Brenz, Johannes - Auslegung des Vaterunser - Vater unser, der du bist im Himmel!

Zu Anfang reden wir Gott als einen Vater an, und nennen ihn Vater. Da müssen wir denn wissen, dass sich der Vatername hier nicht nur auf die erste Person der Dreieinigkeit, sondern auf alle Personen, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, bezieht. Da nämlich in diesem Gebete keine ausdrückliche Unterscheidung der Personen stattfindet, und sich das Gebet einfach an Gott richtet, ist Vater nicht eigentlich ein persönlicher Name, sondern ein wesentlicher. Gott der Vater wird nämlich Vater genannt, der Sohn wird Vater genannt, der Heilige Geist wird Vater genannt. Ist die Rede von der Eigentümlichkeit in Gott, wonach der Sohn von Ewigkeit her gezeugt wird, dann heißt allein die erste Person der Gottheit Vater; ist aber die Rede von der Wirksamkeit und der Zuneigung gegen den Menschen, dann wird Gott selbst, d. h. der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, in Wahrheit Vater genannt. Gott ist nämlich der Menschen Vater erstlich vermöge der Schöpfung, weil Er den Menschen zu seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat; zweitens vermöge der Erhaltung, weil Er den Menschen in diesem leiblichen Leben erhält, der sonst durch des Satans Grausamkeit bald würde zu Grunde gehen; endlich vermöge der neuen Schöpfung oder der Wiedergeburt und der Gabe des ewigen Heils, weil Er den Menschen wieder gebiert und heiligt, damit er das Erbe des Himmelreichs gewinne. Und in dieser Vaterschaft haben die einzelnen Personen der Gottheit ihre einzelnen Ämter, wovon gehandelt wird im Artikel des Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Reden wir also zu Anfang im Gebete des Herrn Gott als Vater an, so wird unser Glaube erweckt und gekräftigt durch dieses Wort Vater, dass wir gewisses Vertrauen fassen, unsere Bitten werden vor Gottes Augen nicht vergeblich sein, weil Gott, den wir anrufen, unser Vater ist. Er hegt gegen uns eine väterliche Zuneigung, d. h. die Neigung, uns zu erretten und selig zu machen. Er hat den festen Willen, uns aus allen Gefahren zu befreien und uns in das himmlische Erbteil einzusehen. Denn obschon unsere Sünden uns verklagen und uns hinderlich sind, dass wir's nicht wagen, Gott mit freudigem Mute Vater zu nennen, so muss unser Mut doch gestärkt werden. durch das Evangelium Christi, welches uns die gewisseste Vergebung der Sünden verheißt nicht ob irgend eines menschlichen Verdienstes, sondern umsonst, allein um Jesu Christi willen durch den Glauben.

Paulus spricht Röm. 8,33,34: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der der da gerecht macht, (d. h. sie für gerecht ansieht, um Christi, seines Sohnes, willen). Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes, und vertritt uns.“ Allein wiederum ist dem Betenden der menschliche Gedanke hinderlich: „Das muss man nicht von einem Jeglichen, sondern von den Auserwählten verstehen; denn Paulus sagt mit Bedacht: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?“ Ich aber zweifle noch, ob auch mein Name in der Liste der Auserwählten geschrieben steht. Was zweifelst du aber an deiner Erwählung? Hat denn nicht derselbe Paulus kurz zuvor (Röm. 8,30) gesagt: „Welche Er verordnet d. h. erwählt hat, die hat er auch berufen?“ Du siehst aber offenbar, dass du durch das Evangelium Christi berufen bist; du musst also auserwählt sein. Denn dass es sonstwo heißt: Viele sind berufen, aber Wenige auserwählt, muss man nicht verstehen, als würde die äußerliche, offenbare Berufung Gottes wirkungslos durch seine innerliche, verborgene Erwählung. Denn Gott ist nicht ein Solcher, der Etwas in seinem Herzen birgt, und etwas Anderes in seinen Worten verheißt, sondern man muss verstehen, dass zwar Gottes Berufung fest und beständig sei; Röm. 11,29: Gottes Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen. Die Menschen aber erkennen in ihrem Unglauben Gottes Berufung entweder nicht, oder, haben sie diese erkannt, verwerfen sie dieselbe wiederum. Was also die göttliche Gnade anlangt, sind alle Berufene auserwählt; denn wären sie nicht auserwählt, so wären sie nicht berufen. So hatte auch jener König im Evangelio, der seinem Sohne Hochzeit machte, die, welche er zur Hochzeit rufen ließ, zuvor namentlich auserwählt und eingeladen. Und obwohl er danach auf die Straßen und Gassen ausschickt, um berufen zu lassen, soviel gefunden werden: so würde er dennoch, hätte er nicht auch diese auserwählt, und vergönnte er nicht auch ihnen das Glück seiner Hochzeit, sie nicht haben rufen lassen. Was also Gottes Gnade anlangt, sind alle Berufene auserwählt. Dass aber Etliche berufen werden, ohne doch der Erwählung zu genießen, das geschieht nicht durch Gottes, sondern durch ihre eigene Schuld, da sie entweder Gottes Ruf verachten, oder in der von ihnen angenommenen Berufung, die sie erkannt haben, ob ihrer eigenen Gottlosigkeit und ihres Unglaubens nicht verharren. Da du nun berufen bist, brauchst du an deiner Erwählung nicht zu zweifeln, es sei denn, dass du dich in deinem Unglauben selber vernachlässigen wolltest. Und weil die Berufung beweist, dass du erwählt bist und um Christi willen als Kind Gottes angenommen, darum hebe getrosten Mutes deine Augen gen Himmel, und rufe Gott als Vater an, ohne irgend ein Bedenken, und hege die feste Zuversicht, dass dich Gott mit so väterlicher Zuneigung umfasse, dass er dir weder für Brot einen Stein, noch für einen Fisch eine Schlange, noch für ein Ei einen Skorpion geben, sondern alle heilsamen Wohltaten nach seiner väterlichen Gnade dir mitteilen werde. Denn ist Gott unser Vater (so aber hat Gottes Sohn uns reden und beten gelehrt; und man darf nicht meinen, dass Er, da er die ewige Wahrheit ist, uns eine Lüge gelehrt habe), so sind wir gewiss seine Kinder; wenn aber Kinder, auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi. Welche größere Würde, welche größere Glückseligkeit hätte uns können zu Teil werden? Und wer ist für uns der Urheber so großer Würde und Glückseligkeit? Etwa unsere eigene Gerechtigkeit? Etwa die Verdienste der Heiligen? Etwa die Tätigkeit der Engel? Nichts weniger, sondern allein des Sohnes Gottes, unseres Herrn Jesu Christi Gehorsam, dadurch er es erlangt hat, dass, so viele ihn im Glauben aufnehmen, von Gott als Kinder angenommen und Erben des himmlischen Reiches werden.

