Schlatter, Adolf - Galaterbrief
Kap. 2
Welcherlei die gewesen sind, die das Ansehen haben, daran liegt mir nichts. Denn Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht. Galater 2,6
Die Apostel waren beisammen, fassten Entschlüsse, gaben Entscheidung und schufen für die Kirche gültiges Recht. Weil sie dass taten, sagte Paulus so laut, als er konnte: an ihnen liegt nichts; denn es gibt bei Gott keine Parteilichkeit, keine Gunst, mit der er diesen oder jenen Menschen bevorzugte. Aber es gibt doch zwischen uns offenkundig große Unterschiede in unserer Begabung. Petrus und Johannes hatten, weil sie von Jesus zu seinen Jüngern erwählt waren und die Zeugen seines Wandels geworden sind, unvergängliche und unvergleichliche Wichtigkeit, die sie zu Lehrern und Führern für die ganze Kirche zu allen Zeiten macht. Ebenso war Paulus ein Wunderwerk Gottes und mit einer Fülle von Gnade beschenkt, die ihn über alle erhob. Aber die Bedeutung, die sie haben, rührt daher, dass Gott sie in seinem Dienst gebraucht und dazu sie mit seinen Gaben beschenkt. Verkünden sie die Wahrheit, so ist es Gottes Wahrheit; bringen sie Gnade, so ist es Gottes Gnade, und daraus folgt niemals, dass Gott alles allein durch sie ausrichte und sich nicht nach seiner freien Wahl auch andere Werkzeuge bereite. Unsere Verbundenheit mit Gott und unsere Verschiedenheit von Gott ergibt zusammen das Merkmal unseres Christenstandes. Es ist wahr, dass der Mensch mit Gott verbunden wird; denn Gott spricht und wirkt durch ihn und legt auf ihn die Ehre, ihm dienen zu dürfen. Es bleibt aber ebenso wahr, dass der Mensch, mag er auch so hoch wie Petrus und Paulus begnadet sein, von Gott verschieden bleibt. Denn alles, was er weiß und tut, stammt nicht von ihm, sondern ist Gottes Eigentum. Wenn wir dies vergäßen, so legten wir die Ehre, die Gott dem Menschen gibt, auf den Menschen hinüber und setzten ihn an Gottes Statt. Somit macht mich der Christenstand von allen Menschen frei. Er gibt mir den eigenen Zugang zu Gott und macht, dass ich keinen menschlichen Mittler mit Gott suchen darf, weil Gottes Wahrheit auch zu mir spricht und seine Gnade auch mir scheint, und zugleich macht mich der Christenstand nicht einsam, macht mir die anderen nicht gleichgültig und versenkt mich nicht in mich selbst, weil ich nicht der Günstling Gottes bin, als ob er seine Gnade an mich verschenkt hätte. Er gibt sie auch den anderen und durch sie kommt sie auch zu mir.
DU stellst uns, Vater, in Deine Gemeinde, führst uns zu den Brüdern und gibst uns teil an dem, was Du ihnen gibst, und bist auch für mich der Gegenwärtige, so dass ich beten, glauben und meinen Weg an Deiner Hand gehen darf. Durch die Gnade, die Du allen gibst, stehe ich vor Dir, durch das Licht, das allen scheint, wandle ich vor Dir. Du bist die Sonne für jedes Auge, der Versöhner für jede Schuld, der Vollender für jedes Leben. Erhalte mich in der Gemeinschaft mit den Deinen, mit allen, die Dich lieb haben. Amen.
Ich lebe aber; doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben.
Galater 2,20
Paulus hat beides von sich ausgesagt, dass er gestorben sei und dass er lebe. Gestorben ist er durch das Gesetz, an dem er sich versündigt hat, und durch das Kreuz Jesu, das Jesus für ihn, den Sünder, gelitten hat. Die richtende Macht des Gesetzes hat Paulus aber so erfahren, dass er dadurch zum leben kam. Den Grund seines Lebens findet er darin, dass Christus lebt. Paulus leitet sein Leben nicht von dem ab, was er selber, der Tote, ist und tut. Er weiß aber, dass Christus nicht bloß für seine eigene Person zur Herrlichkeit des Lebens gelangt ist, sondern auch aus uns ein Geschöpf zum Zeugnis seines Lebens macht. Wie kann das sein, da Jesus bei Gott ist und Gottes Gestalt und Herrlichkeit hat, wir dagegen in der Natur stehen und die Gestalt haben, die die Natur uns gibt? Wir sind deshalb Fleisch, sterbendes Fleisch. Wie kann nun das Leben Jesu in mir wirksam sein? Freilich, sagt Paulus, lebe ich im Fleisch; aber das trennt mich von Christus nicht. Denn es gibt ein Band, das mich, der ich im Fleisch lebe, mit Jesus verbindet und sein leben in mir wirksam macht. Das ist der Glaube. Durch den Glauben weiß ich, trotz meiner irdischen Art, dass Er in mir lebt. Denn ich habe meinen Glauben von Ihm empfangen, und was von ihm kommt, ist Leben. Habe ich aber Grund für meinen Glauben? Der Glaube, sagt Paulus, hat seinen Grund in der Liebe Jesu, in der durch den Tod bewährten Liebe des Sohnes Gottes. Darauf lässt sich bauen mit festem Glauben, der sich auf Ihn verlässt. Das Leben Jesu, sagt Paulus, sehe ich freilich jetzt noch nicht; ich sehe aber seine Liebe; denn Er hat sich für mich dahingegeben, und darum glaube ich.
