Lang, Paul - Predigt am Ostermontag
Von Diakonus Lang in Ludwigsburg.
Ev. Joh. 20, 11-18. (II. Jahrgang.)
Maria aber stund vor dem Grabe und weinte draußen. Als sie nun weinte, guckte sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu den Häupten und den andern zu den Füßen, da sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und dieselbigen sprachen zu ihr: Weib, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich zurück und sieht Jesum stehen, und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Weib, was weinst du? wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: wo hast du ihn hingelegt? so will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm: Rabbuni! das heißt Meister. Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria Magdalena kommt und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und solches hat er zu mir gesagt.
In einen Garten führt uns unser heutiges Evangelium. Wie dereinst in einem Garten, nämlich im Garten Eden, die Unschuld des ersten Menschenpaares verloren gegangen war, so sollte es sich wiederum in einem Garten, nämlich im Garten Josephs von Arimathia, zum ersten Mal zeigen, dass die Schuld des Menschengeschlechts gesühnt, dass Gerechtigkeit und Seligkeit wiedergebracht war durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Vor den Garten Eden war ein Cherub gestellt mit dem bloßen hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baume des Lebens. Im Garten Josephs von Arimathia weilen auch zwei Engelgestalten im leeren Grab des Auferstandenen, der eine zu Häupten, der andere zu Füßen an dem Ort, wo der Leichnam Jesu hingelegt gewesen war. Majestätisch ist auch dieser beiden Engel Gestalt, aber nicht mehr erschreckend, wenigstens nicht mehr erschreckend für die trauernde Maria Magdalena, welche gekommen ist, das Grab zu besuchen. In weißes Gewand, in die Farbe der Unschuld sind sie gekleidet; freundlich und tröstlich klingt die Frage, welche sie an die Trauernde richten: Weib, was weinst du?
Freilich, froh wird Magdalena noch nicht, da sie die Engel sieht, sondern erst, da sie den Herrn sieht, welchen sie anfangs für den Gärtner hält, da sie aus seinem Mund ihren Namen hört und von ihm die Osterbotschaft empfängt, welche sie den anderen Jüngern überbringen soll.
Für den Gärtner hat Maria Magdalena anfänglich den Herrn gehalten. Sie hat sich darin getäuscht, denn ein menschlicher Gärtner ist ja der Auferstandene nicht gewesen. Den Leichnam Jesu hat sie herbeitragen wollen; es war nicht nötig, denn der lebendige Christus stand vor ihr. Und doch hat sie sich hinwiederum nicht getäuscht: Jesus ist ein Gärtner, er ist für Maria Magdalena der himmlische Gärtner, der ihrem Glauben eine feste Stütze gibt, der ihre Liebe in seine zarte Pflege nimmt, der ihrer Hoffnung das rechte himmlische Ziel zeigt. Und Christus bleibt für Maria Magdalena der himmlische Gärtner, auch wenn er nun auffährt zu seinem Vater und zu seinem Gott, auch wenn er den Garten Josephs vertauscht mit dem wahrhaftigen himmlischen Garten.
So lasst uns denn, Geliebte, nach Anleitung unseres Textes betrachten:
Jesum Christum, den himmlischen Gärtner,
I. der die Knospe unseres Glaubens entfaltet,
II. der die Blüte unserer Liebe erschließt,
III. der die Frucht unserer Hoffnung zur Reife bringt.
Lass an dir, gleich den Reben, mich bleiben allezeit,
Und ewig bei dir leben, dort in der Himmelsfreud'.
