Spener, Philipp Jakob - Ist die evangelische Kirche Babel und der Austritt aus ihr daher unerlässliche Pflicht? - Vorrede
Von zwei Seiten wird in unsern Tagen der harte Vorwurf unsrer teuren evangelischen Kirche gemacht, sie sei Babel: von den Katholiken und von den Separatisten. Viele werden dadurch geärgert und Manche zum Abfalle von der Wahrheit verleitet, dass schmerzlich ergriffen der besonnene und rechtschaffene Christ fragt, was zu tun sei. Wie überhaupt nun in einem jeden Kampf mutig seinem Feinde der Tapfere in's Auge sehen muss, so wird eben solches heilige Pflicht für den Glaubensmutigen und Getreuen. Dazu gehört aber, dass man sich die Gründe und Ursachen vorhalte, aus welchen Jene ihre Angriffe wider die Kirche hernehmen und in aller Aufrichtigkeit und Einfalt des Geistes sie prüfe und abwäge. Sollten wir's nicht auch tun, um so mehr als jeder evangelische Christ, in dem heißen Kampfe, der zu entbrennen scheint, durch die Jesuiten von der einen und die Separatisten von der andern Seite, sich muss gedrungen fühlen, recht bewusst auf der Seite der Bekenntnistreuen zu stehen? Allein dieser Kampf ist ein alter; Spener hatte ihn schon durchzumachen und seine Erfahrungen und Zeugnisse mit einer Kraft und Klarheit in dem nachfolgenden Büchlein niedergelegt, dass wer nicht mutwillig gegen die Wahrheit sich verblendet, von seinen Irrtümern überzeugt werden muss. Es hatte bei seinem ersten Erscheinen den Titel: „Rechter Gebrauch und Missbrauch der Klagen über den Verfall der Kirche.“ Der teure Gottesmann, dessen Leben Hoßbach uns trefflich beschrieben hat, ward einst zur Anfertigung dieses Werkchens durch den Buchhändler Andreas Luppius veranlasst, der ihm ein Traktätlein über den Separatismus vorlegte, das er gerne durchgesehen und mit einer Vorrede von ihm versehen hätte. „Nachdem ich nun, erzählt Spener in der Einleitung zu seinem eigenen Buche aus Frankfurt am Main vom 5ten September 1684, solches durchgelesen und Nichts in demselben als lauter bewegliche Klagen, so aus den Herzen und Federn gottseliger und unverdächtiger, um die Kirche treuverdienter Theologen geflossen, angetroffen, so hatte ich kein Bedenken, nicht nur die nochmalige Auflage willig zu befördern, sondern auch meinen wenigen Calculum durch eine Präfation1) beizulegen. Ich sah es auch an als einen göttlichen Finger, der mir ohne mein Vorgedenken hiermit meine Gelegenheit anweise, Vieles davon, was ich in meiner Seele lange reiflich überleget und oft wehmütig angesehen, wie die so nötigen als an sich selbst wohlgemeinten Klagen zuweilen übel missbraucht, und unziemliche Folgen zu einigen Ärgernissen daraus gemacht würden, öffentlich vor der evangelischen Kirche auszuschütten und also nicht nur meine Unschuld denjenigen, so mich selbst in solcher Sache in ungleichem Verdacht gehabt, klar vorzustellen, sondern auch zu trachten, ob sowohl denjenigen, die daraus den Klagen selbst zuwider sind, geholfen und zuvor Billigkeit erwiesen; als auch die Skrupel den Seelen benommen werden möchten, welche, da sie Gott herzlich zu dienen verlangen, an mehreren Orten aus Ärgernis der in der äußerlichen Gemeinschaft stehenden Leute auf ein andres Extrem verfallen und sich zu ihrem und Anderer Anstoß von der äußeren Kirche abzusondern, die Resolution nehmen wollen. Welchen sowohl als andern Irrenden nach dem Vermögen, das Gott gibt, mit sanftmütigem Geiste nach Pauli Regel Gal. 6,1. wiederum zu Rechte helfen, die christliche Liebe so viel mehr, als es gemeiniglich Leute sind, in die Gott viel Gutes gelegt, so zu erhalten ist, erfordert, dazu aber, weil dieselbe nicht Eines Ortes, sondern hin und wider sich befinden, nicht wohl anderes bequemes Mittel als einer öffentlichen Schrift gedacht werden konnte.
In solchen Gedanken nach Anrufung Gottes fing ich solche vorgehabte Präfation an; ich merkte aber in dero Fortgang bald, dass die Materie viel zu reich, wo sie zur Erschöpfung der Notdurft traktiert werden sollte, dass ich sie in die Enge meiner Vorrede, welche gegen ein so kleines Traktätlein von einem Paar Bogen eine Proportion2) hätte, schwerlich bringen möchte. Daher ich meine Intention3) wiederum in soweit geändert, dass eine kürzere Vorrede vor jenes verfertiget, aber der Materie, welche noch besser ausführen wollte, Anzeige getan; weswegen ich mich über die Sache nochmals gesetzt und dieselbe gründlich, aber in höchster Einfalt als mir möglich gewesen ist, in der Furcht des Herrn in 3 Kapiteln ausgeführt.“
Meine Veranlassung zur erneuerten Ausgabe seines Buches dürfte eine nicht minder löbliche genannt werden. Wenn ich aber dabei mich gedrungen fühle, das Gewand ein Wenig zu ändern, und den Sätzen, so viel möglich, größere Kürze und mehr Rundung zu geben: so hoffe ich von den billigen Urteilen keinen Tadel einzuernten; denn einige Stellen insonderheit waren in ihrer uralten Form kaum verständlich, wenigstens nicht recht genießbar. Ob mir diese Umwandlung überall gelungen, muss ich freilich dahin gestellt sein lassen, da ich denn doch nicht gar das alte Kleid zerschneiden wollte, noch konnte und überhaupt wünschte, mit leiser Hand, so weit es tunlich, Verbesserungen anzubringen. Und wenn ich einige Anhänge ausließ, welche obrigkeitliche Personen angehen, so muss ich gestehen, dass mich hierbei der Gedanke leitete, es sei vor allem zeitgemäß mit den eigentlichen Bauleuten der Kirche und ihren lebendigen Steinen mich zu beschäftigen; das weltliche Regiment soll seine Durchdringung und Vergeistlichung ja von der Kirche entnehmen.
Tun diese zuerst ihre Schuldigkeit, dann wird auch jenes nicht im christlichen Leben und Walten zurückbleiben! Sollten wir aber von letzterem reden, dann würde es mit Anhängen nicht getan sein, nach den Umgestaltungen der Staatsverhältnisse.
Unser Herr Christus nehme sich seiner Kirche aufs Neue an und gebe ihr Könige zu Säugeammen und treue Knechte zu Hirten und Pflegern! Er lasse sein Wort ertönen mit neuer Kraft des heiligen Geistes und erquicke die dürren Herzen mit himmlischem Gnadenregen; und wahrlich es wird alsdann die neue Verherrlichung der evangelischen Kirche nicht ausbleiben; im Gegenteil sie wird lieblicher noch aus allen Zerwürfnissen hervorgehen und fester gegründet dastehen denn früher. Der Herr erhöre aus Gnaden seiner Gläubigen Seufzen darum in Kürze!
Der Herausgeber.