Heiliger Gott! Was Du in mir tötest, das muss sterben, weil es mir das Leben nimmt. Du gibst unser menschliches Wesen in den Tod, weil Du uns das Leben bereitet hast. An Dir, Herr Christus, sehe ich, wie aus dem Tod das Leben wird; ich sehe es nicht an mir selbst. Du aber ziehst uns empor zu Dir, hebst uns über alles hinauf, was wir in uns selber finden, und sagst zu uns: seht mich an, glaubt mir; ich bin der für euch Gestorbene und für euch Lebendige. Darum darf ich bitten: Gib mir Teil an Deines Todes Kraft und an Deines Lebens Macht. Amen.
Kap. 4
Meine lieben Kinder, welche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis dass Christus in euch Gestalt gewinne. Galater 4,19
Wir Menschen können nicht miteinander verkehren, ohne dass wir uns aneinander anpassen und das Bild des einen dank des anderen ähnlich wird. Das macht unseren Verkehr miteinander gefährlich, so dass er uns oft schweren Schaden zufügt. Darum will ich auf Paulus achten. Er hat zwischen sich und den Galatern die innigste Berührung hergestellt. Aus seinem Herzen heraus strömt sein Wort, damit es auch ihnen in ihr Herz hineingehe. Sein Brief war die Frucht angestrengter Arbeit und ein heißes Ringen um die Einigung mit ihnen. Darum vergleicht er sein Schreiben mit der Anstrengung, die die Mutter leisten muss, damit das Kind den Weg ins Freie finde. Dabei ist aber nicht das sein Ziel, dass sein eigenes Bild in ihnen erscheine; denn er hat nur den einen Wunsch, dass Christus in ihnen Gestalt bekomme. Seine Gestalt erscheint an uns in dem Maße, als wir sein Werk sind. Das Werk ist immer ein Abbild dessen, der es macht, und dies hat die tiefste Wahrheit dann, wenn der Geist das Werk erzeugt. Indem Jesu Geist in uns wirksam wird, wird unser Wille durch seinen Willen bestimmt und dies gibt unserem Verhalten die Ähnlichkeit mit ihm. Paulus war nicht mehr imstande, im Verhalten der Galater den Christus wahrzunehmen. Denn wenn sie dem Gesetz dienen, weichen sie von Gottes Gnade und stützen sich auf das, was sie bei sich selber finden. Dadurch verschwindet Christus aus dem geistigen Antlitz der Gemeinde und darum bemüht sich Paulus um sie, damit Christus an ihnen wieder erkennbar sei. Damit hat er uns allen das Ziel für jeden Verkehr gezeigt, in den wir miteinander treten.
Ein Bild, Vater, gibt es, das Dir wohlgefällt und durch das wir zu Deinem Bild werden. Das ist das Bild Deines einigen Sohnes. Ihn gabst Du uns, damit wir Sein Bild empfangen, einst im Licht Deines ewigen Reichs, jetzt in der Übung des Glaubens, der Dein Wort bewahrt. So wollest Du mir in Deiner Gnade geben, dass Dein Name in meinem Munde nicht unkräftig und Dein Bild in meinem Leben nicht verdunkelt sei. Amen.
