Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 3, 21-31. Gott ist gerecht.
Mit einem freudigen „nun aber,“ das unsere Lage gänzlich verändert, richtet Paulus unser Auge empor auf das, was Gott für uns getan hat. Im Menschen ist die Gerechtigkeit nirgends zu finden, und dennoch ist sie uns nicht fern und nicht verborgen, so dass wir fragen müssten: wo findet sich Gerechtigkeit? sondern sie ist offenbar geworden, Vers 21, freilich nicht als des Menschen. Werk, sondern als Gottes Werk. Ob auch der Mensch die Gerechtigkeit nicht hat, Gott hat sie und er hält sie nicht verschlossen in sich selbst, sondern er hat sie vor unser Auge hingestellt in dem, was er in Christo tat, und sie dadurch geoffenbart und verherrlicht, dass er uns Gerechtigkeit gibt als sein Geschenk. Bezeugt haben es auch das Gesetz und die Propheten, dass Gott gerecht sei ohne Fehl und Makel und in der Welt Gerechtigkeit schaffe, so dass durch ihn der Mensch aus seiner Ungerechtigkeit erlöst und in die Gerechtigkeit geleitet werde; nun aber trat zu solchem Zeugnis in Jesu Sendung, Tod und Auferstehung die vollbrachte Tat. Ohne Zutun des Gesetzes ward sie offenbar, nicht dadurch dass Gott fordert, sondern dadurch dass er gibt und schenkt, nicht so dass er uns wirken heißt, sondern so dass er selber für uns wirkt. Sie ist das Werk der Gnade, der frei gebenden Güte, die nicht auf unser Werk wartet und nicht nach unserm Verdienst mit uns rechnet, sondern gibt, weil sie geben will, da wir ihre Gabe bedürfen und ohne sie verloren sind. Weil die Gerechtigkeit uns von der Gnade zugeteilt wird, darum ist sie nicht an das Gesetz gebunden als an ihre Bedingung, sondern über dasselbe emporgestellt und wird uns durch einen höheren Boten offenbar als durch das Gesetz, nämlich durch den Sohn Gottes, welcher in Geist und Kraft aus der Gnade und Fülle Gottes zu schöpfen und uns das einzuhändigen vermag, was Gottes ist.
Gottes Gabe kann aber nicht über und außer mir bleiben, sonst wird sie nicht mein. Es muss einen Punkt geben, wo sie eintritt in mich und wirksam wird in mir, sonst bekomme ich sie nicht. Was mich nicht berührt, das habe und besitze ich nicht. Ich muss an ihr inwendig beteiligt werden und es fragt sich deshalb: wo tritt Gottes Gabe in mein eignes Erleben und Verhalten ein? wie werde ich in die Gerechtigkeit, die er mir bereitet hat, eingeführt? Die Antwort lautet: durch Glauben an Jesus, Vers 22. Nachdem Gott für uns gehandelt hat, kann das Verhalten, auf das wir gewiesen sind, nichts anderes sein, als dass wir dem Willen und Werk der Gnade in Christo zustimmen und es für uns gelten lassen und auf ihn unser Vertrauen stellen als auf den, in welchem uns die Gerechtigkeit und alle Güter Gottes bereitet sind. Geben wir unser Ja und Amen zu dem, was Christus für uns ist und tut, so ist seine Gabe eben dadurch übergegangen in unsern Besitz und die Gerechtigkeit ist unser Eigentum.
