„Guten Tag, Schwester Mariechen! Sie haben ja bei den Komerzienrats gepflegt, da haben Sie sich doch gewiß recht wohl gefühlt?“ So überfällt die bewegliche runde, rotbäckige, schwarzhaarige Schwester Schnell eine unserer Diakonissen. Wenn sich nun Schwester Mariechen nicht wohlgefühlt hat und sie antwortet ehrlich nein, dann wird Schwester Schnell im besten Fall demnächst bei so und so erzählen, Schwester Mariechen hat sich bei Kommerzienrats nicht wohlgefühlt. Wenn es aber schlimmer geht, wird sie noch mehr fragen, und, wenn Schwester Mariechen nicht sehr klug ist, kommt sie auf dem Glatteis, auf das Schwester Schnell sie unabsichtlich in aller Gutmütigkeit gelockt hat, zu Fall. Sie plaubert etwas aus der Arbeit aus, sie ist schuld daran, daß ein Gerede entsteht, und in Wirklichkeit war es doch nur die gedankenlose Frage von Schwester Schnell.

Dutzende solcher Fragen gibt es: Wie gefällt Euch Euer neuer Prediger? Wie lebt sich die neue Vorprobeschwester im Diakonissenhaus ein? Ist der Stoff gut gewesen, den Sie bei Br. Kaufmann gekauft haben? Sind die Kinder Soundso nicht artige Kinder? Halten Sie das nicht auch für unrecht, daß der das so und so gemacht hat? Wird Schwester Soundso an ihrer Krankheit sterben? Sind Soundso's nicht selbst daran schuld, daß ihre Kinder so schlecht aussehen? Solche Fragen sind die Schlüssel zu soundsoviel Verstimmungen, geschlagenen Gewissen, Schwätzereien, Verlegenheiten. Es sind nur kleine Fragen, aber sie haben oft große Folgen. Darf man nicht von einem erwachsenen Menschen und vollends von einem Kind Gottes erwarten, daß es sich, ehe es eine Frage stellt, einmal überlegt: wie kann die Antwort auf die Frage lauten? Ist es leicht, auf die Frage zu antworten? Ist es angenehm, auf die Frage zu antworten? Ist es freundlich, weise, nötig, daß ich diese Frage stelle?

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1908