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Wiclif, John - Wertung der Bibel

Wiclif, John - Wertung der Bibel

Es ist nicht zu leugnen, daß der Schriftglaube heutzutage gar viele Bekämpfer hat und aus verschiedenen Gründen nur wenige den Schriftinhalt (das reine Evangelium) wohl erwägen. Es ist ohne Zweifel, daß die Ursache davon Mangel an Glauben ist: wir glauben nicht mehr rein an den Herrn Jesum Christum, denn sonst würden wir aus fruchtbarem Glauben das festhalten, daß die Autorität der hl. Schrift und im besonderen unseres Evangeliums unendlich größer ist als die Autorität jeder anderen Schrift, die man etwa anführen mag…. Darum glauben wir auch, daß die hl. Schrift in allen ihren Teilen aufs wahrste ist, denn wenn sie heilige Schrift sein soll, wird ihr Inhalt nach dem Sinne Jesu Christi sein; dieser aber kann nicht falsch sein, noch in irgendeinem Stücke trügerisch … so sind alle Bücher des alten und neuen Testaments von gleicher Autorität, sofern wir glauben, daß ihr Inhalt vom hl. Geiste ausgeflossen ist.

Die „Apokryphen“ haben keine kanonische Autorität. Die Kirche hat zu ihrem Dienst und Gebrauche genug an den authentischen Büchern des Alten und Neuen Testaments…. Es darf die streitende Kirche jenen Büchern nicht den Glauben als authentischen schenken … noch viel mehr sei es so zu halten mit den Schriften der römischen Kirche und der neuen Lehrer, denn unendlich mehr authentisch ist die Schriftwahrheit als irgendeine noch lebende Person oder Gemeinschaft, die man anführen möchte…. Gott verpflichtet die Menschen mehr zu dem Schriftwort, als es irgendeine Kreatur vermöchte zu ihren Neuerungen oder Gewohnheiten….

Die Christenmenschen haben Glaubensgewißheit durch die Gnadengabe Jesu Christi, daß die von Christus und seinen Aposteln gelehrte Wahrheit das Evangelium ist…. Und dieser Glaube ist nicht gegründet auf den Papst und seine Kardinäle, denn dann möchte er bankrott und zunichte werden wie sie selbst auch, sondern auf Jesus Christus, Gott und Mensch, und auf die hl. Dreieinigkeit. Der allmächtige Gott und seine Wahrheiten sind der Grund des Glaubens der Christenmenschen…. Denn ob auch der Antichrist und alle seine verfluchten Kleriker tief in der Hölle verbrannt würden für ihre verfluchte Simonie und ihren Hochmut und ihre anderen Sünden - das Christentum kann doch nie vergehen, weil nicht jene der Grund davon sind, sondern es Jesus Christus ist. Denn er ist unser Gott und unser bester Meister und bereit, wahrheitsliebende Männer alles, was ihnen nützlich und nötig für ihr Seelenheil ist, zu lehren … es ist unmöglich, Gott zu gefallen ohne Glauben … laß einen Menschen nur in allen Dingen in Wahrheit die Ehre Gottes suchen und vor Gott und Menschen gerecht leben, und Gott wird es ihm in nichts, das ihm nötig ist, gebrechen lassen, weder im Glauben noch im Verständnis noch in Antwort gegen seine Feinde…. Alle Wahrheit ist in der hl. Schrift explizite oder implizite…. Ich bin glaubenssicher, daß der Antichrist und alle seine Schüler, ja alle Teufel, auch nicht einen Teil der hl. Schrift, nicht einmal ihre Darstellung und Form, wirksam bekämpfen können.

Übersetzung der Bibel

Wohl sehend, daß die Wahrheit des Glaubens desto besser scheint, um wieviel mehr sie bekannt ist, und daß die Bischöfe die glaubenstreue und evangelische Meinung vor den Ohren der weltlichen Herren verdammen aus Haß gegen die Personen, welche sie aufrecht halten; daß daher die Wahrheit noch allgemeiner und deutlicher bekannt werden muß - befinden sich evangelisch gesinnte Männer in der Notwendigkeit, ihre Meinung, die sie haben, nicht allein in der lateinischen, sondern auch in der Volkssprache zu erklären. Die Notwendigkeit einer Übersetzung der hl. Schrift - eine Volksbibel - für die Laien ist eine unabweisbare Forderung, denn es sind die Gesetze, welche die Prälaten machen, nicht als Glaubenspunkte anzunehmen, noch haben wir ihren Worten oder Reden mehr oder anders zu glauben, als sie auf die Schrift gegründet sind. Denn die Schrift ist der Glaube der Kirche, und je mehr sie in einem rechtgläubigen Sinne bekannt ist, um so besser ist es….

Kenntnis der Schrift ist nur möglich, wenn sie in eine Sprache übersetzt ist, die den Weltlichen am besten bekannt ist. Die Antichristen sagen zwar offen, die Weltlichen sollen nicht selbst mit dem Evangelium sich zu tun machen, daß sie es in der Muttersprache lesen…. Aber das ist gegen Gottes Wort, denn Gott befiehlt im allgemeinen jedem Laien, daß er solle die göttlichen Gebote vor sich haben und sie seine Kinder lehren…. Und Gott befiehlt seinen Priestern, das Evangelium jedermann zu predigen, und der Grund ist, daß alle es kennen sollen…. Vom Beginn der Welt an hat man von keiner höheren List des Antichrists gehört … als diese gotteslästerliche Ketzerei ist, daß Laien nicht unmittelbar mit dem Evangelium sich beschäftigen sollten…. Nach 2. Kor. 5 haben dermaleinst alle Christen vor dem Richterstuhl Christi zu stehen und ihm für alle Güter, die er ihnen anvertraut, Rechenschaft zu geben; es ist daher notwendig, daß alle Gläubigen diese Güter und ihren Gebrauch wohl kennen … jeder wird dann in seiner eigenen Person sich verantworten müssen. Da nun Gott beiden, Klerikern wie Laien, die Kenntnis des Glaubens gegeben hat, … so ist klar, daß Gott am Tage des Gerichts eine genaue Rechenschaft von dem Gebrauch dieser Güter, und wie man mit ihnen gewuchert, verlangen wird…. Die Wahrheit des Glaubens ist klarer und richtiger in der Schrift, als die Priester sie auszudrücken wissen, davon zu schweigen, wie (wenn man es sagen darf) so viele Prälaten in der Schrift leider! nur allzu unwissend sind, und andere gewisse Punkte der Schrift, solche z.B. welche auf die Demut und Armut des Klerus sich beziehen, verschweigen. Somit scheint es heilsam, daß die Gläubigen die Schrift in einer Sprache vor sich haben, die sie kennen und verstehen … Christus hat sein Evangelium den Aposteln in jener Sprache mitgeteilt, die ihnen bekannt und gebräuchlich war, denn diese verstanden sie am besten…. Wer kann Christum weniger lieben, wer wird von Gott mehr verflucht, als wer eine solche Bibelübersetzung hindert?

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