Lasst uns denn, sowohl mit Worten als mit Werken, dem Herrn, unserem Gott, so hohen Dank darbringen, als wir vermögen, und vor Gott und Menschen ein solches Leben führen, wie es Kindern Gottes zu führen geziemt, damit wir nicht hören, was bei Maleachi (1,6) steht: „Bin ich Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wo fürchtet man mich?“

Sodann wird hinzugefügt: unser. Auch dieses Wort darf man nicht unachtsam übergehen; denn erstlich lehrt es, alle Fromme seien unter einander Brüder und Eines himmlischen Vaters Erben. Deshalb sind im Gebete des Herrn alle Frommen, seien es Könige, seien es Schäfer, gleich; denn in Christo Jesu ist nicht Knecht noch Herr, nicht Mann noch Weib. Zweitens mahnt es uns an die Gemeinschaft der Heiligen, weil für den, der da Christi Glied ist, alle Fromme beten und in ihren Gebeten dem Herrn unserem Gott sein Heil anbefehlen. Wie also das Gebet des Herrn von Seiten aller anderen Frommen für Einen Frommen eintritt, so tritt das Gebet des Herrn von Seiten Eines Frommen für die gesamte Kirche ein. Daher müssen wir uns die größte Mühe geben, Glieder Christi und seiner Kirche zu sein, damit wir auch teilhaftig seien des Gebetes, welches die gesamte Kirche Gott darbringt.

Außerdem ermahnt uns dieses Wort [unser] zur Eintracht, auf dass wir brüderliche Liebe haben. Denn so Jemand seinen Nächsten mit Hass verfolgt, kann er selber dieses Gebet des Herrn nicht in wahrem Glauben beten, und wird der Bitten seines Nächsten nicht teilhaftig. Was gibt es aber Schrecklicheres, als dass deine Verhältnisse sich in einem solchen Zustande befinden, dass du das Gebet des Herrn weder fromm beginnen kannst, geschweige denn recht beendest, noch der Gebete der Kirche teilhaftig wirst? Sobald nun Hass und Neid im Herzen zu entstehen anfangen, müssen sie im Zaume gehalten und unterdrückt werden, damit wir nicht am Gebete gehindert und vom Heile ausgeschlossen werden.

Beigefügt wird auch das Wort: himmlischer [im Himmel], das nicht nur zum Unterschied von einem irdischen Vater gesagt wird, sondern auch, um uns an die Macht Gottes zu mahnen, durch die er uns helfen kann. Denn ob irdische Väter schon zuweilen ihren Kindern helfen wollen, so können sie es doch nicht. Der himmlische Vater aber will, weil er Vater ist, und kann, weil er im Himmel und allmächtig ist, uns helfen. Wenn wir also Vater sagen, so werden wir an Gottes Willen gemahnt; sagen wir aber himmlischer, so werden wir gemahnt an die Macht Gottes. Also bleibt uns übrig, in wahrem, festem Glauben dem Thron der Gnade zu nahen und zu beten, was er selbst uns hat beten heißen.

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