade ist die Quelle, aus der er fließt. Wo man sonst etwas Wertes empfängt, muss man einen Kaufpreis dafür zahlen. Hier ist es die Gnade, welche uns die Gnadengüter erwirbt und zueignet. Gnade ist der Kaufpreis der Gnade. Wir haben weder dem Vater noch dem Sohne Etwas zuvor gegeben, dass es uns werde wiedervergolten. Das bedenke, und die lieben Christengüter werden dir desto teurer, und du wirst für sie um so dankbarer werden. -

Du kannst aber dies Wort „Gnade um Gnade,“ „Gnade für Gnade“ auch noch anders verstehen. Zuerst macht dich der Herr, wenn du ihn im Glauben ergreifst, gerecht. Das ist Gnade. Aus der Gerechtigkeit lässt er dann die Heiligung wachsen. Das ist wieder Gnade. Weil du die erste angenommen hast, schenkt er dir die zweite. Gnade um Gnade. Wenn du sein Verdienst im Glauben ergreifst, so ist dieser Glaube Gnade, denn er selbst schenkt den Glauben. Den Glauben segnet er mit der Seligkeit, der zweiten und ewigen Gnade. Weil du die erste angenommen hast, schenkt er dir die zweite. Gnade um Gnade. - Dieselbe Ordnung herrscht auch im Gebiete deines täglichen innern Haushaltes. Die Heilskräfte, welche der Herr dir bereits geschenkt hat, sind Gnade. Wenn du sie in einfältiger Treue gebrauchst als das dir von ihm anvertraute Pfund, dann mehrt er sie dir. Gnade um Gnade. Wenn du ihm dankst, dass er dir in der Heiligung einen Schritt vorwärts geholfen hat, dass du eine Sünde endlich hast bekämpfen lernen, wenn du dies als seine Gnade erkennst, dann gibt er dir in dieser Treue Kraft zum Kampfe gegen deine übrige Sünde. Gnade um Gnade. Doch wer will die Weite und die Tiefe dieses Wortes ausreden? Wir wollen lieber noch einmal zu uns zurückkehren. Der Herr ist die Fülle des Lebens und der Kraft, wir aber sind arm, schwach und leer. Möchten wir dies nur recht fühlen! Möchten wir die Armut des Herzens nur nicht ausfüllen mit Hochmut und Selbsttäuschung! Wer seine Armut fühlt, der ruft mit den Kindern Korah: „Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wenn werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ Wir schauen es in Jesu Christo. In ihm ist die Fülle der Gottheit leibhaftig erschienen. Mit Freuden können wir Wasser schöpfen aus dem Heilsbrunnen. Der Herr wolle sich unserer erbarmen, dass wir recht schöpfen, und dabei recht in die Tiefe gehen. Schöpft Alle, Arme und Reiche. Denkt daran: wenn das arme Herz aus dieser Fülle, aus diesem Born nicht erquickt wird, dann verdorrt es. Jede Woche, wo du im Worte nicht an diesen Brunnen gegangen bist, wo du mit deinem Herrn nicht im brünstigen Gebet gerungen hast, ist eine dürre Woche gewesen. Und was sollte das für ein Christfest werden, wo die Freude nicht aus der Fülle des Herrn ausströmte? Deine Freuden wären Blumen ohne Wurzel, deine Geschenke die letzten Trümmer von einem niedergerissenen Tempel, und verjagte dürre Blätter von einem erstorbenen Baume. Dagegen sind alle uns von Jesu Christo geschenkten Gnaden echt, wahr, unverwelklich und unvergänglich, denn gebracht hat sie uns