Kap. 5
In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Galater 5,6
Paulus hat seinen Gemeinden gesagt: für eure Verbundenheit mit dem Christus trägt weder eure jüdische noch eure griechische Art etwas aus. Sie einigt euch nicht mit ihm und trennt euch nicht von ihm. Durch Christus ist euch einzig der Glaube, der Christus anhängt, zum Quell der Kraft und des Lebens, zum Bund mit Gott und zum Anteil an seinem Reich gemacht. Nun haben wir aber auch eine Aufgabe an den Menschen. Wie steht es mit ihr, wenn der Glaube meinen Blick zum Vater emporhebt und mein Verlangen zu seinem Sohn hinzieht und mich der Leitung seines Geistes gehorsam macht? Würde mich der Glaube, weil er das sucht, was droben ist, untätig machen, so machte er mich unfähig für das, was meine Stellung in der Welt von mir verlangt. Aber diese Sorge ist töricht. Denn der Glaube macht jeden, der ihn hat, tätig, weil er eine Gehilfin bei sich hat, die zu jeder Arbeit willig und tüchtig ist. Das ist die Liebe. Sie wird in uns geboren, sowie uns der Glaube gegeben ist. Christus gibt sie jedem, den Er im Glauben an sich zieht. Dadurch zieht er mich ja weg von dem, was ich selber bin, nimmt meinem eigensüchtigen Willen die Herrschaft über mich, zeigt mir Gottes Herrlichkeit, bringt mir Gottes Liebe und gewährt mir Gottes Gaben. Liegt der Grund meines Lebens nicht mehr in mir, sondern über mir, so ist auch das Ziel meines Handelns aus mir heraus verlegt und über mich emporgestellt. Die Liebe ist aber ein tätiger Wille; sie sucht nicht nur Ziele und Mittel zum Werk, sondern sie findet sie auch. Denn sie gibt mir das sehende Auge, das sich wach zu den anderen wendet, und füllt mir die gebende Hand, die ihnen reicht, was heilsam ist. Darum weil der Glaube die Liebe bei sich hat, gibt er uns die Tüchtigkeit, die in treu vollbrachter Arbeit unseren Beruf erfüllt.
Alles, was ich bedarf, wird mir, mein Gott, in Deinem Wort gezeigt und durch Deine Hilfe geschenkt. Vor Dir brauche ich den festen Stand, den Stand des Kindes in Deinem Haus. Du gibst ihn mir, weil ich Dir glauben darf. Ich brauche aber auch Trieb und Kraft für mein Werk. Du gibst sie mir, weil Du die Liebe bist und sie denen gibst, die Dich kennen. Ich begehre nach Deinen Gaben. Fülle meine Tage mit einem redlichen Werk, das Deinen Willen tut. Amen.
Alle Gesetze werden in Einem Wort erfüllt, in dem: Liebe deinen Nächsten als dich selbst. Galater 5,14
Zerbrochenes, zersplittertes Wesen hat nicht Gottes Art an sich. Er ist Einer und hat auch unser inwendiges Leben in eine starke Einheit zusammengebunden, die der Zerstückelung in eine Menge von Anliegen widerstrebt. Darum bewährt das göttliche Gesetz seine göttliche Art dadurch, dass es durch ein einziges Gebot zu uns spricht, weil alles, was Gott von mir begehrt, aus einer einzigen Wurzel kommt. Diese Wurzel für jede richtige Tat ist die Liebe. Das Gesetz stellt jede Bosheit, durch die ich die anderen schädige und verderbe, unter sein verdammendes Urteil. Wo aber die Liebe ist, entstehen nicht Bosheiten; sie schädigt nicht, sondern hilft. Das Gesetz verbindet uns zur Gemeinschaft durch das Recht. Wenn ich aber in der Liebe handele, wird alles, was die Gerechtigkeit verlangt, von mir getan. Denn die Liebe zerreißt die Gemeinschaft nicht, aus der das Recht der anderen entsteht, sondern erhält sie und stellt sie auch da her, wo sie noch nicht ist oder zerbrochen worden ist. Auch das, was das Gesetz uns als unseren Gottesdienst vorschreibt, hat darin sein Ziel, dass wir einander lieben wie uns selbst und zwischen uns keine bösen Unterschiede aufrichten, weil wir Gottes Gabe nicht nur für uns selber suchen und empfangen können. Gott umfasst uns alle mit derselben Gnade und gibt einem jeden seine Gaben dazu, damit er mit ihnen den anderen diene. Tun wir dies, so ist das Gesetz erfüllt.
Du, Herr, unser Gott, gabst mir meinen Platz unter den Meinen, gabst mir meine Stelle in unserem Volk und gabst mir Heimatrecht in unserer Kirche. Du gabst mir dadurch Nächste, denen ich nahe sein darf. Nun gib mir zur Pflicht auch den Willen, zum Beruf die Kraft, zur Arbeit die Liebe, ohne die sie ein totes Werk und leere Mühsal bleibt. Bei Dir klopfe ich an; fülle meine leeren Hände. Amen.