Hier zeigt sich, wie Glaube entsteht. Schaue die Gabe Gottes an, dann siehst du, dass du glauben darfst, glauben sollst. Es kann nimmermehr auf andre Weise Glaube in uns entstehen, gleichviel ob es sich um seinen ersten Anfang oder um seine immer neue Begründung im fortschreitenden Christenleben handelt. So lange unser Blick auf uns selbst gerichtet ist, in Selbstgenügsamkeit oder in Selbstanklage, und wir uns mit uns selbst beschäftigen, mit unsrer Tugend und unserm Glück oder mit unsrer Sünde und unserm Elend, hat der Glaube keinen Raum in uns. Alles was Paulus bisher geschrieben hat, ist dazu geschrieben, um uns zu bewegen, dass wir unsern Blick abziehen von uns selbst und zu dem aufschauen, von dem uns die Hilfe kommt. Wir müssen den Helfer finden, damit finden wir Glauben; es gilt die Gabe wahrzunehmen, die uns gegeben ist, daraus erwächst die Zuversicht. Willst du wissen, was der Glaube wirkt, so erkenne, was Christus wirkt. Dein Glaube ist gerade so viel wert, als Christus wert ist, nicht mehr, denn er vermag durch sich selber nichts; nicht weniger, denn Christus beschämt kein Vertrauen, das sich zu ihm kehrt. Der Glaube hat es, das heißt: Christus wirkt es; Christus wirkt es, das heißt: der Glaube hat es. Der Glaube wird uns zur Gerechtigkeit, das will sagen: Christus hat uns die Gerechtigkeit gebracht.
Um uns die Gerechtigkeit zu zeigen, die Gott gibt, erläutert Paulus Jesu Werk: Gott hat Jesum als Gnadenthron hervorgestellt, Vers 25. Das Allerheiligste bietet ihm das Bild und Gleichnis, durch welches er uns die Stellung Christi anschaulich macht. Dort stand die Lade mit den Cherubim, das Abbild des göttlichen Throns, als das Zeichen und Pfand der Gegenwart Gottes, und zwar einer Gegenwart, in welcher der Sünder leben darf, weil sie seine Sünde durch Gnade bedeckt. Was dort verhüllt war im Dunkeln, das hat Gott hier in Christo offen hingestellt vor den Augen aller Welt, und was dort nur Bild war, ist hier die lebende, wirkende Person, die alle Kräfte Gottes in sich trägt, um das ins Leben zu führen und auszugestalten, was dort Verheißung und Abschattung blieb. Es ist das Mittlerwerk Christi zwischen Gott und den Menschen, welches der Apostel mit dieser Vergleichung bezeugt. Er zeigt uns Jesus als den Ort, an dem sich Gott uns Sündern zugänglich macht und uns sich öffnet, indem er Bund und Gemeinschaft stiftet zwischen sich und uns, damit wir teilnehmen an dem, was er ist und hat, dass sein Geist, sein Licht, sein Leben, seine Liebe - in uns sei.
Paulus hebt weiter die Art und Weise hervor, wie Gott Jesum als Gnadenthron in die Menschheit hineingesetzt hat: durch Glauben in seinem Blute. Christus wird mir zum Gnadenthron, bei dem ich Gott mit allen seinen Gütern finde, dadurch, dass ich ihm glaube. Sowie ich mich glaubend an ihn wende, finde ich in ihm meine Scheidung von Gott aufgehoben, meine Sünde bedeckt, Gottes Angesicht mir zugewandt in Erbarmung und Freundlichkeit, die Fülle seiner Gaben mir geöffnet, das Reich Gottes mir aufgetan. Ich muss mir nicht erst Vergebung meiner Sünden erwirken, muss Gott nicht erst mir gnädig machen, muss nicht erst versuchen, ob ich es dahin bringe, dass er mir sein Reich und Leben gibt. Das alles ist in Christo für mich bereitet und hergestellt durch Gott selbst, in einer fertigen vollbrachten Gottestat und wird deshalb durch Glauben mein.
Und zwar hat Gott Jesum als Gnadenthron hingestellt in seinem Blute. Er schonte seiner nicht, sondern führte ihn den Todesweg und hieß ihn sein Leben opfern und sein Blut dargeben, und in seiner Todesgestalt als den, welcher sein Blut vergossen hat, bietet ihn Gott uns Menschen zum Heiland dar. Er durfte uns nicht nur mit einem Wort der Macht unsrer Sünde entledigen und nicht aus seiner Herrlichkeit heraus uns aus der Gewalt des Todes erhöhen. Es musste in ihm zu einer Erlösung für uns kommen, Vers 24, durch welche er uns in eigner Tat mit dem Opfer seiner selbst aus der Gefangenschaft losgekauft hat, in welche uns unsre Sünde versetzt hat und über der Gottes Recht und Gericht die Wache hielt. Weil er sich uns verbunden hat in herzlichem Erbarmen und nach uns verlangte, um uns zu beseligen, darum hieß ihn Gott auch den Zorn tragen, der auf uns liegt, und sich unter das Urteil beugen, das wider uns steht. Er musste den Sold, mit dem uns die Sünde lohnt, mitleiden und die tödliche Frucht unsers Falls mit uns kosten. So wurde sein Blut der Preis, mit dem er uns für sich erkauft. Das war der Weg, den die Gnade sich gebahnt hat, hin zu uns, das der Schlüssel, mit dem sie ihre Schätze uns geöffnet hat.