III. Der, an dessen Wahrheit kein Zweifel ist.

Niemand hat Gott je gesehen. Wohl erscheint er im alten Bunde in Menschengestalt oder in einer andern Verhüllung. Er hat mit den Patriarchen und mit Mose geredet. Aber solches Sehen ist kein Sehen in seine heiligen Tiefen und in sein Wesen. Da kann kein Mensch hineinsehen. Können wir arme Kreaturen unser Herz schon verschließen, dass die rechte Wahrheit desselben schwer zu erforschen ist: wie sollte Gott das seine nicht verschließen können? Daher haben sich auch alle Propheten in ihren Offenbarungen mit dem begnügen müssen, was Gott sie aus Gnaden hat wollen schauen lassen. Und wer sonst mit eigner Weisheit und mit eignem Denken in die Tiefen Gottes eindringen will, der mag wohl eher granitene Felsen durchbohren und einen Gang hineinbrechen, ehe er in das Herz und in die Wahrheit Gottes kommt. Bei Allem, was Menschen aus eigner Kraft von Gott aussagen, müssen sie hinzufügen: „Ich meine, dass es sich so verhält.“ Eine Gewissheit ist nicht da. Und wenn Menschen von einem Heil und einem Heilswege reden wollen, müssen sie wieder hinzufügen: „Ich denke, dass dies unser Heil sei und dass wir so zu demselben kommen.“ Aber Gewissheit ist wieder nicht da. Wo finden wir sie? In keiner Weltweisheit. Eine folgt auf die andere, eine verschlingt die andere, wie sich die Meereswellen verschlingen. Und wenn wir uns hindenken an das letzte Ufer, an den Tod, dann zerschellen alle Systeme in dieser großen Brandung. Wo ist Gewissheit des Heils? Hier in dem, der in des Vaters Schoße ist. Auch während der Herr auf Erden wandelte, war er dennoch in des Vaters Schoße. Auch in seiner Erniedrigung stand er als wahrhaftiger Gott dennoch im Rate der heiligen Dreieinigkeit. So ist er denn der, welcher uns die Wahrheit verkündigen will und kann. Gnade und Wahrheit können nicht lügen. Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn Etwas gereue. Sollte er Etwas sagen und nicht tun, sollte er Etwas reden und nicht halten? Und wieder bringt er uns aus dem heiligen Schoße der Wahrheit die volle Wahrheit. Das Heil, welches er dir verkündigt, ist ein wahres Heil. Der Bote ist gewiss und die Botschaft ist gewiss. Aus Gottes Schoße kann kein Lügner ausgehen. Die Evangelien lügen nicht und das teure Evangelium, welches sie enthalten, ist auch Wahrheit. Du kannst keine größere Gewissheit empfangen, als die, welche dir dein Gott geschenkt hat. Und willst du doch auf das Wort noch ein Siegel haben, so nimm deine eigene Erfahrung. Wo du dich demütig und treu in den Willen des Herrn gefügt hast, da hast du auch erkannt, dass seine Rede aus Gott und nicht aus ihm selber war. Niemand ist zu Schanden geworden, der auf ihn vertraut hat. Es hat nie eine Not gegeben, für die er nicht ein Heiland gewesen wäre. Es ist kein armer Sünder verzweifelt, der sich im Glauben an ihn gehalten hat. hat sich kein Armer an fremdem Gut vergriffen, der mit aufrichtigem Herzen bekannt hat: „Mein Heiland ist mein Gold und mein Reichtum.“ Es ist nie ein Reicher in Hoffart und Abgötterei gefallen, wenn er gläubig hat bekennen können: „Alles, was ich habe, ist Gnade um Gnade. Der barmherzige Gott hat es mir geschenkt um seines lieben Sohnes willen. Es sind Christgeschenke.“ Es ist nie ein Sterbender in Verzweiflung dahingefahren, wenn ihn der Glaube bis an den Tod begleitet hat, dass der Sohn Gottes in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen. Du musst sagen: Das ist eine köstliche Wahrheit und ein wahres Heil, das alle diese Feuerproben aushält. Du wirst einst noch Mehr von ihm rühmen können.

