Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - I. Butzer, Mönch, in Schlettstadt und in Heidelberg

Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - I. Butzer, Mönch, in Schlettstadt und in Heidelberg

Martin Butzer wurde zu Schlettstadt am 11. November 1491 geboren, und erhielt, wie Luther, den Namen des Heiligen dieses Tages in der Taufe.

Seine Eltern, Klaus Butzer, ein Kübler, und Eva, eine Hebamme, waren unbemittelte Leute und wohnten, da sie kein eignes Hauswesen hatten, bei den Großvater väterlicherseits, am Krautmarkte. Als sie in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts nach Straßburg zogen, ließen sie das Kind den Großeltern, „die ihrer Zucht und Frömmigkeit wegen berühmt waren“. Der kleine Martin zeigte frühe eine ungewöhnliche Lernbegierde und schöne Geistesgaben. Die Großeltern schickten ihn deswegen in die damals blühende lateinische Schule des Orts, von welcher Thomas Platter, ein vielgewanderter Schweizer Student bezeugt: „Dies war die erste Schule, da es mir däuchte, dass es recht zuginge.“

Bald hieß es in ganz Schlettstadt: Der wird ein Pfaff werden, wenn er's hinaustreiben kann. Gegen den geistlichen Stand empfand jedoch der Großvater Klaus, wegen des unchristlichen Lebenswandels vieler Priester, eine entschiedene Abneigung. Dagegen träumte der Knabe selbst nur von Büchern und Gelehrsamkeit. Um aber ein Gelehrter zu werden, fehlten die Geldmittel, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als in ein Kloster einzutreten, wo er sorgenfrei sich dem Studium ergeben könnte. Die Dominikaner von Schlettstadt kamen ihm entgegen und suchten ihn für ihren Orden zu gewinnen. Der Großvater hatte dagegen nichts einzuwenden, zumal die Schlettstadter Predigermönche (sie nannten sich wegen Änderungen in der Klosterregel die „reformierten“), im Rufe meiner größeren Ehrbarkeit als die Weltpriester standen, und so ließ der Fünfzehnjährige sich in die Kutte stecken. Mit pochendem Herzen legte er nach der einjährigen Probezeit im Jahr 1507 das Mönchsgelübde ab. Er selbst erzählt später: „Also hab' ich mich bereden lassen, weil ich zur Lehre sonst von den Meinen keiner Hilfe durfte gewärtig sein, weil ich den Mönchen glaubte, dass, wenn ich im Orden bliebe, ich nicht könnte verdammt werden, und weil ich die Schande und meiner Verwandten Ungunst fürchtete, so wie auch ein unglücklich Leben samt einem elenden Tod, wenn ich wieder austräte. Es ist also an mir das Sprichwort wahr geworden: Die Verzweiflung macht einen Mönch. Und das ist meiner Möncherei Anfang.“

Der Wahn war kurz; bald stellten sich Enttäuschungen aller Art ein. Hören wir ihn selbst: „Von dem Leben, das ich im Kloster, von der zarten Jugend an, gelehrt worden bin, sage ich nicht mehr als: Gott erbarm' sich über sie und mich, verzeih' uns und lehre uns ein besseres, wie wohl, ohne Ruhm geredet, ich mit zu denen gezählt wurde, so eines frommen und tadellosen Wandels geachtet waren; darum bin ich aber nicht desto besser und gar nichts gerechtfertigt.“

Das ernste Wesen des wissbegierigen Jünglings konnte nicht nach dem Geschmack der Mönche sein. Kaum hatte er das bindende Wort gesprochen, so nahmen sie ihm seine Lateinischen Bücher, die er mit seinen Sparpfennigen gekauft hatte, weg und gaben ihm dafür Ordensregeln, trockene Mönchsschriften, „sophistische Tandmähren“, Heiligenlegenden. Außerdem musste er, wie die Ordensregel es vorschrieb, die niedrigsten Knechtsdienste verrichten. Wie oft mag er sich zurückgesehnt haben nach der Lateinschule, wo eine freiere Luft wehte, und er in vollen Zügen aus dem Born der Wissenschaft hätte schöpfen können. Eines hoffte er noch: eine Hochschule besuchen zu dürfen.

Der Wunsch ging schneller als er es erwartete in Erfüllung: der Prior, der ihn lieb gewonnen, schickte ihn nach Heidelberg, wo die Dominikaner ein Ordenshaus hatten, und wo seit hundert und dreißig Jahren eine Universität blühte. Er zog mit freudigem Herzen dorthin, mit Büchern aus der Schlettstadter Klosterbibliothek versehen, die man ihm anvertraut hatte. Man hoffte die Talente des strebsamen Bruders zum Nutzen des Ordens zu verwerten.

Mit der Übersiedelung nach Heidelberg begann für ihn eine neue Zeit. Am 31. Januar 1517 wurde er in die Universitätsmatrikel eingeschrieben und widmete sich nun mit größtem Eifer dem Studium der Theologie, dasjenige der alten Sprache, der Philosophie und der Redekunst damit verbindend. Er erwarb den Grad eines Baccalaureus der Theologie und bald darauf den eines Magisters der freien Künste. Nachdem er dann in Mainz zum Priester geweiht worden war, erhielt er auch das Recht, die Kanzel zu besteigen.

Vorher schon, im Jahr 1518, sehen wir ihn als Lehrer tätig. Studenten und jüngeren Ordensbrüdern erklärte er die damals so großes Aufsehen erregenden Schriften des Erasmus von Rotterdam, eines Fürsten unter den Gelehrten, und zugleich ausgewählte Bücher der Bibel. In seinen freien Stunden vertiefte er sich aber immer mehr in die heilige Schrift, und dieses ehrliche Forschen brachte auf ihn die Wirkung hervor, die es auf jedes ernste und wahrheitsuchende Gemüt ausübt. Wenn die scharfe Beurteilung der kirchlichen Missbräuche und Lehren, die er bei Erasmus fand, eine Veränderung in seinen Ansichten vorbereitete, so wies ihn die heilige Schrift auf das Eine hin, das Not tut, das allein die tiefsten Bedürfnisse der Seele stillt und den innern Frieden gewährt.

Doch bereits hatte ein anderer Mönch in Wittenberg seine 95 Thesen angeschlagen. Die neuen Ideen der beginnenden Kirchenreformation drangen auch in das Heidelberger Kloster. Es sollte dem jungen Dominikaner bald das Glück zu Teil werden, Martin Luther persönlich kennen zu lernen. Dieser kam im April 1518 nach Heidelberg, um einer Versammlung von Vertretern des Augustinerordens beizuwohnen. Es lässt sich denken, mit welcher Spannung Bruder Martin den Worten Luthers lauschte, als derselbe vor einer Versammlung von Gelehrten, nach damaliger Sitte, eine Reihe von Lehrsätzen aufstellte und verteidigte. Diese „Thesen“, welche vom freien Willen, von der Gnade, dem Glauben, der Rechtfertigung und den guten Werken handelten und den meisten anwesenden Theologen ketzerisch erschienen, entzückten Butzer aufs Höchste. Er schrieb sie sorgfältig nieder. Aber das genügte ihm nicht: er musste den Mann noch weiter hören; er suchte ihn auf, befragte ihn, und hatte am 27. April wieder eine lange Unterredung mit ihm. Jubelnd meldet er einem Schlettstadter Freund: „Luther war mein Gast bei dem Mahl, welches nicht durch leckerhafte Speisen, aber durch köstlichen Austausch der Gedanken und erwünschte Belehrung von seiner Seite gewürzt war. Er stimmt mit Erasmus überein und steht über ihm, insofern er offen und frei heraussagt, was Jener nur verdeckt andeutet. O, wenn ich nur Zeit hätte, dir noch mehr von diesem Manne zu schreiben!“