Damit ist offenbar geworden, in welcher Höhe und Tiefe der Vollkommenheit es gilt: Gott ist gerecht. Alles was Gottes Zorn an Widerwille und Widerstand gegen unsere Ungerechtigkeit in sich hat, ist auch in Jesu Kreuz wirksam. Hier wird die Bosheit nicht gelobt und geliebt, sondern in ihrer Todeswürdigkeit hervorgestellt und gerichtet, dadurch, dass sie dem den Tod brachte, der uns die Hilfe bringt. Aber auch alles, was die Geduld und Erbarmung Gottes in sich schließt, erscheint hier in höchster Kraft. Die Sünde wird nicht so gerichtet, dass der Sünder darob verdürbe, sondern er erhält Vergebung, Erlösung, Einführung in die Gerechtigkeit. Darum ist hier mehr als Zorn, der den Sünder verfolgt und seine Bosheit ihm zum Verderben macht, und auch mehr als Geduld, wie sie Gott von jeher auch in den früheren Zeiten den Sündern erwies, welche dieselben schont, ihre Bosheit übersieht und deren Ahndung hinausschiebt. Hier erscheint Gottes ganze Vollkommenheit, und Zorn und Geduld sind in ein Werk zusammengefasst und Gericht und Erbarmung miteinander in Tätigkeit gesetzt. Hier waltet das Recht so, dass es dem Begehren der Gnade dient, und die Gnade so, dass sie das Recht zum Siege bringt, und die ganze Fülle der göttlichen Gerechtigkeit wird offenbar.
Und was wird uns Menschen durch Jesu Tod zu teil? Wir sind gerechtfertigt, Vers 24. 26. Indem Gott in Jesu Tod seine Gerechtigkeit offenbart, stellt er sein Urteil und Recht über uns fest, und was ist hiervon für uns das Resultat? Sind wir verurteilt, verdammt, unter den Fluch gestellt, wie Kain unstet und flüchtig weggetrieben von Gott in die Finsternis hinaus? Oder wird uns zwar verziehen, doch so, dass Gott uns seine Gaben entzöge, sein Haus verschlösse, und wir beschämt und traurig in der Ferne stehen müssten? Nein! unsre Sünde ist uns völlig vergeben und Gottes ganzes Wohlgefallen ist uns zugewandt. Der Gerichtsthron ward für uns zum Gnadenthron. Wir sind von ihm herzu gerufen, gesucht, zum Glauben aufgerichtet, in seine Gemeinschaft gezogen und ihm verbunden, und dies darum, weil Jesus für uns starb.
Jesus hat nach des Vaters Wille das Rätsel gelöst, wie zugleich Gottes Recht in Kraft und der Sünder am Leben bleiben könnten, und die Lösung lautet in göttlicher Einfachheit: auferstehen! sterben zuerst um der Sünde willen, damit die Sünde gerichtet sei, aber auferstehen um der Gnade willen, damit wir Sünder leben durch ihn. Darum ging Jesus mit uns und für uns den Todesweg, und ward nicht anders als in seinem Blute unser Gnadenthron. Er heiligte Gottes Recht an sich selbst bis in den. Tod und auf diesem gerechten Grunde erbaut er die Gnade für uns. So verschafft uns Gott eine volle ganze Rechtfertigung. Aller Zwiespalt, den Gottes Recht und Gesetz zwischen uns und Gott aufrichtet, ist beseitigt und abgetan. Um deswillen, was Christus für uns tat, weil er für uns starb, steht Gottes Urteil nicht gegen uns, sondern für uns; er erkennt uns Gerechtigkeit zu, erklärt uns für gerecht und behandelt uns darum auch als die Gerechten, indem er uns alles gewährt und gibt, was irgend ein Gerechter empfangen kann.