Siehe, da hast du den ganz, der da kommen sollte und gekommen ist. Du hast den Sohn, der von Ewigkeit her bei dem Vater war. Du hast den, aus dessen Fülle wir alle Gnade nehmen, und zwar Gnade ohne Verdienst, Gnade um Gnade. Du hast den, in dessen Wort und Heil kein Zweifel gesetzt werden kann. Nach seiner Person und seinem Wesen soll nun auch der Empfang beschaffen sein, den du ihm bereitest. Ein Jeglicher wird ja nach Würde empfangen. Majestät und Gnade ist in ihm verbunden. Wo du ihn in der Krippe siehst, da erscheint dir die Liebe und Gnade in der höchsten Majestät. - Welches ist nun der Wiederschein der Majestät und Gnade in deiner Seele? Zittern mit Freuden und Freude mit Zittern. Zittern mit Freude, denn von dem Bewusstsein unserer Schuld kommen wir nicht los, aber der Herr hat sich unserer erbarmt. Freude mit Zittern, denn Jesus Christus ist uns zwar geschenkt, aber wir können die Gnade durch unsere Schuld verscherzen. Aufnehmen sollst du ihn mit Sündenbekenntnis und Dank, und mit Dank und Sündenbekenntnis. Mit Sündenbekenntnis und Dank, denn auch deine Sünde ist Ursache gewesen zu seiner Erniedrigung, und auch dir ist er ein Heiland geboren. Mit Dank und Sündenbekenntnis, denn obgleich er dich von allen deinen Sünden rein gewaschen hat, sündigst du doch täglich aufs Neue und bedarfst täglich seiner neuen Gnade. - Kannst du dir wohl denken, dass man den heutigen Abend in Scherz, Tand, Trunk und Völlerei verbrächte? Wer es tun will, der lese, ehe er beginnt, doch noch einmal unsern Text oder lieber das ganze erste Kapitel durch. Vielleicht kommt er dann auf andere Gedanken. Wenn er aber doch nicht darauf kommt, so streiche er wenigstens den Namen Christi aus der Feier weg, damit sein Christabend kein Spott auf den Christ sei. Nach dem, der da kommt, sollt ihr auch die Geschenke bemessen, die ihr in seinem Namen gebt. Er kommt aus dem Schoße seines Vaters, aus der ewigen Liebe. Da hast du die Quelle, aus der auch deine Gaben stammen sollen. Aus Gott sollten sie gegeben werden. Was du aus Hochmut oder Prunksucht oder törichtem Scherz geben wolltest, das lege weg. Der Herr ist gekommen, uns zu bringen Gnade um Gnade. Gnade war sein Ausgang, Gnade ist sein Eingang. Als der heilige Nothelfer ist er unter uns getreten. Deine Gaben sollen das Ziel haben, der Not abzuhelfen, dem Bedarf zu genügen und eine ehrliche Christfreude zu gewähren. Alles, was der Eitelkeit dient, hat mit Jesu Christo Nichts gemein. Gehe heute deine Geschenke noch einmal durch, denke dabei an den Sohn Gottes, der um deinetwillen seine Herrlichkeit dahingibt und endlich am Kreuze stirbt. Jedes Stück, bei welchem dein Gewissen zittert, wenn du es vor sein Angesicht hältst, das lege weg. Und endlich vergiss nicht, das Geschenk, das aus des Vaters Schoße gekommen ist, das wahre, ewige Geschenk, den Deinen recht nahe zu bringen. Ihr Väter, ihr Mütter, erst die Christgeschichte, dann die Christgeschenke; erst das neugeborene Kindlein, dann die Gaben für eure Kindlein; erst die Gnade Gottes, dann eure Liebe und Güte. Zu solcher Rüstung segne euch der Herr in Gnaden den Tag und den Abend. Und darauf schenke er uns morgen ein fröhliches Christfest. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/ahlfeld_friedrich/zeugnisse_aus_dem_inneren_leben/ahlfeld-zeugnisse-_2.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain