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1. Eins.

Wer Ein‘s hat, der hat Alles; und ohne dieses Eine hat auch der nichts, der Alles hat. Wer hat das Eine?

Da saß einmal an seinem Webstuhl im gemietheten Hinterstübchen ein fröhlicher Greis und webte, daß es eine Lust war, und sang dazu eine fromme Weise, ich weiß nicht mehr welche. Er hatte gewebt seit langen, langen Jahren; er hatte gewebt, als die jugendliche Gattin fleißig nähend ihm noch gegenüber saß, nun war sie schon lange todt, und er ging wohl Sonntags Nachmittags zu ihrem Grabe; er hatte gewebt, als die lustige, lärmende Schaar der Kinder ihn umschwirrte. Die Kinder waren theils auch gestorben an andern Orten, theils nach Amerika gezogen; er webte immer noch, einsam und doch nicht verlassen, als und grau und doch nicht traurig. Und warum sollte er auch traurig sein? Er hatte Eins, was ein immer fröhlich Herz erhält im Mai des Lebens und im Herbst und Winter; die Stillen im Städtlein wußten das wohl, sie kamen öfters am Feierabend und am Feiertag nach der Kirche zu dem Alten, daß sein Stüblein sie nicht fassen konnte, und waren die Schüler und er der Lehrer, und ließen sich von ihm unterweisen in dem Einen.

Da saß einmal am Webstuhl der hohen Politik in seinem glänzenden Palaste ein vornehmer Staatsmann, und als eine Weberspule flogen seine Gedanken hin und her, allerlei Pläne spinnend zu des Landes Wohl und seiner Völker Wohlfahrt. Aber ich weiß nicht, wollte es dem hochgebietenden Herrn diesmal nicht recht gelingen mit seinem Gedankengewebe oder gehörte das mit zu seinem Gewebe, er stand plötzlich auf und ging in ein Kämmerlein, das hinter seinem Arbeitszimmer lag, und warf sich auf die Knie und betete. Weil er aber vergessen hatte, die Thür hinter sich zu schließen, so ist von ohngefähr Einer in das Kämmerlein gerathen, ist aber sofort wieder zurückgetreten, als er den großen Politiker auf seinen Knien liegend und im Gebete ringend gesehen hat, und hat sich des Gesichts nicht wenig verwundert. Der Staatsmann aber ist bald darnach aufgestanden und hat den unfreiwilligen Eindringling hinterher in seinem Arbeitszimmer empfangen, als er für diesmal mit seinem Gewebe fertig war, und hat zu dem Verwunderten lächelnd gesagt: „Wie sollte ich wohl durch das Alles, was der Staat mir zu denken, zu sorgen und zu thun giebt, hindurchfinden, wenn ich das Eine nicht hätte?“

Das sind zwei Geschichten von dem Einen; vielleicht ist deine Lebensgeschichte, geneigter Leser, die dritte dazu. Der Erzähler wünscht es dir um deinetwillen von ganzem Herzen.

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