Wie ganz anders steht nun der Glaubende vor Gott, als der, der mit dem Gesetz nach der Gerechtigkeit jagt.
Dieser will zuerst durch sich selbst die Gerechtigkeit herstellen und dann erst vor Gott treten in der Erwartung, dass nun auch Gott gerecht handle und des Menschen Gerechtigkeit anerkenne, lohne und fröne in seiner Gerechtigkeit. Da geht der Mensch auf dem Wege der Gerechtigkeit voran und Gott folgt nach. So gelange ich nur in die Ungerechtigkeit; meine eigne Gerechtigkeit ist Einbildung und Gottes Gerechtigkeit leugne und bezweifle ich. Bald begehre ich in aufgeblasener Eitelkeit ungerechte Gunst von Gott, bald klage ich ihn ungerechter Missgunst und Härte an, wenn er mich demütigt. Der Glaubende dagegen achtet sich selbst als der Gerechtigkeit fern, aber er sieht und anerkennt im Blick auf Jesu Tod, wie wunderbar gerecht Gott ist, wie Gott durch Christi Tod die Erweisung seiner Gnade zur Offenbarung seiner Gerechtigkeit gemacht hat und dadurch uns Rechtfertigung darbietet ohne unser Verdienst und ohne unser Werk als seine Gabe. Und indem er glaubt, fällt ihm die Rechtfertigung zu als sein Besitz, und aus der göttlichen Gerechtigkeit erwächst ihm als deren Frucht und Folge selber die Gerechtigkeit. Nun gehet Gott auf dem Wege der Gerechtigkeit voran und hebt auch den Menschen mit sich zu ihr empor. Das ist der wunderbare Ausgang, bei dem Jesu Mittlertod endigt: die Erweisung der Gerechtigkeit Gottes wird uns zur Rechtfertigung, nicht zur Verurteilung; Gott steht da als gerecht und wir stehen auch da als gerecht um deswillen, was Christus tat.
Man hat gefragt, ob unsre Rechtfertigung ein Erlebnis in uns oder ein Vorgang außer uns sei. Gott allein kann rechtfertigen, denn die Rechtfertigung ist wie die Verurteilung des Richters Urteil und Werk. Nun lässt Gott seinen Spruch nicht ruhen in der stillen Heimlichkeit seines Herzens; er wird auch nicht nur im Himmel laut. Was er bei sich für uns feststellte, wurde Tat in der Dahingabe seines Sohns, im Opfer Jesu. Das ist das Werk Gottes, in welchem für uns alle die Rechtfertigung enthalten ist und aus dem Werk Gottes nehmen wir sie in unser Herz hinein, dadurch dass wir glauben. Nichts anderes, als unser Glaube ist das Inwendige in uns, was unsrer Rechtfertigung entspricht und zu ihr gehört.
Erneuert und verändert die Rechtfertigung den Menschen innerlich oder nicht? Gewiss schafft sie ein Neues in uns, dadurch, dass sie uns in den Glauben stellt. Sie reicht uns die Hilfe dar, nach welcher der Einblick in unser sündiges Wesen uns verlangen ließ, und stillt den Zwiespalt, der in uns ist. Wie sollten wir dem Recht Gottes noch widersprechen, da uns über unsrer Verurteilung Rechtfertigung und über dem Tode das Leben sichtbar ward? Im Glauben an den, der für uns starb, können auch wir uns mit Gottes Recht herzlich einigen. Allein nicht das Neue, was in uns selbst im Glauben entsteht, bewegt Gott zu unsrer Rechtfertigung, sondern bewegt ist Gott allein durch sich selbst, durch seine Gnade, die in ihrem eignen Triebe zu uns Sündern niedersteigt, und der Glaube ist die Wirkung, welche Gott durch die Darbietung der Gerechtigkeit in Jesu Tod bei uns sucht und schafft. Wenn sie diese Folge und Wirkung in uns nicht findet, dann ist freilich Christus vergeblich für uns gestorben, dann stehen wir nicht in der Gerechtigkeit, sondern in der Ungerechtigkeit drin, dann sind uns auch die Folgen derselben nicht abgenommen, sondern wir empfangen der Sünde Sold. Insofern ist der Glaube die Bedingung unsrer Rechtfertigung, da er die Vermittlung ist, durch welche sie in unsern Besitz übergeht, das wodurch die Gerechtigkeit zu allen kommt, Vers 22. Aber diese vermittelnde und bedingende Bedeutung hat der Glaube nicht darum, weil er eine Leistung wäre oder ein Verdienst, sondern nur darum, weil wir in ihm die Gabe Gottes nehmen und empfangen.
Wie kann Gott uns Sünder rechtfertigen, ohne dass sein Urteil in Unwahrheit zerfällt? Allerdings ist der Glaube durch und durch ein gerechtes Verhalten und der Unglaube ist Bosheit und Schuld. Es ist gerecht, dass der Mensch sich selbst als ungerecht verwirft und sein Vertrauen von sich selbst abzieht, dagegen Gottes Gerechtigkeit preist und Christo dankt und sein Vertrauen auf ihn stellt. Doch das ist kein Werk und nicht Erfüllung des Gesetzes. Damit lassen wir einfach die Wahrheit gelten, wie sie vor uns steht, und nehmen die Gabe, die uns gegeben ist. Darum bleibt es dabei, dass Gott in uns, den Glaubenden, Sünder gerecht gesprochen hat, und die Wahrheit dieses göttlichen Urteils steht darin, dass der schaffende und gebende Gott also geurteilt hat, der sich nicht damit begnügt, den Menschen zu beobachten und zu beurteilen und ihn sich selbst zu überlassen, sondern ausführt, was er spricht, und vollendet, was er begründet hat. Heißt er uns gerecht, so tut er es in einer Gnade, welche uns wesenhaft in alle Gerechtigkeit hineinstellen kann und wird, und hierzu in Christo die Wege und Mittel bereits bewirkt und bereitet hat. Dass uns nun Gottes Urteil mehr gilt, als was wir in und durch uns selber sind, und für uns maßgebende und entscheidende Bedeutung hat, das eben ist die Glaubenstat.
So hört im Glauben das Rühmen auf, Vers 27. Als wir uns unter das Gesetz Gottes beugten, da verstummte unser Mund; nun aber dürfen wir sprechen: wir sind gerecht! Doch ein Rühmen unsrer selbst ist das nicht, und damit setzt sich jenes Schweigen und Verstummen auch im Dank und Frohlocken unsers Glaubens fort: Selbstruhm hat dabei keinen Platz. Oder wollten wir mit unserm Glauben uns selber zieren, als mit einem Verdienst? Es geschieht oft genug, aber es ist ein tiefer Fall. Wenn ich weiß, dass ich von der Gnade lebe und dass mein Besitz die Gaben freier Güte sind, soll ich nun die Gaben auf meine Verherrlichung ziehen und die Gnade dazu missbrauchen, um mich selbst zu erhöhen und nicht den, durch den ich alles habe, was mein eigen ist? So schlüge mein Glaube ja in Undank um und er wäre in seiner Wurzel zerstört. Dann würde sich mein Blick wieder zu mir selber kehren und in mir meine Größe, Kraft und Gerechtigkeit suchen, und ich würde an meinen Glauben glauben und nicht an Jesus. Ein solcher Glaube wäre nichts. Der Glaube besteht darin, dass wir wegsehen von glauben, uns selbst und mit allen Kräften unsers Wesens nach dem greifen, was Christus uns erworben hat, und darum hört mit ihm das Rühmen auf.
Der Apostel empfindet es als eine große Wohltat, dass auf diese Weise die hochmütige Blähung der Menschen, ihr Spreizen und Großtun mit sich selbst, beseitigt ist. Das brachte das Gesetz der Werke nicht zustande, so ernstlich es uns verurteilte und schweigen hieß. Solange wir jedoch nur die Verurteilung vor uns haben, geben wir den Selbstruhm nicht auf, so unwahr er ist. Wir wollen Ruhm, Jubel, Erhebung und Würde haben; wir fliehen die Leere und Öde jenes Schweigens, das uns selbst vernichtete, und wehren uns eben deshalb gegen das Gesetz. Aber, nun da uns die Gabe Gottes gezeigt ist, nun können wir schweigen von uns selbst, denn der Mund ist uns gefüllt mit einem andern Ruhm, und das Herz gesättigt mit einer andern Freude, mit dem Ruhm dessen, der uns geliebt und in die Gerechtigkeit erhöht hat. Wir erheben den, der uns erhoben hat, und erheben darum nicht mehr uns selbst. So ist das Gesetz des Glaubens dasjenige, das wahrhaft demütig macht. Von einem Gesetz des Glaubens spricht der Apostel darum, weil auch in Christo eine feste, unzerbrechliche, göttliche Ordnung zum Vorschein kommt, ein Gesetz Gottes, das unsre Stellung vor ihm regelt und gestaltet. Dasselbe ist das Gesetz des Glaubens, da Gott in Christo Glaube und nichts als Glaube von uns begehrt. Und diese Gnade, die von uns kein Werk begehrt, sondern unserm Glauben ihr Werk schenkt, sie beugt; an ihr erstirbt die Eitelkeit und unser leerer, lügenhafter Ruhm ist endlich aus.
Gottes Rechtfertigung wendet sich an alle. Sind wir alle als Sünder einander gleich, so sind wir auch in den Augen der Gnade einander gleich, und darin kommt die Einheit Gottes zur Offenbarung, der der eine und selbe für alle ist, Vers 29 und 30. Wäre die Gerechtigkeit an Bedingungen gebunden, so wäre Gott nur denen zugänglich und nur für die da, welche dieselben erfüllen können; wäre das Gesetz der Weg in die Gerechtigkeit, so hätte nur der Jude teil an Gott. Aber im Glauben da gilt in der Tat: hier ist weder Mann noch Weib, weder Grieche noch Jude, weder Knecht noch Freier. Das können wir alle, da fasst uns Gott in der Wurzel unsers Wesens, wie sie in uns allen ist. So offenbart er sich, indem er uns durch Glauben zu sich ruft, als unser aller Gott.
Und was ist nun schließlich das Resultat aus dieser göttlichen Gerechtigkeit für das Gesetz? Ist es vernichtet und zerstört? Nein, aufgerichtet! Sein Urteil wider die Sünde ist als gültig anerkannt und zur Tat geworden, da Jesus ihm nicht widersprochen, sondern es an sich selbst getragen und besiegelt hat mit seinem Blut. Und das Gute, das es fordert, ist ins Leben getreten, da die Gnade, deren Diener Jesus ist, es herstellt und schafft. Jesus bleibt mit dem Gesetze Gottes völlig eins; in ihm ward es Fleisch; in ihm kommt es zu Kraft und Leben, und so steht es aufgerichtet da, nunmehr freilich nicht mehr als Gesetz für die, welche glauben, sondern an seine Stelle tritt Christi Leben und Wirken in der Welt, aber Christi Wirken hat Gottes Gesetz voll in sich und führt es seiner Erfüllung zu.
So hat sich die Armut, in die uns Paulus in den ersten Kapiteln hinabführte, in Reichtum verwandelt. Wir beugten uns unter die Verurteilung des Gesetzes, und die Verurteilung ward uns zur Rechtfertigung. Wir gaben uns selber preis, als dem Recht Gottes verfallen, und finden uns wider als die Empfänger einer Gnade, die uns Gerechtigkeit verleiht. Wir verzichteten auf das Gesetz, weil wir es nicht erfüllen konnten, und es steht in Christo vor uns erfüllt und ins Leben gesetzt. Wir gaben unsere Werke hin und wandten uns dem Glauben zu; wir werden auch das Wirken wiederfinden, einen Dienst für Gott, der Leib und Leben ihm dargibt, als Waffe der Gerechtigkeit.