Der um acht Jahre ältere Luther erhielt seinerseits einen günstigen Eindruck von unserm Elsässer: „Er ist wohl,“ äußerte er, „der einzige Bruder ohne Falsch in jenem Orden, ein junger Mann recht guter Hoffnung. Er ist wert, dass man ihn liebe und ihm Treue erzeige. Man darf etwas Tüchtiges von ihm erwarten.“

In der Tat, es wurde immer heller in seiner Seele. Schon gleich zu Anfang des Jahres 1519 schrieb er: „Ich halte für mein Teil nicht allein unverbrüchlich an dem, was Bruder Martin aufgestellt, sondern ich gebe auch nicht im mindesten die Hoffnung auf: es werde eine Zeit kommen, wo Christus, unser Herr, uns mit einem Auge der Barmherzigkeit anschauen und uns seine Lehre wieder schenken wird.“ Luthers Kommentar zum Galaterbrief entlockte ihm den Ausruf: „Welch eine Fülle rein christlicher Lehren und Vorschriften! Luther hat mich ganz gewonnen.“ Mit gleicher Bewunderung erfüllte ihn der mutige Freiheitssinn in Luthers „Brief an den Adel deutscher Nation“, den er, nebst andern Luther'schen Schriften, zum Nachdruck nach Straßburg und Basel zu übersenden sich beeilte: „Möchten diese Schriften in vielen tausend Exemplaren in die Welt verbreitet werden,“ ruft er aus, „wahrlich, Deutschlands Hoffnung beruht auf diesem Mann! Nein, Niemand wird mich je überreden, dass in diesem Handel nicht deutlich Gottes Finger und Gottes Geist sich offenbare!“

Kein Wunder, dass ihm das Mönchsleben immer lästiger wurde. Ehe noch das Jahr 1520 zur Neige ging, und nachdem er sich mit seinem Vater und Freunden in Straßburg besprochen, fasste er den Entschluss, die ihm verleidete Kutte abzulegen. Schon längst hatte er sich ja auch seines Umgangs mit gelehrten Leuten und seines wissenschaftlichen Strebens wegen, das Missfallen seiner Ordensgenossen, „ der ungelehrtesten unter allen Mönchen“, zugezogen. Bald sollte er nun auch deren Hass und Verfolgungssucht erfahren, namentlich als seine Beziehungen zu Luther und dessen Anhängern, Capito, Oekolampad, Melanchthon ruchbar geworden waren, und er aus seinen freieren Anschauungen kein Hehl mehr machte. Hatte er sich doch nicht gescheut, in Gegenwart vieler Ordensgeistlichen zu Frankfurt für Luther Partei zu ergreifen. Da er in Folge dessen bei dem damaligen Ketzerrichter Jakob Hoogstraten, bei einem Dominikaner-Pater Doktor Jesus in Straßburg, ja vor dem römischen Stuhl selbst verklagt worden war, musste er gewärtig sein, dass man ihm seine Vorlesungen verbieten, ihn als „den größten Übeltäter“ seiner Grade, Würden und Ehren im Orden entsetzen, ja vielleicht noch „anders mit ihm umgehen würde.“

Unter diesen Umständen verließ er, dreißig Jahre alt, gegen Ende November die Heidelberger Klosterzelle. „Da ich sah“, schreibt er darüber, „dass das nichts anderes war als falschen Lehren anhängen und andere damit verführen, Christum und sein heiliges Evangelium verlassen, wo ich bei den Mönchen hätte bleiben wollen, da hab' ich getan, was ich mit Gott nicht lassen mochte und bin von ihnen geschieden.“ - Das war seiner Möncherei Ende. Die Wege Gottes sind wunderbar. Das Kloster, dem Butzer nun den Rücken kehrte, war für ihn eine treffliche Vorschule geworden. Als er es verließ, war er innerlich gereift, mit Kenntnissen und Fertigkeiten ausgestattet, die ihm im späteren Leben, als Mann der Wissenschaft, als Lehrer und Prediger, als Schriftsteller, als Meister in der Disputierkunst wohl zu statten kommen sollten.

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