I. Jesus Christus ist der himmlische Gärtner, der die Knospe unseres Glaubens entfaltet.
Der Glaube hat die Maria Magdalena ans Grab Jesu geführt, wenn es auch noch nicht der fröhlich entfaltete Glaube an den Auferstandenen war; sie kann den Ort nicht vergessen, wo sie am Abend vorher mit den anderen Frauen zugesehen hatte, wie der Gekreuzigte in den stillen Schoß der Erde gebettet worden war. Auch für uns, Geliebte, wenn wir ein liebes Grab besuchen oder pflegen, soll der Glaube der Geleitsmann zum Grabe sein. Ohne solchen Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen hat ein Gang zu einem Grabe keinen Wert. Wie bald ist ohne solchen Glauben ein Grab vergessen! Ohne den Glauben ist das Kreuz, das auf einem Grabe steht, doch nur ein totes Erinnerungszeichen; für den Glauben dagegen ist es ein lebendiges Denkmal; denn unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Der Glaube hat die Maria Magdalena am Grabe Jesu festgehalten. Kein Mensch war weit und breit zu sehen; den Frauen, mit denen Maria Magdalena ihren Gang angetreten hatte, war sie, wie es scheint, weit vorausgeeilt. Den Auferstandenen, der als wahrer Gott und wahrer Mensch aus dem Grabe hervorgegangen war, sah sie noch nicht. Die Hüter, die Pilatus an das Grab gestellt hatte, waren aus Furcht vor den Engelerscheinungen geflohen. Aber Magdalena erschrickt nicht vor den beiden weißgekleideten Gestalten: das macht ihr Glaube, der nun schon stärker und zuversichtlicher ist als der, den sie mitgebracht hat. So soll auch uns der Glaube, und der Glaube allein, wenn wir an einem Grabe stehen, über die Schrecken des Todes und des Grabes hinwegheben. Im Glauben wollen wir wie Magdalena mit Tränen säen, damit wir wie sie, mit Freuden ernten können. Im Glauben wollen wir wie sie, in das Dunkel des Grabes hinab schauen, damit wir alsdann unseren Blick erheben können zu den Bergen, von welchen uns Hilfe kommt.
Der Glaube hat aber das trauernde Weib auch zum Schauen geführt, zum Schauen Jesu. Zunächst freilich muss sie den Engeln auf ihre Frage: Weib, was weinst du? die Antwort geben: Sie haben mir meinen Herrn genommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Aber klingt nicht auch durch diese wehmütigen Worte der Glaube hindurch, dass Jesus Christus, der himmlische Gärtner, für sie noch zu finden ist? Und wir, Geliebte, die wir nicht auf das Sichtbare sehen, sondern auf das Unsichtbare, wir fragen nicht mehr, wo sie unseren Herrn hingelegt haben, sondern wir glauben, dass Gott ihn gesetzt hat zu seiner Rechten. Wir klagen nicht mehr: Sie haben mir meinen Herrn genommen, sondern wir glauben, dass weder Tod noch Leben uns kann scheiden von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu unserem Herrn.
II. Jesus Christus ist der himmlische Gärtner, der die Blüte unserer Liebe erschließt.
Wie stark die Liebe der Magdalena zu ihrem Herrn war, sieht man aus den Worten, die sie an den vermeintlichen menschlichen Gärtner richtet. Um die Engel bekümmert sie sich weiter nicht, sie fragt wiederum nach Jesu, und nach Jesu allein, indem sie spricht: Herr hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt? So will ich ihn holen. Mit ihrer schwachen Kraft getraut sie sich, den Leichnam Jesu in das Felsengrab zurückzubringen. Geliebte, wenn die Knospe unseres Glaubens entfaltet ist, so will Jesus, der himmlische Gärtner auch die Blüte unserer Liebe erschließen. Und unser Glaube, wofern er rechter Art ist, muss sich durch die Liebe, durch Werke der Liebe tätig erweisen. In der Liebe dürfen und sollen wir unserer schwachen Kraft etwas zutrauen; wir werden erfahren, dass des Herrn Kraft in den Schwachen mächtig ist, und dass der, der dem Tode die Macht genommen hat, alle Dinge trägt mit dem kräftigen Wort seines Mundes. Wir werden der Wahrheit seiner Verheißungen inne werden: Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden, und: Wer da sucht, der findet. Wie innig die Liebe der Maria Magdalena zu ihrem Heiland ist, sehen wir daraus, dass sie den Herrn an einem einzigen Worte erkennt. Nur ein Wort spricht Jesus zu dem trauernden Weibe; er nennt sie bei ihrem Namen. Es ist der alte Name, den sie schon so manchmal aus seinem Munde gehört hat. Sie, die Gläubige des Neuen Bundes bekommt nicht, wie wir es bei manchen Frommen des Alten Bundes sehen, an diesem bedeutsamen Wendepunkt ihres Lebens einen neuen Namen. Und doch, wie eigentümlich neu, wie herzdurchdringend muss dieser alte Name aus dem Munde des Auferstandenen geklungen haben, da sie nun mit einem Mal weiß: Es ist der Herr. Geliebte, hier ist das Wort Jesu erfüllt: Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen!
Wie zart und selbstlos endlich bei aller Stärke und Innigkeit die Liebe der Maria ist, sehen wir aus dem einen Wort, mit dem sie das eine Wort Jesu erwidert, aus dem Namen Rabbuni, das ist verdolmetscht: Unser Meister. Bei all ihrer Herzensfreude denkt sie nicht nur an sich, sondern an alle die Brüder, für die Jesus der eine Meister ist. Wie schön verschmilzt bei Maria mit der Liebe zu dem Wiedergefundenen die Ehrfurcht, in der sie zu Christo aufblickt, indem sie ihn „Unser Meister“ nennt. Er ist der Meister, der in allem, was er seinen Getreuen von seinem Leiden und von seiner Auferstehung gesagt hat, als ein wahrhaftiger und treuer Zeuge erfunden worden ist, der die Hoffnung der Seinigen nicht zu Schanden werden lässt.
III. Jesus Christus ist der himmlische Gärtner, der die Frucht unserer Hoffnung zur Reife bringt.
Die Hoffnung, welche Maria Magdalena, wie die meisten anderen Jünger, wenn auch in aller Stille, wie ein glimmendes Fünklein in sich gehegt hat, dass nämlich Gott seinen Heiligen nicht im Tode lassen werde, ist erfüllt, ist überschwänglich erfüllt, indem sie den Auferstandenen leibhaftig vor sich stehen sieht. Doch haftet ihrer Hoffnung noch ein gewisses unreifes Wesen an, sie scheint gegen den Auferstandenen die Arme ausgebreitet zu haben, wie wenn sie ihn für immer auf dieser Erde zurückhalten wollte, denn so haben wir wahrscheinlich die merkwürdigen Worte Jesu zu verstehen: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu dem Vater. Er will wohl zu ihr sagen: Du brauchst mich nicht zurückzuhalten, denn ich bin ja noch bei euch und werde vor der Himmelfahrt noch manchmal sichtbar unter euch erscheinen. Du hast eine andere Aufgabe, als die, mich zurückzuhalten, gehe hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Du sollst die erste Verkündigerin der Auferstehungsbotschaft werden. So bringt der Herr die Frucht der Hoffnung bei Maria Magdalena zur Reife, so gibt er ihrer Hoffnung die rechte Richtung und weist ihr das wahre Ziel an, sie soll über diese Erde hinaus in den Himmel hineinwachsen. Maria hat an ihre Brüder gedacht, indem sie Jesum Rabbuni oder unser Meister nannte, nun nennt Jesus, was er zuvor nie getan hatte, die Jünger seine Brüder. Hier, und erst hier, wird es deutlich und offenbar, er schämt sich nicht, uns seine Brüder zu heißen. Doch macht er noch einen Unterschied, indem er von seinen Brüdern redet, zwischen seinem Vater und ihrem Vater, zwischen seinem Gott und ihrem Gott. Dies deswegen, weil er, wie Sankt Paulus schreibt, der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist.
Dass aber die Hoffnung der Maria hiermit zur Reife gebracht ist, das sehen wir aus dem Glaubensgehorsam, den sie dem Herrn leistete. Obwohl es ohne Zweifel nach ihrem Sinn gewesen wäre, noch länger bei dem Auferstandenen, den sie wieder gefunden, im Garten zu verweilen, geht sie doch, dem Gebote Jesu gehorsam, hin und verkündigt die Botschaft von der Auferstehung Jesu den Jüngern. Gleich wie die Jünger das tiefe Leid des Karfreitags, die scheinbare Vernichtung aller ihrer Hoffnungen mit ihr getragen haben, so sollen sie auch die hohe Freude des Osterfestes, die überschwängliche Erfüllung all ihrer Hoffnungen mit ihr teilen.
Was verkündigt sie aber den Jüngern? Ich habe den Herrn gesehen und solches hat er zu mir gesagt. Kein anderes Pfand für die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu hat sie den Jüngern zu bieten und aufzuweisen, als seine Worte, die Geist und Leben sind. Kein anderes Pfand haben auch wir, die wir die Auferstehung Jesu Christi verkündigen, euch aufzuweisen, als das Wort dessen, in welchem alle Gottesverheißungen und alle Christenhoffnungen Ja und Amen sind. Mit seinem Wort richtet er, der himmlische Gärtner, das Meiste bei uns aus, indem er uns mit sich ins himmlische Wesen versetzt. Amen.