Ich sage euch: wandelt im Geist.
Galater 5,16
Geh, sagt mir Paulus, geh dahin, wohin dich der Geist leitet. Bleibe nicht unbeweglich liegen, obwohl du siehst, was recht und gut ist, weil der Geist dein Auge hell macht, und obwohl sich der Wunsch deines Herzens vom Geist bewegt nach dem streckt, was er dir zeigt. Bewege dich, weil der Geist dich bewegt. Wolle, weil und wie der Geist das Wollen in dir schafft. Handle, da der Geist dir dazu das Vermögen gab. Den Geist zu haben, hilft dir nicht, sondern der Leitung des Geistes zu gehorchen und dem reinen Trieb des Glaubens und der Liebe untertan zu bleiben, entschlossen und ganz, das ist die Lösung der Frage, die ernst und groß aus meinem Christenstand entsteht. Das ist der herrliche Abschluss des apostolischen Evangeliums und seine Verschiedenheit von jeder anderen Frömmigkeit, dass es mir etwas Heiliges und Göttliches zeigen kann, das mir inwendig gegenwärtig und mir selbst gegeben ist, von dem ich mich leiten lassen darf in der dankbaren Zuversicht, es führe mich sicher auf Gottes Weg.
Ich bete zu Dir, Herr Gott, damit mein Wille Dir untertan sei, eins mit Deinem guten Willen. Ich fürchte, dass ich Deine heilsame Gabe ungebraucht lasse und mich gegen Deine Leitung sträube. Weil ich vor mir mich fürchte, komme ich zu Dir und bitte Dich: Führe mich mit jedem Tag einen Schritt voran auf Deinem Weg. Amen.
Kap. 6
So ein Mensch etwa von einem Fehl übereilt würde, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid. Galater 6,1
Wenn eine Christenschar aufgeregt wird wie die in Galatien, so geht es ohne schwere Fehltritte nicht ab. Da gab es manches böse Wort und manchen unbedachten Schritt, der schwere Folgen haben konnte, mancherlei Verwundungen des inwendigen Menschen. Vielleicht kam der Brief des Paulus für manche zu spät, so dass sie sich schon beschnitten hatten, um es hernach bitter zu bereuen. Es müssen aber nicht erst besonders schwierige Zeiten kommen, um uns zu zeigen, dass Menschen stürzen, auch solche, deren Sturz uns überrascht, weil wir meinten, sie seien gegen die Verblendung, die uns sündigen macht, geschützt. Dann sollen wir erleben, wozu es Geist Gottes bei uns gibt, „geistliche Männer“, das heißt solche, die in der Leitung des Geistes stehen und durch ihr Verhalten der Gemeinde sichtbar machen, was der Geist will und gibt. Ihnen ist ihre besondere Begnadigung nicht dazu gegeben, dass sie nur sich selber vor dem Sturz bewahren; vielmehr richten die, die im Geist zu handeln vermögen, Gefallene wieder auf. Wenn sie dazu fähig sind, erweisen sie sich als die Träger des Geistes. Nicht wer klagt und schilt, sondern wer hilft und den Fehlenden zurück zu Christus führt, hat den Sinn des Geistes verstanden und die Kraft des Geistes offenbart.
Es liegt auf uns, barmherziger Heiland, viel gemeinsame Schuld. Wir lassen die anderen stürzen und stehen ohnmächtig neben ihrem Fall. Schenke uns die, die helfen können. Reiche uns dar die Waffen des Lichts. Amen.
Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten. Wer aber auf den Geist sät, wird von dem Geist das ewige Leben ernten.
Galater 6,7+8
Zwei Saatfelder bieten sich mir zur Benutzung dar, weil sowohl das Fleisch, mit dem mich die Natur versah, als auch der geist, den mir Christus darreicht, mein Begehren bewegt. Ich säe in das eine oder das andere, wenn ich mich mit dem, was sie verlangen, einige und es zum Werk ausgestalte. Paulus hat zunächst daran gedacht, dass seine Galater ihre Lehrer darben ließen, weil ihnen am göttlichen Wort wenig, viel dagegen an der Erhaltung und Vermehrung ihres Besitzes lag. Der natürliche Trieb treibt uns zur Vermehrung unseres Besitzes und zu seinem eigensüchtigen Genuss und stellt es uns als hart dar, dass wir ihn zum Dienst Gottes gebrauchen sollen. Gehorchen wir diesem Trieb, so säen wir auf unser Fleisch. Der Geist heißt uns Gott und sein Wort höher schätzen als jedes andere Gut. Machen wir seinen Rat zu unserem Willen, so säen wir auf den Geist. Hier und dort reift die Ernte mit Sicherheit und unser Handeln kommt wieder zu uns zurück. Haben wir unser natürliches Begehren als den Acker betrachtet, der uns die Ernte verschaffen soll, so werden wir bekommen, was dort allein wachsen kann. Was die Natur uns gibt, hat kein ewiges Leben in sich und kann es uns nicht verschaffen, auch wenn wir es eifrig pflegen und kunstreich schmücken. Je mehr wir unser natürliches Wesen nähren und stärken, um so sicherer zieht es uns in seinen Tod hinein. Ewiges Leben ist Gottes Gabe und darum gibt es der Geist dem, der seine Saat ihm anvertraut.
Wer seines Volkes gedenkt, dessen Bitten wird von Dir, Herr, stark und heiß. Uns überwältigt der Trieb des Fleisches; ihm übergeben wir unsere Saat durch stetige Arbeit und rastlosen Fleiß. Mache Deine Schar willig, unter der Not unseres Volkes zu leiden, und mache sie tüchtig zum Dienst des Geistes in starkem Erbarmen zu tapferer Hilfe. Mehre unter uns die, die ihr Fleisch gekreuzigt haben und im Geist wandeln. Amen.
Es sei ferne von mir zu rühmen, denn allein vom Kreuz unseres Herrn Jesus Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.
Galater 6,14
Ist es seltsam, dass sich Paulus des Kreuzes Jesu rühmt? Dort ist seine Übertretung weggetan. Dort ist ihm die Gerechtigkeit zuteil geworden, dort ist ihm die Gnade erschienen, dort ist Gottes Friede zu ihm gekommen. Wie soll er nun nicht Jesus für sein Kreuz danken, wie etwas anderes loben als seinen Tod? Gerade das, was den Menschen erschreckt und ihn zur Buße nötigt, ist sein Ruhm, weil sich gerade dort Gottes Gnade und Gerechtigkeit offenbaren. Neben diesem Ruhm hatte in der Seele des Paulus kein anderes Rühmen Raum. Weil das Kreuz Christi die Schuld der Menschheit offenbart und richtet, sagt Paulus jedem Menschen, sei er wie er sei, du bist dem Tod übergeben. Darum hat die Welt für Paulus keinen Glanz und keine Größe mehr. Denn ihre Sündhaftigkeit und Verwerflichkeit ist durch den Tod Jesu aufgedeckt und Gottes Gericht ist über sie ergangen. Nun kann Paulus den Menschen nicht mehr bewundern und ebenso wenig fürchten. Mag er sagen und tun, was er will, Paulus sagt ihm, du bist gekreuzigt, gerichtet und tot. Allein durch unsere Verurteilung empfangen wir Gottes Gnade und unsere Übergabe in den Tod öffnet uns den Eingang in das Leben. Die Welt ist mir gekreuzigt, das heißt, ich sehe in jedem Menschen den, den die Gnade sucht, die für ihn das Kreuz trug, in jedem den, der Anteil an der Vergebung hat, die der Welt ihre Sünden nicht anrechnet, in jedem den, den Gott mit sich versöhnt hat und zu sich beruft. Darum sträubt sich Paulus nicht dagegen, dass auch er für die Welt ein Gekreuzigter ist, wie sie es für ihn ist. Weil er die Welt vor den Gekreuzigten stellt, antwortet sie ihm mit Geringschätzung und Hass. Er erwartet nichts anderes und begehrt von Menschen für sich keine Verehrung, wie auch er ihm keine Bewunderung darbringt. Weil auch ihm wie allen das Kreuz Jesu seinen Platz vor Gott anweist, ist er wie alle non jedem Verdienst entkleidet, von jedem Begehren, groß zu sein, erlöst, einer der Gottes Vergebung bedarf und sie empfangen hat, und deshalb ist er der Bote der göttlichen Gnade für die Welt und imstande, jedem zu sagen: sei versöhnt mit Gott.
Was Du, Herr Christus, getan hast, als Du Dein Kreuz trugest, ist höher und tiefer als meine Gedanken, mächtiger und gnädiger als meine Erfahrung. Ich sehe bittend empor zu Deiner Höhe: Zeige mir die Herrlichkeit Deines Kreuzes, dass es mir zum Ruhm wird, weil es mich in Gottes Frieden bringt und mein Leben fruchtbar macht im Dienst Deiner Gnade. Amen.